DIE ANTWORT auf neue Frauenverdummung und altes Machotum. Auf Fundamentalismus und Biologismus. Auf Jugendwahn und Diätterror. EIN PLÄDOYER für gleiche Chancen und Rechte. Für Väter mit Kindern und Mütter mit Berufen. Gegen das schlechte Gewissen und für ein selbstverantwortliches Leben.
Alice Schwarzer prägt als Autorin und Aktivistin seit dem Aufbruch der Frauen Anfang der 70er-Jahre den Diskurs und die Praxis der Emanzipation in Deutschland und weit darüber hinaus. Sie ist nicht nur selber ein Stück lebendiger Frauengeschichte, sondern immer wieder auch Vordenkerin und Tabubrecherin. Ob mit ihrer frühen Kritik am islamischen Fundamentalismus oder mit ihrer überraschenden Offenheit für eine konservative Kanzlerin: Immer stehen für sie die Interessen von Frauen im Zentrum.
Jetzt legt Alice Schwarzer, mit der Summe ihrer Erfahrung und der Leidenschaft ihrer Provokationslust, erneut ein Buch vor. 1975 löste sie mit dem "Kleinen Unterschied" einen ersten Emanzipationsschub aus. Ihre "Antwort" auf die Folgen dieser Emanzipation könnte den zweiten Schub auslösen. Denn erstmals in der Geschichte der westlichen Kultur sind Frauen uneingeschränkt gleichberechtigt, zumindest auf dem Papier. Die Welt steht ihnen offen. Dennoch fällt ihnen der Schritt in diese Welt schwer. Sie frösteln im kühlen Wind der Freiheit. Frauen laufen Gefahr, sich in Zeiten der Arbeitslosigkeit in alte Rollen zu flüchten. Und Männer könnten der Versuchung erliegen, die lästigen Konkurrentinnen in die "Rolle der Frau" zurückzuschieben.
Alice Schwarzer fragt, wie es sein kann, dass Frauen und Mädchen sich in einer Welt des Überflusses weghungern. Und dass vom Machtverlust bedrohte und von der Selbstverantwortung überforderte Männer sich in ihrer Sucht nach einfachen Antworten weltweit in religiösen Fundamentalismus oder pseudowissenschaftlichen Biologismus flüchten.
Doch sie ist sicher: Die Töchter und Söhne der Emanzipation sind nicht mehr aufzuhalten. Sie haben sich auf den Weg gemacht.
Alice Schwarzer prägt als Autorin und Aktivistin seit dem Aufbruch der Frauen Anfang der 70er-Jahre den Diskurs und die Praxis der Emanzipation in Deutschland und weit darüber hinaus. Sie ist nicht nur selber ein Stück lebendiger Frauengeschichte, sondern immer wieder auch Vordenkerin und Tabubrecherin. Ob mit ihrer frühen Kritik am islamischen Fundamentalismus oder mit ihrer überraschenden Offenheit für eine konservative Kanzlerin: Immer stehen für sie die Interessen von Frauen im Zentrum.
Jetzt legt Alice Schwarzer, mit der Summe ihrer Erfahrung und der Leidenschaft ihrer Provokationslust, erneut ein Buch vor. 1975 löste sie mit dem "Kleinen Unterschied" einen ersten Emanzipationsschub aus. Ihre "Antwort" auf die Folgen dieser Emanzipation könnte den zweiten Schub auslösen. Denn erstmals in der Geschichte der westlichen Kultur sind Frauen uneingeschränkt gleichberechtigt, zumindest auf dem Papier. Die Welt steht ihnen offen. Dennoch fällt ihnen der Schritt in diese Welt schwer. Sie frösteln im kühlen Wind der Freiheit. Frauen laufen Gefahr, sich in Zeiten der Arbeitslosigkeit in alte Rollen zu flüchten. Und Männer könnten der Versuchung erliegen, die lästigen Konkurrentinnen in die "Rolle der Frau" zurückzuschieben.
Alice Schwarzer fragt, wie es sein kann, dass Frauen und Mädchen sich in einer Welt des Überflusses weghungern. Und dass vom Machtverlust bedrohte und von der Selbstverantwortung überforderte Männer sich in ihrer Sucht nach einfachen Antworten weltweit in religiösen Fundamentalismus oder pseudowissenschaftlichen Biologismus flüchten.
Doch sie ist sicher: Die Töchter und Söhne der Emanzipation sind nicht mehr aufzuhalten. Sie haben sich auf den Weg gemacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2007Das kommende Geschlecht
Heute beginnt unser Vorabdruck von Alice Schwarzers neuem Buch "Die Antwort"
Wer im September 1975 noch Kind war, nicht einmal sprechen konnte, als der Bestseller "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" Furore machte, dann weder lesen noch schreiben konnte, als "Emma" auf den Markt kam oder das Magazin "Stern" wegen sexistischer Titelbilder verklagt wurde - wer also die wilden ersten Jahre verpasst hat, die Prozesse, Beschimpfungen und Erregungen, der kennt sie ja vielleicht daher: aus Joachim Fuchsbergers Fernsehsendung "Ja oder nein". Berufe ratend. Im Team mit Sepp Maier. Gut gelaunt. Lachend. Fünfmarkstücke in ein Keramikschwein schmeißend.
Jetzt sitzt sie in Köln vor mir: Alice Schwarzer. Die berühmteste deutsche Feministin. Bestsellerautorin, Journalistin, Medienphänomen. Meine Kinder-Fernsehstimme. Von heute an werden wir ihr neues Buch "Die Antwort" exklusiv vorabdrucken. Die Antwort: Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam. Die Fäden dieser Themen führen untergründig zu einem Begriff, der schon als ausrangiert galt: Feminismus. Und auffallend stumm war in den letzten Monaten Alice Schwarzer. Das Ergebnis ihres beredten Schweigens liegt jetzt als Buch vor, das wir in den nächsten Wochen auf diesen Seiten vollständig vorstellen werden. Es ist zu den heutigen Themen Lagebericht, Analyse und Argument zugleich. Wo stehen wir?
"Feminismus war so lange ein Unwort", sagt Schwarzer, "und das ist ja kein Zufall." Eine schmale Stiege führt in Köln in den zweiten Stock des Bayenturms, ein Wehrturm aus dem zwölften Jahrhundert, mit dicken Mauern und der feuchtkühlen Luft alter Bauten. Der englische Landschaftsmaler William Turner zeichnete den romantischen Trutzzylinder am Rhein auf seinen Deutschland-Reisen; seit 1994 befindet sich darin die "Emma"-Redaktion, zusammen mit dem Archiv und Dokumentationszentrum "FrauenMediaTurm".
