Die Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz kommentiert, von den Standorten Wien, Berlin, Karlsruhe, Basel, Chicago, Feistrizwald und New York aus, in einem Tagebuch der Gegenwart das politische und gesellschaftliche Zeitgeschehen des 21. Jahrhunderts.
Seit den 90er Jahren sowohl durch ihre viel gespielten Theaterstücke als auch durch ihre Romane "Verführung" und "Nachwelt" wie durch ihr theoretisches Werk, das sich um die Tübinger und Frankfurter Poetikvorlesungen zentriert, bekannt, analysiert Marlene Streeruwitz in diesen Zeitessays die in TV und Medien zu Nachrichten verdünnten Ereignisse und Themen unserer Tage: Der Schlingensief-Container; die Konsensgesellschaft von Provakateur und Provozierten in der Kunst; das Schaukampf-TV von Literarischem Quartett bis Herzblatt; das neue Heimatgefühl; Frauen und Privatheit in der Politik; Literatur im Internet; Leihmutterschaft, Sterbehilfe als Regie zum Tode.
Als eine der drei Weisinnen der Protestbewegung gegen Schwarz-Blau in Österreich nominiert, entwirft Marlene Streeruwitz eine neue Poetik des Politischen, die keine Verwendung hergebrachter Formen des Widerstandes mehr gestattet.
Seit den 90er Jahren sowohl durch ihre viel gespielten Theaterstücke als auch durch ihre Romane "Verführung" und "Nachwelt" wie durch ihr theoretisches Werk, das sich um die Tübinger und Frankfurter Poetikvorlesungen zentriert, bekannt, analysiert Marlene Streeruwitz in diesen Zeitessays die in TV und Medien zu Nachrichten verdünnten Ereignisse und Themen unserer Tage: Der Schlingensief-Container; die Konsensgesellschaft von Provakateur und Provozierten in der Kunst; das Schaukampf-TV von Literarischem Quartett bis Herzblatt; das neue Heimatgefühl; Frauen und Privatheit in der Politik; Literatur im Internet; Leihmutterschaft, Sterbehilfe als Regie zum Tode.
Als eine der drei Weisinnen der Protestbewegung gegen Schwarz-Blau in Österreich nominiert, entwirft Marlene Streeruwitz eine neue Poetik des Politischen, die keine Verwendung hergebrachter Formen des Widerstandes mehr gestattet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2003Habermas und Uschi Glas
Mein fremdbestimmter Körper: Marlene Streeruwitz führt Tagebuch
Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz leidet, wie viele ihrer Landsleute, am Vaterland: "Das war also am 17. Februar. Irgendwann um 18.00 Uhr", schreibt sie, nachdem sie den Riesenslalom der Damen im österreichischen Fernsehen angeschaut und einen Satz des Berichterstatters gehört hat: "Da war ein Sportkommentar. Und nebenbei. An diesem Ort. Hier. Einen solchen Satz aus dem öffentlichen Sprechalltag zitieren zu können. Zu müssen. Das ist für mich das Bitterste. In diesem so nebenbei hingesagten und unwidersprochenen Satz eines Sportnachmittags ist alles enthalten, was ich fürchte. Was an diesem Ort hier gefürchtet werden muß." Dieses Staccato aus dem privaten "Sprechalltag" der Autorin soll das Entsetzen ausdrücken, in das sie die Verkommenheit des Landes und seiner "Sportnachmittage" gestürzt hat. Es verschlägt ihr regelrecht die Sprache, sie beginnt zu stammeln.
Scharfe Beobachtung und tiefes Nachdenken zelebrierte Marlene Streeruwitz immer schon als ihren intellektuellen Gestus; in einem Tagebuch, das den Zeitraum eines Jahres umfaßt, unternimmt sie es nun, ihn auf den ausgetretenen Pfaden des politischen Räsonnements vorzuführen. Sie setzt voraus, daß Wut und Verzweiflung bei ihr heftiger seien als bei anderen. Warum sonst hätte sie das, was man schon viele Male besprochen und kritisiert gehört hat, noch einmal in ihren Notaten festgehalten und sogar publiziert? Mit Recht trägt das Buch den vollmundigen Titel "Tagebuch der Gegenwart"; mutig greift sie in den Blättern alle populären Themen auf, die zur Abfassungszeit 2000 und 2001 in den Medien kursieren: Haider, den Ausländerhaß, die "Leihmütter", die konservative Ausrichtung der Pädagogik, den verlogenen Heimatkult, kurz: das Leben "im Falschen", in dem es nur ein Richtiges gibt, Marlene Streeruwitz. Ein Interview mit der Zeitschrift "Profil", das sie den Tagebuchblättern beifügt, enthält denn auch, als seien es wohlformulierte Aphorismen, nur ihre eigenen Antworten auf die fehlenden Fragen des Interviewpartners. Alle fünf bis zehn Zeilen kann daher der Name "Streeruwitz" auftauchen, der andere Name ist getilgt.
