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Die vielen Millionen auf der Bank in Luxemburg reichen nicht. Der Held dieses abgründigen, in rasanten Bildern erzählten Romans macht sich auf, zu den Allerreichsten der Welt zu gehören. Dazu beendet er das bisherige Leben, aus dem sein Reichtum hervorgegangen ist. Er verlässt Wien und seine Frau, die Kinder und sogar seine Therapeutin. Eine Schönheitsoperation eröffnet sein neues Leben. So verändert begibt er sich zur Erholung nach Venedig und trifft auf den Lyriker Gianni, der ihm mit seiner Kunst die endgültige Verfügbarkeit der Welt offenbart. Er benötigt nur noch die private Basis, sich…mehr

Produktbeschreibung
Die vielen Millionen auf der Bank in Luxemburg reichen nicht. Der Held dieses abgründigen, in rasanten Bildern erzählten Romans macht sich auf, zu den Allerreichsten der Welt zu gehören. Dazu beendet er das bisherige Leben, aus dem sein Reichtum hervorgegangen ist. Er verlässt Wien und seine Frau, die Kinder und sogar seine Therapeutin. Eine Schönheitsoperation eröffnet sein neues Leben. So verändert begibt er sich zur Erholung nach Venedig und trifft auf den Lyriker Gianni, der ihm mit seiner Kunst die endgültige Verfügbarkeit der Welt offenbart. Er benötigt nur noch die private Basis, sich uneingeschränkt dem Begehren nach Geld und Macht hinzugeben. Eine neue Frau wird gesucht. In der noblen Heiratsvermittlung der Frau Zapolska in Zürich findet sich eine passende Kandidatin und schon beginnen die Anwälte, die Verträge zu entwerfen. Die Form der Zeugung wird zum juristischen Problem. Sollen die Kinder künstlich oder natürlich entstehen? Francesca besteht auf künstlicher Befruchtung. Aber dann stellt sich überhaupt die Frage, was Francesca für eine Rolle spielt und ob sie nicht eine Agentin aus seiner Vergangenheit ist. Plant sie ein Komplott gegen ihn? Greift sie nach seinem Reichtum? Geht es um sein Leben?

Drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy zum französischen Präsidenten im Mai 2007 begann Marlene Streeruwitz diesen neuen Typus des mächtigen Mannes zu erforschen. Die Form des Romans, das Verschränken und Beschreiben von Motivketten, das detailgenaue Nachzeichnen eines Gedankeflusses, sind das poetische Instrument, mit dem die Autorin einer Persönlichkeit auf den Grund geht, für die Macht und Geld nicht mehr Mittel oder Standessymbole sind, sondern sexuelle, seelische und ästhetische Komponenten des Selbst.
Autorenporträt
Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte und begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Bremer Literaturpreis und den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021) sowie der Roman »Tage im Mai.« (2023). Literaturpreise (u.a.):Mara-Cassens-Preis 1996Österreichischer Würdigungsstaatspreis für Literatur 1999Hermann-Hesse-Literaturpreis 2001 (für "Nachwelt")Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2002Bremer Literaturpreis 2012Franz-Nabl-Preis 2015Preis der Literaturhäuser 2020Wiener Buchpreis 2023
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2008

Trotz Moos nix los

Spieglein, Spieglein in der Hand: Bist du der Reichste im ganzen Land? Marlene Streeruwitz führt den Leser, der sich auf dem Schutzumschlag ihres Romans spiegelt, an steil aufragende Abgründe.