Von Alice Schwarzers Schreibtisch blickt man auf den Rhein, die Aussicht ist ein wenig schmaler geworden, seitdem mallorcahaft weiße Apartmenthäuser ans Flussufer gebaut wurden. Riesige Sonnenterrassen mit Liegestuhlreihen. Im Innern des Bayenturms sind im Treppenhaus hinter den schießschartengroßen Fenstern Leseecken eingerichtet. Die neue "Emma" liegt aus. Um den Kleidungsstil von Politikerinnen geht die Titelgeschichte: Ségolène Royals Schuhe, Angela Merkels Anzüge, die Kostüme von Condoleezza Rice. Alice Schwarzer trägt ein schwarzes Wickelkleid mit blauem Muster, schlicht, elegant, dazu flache Schuhe. Ihr Büro ist in Bücherregale eingefasst, an der Wand hängen Fotos von Freunden, das größte Bild: die französische Philosophin Simone de Beauvoir.
Bei unserem Treffen spricht Schwarzer schnell, präzise, ein Ton, der auch ihr Buch kennzeichnet. Es sind kurze, oft lakonische Sätze, die den Fluss von mündlicher Sprache haben, unterbrochen von eigenwilligen Wendungen, die zärtlich sein können - oder auch ruppig. "Männliche Menschen" wird sie etwa im Gespräch sagen, und es klingt nach einer besonderen, aber sympathischen Personengruppe; als "Nuttenmode" beschreibt sie im Buch die textilarme Mode der achtziger und neunziger Jahre, die Fetischisierung von Unterwäsche, hohen Absätzen und anderen Kleidungsstücken. "Nuttenmode" zieht in einem harten Wort die im Buch formulierte These zusammen: dass die Pornographiebranche nicht nur mehr Geld umsetzt als Hollywood, sondern auch die Gesellschaft unterwandert.
Provoziert gefühlt haben sich von Alice Schwarzer ganz unterschiedliche politische Lager. Einordnen lässt sie sich bis heute nicht. Der vielleicht erstaunlichste Satz im Gespräch fällt, als es auf junge muslimische Frauen kommt. "Es gibt vieles, was wir gemeinsam haben", sagt Alice Schwarzer und führt aus: "Sie finden natürlich interessant, dass jemand wie ich gegen Pornographie ist, dass ich von der Würde der Frauen spreche." An eine islamistische Frauenbewegung unter dem Kopftuch glaubt sie allerdings nicht: "Leider muss ich sagen, was ich sehe: Die Kernidee des Islamismus ist ein wertender Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und ist ein Ausschluss von Frauen aus vielen Bereichen, die Männern offenstehen. Das muss man einfach benennen."
Vorgeworfen wurde Alice Schwarzer seit ihrem Aufstieg zur Vorzeigefeministin, sich zur Alleinrepräsentantin der Frauenbewegung gemacht zu haben. Zum Großteil dürfte das allerdings an ihrem Einzelgängertum liegen, einem Beharren darauf, sich weder falsche Freunde noch Feinde aufdrücken zu lassen. Mit der Ansicht etwa, Feminismus habe kein Parteibuch, stand sie lange allein. Jetzt ist eine Frau Kanzlerin, und eine konservative Familienministerin fordert den Ausbau von Krippenplätzen. "Kein Bundesland hat so wenig Krippenplätze wie das neununddreißig Jahre lang SPD-regierte Nordrhein-Westfalen!", schreibt Schwarzer in "Die Antwort" im Kapitel zur deutschen Familienpolitik. Geglaubt hat man es selber vorher nicht. Schwarzer hat recht behalten.
"Wir brauchen keinen neuen Feminismus", urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: "Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein." Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten.
Es gibt einen berühmten Essay der amerikanischen Schriftstellerin Ruth Klüger - sie überlebte in Deutschland den Holocaust und emigrierte 1947 in die Vereinigten Staaten. In dem Essay "Frauen lesen anders" erzählt Klüger von einem Museumsbesuch, wo sie das Bild "Der Raub der Sabinerinnen" betrachtet. Und bei jeder Führung wie auch in den Katalogen, schreibt Klüger, heiße es dazu, man möge die Komposition bewundern, den Farbkonstrast würdigen. Zu sehen sei allerdings ein Gewaltakt, von muskulösen Männern an halbnackten Frauen verübt, unwilligen Menschen, die von Stärkeren verschleppt werden. "Ich höre zu, ich schaue hin, und ich frage mich betreten: Warum sagt niemand etwas zum Inhalt?" So Klüger.
Und genau das tat immer Alice Schwarzer: etwas zum Inhalt sagen. Bis zur Schmerzgrenze geht ihr Realismus, wenn sie Tabuthemen wie Pornographie, sexuelle Gewalt oder Prostitution aufgreift. Es ist dabei der journalistische Kern der Arbeiten, der bis heute ihre Stärke ausmacht. Im Jahr 1975 war sie eine der Ersten, die mit "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" auf häusliche Gewalt und sexuelle Demütigung von Frauen aufmerksam machte. Inzwischen hat das Buch mehr als fünfundzwanzig Auflagen erlebt, es wurde in zehn Sprachen übersetzt; es findet Leserinnen von Frankreich bis China.
Auch "Die Antwort" wird Diskussionsstoff liefern. Über Männer- und Frauenrolle heute. Als 1949 Simone de Beauvoirs Klassiker "Das andere Geschlecht" erschien, ließ sich Albert Camus zu der Bemerkung hinreißen: "Sie haben den französischen Mann lächerlich gemacht!"
In der gegenwärtigen Suche nach Männlichkeit sieht auch Schwarzer eine direkte Reaktion auf die Emanzipation. Und darin aber eine Chance: "Ich glaube auch, dass es für die männlichen Menschen eine gute Sache ist, nicht mehr in diesem Rollenzwang zu sein, nicht so männlich sein zu müssen, wie sie es oft ja auch gar nicht können oder wollen."
Alice Schwarzers Buch ist auch ein Zeitdokument der letzten dreißig Jahre, auf Geschichte kommt sie immer wieder zu sprechen: auf ihren ersten Besuch in Iran 1979 oder ihr Vorbild Simone de Beauvoir während der Jahre in Paris. Einmal, erzählt Schwarzer, habe sie im "Emma"-Editorial einen Text der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf abgedruckt. Er war so aktuell wie in seinem Entstehungsjahr 1929. Ob einen diese ewige Wiederkehr des Gleichen denn nicht wütend mache? Oder abgeklärt? "Na, ironisch auf jeden Fall", antwortet Schwarzer und lacht ihr Alice-Schwarzer-Lachen. Die Sonne malt nun die Silhouette des Bayenturms auf die Straße. Und während man die Wendeltreppe wieder nach unten steigt, macht sich das Gefühl breit, den heimlichen Grund ihrer guten Laune zu verstehen.