Das Tagebuch jedenfalls gelangt zu dem Schluß, daß, trotz aller emanzipatorischen Anstrengung, Österreich ein Land der Männer ist und bleibt, in dem emanzipierte Frauen, etwa die "Frau Außenministerin", nur dazu da sind, den männlichen Werten im weiblichen Tonfall eine besondere Attraktivität zu verleihen.
In Streeruwitz paart sich der nationale Selbsthaß mit der Publikumsbeschimpfung, beides hat die kritische Intelligenz seit dem zwanzigsten Jahrhundert zu ihren Aufgaben gemacht. Sie bewundert das Werk Thomas Bernhards, gleichzeitig aber nötigt sie die "anxiety of influence", jene von Harold Bloom beschriebene Animosität der Künstler ihren Vorbildern gegenüber, sich von ihm zu distanzieren und über seine Misanthropie hinauszugelangen: "Aber ich wollte ganz dezidiert vermeiden, einen Skandal in der Manier von Bernhards ,Heldenplatz' herzustellen. Skandale machen doch bloß die Fronten deutlich, die allen seit langem bekannt sind. Sie führen zu keinem neuen Denkprozeß."
Für die Niederschrift dieses "Denkprozesses" stehen der Autorin zwei Stilformen zur Verfügung, die Ironie und die kritische Reflexion. Der saloppe, ja schlampige Ton der Alltagssprache, den sie manchmal wählt, will den verrotteten Geist der Mitbürger nachahmen. Sie persifliert diesen Gestus, indem sie, vor allem auf den ersten Seiten des Buches, wie Krethi denkt und wie Plethi schreibt. Das Nachdenken vertieft sich im Laufe der Aufzeichnungen, so daß jene achtlose Sprache, wenn man gutwillig ist, als Ironie erkennbar wird. Von ihr unterscheiden sich die eigenen Gedanken durch die expressive Abstraktion, in die die Formeln der kritischen Theorie geronnen sind. Über ihren Körper etwa, wie sie ihn in jüngeren Jahren erfahren hat, gewinnt Streeruwitz die Einsicht, daß er "erblühen durfte. Erblühen mußte. In der Zucht der postnationalsozialistisch autoritär geprägten Erziehungsmaßnahmen meiner Erzieher. In der Zucht eines im Grund klerikofaschistischen Systems von Kinder-Ordnung in die Welt hinein, war dieser Körper fremdbestimmt."
Die Notate sind offenbar dazu geschrieben, diesem fremdbestimmten Körper beizustehen, damit er seine eigene Realität finde. Der Maßstab, an dem die Wahrheit der eigenen Existenz zu messen ist, ist die kritische Theorie: "Wäre J. Habermas eine reflektierende Frau", so hätte er, meint Marlene Streeruwitz, nie naiv an die falschen Normen der bürgerlichen Gesellschaft geglaubt, wie es beispielsweise Frauen vom Schlag einer Uschi Glas tun. Aber hätte Habermas je einen Bezug zwischen sich und Uschi Glas hergestellt, so wäre er eben nicht mehr Jürgen Habermas, sondern Marlene Streeruwitz.
HANNELORE SCHLAFFER
Marlene Streeruwitz: "Tagebuch der Gegenwart". Böhlau Verlag, Weimar 2002. 184 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mein fremdbestimmter Körper: Marlene Streeruwitz führt Tagebuch
Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz leidet, wie viele ihrer Landsleute, am Vaterland: "Das war also am 17. Februar. Irgendwann um 18.00 Uhr", schreibt sie, nachdem sie den Riesenslalom der Damen im österreichischen Fernsehen angeschaut und einen Satz des Berichterstatters gehört hat: "Da war ein Sportkommentar. Und nebenbei. An diesem Ort. Hier. Einen solchen Satz aus dem öffentlichen Sprechalltag zitieren zu können. Zu müssen. Das ist für mich das Bitterste. In diesem so nebenbei hingesagten und unwidersprochenen Satz eines Sportnachmittags ist alles enthalten, was ich fürchte. Was an diesem Ort hier gefürchtet werden muß." Dieses Staccato aus dem privaten "Sprechalltag" der Autorin soll das Entsetzen ausdrücken, in das sie die Verkommenheit des Landes und seiner "Sportnachmittage" gestürzt hat. Es verschlägt ihr regelrecht die Sprache, sie beginnt zu stammeln.
Scharfe Beobachtung und tiefes Nachdenken zelebrierte Marlene Streeruwitz immer schon als ihren intellektuellen Gestus; in einem Tagebuch, das den Zeitraum eines Jahres umfaßt, unternimmt sie es nun, ihn auf den ausgetretenen Pfaden des politischen Räsonnements vorzuführen. Sie setzt voraus, daß Wut und Verzweiflung bei ihr heftiger seien als bei anderen. Warum sonst hätte sie das, was man schon viele Male besprochen und kritisiert gehört hat, noch einmal in ihren Notaten festgehalten und sogar publiziert? Mit Recht trägt das Buch den vollmundigen Titel "Tagebuch der Gegenwart"; mutig greift sie in den Blättern alle populären Themen auf, die zur Abfassungszeit 2000 und 2001 in den Medien kursieren: Haider, den Ausländerhaß, die "Leihmütter", die konservative Ausrichtung der Pädagogik, den verlogenen Heimatkult, kurz: das Leben "im Falschen", in dem es nur ein Richtiges gibt, Marlene Streeruwitz. Ein Interview mit der Zeitschrift "Profil", das sie den Tagebuchblättern beifügt, enthält denn auch, als seien es wohlformulierte Aphorismen, nur ihre eigenen Antworten auf die fehlenden Fragen des Interviewpartners. Alle fünf bis zehn Zeilen kann daher der Name "Streeruwitz" auftauchen, der andere Name ist getilgt.