Von Christian Schärf

Die bequeme Meinung, Geld mache nicht glücklich, scheint nicht mehr ganz angesagt. Gleichwohl ist die Welt immer noch voller Versuche, sie zu belegen. Unermüdlich wollen Fernsehen und Boulevardpresse uns zeigen, dass auch bei den Reichen und Schönen nicht alle Bäume in den Himmel wachsen. Immer wieder kollidiert der glanzvolle Mythos des Ruhms mit jenem Menschlich-Allzumenschlichen, das sein Hauptkennzeichen im Scheitern hat. So bleiben uns die Stars nah, so fern sie auch sein mögen. Doch was sind schon die Sterne und Sternchen aus der Prominenzretorte gegen die geheimnisvolle Minderheit derer, die richtig viel Geld haben und gerade deshalb im Verborgenen bleiben? Wer ist ihnen wirklich einmal nähergekommen oder hätte gar ihr Inneres erkundet? Die wirklich Herrschenden sind der breiten Masse in jeder Hinsicht unbekannt. Wir wissen aus der Literatur so viel über die Befindlichkeiten des Mittelstands und seines Nachwuchses, dass wir uns schon wieder gegen die neuesten Nachrichten aus dieser Sphäre im nächsten Bücherherbst wappnen. Aber wer brächte uns die Charaktere jener wenigen Spieler im globalen Neofeudalismus nahe, die mit Bestimmtheit zu sagen wüssten, was Geld aus dem Menschen macht?

Marlene Streeruwitz hat in ihrem neuen Roman "Kreuzungen" versucht, mit den Mitteln der Fiktion in diese Sphäre vorzustoßen. Was aber kann man über dieses Milieu und seine Charaktere überhaupt in Erfahrung bringen? Der Verlag hat im Klappentext darauf hingewiesen, dass Marlene Streeruwitz drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy zum französischen Staatspräsidenten mit den Recherchen zu ihrem neuen Buch begonnen habe. Mit diesem Hinweis soll wohl dem Leser eine Brücke gebaut werden. Gerade diese aber führt in die Irre, denn einen Roman über Sarkozy hat man keineswegs vor sich. Alles, was es über Sarkozy zu sagen gäbe, vom postideologischen Machtmenschentum bis hin zu dessen ästhetischer Überzuckerung mittels Carla Bruni, würde nicht hinreichen, den beunruhigenden Kosmos der männlichen Hauptfigur zu erreichen, den Marlene Streeruwitz entwirft.

Dem Milliardär Max, um den sich die Geschichte dreht, genügt nicht der Verklärungseffekt des schönen Scheins, um seinem seit jeher ganz auf Profitmaximierung abgestellten Leben eine neue Bedeutung zu geben. Ja, das Ästhetische und damit die Kunst sind in seinen Augen selbst diskreditiert. So versucht der Held, über das Geld einen Weg in eine Sphäre jenseits des Ästhetischen zu finden. Doch ist das Geld zugleich das Problem: Es hat alles wegschmelzen lassen, was den Menschen ausmachen könnte. Nicht nur ist alles Stehende und Ständische verdampft, auch alles gediegen Neurotische und erregend Perverse ist zu einer bloßen Karikatur verkommen.

Dass ihn nichts, aber auch gar nichts mehr erreicht, außer die idiosynkratischen Spiegelungen seiner phallischen Größenfantasien, gekreuzt mit dem Gesicht der gehassten Ehefrau und den beiden in ihren Dirndln spielenden Töchtern Hetty und Netty, erscheint nur in Ansätzen als Perversion von Belang. Entscheidend ist, dass hierin jene Selbstbespiegelung stattfindet, die das System Max ebenso wie das System Geld am Laufen hält. Der Spiegel ist die zentrale Metapher des Buches. Im unbeirrbar sich behauptenden Phallus spiegelt sich der Machtwille, und in diesem spiegelt sich wiederum die gesamte Person, reduziert auf eine einzige Regung, auf die Hydraulik der Organe und ihre imaginäre Übersteigerung ins Monumentale. Das Buch selbst begegnet als Spiegel; der Schutzumschlag zeigt dem Leser in silbern schimmernder Verfremdung zunächst einmal das eigene Gesicht.

Das Phallische, so dröhnt es auch wieder aus diesem Werk der Streeruwitz, ist der Fluch, der auf der Menschheit liegt. Hinter dem Geld und der Macht steht unverändert das priapeische Prinzip der Selbstverherrlichung des Mannes. In ihrem neuen Buch wird die Erde selbst zu einem kugelrunden Phallus, der ziellos durch den kosmischen Kapitalismus rast. Der Planet ist nicht mehr zu stoppen, seine Navigatoren sind nicht mehr bei Sinnen, und doch rufen sie sich im Privatjet zwischen Zürich und London stumm einen letzten Rilkeschen Satz zu, der die Rettung bringen soll: Du musst dein Leben ändern!