JULIA VOSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heute beginnt unser Vorabdruck von Alice Schwarzers neuem Buch "Die Antwort"
Wer im September 1975 noch Kind war, nicht einmal sprechen konnte, als der Bestseller "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" Furore machte, dann weder lesen noch schreiben konnte, als "Emma" auf den Markt kam oder das Magazin "Stern" wegen sexistischer Titelbilder verklagt wurde - wer also die wilden ersten Jahre verpasst hat, die Prozesse, Beschimpfungen und Erregungen, der kennt sie ja vielleicht daher: aus Joachim Fuchsbergers Fernsehsendung "Ja oder nein". Berufe ratend. Im Team mit Sepp Maier. Gut gelaunt. Lachend. Fünfmarkstücke in ein Keramikschwein schmeißend.
Jetzt sitzt sie in Köln vor mir: Alice Schwarzer. Die berühmteste deutsche Feministin. Bestsellerautorin, Journalistin, Medienphänomen. Meine Kinder-Fernsehstimme. Von heute an werden wir ihr neues Buch "Die Antwort" exklusiv vorabdrucken. Die Antwort: Das sind zwölf Kapitel zu zwölf Fragen, die plötzlich wieder im Raum stehen. Seit einem Jahr erscheint fast jeden Monat ein neues Buch, in dem es um Familienpolitik geht, um Krippenplätze, Rollenverhalten, Berufsbilder, Väter, Mütter, Magersucht oder die Stellung von Frauen im Islam. Die Fäden dieser Themen führen untergründig zu einem Begriff, der schon als ausrangiert galt: Feminismus. Und auffallend stumm war in den letzten Monaten Alice Schwarzer. Das Ergebnis ihres beredten Schweigens liegt jetzt als Buch vor, das wir in den nächsten Wochen auf diesen Seiten vollständig vorstellen werden. Es ist zu den heutigen Themen Lagebericht, Analyse und Argument zugleich. Wo stehen wir?
"Feminismus war so lange ein Unwort", sagt Schwarzer, "und das ist ja kein Zufall." Eine schmale Stiege führt in Köln in den zweiten Stock des Bayenturms, ein Wehrturm aus dem zwölften Jahrhundert, mit dicken Mauern und der feuchtkühlen Luft alter Bauten. Der englische Landschaftsmaler William Turner zeichnete den romantischen Trutzzylinder am Rhein auf seinen Deutschland-Reisen; seit 1994 befindet sich darin die "Emma"-Redaktion, zusammen mit dem Archiv und Dokumentationszentrum "FrauenMediaTurm".
Von Alice Schwarzers Schreibtisch blickt man auf den Rhein, die Aussicht ist ein wenig schmaler geworden, seitdem mallorcahaft weiße Apartmenthäuser ans Flussufer gebaut wurden. Riesige Sonnenterrassen mit Liegestuhlreihen. Im Innern des Bayenturms sind im Treppenhaus hinter den schießschartengroßen Fenstern Leseecken eingerichtet. Die neue "Emma" liegt aus. Um den Kleidungsstil von Politikerinnen geht die Titelgeschichte: Ségolène Royals Schuhe, Angela Merkels Anzüge, die Kostüme von Condoleezza Rice. Alice Schwarzer trägt ein schwarzes Wickelkleid mit blauem Muster, schlicht, elegant, dazu flache Schuhe. Ihr Büro ist in Bücherregale eingefasst, an der Wand hängen Fotos von Freunden, das größte Bild: die französische Philosophin Simone de Beauvoir.
Bei unserem Treffen spricht Schwarzer schnell, präzise, ein Ton, der auch ihr Buch kennzeichnet. Es sind kurze, oft lakonische Sätze, die den Fluss von mündlicher Sprache haben, unterbrochen von eigenwilligen Wendungen, die zärtlich sein können - oder auch ruppig. "Männliche Menschen" wird sie etwa im Gespräch sagen, und es klingt nach einer besonderen, aber sympathischen Personengruppe; als "Nuttenmode" beschreibt sie im Buch die textilarme Mode der achtziger und neunziger Jahre, die Fetischisierung von Unterwäsche, hohen Absätzen und anderen Kleidungsstücken. "Nuttenmode" zieht in einem harten Wort die im Buch formulierte These zusammen: dass die Pornographiebranche nicht nur mehr Geld umsetzt als Hollywood, sondern auch die Gesellschaft unterwandert.
Provoziert gefühlt haben sich von Alice Schwarzer ganz unterschiedliche politische Lager. Einordnen lässt sie sich bis heute nicht. Der vielleicht erstaunlichste Satz im Gespräch fällt, als es auf junge muslimische Frauen kommt. "Es gibt vieles, was wir gemeinsam haben", sagt Alice Schwarzer und führt aus: "Sie finden natürlich interessant, dass jemand wie ich gegen Pornographie ist, dass ich von der Würde der Frauen spreche." An eine islamistische Frauenbewegung unter dem Kopftuch glaubt sie allerdings nicht: "Leider muss ich sagen, was ich sehe: Die Kernidee des Islamismus ist ein wertender Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und ist ein Ausschluss von Frauen aus vielen Bereichen, die Männern offenstehen. Das muss man einfach benennen."
Vorgeworfen wurde Alice Schwarzer seit ihrem Aufstieg zur Vorzeigefeministin, sich zur Alleinrepräsentantin der Frauenbewegung gemacht zu haben. Zum Großteil dürfte das allerdings an ihrem Einzelgängertum liegen, einem Beharren darauf, sich weder falsche Freunde noch Feinde aufdrücken zu lassen. Mit der Ansicht etwa, Feminismus habe kein Parteibuch, stand sie lange allein. Jetzt ist eine Frau Kanzlerin, und eine konservative Familienministerin fordert den Ausbau von Krippenplätzen. "Kein Bundesland hat so wenig Krippenplätze wie das neununddreißig Jahre lang SPD-regierte Nordrhein-Westfalen!", schreibt Schwarzer in "Die Antwort" im Kapitel zur deutschen Familienpolitik. Geglaubt hat man es selber vorher nicht. Schwarzer hat recht behalten.