Das Tagebuch jedenfalls gelangt zu dem Schluß, daß, trotz aller emanzipatorischen Anstrengung, Österreich ein Land der Männer ist und bleibt, in dem emanzipierte Frauen, etwa die "Frau Außenministerin", nur dazu da sind, den männlichen Werten im weiblichen Tonfall eine besondere Attraktivität zu verleihen.
In Streeruwitz paart sich der nationale Selbsthaß mit der Publikumsbeschimpfung, beides hat die kritische Intelligenz seit dem zwanzigsten Jahrhundert zu ihren Aufgaben gemacht. Sie bewundert das Werk Thomas Bernhards, gleichzeitig aber nötigt sie die "anxiety of influence", jene von Harold Bloom beschriebene Animosität der Künstler ihren Vorbildern gegenüber, sich von ihm zu distanzieren und über seine Misanthropie hinauszugelangen: "Aber ich wollte ganz dezidiert vermeiden, einen Skandal in der Manier von Bernhards ,Heldenplatz' herzustellen. Skandale machen doch bloß die Fronten deutlich, die allen seit langem bekannt sind. Sie führen zu keinem neuen Denkprozeß."
Für die Niederschrift dieses "Denkprozesses" stehen der Autorin zwei Stilformen zur Verfügung, die Ironie und die kritische Reflexion. Der saloppe, ja schlampige Ton der Alltagssprache, den sie manchmal wählt, will den verrotteten Geist der Mitbürger nachahmen. Sie persifliert diesen Gestus, indem sie, vor allem auf den ersten Seiten des Buches, wie Krethi denkt und wie Plethi schreibt. Das Nachdenken vertieft sich im Laufe der Aufzeichnungen, so daß jene achtlose Sprache, wenn man gutwillig ist, als Ironie erkennbar wird. Von ihr unterscheiden sich die eigenen Gedanken durch die expressive Abstraktion, in die die Formeln der kritischen Theorie geronnen sind. Über ihren Körper etwa, wie sie ihn in jüngeren Jahren erfahren hat, gewinnt Streeruwitz die Einsicht, daß er "erblühen durfte. Erblühen mußte. In der Zucht der postnationalsozialistisch autoritär geprägten Erziehungsmaßnahmen meiner Erzieher. In der Zucht eines im Grund klerikofaschistischen Systems von Kinder-Ordnung in die Welt hinein, war dieser Körper fremdbestimmt."
Die Notate sind offenbar dazu geschrieben, diesem fremdbestimmten Körper beizustehen, damit er seine eigene Realität finde. Der Maßstab, an dem die Wahrheit der eigenen Existenz zu messen ist, ist die kritische Theorie: "Wäre J. Habermas eine reflektierende Frau", so hätte er, meint Marlene Streeruwitz, nie naiv an die falschen Normen der bürgerlichen Gesellschaft geglaubt, wie es beispielsweise Frauen vom Schlag einer Uschi Glas tun. Aber hätte Habermas je einen Bezug zwischen sich und Uschi Glas hergestellt, so wäre er eben nicht mehr Jürgen Habermas, sondern Marlene Streeruwitz.
HANNELORE SCHLAFFER
Marlene Streeruwitz: "Tagebuch der Gegenwart". Böhlau Verlag, Weimar 2002. 184 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit spitzer Feder bespricht Rezensentin Hannelore Schlaffer das nun erschienene "Tagebuch der Gegenwart" von Marlene Streeruwitz. Wieder einmal zelebriere Streeruwitz scharfe Beobachtung und tiefes Nachdenken als ihren intellektuellen Gestus, diesmal auf den ausgetretenen Pfaden des politischen Räsonnements. Dabei unterstellt die Rezensentin, Streeruwitz setze voraus, dass Wut und Verzweiflung bei ihr heftiger seien als bei anderen. "Warum sonst", fragt Schlaffer diesbezüglich rhetorisch, "hätte sie das, was man schon viele Male besprochen und kritisiert gehört hat, noch einmal in ihren Notaten festgehalten und sogar publiziert?" Das Buch wimmelt denn auch laut Schlaffer von populären Themen, die zur Abfassungszeit 2000 und 2001 in den Medien kursierten: Haider, Ausländerhass, "Leihmütter", die konservative Ausrichtung der Pädagogik, der verlogene Heimatkult. Für Schlaffer kurz "das Leben 'im Falschen', in dem es nur ein Richtiges gibt, Marlene Streeruwitz".
© Perlentaucher Medien GmbH
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