Da ist aber schon fast alles wieder den Bach hinunter, was das neue Leben ausmachen sollte. Die Scheidung geht zwar über die Bühne, aber die geplante inszenierte Vertragsehe mit einer englischen Jungadligen, die nicht einmal weiß, dass Champagnergläser vor dem Genuss mit zerstampftem Eis gekühlt werden, ist unmöglich geworden. Max, der mit der jungen Francesca alles noch einmal, diesmal aber ohne Risiken, ohne Alltag und ohne Kommunikation wollte, besteht doch tatsächlich auf einem einzigen auf sein altes Leben zurückweisenden Punkt: Er versucht vertraglich festzulegen, dass die zwei mit Francesca geplanten Töchter durch körperliche Zeugung zustande kommen sollten. Das aber widerspricht fundamental dem Grundplan, auf den sich Francesca einlassen wollte: einer Reißbrettexistenz, in der das Geld das ganze Leben in eine virtuelle Sphäre heben sollte.

Streeruwitz führt mit ihrem von Seite zu Seite unwiderstehlicher werdenden Sound, einem gnadenlosen Stakkato der Sätze und Satzfetzen, die Leser an einen Abgrund heran, dessen Tiefe der Roman gründlich und schonungslos auslotet. So unabsehbar die Wüste des Geldes auch ist, so tauchen doch auch unablässig Bruchstücke von Perspektiven aus dem psychischen Schrott auf, der sich in Max zur Sprache verdichtet. Alle Erzählungen vom Menschen, die großen und die kleinen, sind längst zu Ende, ja selbst die Erinnerungen an sie sind verloren. Doch ausgerechnet dieses anthropologische Rudiment namens Max will plötzlich für sich, was eine der letzten großen Erzählungen vom Menschen gefordert hatte. Es beansprucht eine ganz spezifische, mit Geld nicht zu kaufende Freiheit, die Freiheit des Künstlers. Diese Vision der Freiheit erst und nicht die Virtualität der durchgeplanten neuen Existenz soll Max schließlich über das Leben selbst hinausheben.

Im siebenunddreißg Tage währenden Zusammenleben mit dem undurchsichtigen Gianni in Venedig entdeckt Max eine ungeahnte Technik, den Menschen zu zelebrieren. Bei Gianni sind Kunstwille, asketische Haltung, Produktion und Produkt ganz und gar auf seinen eigenen Körper konzentriert. Gianni ist Kotkünstler. Was er, hochkonzentriert vorbereitet und kunstvoll angerichtet, ausscheidet, ist sein Werk. Auch die Sexualität, für die er beliebige Frauen von den Straßen Venedigs heranzieht, wird von Gianni als ein Akt der reinen Technik betrieben und hat nichts mehr mit dem so vertrauten Poesiealbum aus Liebe und Sex zu tun.

Geld ist kreativ, sagt sich Max. Es wird kreativ, wenn es in Dienst für die Entstehung eines neuen Typus genommen werden kann. Und doch ahnt man, dass auch dieses späte Aufflammen einer Vision mehr eine Reminiszenz ans Abgelebte als eine Perspektive auf die Zukunft sein muss. Es ist alles in der Sprache, aber es ist auch alles nur noch Sprache. Jenseits der Satzketten lässt sich kein kohärenter Bezug mehr aufrechterhalten. Jenseits der monologischen Tiraden des aus allen Zusammenhängen sich lösenden Protagonisten herrscht eine fürchterliche Leere.

Man kann darüber diskutieren, wie vorausweisend oder wie rückwärtsgewandt die Suggestionen sind, die Marlene Streeruwitz in ihrem Roman ausstreut. Auch wenn man die Prämissen nicht teilt, von denen Streeruwitz ausgeht, muss man immerhin zugeben, dass es sich um ein Glanzstück experimenteller Literatur handelt, das nicht einen Funken Hoffnung übrig lässt. Doch liegt über dem Ganzen zugleich auch ein subtiler Humor, wie ihn nur die Hoffnungslosigkeit und die mit ihr einhergehenden Verzerrungen und Übertreibungen hervorbringt. Es ist das hintergründige, manchmal sehr laute Lachen, das die großen Werke des Nihilismus seit den "Nachtwachen" des Bonaventura begleitet. Dieser schmale Grad zwischen Abgrund und Selbstparodie ist der Steg, auf dem Marlene Streeruwitz in diesem Roman mit großer artistischer Leidenschaft balanciert.