"Wir brauchen keinen neuen Feminismus", urteilt sie mit Blick auf die Gegenwart: "Was wir brauchen, ist ein neuer Elan für den bestehenden Feminismus. Und Frauen, die öffentlich sagen: Ich bin stolz, eine Feministin zu sein." Die Definition ist klar: gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten.
Es gibt einen berühmten Essay der amerikanischen Schriftstellerin Ruth Klüger - sie überlebte in Deutschland den Holocaust und emigrierte 1947 in die Vereinigten Staaten. In dem Essay "Frauen lesen anders" erzählt Klüger von einem Museumsbesuch, wo sie das Bild "Der Raub der Sabinerinnen" betrachtet. Und bei jeder Führung wie auch in den Katalogen, schreibt Klüger, heiße es dazu, man möge die Komposition bewundern, den Farbkonstrast würdigen. Zu sehen sei allerdings ein Gewaltakt, von muskulösen Männern an halbnackten Frauen verübt, unwilligen Menschen, die von Stärkeren verschleppt werden. "Ich höre zu, ich schaue hin, und ich frage mich betreten: Warum sagt niemand etwas zum Inhalt?" So Klüger.
Und genau das tat immer Alice Schwarzer: etwas zum Inhalt sagen. Bis zur Schmerzgrenze geht ihr Realismus, wenn sie Tabuthemen wie Pornographie, sexuelle Gewalt oder Prostitution aufgreift. Es ist dabei der journalistische Kern der Arbeiten, der bis heute ihre Stärke ausmacht. Im Jahr 1975 war sie eine der Ersten, die mit "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" auf häusliche Gewalt und sexuelle Demütigung von Frauen aufmerksam machte. Inzwischen hat das Buch mehr als fünfundzwanzig Auflagen erlebt, es wurde in zehn Sprachen übersetzt; es findet Leserinnen von Frankreich bis China.
Auch "Die Antwort" wird Diskussionsstoff liefern. Über Männer- und Frauenrolle heute. Als 1949 Simone de Beauvoirs Klassiker "Das andere Geschlecht" erschien, ließ sich Albert Camus zu der Bemerkung hinreißen: "Sie haben den französischen Mann lächerlich gemacht!"
In der gegenwärtigen Suche nach Männlichkeit sieht auch Schwarzer eine direkte Reaktion auf die Emanzipation. Und darin aber eine Chance: "Ich glaube auch, dass es für die männlichen Menschen eine gute Sache ist, nicht mehr in diesem Rollenzwang zu sein, nicht so männlich sein zu müssen, wie sie es oft ja auch gar nicht können oder wollen."
Alice Schwarzers Buch ist auch ein Zeitdokument der letzten dreißig Jahre, auf Geschichte kommt sie immer wieder zu sprechen: auf ihren ersten Besuch in Iran 1979 oder ihr Vorbild Simone de Beauvoir während der Jahre in Paris. Einmal, erzählt Schwarzer, habe sie im "Emma"-Editorial einen Text der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf abgedruckt. Er war so aktuell wie in seinem Entstehungsjahr 1929. Ob einen diese ewige Wiederkehr des Gleichen denn nicht wütend mache? Oder abgeklärt? "Na, ironisch auf jeden Fall", antwortet Schwarzer und lacht ihr Alice-Schwarzer-Lachen. Die Sonne malt nun die Silhouette des Bayenturms auf die Straße. Und während man die Wendeltreppe wieder nach unten steigt, macht sich das Gefühl breit, den heimlichen Grund ihrer guten Laune zu verstehen.
JULIA VOSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2007Ein stolzes Frauenleben
In der Krise der Emanzipation ist Alice Schwarzers Streitlust neu erwacht, nur die Kassiererinnen hat sie vergessen
Dem neuen Buch von Alice Schwarzer, „Antwort”, liegt eine Postkarte bei, die für das Abonnement von Emma wirbt, der Zeitschrift, die Schwarzer seit dreißig Jahren herausgibt. Wer das Buch gelesen hat, muss sich für ein Abonnement entscheiden, denn im Grund enthalten die knapp 200 Seiten so etwas wie eine intellektuelle Autobiographie der Autorin, die darin noch einmal über all die Felder zieht, auf denen sie durch Demonstrationen, politische Aktionen, Interviews und eben mit ihrer Zeitschrift für die Emanzipation der Frau gekämpft und gesiegt hat. Ihre Aufklärung richtete sich seit Jahrzehnten, so zeigen die einzelnen Kapitel des Buches, auf die problematische Rede vom naturgegeben Charakter der Frau, auf die konventionelle Kindererziehung, das Verhältnis der Frau zu ihrem Körper, ob dick, ob dünn; Schwarzer erinnert noch einmal an die Abtreibungskampagne, ihren Kampf gegen Pornographie und Prostitution und ihr Engagement für die Integration der islamischen Frauen. Die Emma-Leserin kennt all diese Antworten längst, und die Frau, die diese Probleme und Antworten nicht kennt, müsste nach der Lektüre des Buches überzeugt sein, dass es von politischem Leichtsinn zeugt, weiterhin Brigitte statt Emma zu kaufen.
Nun ist es etwas anderes, ob „Antworten” in einer Zeitschrift gegeben werden, die den Namen Emma trägt und also, wie das bei Frauenzeitschriften so Sitte ist, die Frau als Freundin angesprochen wird. Für Männer wäre es geradezu taktlos, sich in solch einen Dialog einzumischen. Die Publikation derselben Themen im Buch hingegen ist mehr als nur eine Wiederholung bekannter Positionen; sie enthält die Aufforderung an die Männer, sich von einer Frau etwas über das Denken der Frauen sagen zu lassen. Das Buch an sich ist schon die neue Antwort, diesmal also das Medium tatsächlich die Botschaft. Die FAZ, eine Weltzeitung mit einem vorwiegend männlichen Publikum, hat dem Rechnung getragen und einen Vorabdruck gebracht. Vielleicht lesen Männer diesen – haben sie nun endlich dazu etwas zu sagen?
Einer Frau jedenfalls bleibt wenig einzuwenden gegen Alice Schwarzers Repetitorium aus der Geschichte der Emanzipation, die zu keinem geringen Teil ihre und der Autorin eigene ist und noch einmal das Gedächtnis auffrischt, um sich der Erfolge der letzten Jahre zu erfreuen. Schwarzer Wiederholungen vorzuwerfen, würde ihre Rolle als Revolutionärin und Politikerin verkennen, denn die würde ihre Sache schlecht machen und noch nachträglich verraten, wenn sie sie nicht immer wieder sagte.
Nun allerdings sieht Schwarzer doch eine neue Gefahr heraufziehen: „Im Frühjahr 2007 brach in Deutschland erneut der Kulturkampf aus”. In der „unblutigsten und größten sozialen Revolution der letzten Jahrhunderte”, die immerhin weitgehend erfolgreich gewesen sei, weckt neuerdings der Streit um die Versorgung und Erziehung der Kinder noch einmal ihr Misstrauen. Alice Schwarzer sieht den eigentlichen Zweck der Kampagne für mehr Kinder nicht darin, die Renten zu sichern. In der Hoffnung auf diese finanzielle Lösung des Altersproblems entdeckt Schwarzer vielmehr die Absicht, die Emanzipation rückgängig zu machen, die Frauen aus dem Berufsleben wieder heraus- und in den Haushalt zurückzulocken.
Diese These wird die politisch wache Geschlechtsgenossin hellhörig machen, auch wenn man annehmen kann, dass politische Entscheidungen meist aus mehreren Gründen getroffen werden. Auf das Vertrauen ihrer Geschlechtsgenossinnen hoffend, verschenkt Alice Schwarzer dann aber manch wichtiges Argument für ihre These.
Polemik, so mag sie sich gesagt haben, wird durch Argumente nur belastet. Deshalb verzichtet sie zum Beispiel auf die Beobachtung, dass gerade jetzt, da angeblich die rettende Lösung zur Finanzierung der Renten durch mehr Kinder gefunden sei, nur noch davon geredet wird, woher denn für diese Kinder, die späteren Geldgeber, das Geld herkommen sollte, wie ihre Erziehung, ihre Versorgung zu bezahlen seien. Auch jene eindeutig emanzipationsfeindlichen Artikel, die zu Beginn der Kampagne für mehr Kinder in Zeitungen erschienen gegen die intellektuellen Frauen, die oft keine Kinder haben und also ihre Pflicht für die Gesellschaft zugunsten persönlicher Erfolge versäumten, erwähnt Alice Schwarzer mit keinem Wort – vielleicht weil dieser Angriff vor allem von der FAZ ausging, der Zeitung, die nun das Buch Schwarzers vorab druckte. Es mag der schlaue Entschluss einer erfahrenen Taktikerin gewesen sein: lieber ein Argument preisgeben für die Chance, von einem breiten Publikum gelesen zu werden!
Stattdessen arbeitet Schwarzer mit Statistiken, die zeigen, wie wertvoll Hausarbeit ist, wie viel Frauen durch ein Kind an Selbstständigkeit und beruflichen Chancen aufgeben, wie Kinderurlaub und Elterngeld das Problem nicht lösen können. Statistiken sind, da hat sie recht, besser als Bomben: ohne selbst zu zerplatzen, zerfetzen sie Vorurteile und setzen an ihre Stelle unwiderrufliche Tatsachen; deshalb setzt auch Schwarzer sie hier ein.
In der von ihr erkannten Krise aber scheinen sie nun doch nicht mehr auszureichen. Sie verallgemeinern die Situation der Frauen, und Alice Schwarzer selbst muss feststellen, dass es „nach der Revolution in den Köpfen und der Reform der Gesetze nun um tiefgreifende Veränderungen familiärer und gesellschaftlicher Strukturen” gehe, „damit die Frauen nicht noch einmal vom nächsten Männerbund vom Platz gefegt werden können.” Durch Statistiken aber sind familiäre und persönliche Probleme nur teilweise zu beantworten.
Der kämpferische Elan treibt Alice Schwarzer ins Lager der konservativen Politikerinnen, an die Seite Angela Merkels und Ursula von der Leyens. Für Merkel hegt Schwarzer eine schwärmerische Sympathie. Schröders Satz in der Wahlnacht: „die kann das nicht”, ist ihr Beweis genug, dass Männer im entscheidenden Moment doch wieder in alte Überlegenheitsgesten zurückfallen. Dabei bedenkt Schwarzer nicht, dass Schröder diesen Satz wahrscheinlich viel lieber zu seinem anderen potentiellen Gegner, Edmund Stoiber, gesagt hätte.
Ursula von der Leyen gewinnt Schwarzers Sympathie, weil sie das Emanzipationsproblem organisatorisch löst, so gut wie Schwarzer die Dringlichkeit einer Lösung durch Statistiken bewiesen sieht. Die „tiefgreifenden Veränderungen familiärer und gesellschaftlicher Strukturen” bleiben in beider Argumentation weitgehend unbeachtet. Das ist für ein Buch, das mehr sein will als eine Aufsatzsammlung, schon ein Manko.
Schwarzer bedenkt nicht, wie sehr das Modell Elternzeit, Krippenplätze, Teilzeitarbeit einen akademischen Mittelstand im Auge hat. Nun gingen die Argumente für eine Emanzipation von Anfang an immer schon von der aufstiegsbewussten Frau aus dem wohlhabenden Bürgertum aus und orientierten deren Zukunft ganz an der Berufskarriere der Männer. Für diese Frauen bedeuten freilich Mutterschaftsurlaub und Teilzeitarbeit einen gravierenden Einschnitt für die Karriere und ein Problem für ihren Selbstentwurf. Frauen in Berufen aber, die nie an Vorwärtskommen denken lassen, gibt es für Schwarzer kaum. Welche Argumente hat sie für Verkäuferinnen, Arbeiterinnen, Postangestellte, Friseurinnen, Reinemachefrauen, um sie davon zu überzeugen, kein Kind zu haben, keine Teilzeitarbeit zu wählen, ohne Aufstiegschancen weiterhin Tag für Tag in einem Unternehmen bereitzustehen?
Enthalten die Aufrufe zu mutigem Trotz gegen die Männer, die Empfehlung, auch sie einmal das Kind hüten zu lassen, irgendwo Ratschläge, wie der Monotonie des Berufslebens anders als durch ein Kind zu entkommen sei? Eher zeugte es von einer im „Geschlechterkampf” durchaus notwendigen Schläue, wenn man bei den Männern selbst für die neue Elternzeit werben würde, indem man ihnen klarmachte, wie viel beglückender der Umgang mit einem Kind ist als der mit Schraubenschlüsseln, Dachziegeln und Presslufthämmern. Sie würden, Aufstiegschance hin, Ehre her, widerstandslos den Väterurlaub wählen.