- Marlene Streeruwitz: "Kreuzungen". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 250 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2008

Ein Crash an der Ego-Börse
Auch in „Kreuzungen” entdeckt Marlene Streeruwitz hinter der Figur des mächtigen Mannes nur die Lächerlichkeit
Der kleine Rücken einer auf ihm reitenden Asiatin und die Imagination des schönen Gesichts seiner Frau sowie der zarten Mädchenkörper seiner spielenden Töchter: das ist die „Spiegeltrias”, die der Held des neuen Romans von Marlene Streeruwitz braucht, um erregt zu werden. Wenn der Roman einsetzt, sind die seligen Zeiten dieses Arrangements bereits vorüber. Die Töchter Netty und Hetty entwachsen gerade dem Mädchenalter. Lilli, seine Frau, betreibt die Scheidung und schläft mit ihrem Anwalt, der den sprechenden Namen „Dr. Mannlicher” trägt. In dieser Lage setzt Marlene Streeruwitz ihren Helden, der durch Börsengeschäfte ein Vermögen erwirtschaftet hat, auf eine heiße Fährte. Könnte man den Sex nicht ganz durch Geld ersetzen? Er selbst weiß nichts von dieser Versuchsanordnung. Denn er ist nur die Marionette, die seine Autorin vor unseren Augen zappeln lässt.
Der Wille zur Demontage
Wann immer es an der Börse kracht, wann immer alerte Manager ihre persönliche Verantwortung mit „Peanuts”-Gerede von sich weisen oder Politiker mit ausgestelltem Virilitätsgehabe ganz nach oben kommen, regt sich Erklärungsbedarf. Was sind das für Typen, die kalt lächelnd vor die Kameras treten und selbstbewusst behaupten, die Schuld läge niemals bei ihnen – sondern beim Weltmarkt, bei aufgeregten Aktionären, dummen Sparern, gierigen Konsumenten? Diesem Typus auf die Spur zu kommen, ist aller Ehren wert. Der Klappentext verrät, dass Marlene Streeruwitz drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy damit begonnen habe, „den neuen Typus des mächtigen Mannes zu erforschen”. Wie schwierig das ist, liegt auf der Hand. Denn der Wille zur Demontage genügt ja nicht. Irgendetwas muss einer schon können, um nach oben zu kommen, und sei es die geschickte Handhabung von Intrigen, Medien und Kapital.
Solche Fertigkeiten lässt Marlene Streeruwitz außer Acht, indem sie ihren Helden erst gar nicht in beruflichen Zusammenhängen zeigt. In der für ihren Erzählstil eigentümlichen Mischung von intimer Innenschau und Allwissenheit kriecht sie in ihn hinein und erklärt ihn ganz aus seiner Innenwelt. Und die besteht vor allem aus Minderwertigkeitskomplexen und Machtgelüsten. Ein etwas müde gewordener Freudianismus, gepaart mit ein wenig Lacan, hält das innere Räderwerk in Gang. „Kleiner Mann” heißt das Geschlecht des namenlosen Helden. Und weil es grammatikalisch nicht gebeugt wird und die Autorin aus programmatischen Gründen ohnehin unvollständige Sätze schreibt, hört sich die Demontage ziemlich komisch an: „Das mit dem Kleiner Mann, das war nur die Voraussetzung für dieses Gefühl in den Händen. Der Kleiner Mann so ein Hohlraum, um den die Kleine sich formte. Die Asiatinnen wurden dann zu seinem Kleiner Mann und er konnte sich außen vollkommen fremd fühlen und alles innen gehörte ihm allein. Das ging natürlich nur mit den Asiatinnen und wenn er sie nicht sehen musste. Deswegen ließ er den Spiegel vor dem Bett verhängen.”