Die ehemalige Linke, die Alice Schwarzer gern über ihre linke Schulter ansieht, hat sich um diese Bevölkerungsschichten immerhin gekümmert; die Feministinnen – Alice Schwarzer lässt sich nicht ohne Widerstreben als eine solche bezeichnen – haben immer nur das Wort ergriffen für die privilegierten Frauen und Töchter begüterter Männer. Nicht einmal die schlichten Argumente, wie gut es ist, eigenes Geld zu haben, eigene Freunde, eine selbständige Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten durchzustehen, kommen als Gründe vor, die Schwarzer den Frauen in nicht aufstiegsorientierten Berufen als Lohn für ihre Ausdauer bei der Arbeit anbieten könnte.
Zudem hat Schwarzer nur Frauen über vierzig im Sinn, die, die mit ihr den ersten Kampf gegen die Männer gekämpft haben. Ihnen wirft sie, was für die inzwischen erfolgreichen Frauen der Studentenbewegung durchaus einmal galt, den Neid vor, durch den sie sich gegenseitig behindern. Die Mentalität der Frauen aber hat sich inzwischen vollkommen gewandelt. Zwar gibt es noch keine vergleichbaren Erscheinungen zu dem was Schwarzer „Männerbünde” nennt, doch zeigen jüngere Frauen ein bislang unbekanntes Zusammengehörigkeitsgefühl auch im Beruf. Und wie steht es mit den jungen Männern, wie verhalten sie sich ihren Freundinnen gegenüber? Gibt es da noch die alte „Geschlechterordnung”? Ist der Geschlechterkampf im Stil der Achtundsechziger, von dem Alice Schwarzer immer noch ausgeht, eine Erinnerung, oder sollte dies auch ein Antwort für die jüngere Generation von Frauen und Männern sein?
Es ist kein Zufall, dass die Autorin in den beiden letzten Kapiteln in Beschimpfungen zurückverfällt, wie sie in den Siebzigern üblich waren, gegen „Machos” polemisiert, die „endlich in die Wüste geschickt werden” sollten, Frauen mit Verachtung straft, die sich „mit der angesagten Nutten-Mode” abfinden – sitzt Alice Schwarzer je in einem Straßencafé und sieht Frauen vorbei und zur Arbeit gehen? Nur der türkische Vater, einer ihrer Hauptfeinde, der Frau und Töchter in Schleier hüllt, würde ihr zustimmen und da Nutten sehen.
Sie polemisiert aber auch gegen die Frauen, die sich mit Männern abfinden, was nur „die Selbstverachtung der Frauen” zeige. Weiß sie nicht, dass der Kampf um die Emanzipation schon immer ein Kampf gegen die war, die man zugleich lieben musste? Das gibt ihm doch, nachdem ein gewisser Erfolg erkämpft ist, gerade den Pfiff, dieses Lavieren zwischen Liebe und Trotz, zwischen Bewunderung und Selbstbehauptung, was die Intelligenz so schön herausfordert! Deshalb taucht in diesem Kampf dann auch eine Figur auf, von der selbst Schwarzer freundlich spricht: „die netten Männer”, die, die sich sogar von ihren kämpferischen Freundinnen und auch von Alice Schwarzer ein wenig bedauern lassen, weil sie „die beginnende Erschütterung der Geschlechterordnung zuerst trifft”.
Dass die Emanzipation eine Bewegung war und ist, die gegen die Männer mit den Männern gemacht werden muss, dass sie kein Kampf ist, sondern eine Überzeugungskampagne, dass dieser tatsächlich mehr mit Argumenten als mit Waffen zu führen sei, wobei bis heute nur allzu leicht Argumente durch Klagen ersetzt werden – das alles weiß Alice Schwarzer natürlich, aber sie will es nicht wissen. Für die veränderte Situation von heute hat sie außer der Rede im Ton der Achtundsechziger nur gouvernantenhafte Ermahnungen: „Traut euch, Frauen, euch auch mal unbeliebt zu machen, wenn es denn sein muss. Lächelt nicht dümmlich nach jedem klugen Satz. Und lebt euren Töchtern und Söhnen ein stolzes Frauenleben vor.” Ob die Söhne und Töchter dieser stolzen Frau dann auch noch Emma abonnieren werden? Sie sollten es tun: denn in Antworten, die sie von Fall zu Fall gibt, ist Alice Schwarzer viel genauer als in ihrer Polemik. HANNELORE SCHLAFFER
ALICE SCHWARZER: Die Antwort. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 208 Seiten, 16,90 Euro.
Für Merkel hegt Schwarzer eine schwärmerische Sympathie
Statistiken, da hat sie recht, sind besser als Bomben
„Traut euch, Frauen, euch auch mal unbeliebt zu machen, wenn es denn sein muss!” (Alice Schwarzer) Foto: Bernd Arnold/Visum
Alice Schwarzer, Jahrgang 1942 Foto: laif
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
In der Krise der Emanzipation ist Alice Schwarzers Streitlust neu erwacht, nur die Kassiererinnen hat sie vergessen
Dem neuen Buch von Alice Schwarzer, „Antwort”, liegt eine Postkarte bei, die für das Abonnement von Emma wirbt, der Zeitschrift, die Schwarzer seit dreißig Jahren herausgibt. Wer das Buch gelesen hat, muss sich für ein Abonnement entscheiden, denn im Grund enthalten die knapp 200 Seiten so etwas wie eine intellektuelle Autobiographie der Autorin, die darin noch einmal über all die Felder zieht, auf denen sie durch Demonstrationen, politische Aktionen, Interviews und eben mit ihrer Zeitschrift für die Emanzipation der Frau gekämpft und gesiegt hat. Ihre Aufklärung richtete sich seit Jahrzehnten, so zeigen die einzelnen Kapitel des Buches, auf die problematische Rede vom naturgegeben Charakter der Frau, auf die konventionelle Kindererziehung, das Verhältnis der Frau zu ihrem Körper, ob dick, ob dünn; Schwarzer erinnert noch einmal an die Abtreibungskampagne, ihren Kampf gegen Pornographie und Prostitution und ihr Engagement für die Integration der islamischen Frauen. Die Emma-Leserin kennt all diese Antworten längst, und die Frau, die diese Probleme und Antworten nicht kennt, müsste nach der Lektüre des Buches überzeugt sein, dass es von politischem Leichtsinn zeugt, weiterhin Brigitte statt Emma zu kaufen.
Nun ist es etwas anderes, ob „Antworten” in einer Zeitschrift gegeben werden, die den Namen Emma trägt und also, wie das bei Frauenzeitschriften so Sitte ist, die Frau als Freundin angesprochen wird. Für Männer wäre es geradezu taktlos, sich in solch einen Dialog einzumischen. Die Publikation derselben Themen im Buch hingegen ist mehr als nur eine Wiederholung bekannter Positionen; sie enthält die Aufforderung an die Männer, sich von einer Frau etwas über das Denken der Frauen sagen zu lassen. Das Buch an sich ist schon die neue Antwort, diesmal also das Medium tatsächlich die Botschaft. Die FAZ, eine Weltzeitung mit einem vorwiegend männlichen Publikum, hat dem Rechnung getragen und einen Vorabdruck gebracht. Vielleicht lesen Männer diesen – haben sie nun endlich dazu etwas zu sagen?