Weil es mit dem Sex nicht mehr klappen will, sucht er Zuflucht in der weiteren Vermehrung seines Geldes. Wie das genau vonstatten gehen soll, erfahren wir nicht, wohl aber, dass sich sein Mund nach einer zweitägigen Zahnoperation, von der er sich in Venedig erholt, anfühlt wie eine „schmerztobende Vulva”. „Es war aber auch ein bisschen amüsant, dass er sich eine Menstruation gekauft hatte. Er hatte in der Klinik in Basel eine große Blutung im Mund auslösen lassen.” Von Gustav-Aschenbach-Gefühlen begleitet, lernt er den Lyriker Gianni kennen, der mit seinen „Kotwürsten” Performances betreibt, ständig duscht und „böse” wird, wenn die Frauen, mit denen er in Serie schläft, ebenfalls gern duschen würden. Seine skrupellose Art, sich die Welt verfügbar zu machen, wird für den Helden zur Offenbarung.
Grandiose Siegesgewissheit
Kaum ist die Scheidung vollzogen, beauftragt er eine Heiratsvermittlerin mit der Suche nach einer Frau, die bereit ist, ihm zwei neue Töchter zu gebären. Francesca erklärt sich einverstanden, männliche Föten abtreiben zu lassen. Allerdings besteht sie auf künstlicher Befruchtung. Bevor die Sache daran scheitern kann, wird sie vor seinen Augen überfahren. War sie womöglich Teil eines Komplotts, das er nun überstanden hat? Ein grandioses Gefühl von Siegesgewissheit macht sich in ihm breit. Befreit von seiner Vergangenheit, wird er ein neues Leben beginnen, noch mehr Geld verdienen und sich die Kinder einfach „irgendwo machen lassen”.
Marlene Streeruwitz ist mit Büchern, die den Alltag von Frauen literaturfähig gemacht haben, bekannt geworden. Vor Trivialitäten ist sie nie zurückgeschreckt, konnte sie doch sicher sein, dass ihr markanter Stil als das wahrgenommen wird, was er ist: ein Literatursignal. Man musste ihrer Begründung, eine zersplitterte Welt lasse sich nicht in ganzen Sätzen fassen, nicht zustimmen, um zu erkennen, wie gut das Stakkato ihres Stils dem bevorzugten Gegenstand entsprach. Welche Mutter kleiner Kinder fühlt sich nicht gehetzt, welche verlassene Frau nicht atemlos? Diese Schreibweise hat noch Bücher getragen, in denen es längst um anderes ging, um weibliche Kreativität und Emigration in „Nachwelt”, um die globalisierte Infantilgesellschaft in „Partygirl”. Bei „Kreuzungen” jedoch funktioniert das nicht. Stil und Gegenstand driften so weit auseinander, dass die angestrebte Analytik zum Slapstick wird. Dem Helden des Romans fehlt das gesellschaftliche Umfeld, um den „neuen Typus des mächtigen Mannes” zu verkörpern. Er ist ein Popanz der Macht und der Lust, eine lächerliche Figur, zum Abschuss freigegeben, noch bevor er sich die geringsten Meriten verdienen kann. MEIKE FESSMANN
MARLENE STREERUWITZ: Kreuzungen. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 251 Seiten, 18,90 Euro.
Drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy begann Marlene Streeruwitz damit, „den neuen Typus des mächtigen Mannes zu erforschen” Foto: AFP
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Für nichts weniger als einen "Geniestreich" hält Ina Hartwig das Buch über einen egomanischen und narzisstischen Angehörigen der internationalen Finanzwelt, der im Verlauf der Handlung immer tiefer in einen Strudel aus "Macht und Regression, Einsamkeit und Rausch" gerät. Nicht nur, dass die sonst für ihren feministischen Ansatz bekannte Autorin diesmal einen männlichen Protagonisten auf dem ureigenen männlichen Feld der Ökonomie und Geldvermehrung ins Visier genommen und damit, gewissermaßen tagesaktuell, eine thematische Lücke in der zeitgenössischen deutschen Literatur geschlossen hat, begeistert die Rezensentin, sondern auch der sprachliche Furor und das psychologische Einfühlungsvermögen. Streeruwitz geht über die Beschreibung von Oberflächen, Anomalien und Fetischismen hinaus und verwebt sie, beflügelt von einem "Restwiderstand", zu einem Netz sich spiegelnder Motive; in der Summe handelt es sich um einen "aufregenden, ganz und gar außergewöhnlichen Roman", so die Rezensentin.

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