Einer Frau jedenfalls bleibt wenig einzuwenden gegen Alice Schwarzers Repetitorium aus der Geschichte der Emanzipation, die zu keinem geringen Teil ihre und der Autorin eigene ist und noch einmal das Gedächtnis auffrischt, um sich der Erfolge der letzten Jahre zu erfreuen. Schwarzer Wiederholungen vorzuwerfen, würde ihre Rolle als Revolutionärin und Politikerin verkennen, denn die würde ihre Sache schlecht machen und noch nachträglich verraten, wenn sie sie nicht immer wieder sagte.
Nun allerdings sieht Schwarzer doch eine neue Gefahr heraufziehen: „Im Frühjahr 2007 brach in Deutschland erneut der Kulturkampf aus”. In der „unblutigsten und größten sozialen Revolution der letzten Jahrhunderte”, die immerhin weitgehend erfolgreich gewesen sei, weckt neuerdings der Streit um die Versorgung und Erziehung der Kinder noch einmal ihr Misstrauen. Alice Schwarzer sieht den eigentlichen Zweck der Kampagne für mehr Kinder nicht darin, die Renten zu sichern. In der Hoffnung auf diese finanzielle Lösung des Altersproblems entdeckt Schwarzer vielmehr die Absicht, die Emanzipation rückgängig zu machen, die Frauen aus dem Berufsleben wieder heraus- und in den Haushalt zurückzulocken.
Diese These wird die politisch wache Geschlechtsgenossin hellhörig machen, auch wenn man annehmen kann, dass politische Entscheidungen meist aus mehreren Gründen getroffen werden. Auf das Vertrauen ihrer Geschlechtsgenossinnen hoffend, verschenkt Alice Schwarzer dann aber manch wichtiges Argument für ihre These.
Polemik, so mag sie sich gesagt haben, wird durch Argumente nur belastet. Deshalb verzichtet sie zum Beispiel auf die Beobachtung, dass gerade jetzt, da angeblich die rettende Lösung zur Finanzierung der Renten durch mehr Kinder gefunden sei, nur noch davon geredet wird, woher denn für diese Kinder, die späteren Geldgeber, das Geld herkommen sollte, wie ihre Erziehung, ihre Versorgung zu bezahlen seien. Auch jene eindeutig emanzipationsfeindlichen Artikel, die zu Beginn der Kampagne für mehr Kinder in Zeitungen erschienen gegen die intellektuellen Frauen, die oft keine Kinder haben und also ihre Pflicht für die Gesellschaft zugunsten persönlicher Erfolge versäumten, erwähnt Alice Schwarzer mit keinem Wort – vielleicht weil dieser Angriff vor allem von der FAZ ausging, der Zeitung, die nun das Buch Schwarzers vorab druckte. Es mag der schlaue Entschluss einer erfahrenen Taktikerin gewesen sein: lieber ein Argument preisgeben für die Chance, von einem breiten Publikum gelesen zu werden!
Stattdessen arbeitet Schwarzer mit Statistiken, die zeigen, wie wertvoll Hausarbeit ist, wie viel Frauen durch ein Kind an Selbstständigkeit und beruflichen Chancen aufgeben, wie Kinderurlaub und Elterngeld das Problem nicht lösen können. Statistiken sind, da hat sie recht, besser als Bomben: ohne selbst zu zerplatzen, zerfetzen sie Vorurteile und setzen an ihre Stelle unwiderrufliche Tatsachen; deshalb setzt auch Schwarzer sie hier ein.
In der von ihr erkannten Krise aber scheinen sie nun doch nicht mehr auszureichen. Sie verallgemeinern die Situation der Frauen, und Alice Schwarzer selbst muss feststellen, dass es „nach der Revolution in den Köpfen und der Reform der Gesetze nun um tiefgreifende Veränderungen familiärer und gesellschaftlicher Strukturen” gehe, „damit die Frauen nicht noch einmal vom nächsten Männerbund vom Platz gefegt werden können.” Durch Statistiken aber sind familiäre und persönliche Probleme nur teilweise zu beantworten.
Der kämpferische Elan treibt Alice Schwarzer ins Lager der konservativen Politikerinnen, an die Seite Angela Merkels und Ursula von der Leyens. Für Merkel hegt Schwarzer eine schwärmerische Sympathie. Schröders Satz in der Wahlnacht: „die kann das nicht”, ist ihr Beweis genug, dass Männer im entscheidenden Moment doch wieder in alte Überlegenheitsgesten zurückfallen. Dabei bedenkt Schwarzer nicht, dass Schröder diesen Satz wahrscheinlich viel lieber zu seinem anderen potentiellen Gegner, Edmund Stoiber, gesagt hätte.
Ursula von der Leyen gewinnt Schwarzers Sympathie, weil sie das Emanzipationsproblem organisatorisch löst, so gut wie Schwarzer die Dringlichkeit einer Lösung durch Statistiken bewiesen sieht. Die „tiefgreifenden Veränderungen familiärer und gesellschaftlicher Strukturen” bleiben in beider Argumentation weitgehend unbeachtet. Das ist für ein Buch, das mehr sein will als eine Aufsatzsammlung, schon ein Manko.
Schwarzer bedenkt nicht, wie sehr das Modell Elternzeit, Krippenplätze, Teilzeitarbeit einen akademischen Mittelstand im Auge hat. Nun gingen die Argumente für eine Emanzipation von Anfang an immer schon von der aufstiegsbewussten Frau aus dem wohlhabenden Bürgertum aus und orientierten deren Zukunft ganz an der Berufskarriere der Männer. Für diese Frauen bedeuten freilich Mutterschaftsurlaub und Teilzeitarbeit einen gravierenden Einschnitt für die Karriere und ein Problem für ihren Selbstentwurf. Frauen in Berufen aber, die nie an Vorwärtskommen denken lassen, gibt es für Schwarzer kaum. Welche Argumente hat sie für Verkäuferinnen, Arbeiterinnen, Postangestellte, Friseurinnen, Reinemachefrauen, um sie davon zu überzeugen, kein Kind zu haben, keine Teilzeitarbeit zu wählen, ohne Aufstiegschancen weiterhin Tag für Tag in einem Unternehmen bereitzustehen?
Enthalten die Aufrufe zu mutigem Trotz gegen die Männer, die Empfehlung, auch sie einmal das Kind hüten zu lassen, irgendwo Ratschläge, wie der Monotonie des Berufslebens anders als durch ein Kind zu entkommen sei? Eher zeugte es von einer im „Geschlechterkampf” durchaus notwendigen Schläue, wenn man bei den Männern selbst für die neue Elternzeit werben würde, indem man ihnen klarmachte, wie viel beglückender der Umgang mit einem Kind ist als der mit Schraubenschlüsseln, Dachziegeln und Presslufthämmern. Sie würden, Aufstiegschance hin, Ehre her, widerstandslos den Väterurlaub wählen.
Die ehemalige Linke, die Alice Schwarzer gern über ihre linke Schulter ansieht, hat sich um diese Bevölkerungsschichten immerhin gekümmert; die Feministinnen – Alice Schwarzer lässt sich nicht ohne Widerstreben als eine solche bezeichnen – haben immer nur das Wort ergriffen für die privilegierten Frauen und Töchter begüterter Männer. Nicht einmal die schlichten Argumente, wie gut es ist, eigenes Geld zu haben, eigene Freunde, eine selbständige Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten durchzustehen, kommen als Gründe vor, die Schwarzer den Frauen in nicht aufstiegsorientierten Berufen als Lohn für ihre Ausdauer bei der Arbeit anbieten könnte.
Zudem hat Schwarzer nur Frauen über vierzig im Sinn, die, die mit ihr den ersten Kampf gegen die Männer gekämpft haben. Ihnen wirft sie, was für die inzwischen erfolgreichen Frauen der Studentenbewegung durchaus einmal galt, den Neid vor, durch den sie sich gegenseitig behindern. Die Mentalität der Frauen aber hat sich inzwischen vollkommen gewandelt. Zwar gibt es noch keine vergleichbaren Erscheinungen zu dem was Schwarzer „Männerbünde” nennt, doch zeigen jüngere Frauen ein bislang unbekanntes Zusammengehörigkeitsgefühl auch im Beruf. Und wie steht es mit den jungen Männern, wie verhalten sie sich ihren Freundinnen gegenüber? Gibt es da noch die alte „Geschlechterordnung”? Ist der Geschlechterkampf im Stil der Achtundsechziger, von dem Alice Schwarzer immer noch ausgeht, eine Erinnerung, oder sollte dies auch ein Antwort für die jüngere Generation von Frauen und Männern sein?
Es ist kein Zufall, dass die Autorin in den beiden letzten Kapiteln in Beschimpfungen zurückverfällt, wie sie in den Siebzigern üblich waren, gegen „Machos” polemisiert, die „endlich in die Wüste geschickt werden” sollten, Frauen mit Verachtung straft, die sich „mit der angesagten Nutten-Mode” abfinden – sitzt Alice Schwarzer je in einem Straßencafé und sieht Frauen vorbei und zur Arbeit gehen? Nur der türkische Vater, einer ihrer Hauptfeinde, der Frau und Töchter in Schleier hüllt, würde ihr zustimmen und da Nutten sehen.
Sie polemisiert aber auch gegen die Frauen, die sich mit Männern abfinden, was nur „die Selbstverachtung der Frauen” zeige. Weiß sie nicht, dass der Kampf um die Emanzipation schon immer ein Kampf gegen die war, die man zugleich lieben musste? Das gibt ihm doch, nachdem ein gewisser Erfolg erkämpft ist, gerade den Pfiff, dieses Lavieren zwischen Liebe und Trotz, zwischen Bewunderung und Selbstbehauptung, was die Intelligenz so schön herausfordert! Deshalb taucht in diesem Kampf dann auch eine Figur auf, von der selbst Schwarzer freundlich spricht: „die netten Männer”, die, die sich sogar von ihren kämpferischen Freundinnen und auch von Alice Schwarzer ein wenig bedauern lassen, weil sie „die beginnende Erschütterung der Geschlechterordnung zuerst trifft”.
Dass die Emanzipation eine Bewegung war und ist, die gegen die Männer mit den Männern gemacht werden muss, dass sie kein Kampf ist, sondern eine Überzeugungskampagne, dass dieser tatsächlich mehr mit Argumenten als mit Waffen zu führen sei, wobei bis heute nur allzu leicht Argumente durch Klagen ersetzt werden – das alles weiß Alice Schwarzer natürlich, aber sie will es nicht wissen. Für die veränderte Situation von heute hat sie außer der Rede im Ton der Achtundsechziger nur gouvernantenhafte Ermahnungen: „Traut euch, Frauen, euch auch mal unbeliebt zu machen, wenn es denn sein muss. Lächelt nicht dümmlich nach jedem klugen Satz. Und lebt euren Töchtern und Söhnen ein stolzes Frauenleben vor.” Ob die Söhne und Töchter dieser stolzen Frau dann auch noch Emma abonnieren werden? Sie sollten es tun: denn in Antworten, die sie von Fall zu Fall gibt, ist Alice Schwarzer viel genauer als in ihrer Polemik. HANNELORE SCHLAFFER
ALICE SCHWARZER: Die Antwort. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 208 Seiten, 16,90 Euro.
Für Merkel hegt Schwarzer eine schwärmerische Sympathie
Statistiken, da hat sie recht, sind besser als Bomben
„Traut euch, Frauen, euch auch mal unbeliebt zu machen, wenn es denn sein muss!” (Alice Schwarzer) Foto: Bernd Arnold/Visum
Alice Schwarzer, Jahrgang 1942 Foto: laif
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Die Feministin Alice Schwarzer hat ein neues Buch über ihre alten Lieblingsthemen gesellschaftlicher Ausbeutung von Frauen und weiblicher Rollenzuschreibungen geschrieben. Pornografie, Prostitution und Modeterror sind durchaus wieder aktuelle Themen, wie Heide Oestreich findet, die Schwarzer in "Die Antwort? zurecht auf die Tagesordnung setze. Das ist aber auch das einzig Positive, das die Rezensentin dem neuen Werk abringen kann. Zu undifferenziert argumentiere die "Drama-Feminstin? insbesondere bei der Diskussion um das Kopftuch oder Prostitution, bemängelt Oestreich. Sogar "Fehlinformationen? findet Oestreich in dem Buch (etwa zur Abtreibungsregelung) und kommt zu dem Schluss, dass intelligente junge Frauen sich von Schwarzer nicht überzeugen lassen werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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