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Da ist die vermeintlich glückliche junge Frau, die von der Feststellung einer alten Chinesin verblüfft wird: »Ihre Schönheit schlummert in Ihrem Gesicht. Sie haben nur vergessen, wo sie ist.« Da ist die verzweifelt fantasievolle Zugbegleiterin, die sich wünscht, neben ihren Reisenden einzuschlafen. Oder die Verzagtheit zweier Kinder, deren Mutter eines Tages einfach ins Krankenhaus verschwindet. Ob alles wieder gut wird? Ob sie wieder zu sich zurück finden? Trauer, Liebe, Schmerz und Nähe: Tiefenscharf und mit großer Empathie leuchtet Annette Pehnt unseren Alltag aus und entdeckt den…mehr

Produktbeschreibung
Da ist die vermeintlich glückliche junge Frau, die von der Feststellung einer alten Chinesin verblüfft wird: »Ihre Schönheit schlummert in Ihrem Gesicht. Sie haben nur vergessen, wo sie ist.« Da ist die verzweifelt fantasievolle Zugbegleiterin, die sich wünscht, neben ihren Reisenden einzuschlafen. Oder die Verzagtheit zweier Kinder, deren Mutter eines Tages einfach ins Krankenhaus verschwindet. Ob alles wieder gut wird? Ob sie wieder zu sich zurück finden? Trauer, Liebe, Schmerz und Nähe: Tiefenscharf und mit großer Empathie leuchtet Annette Pehnt unseren Alltag aus und entdeckt den Ausnahmezustand im Normalen. Jede ihrer Erzählungen sucht Worte für unsere Sprachlosigkeit und erzählt von den Momenten unseres Lebens, die uns zu Menschen machen.
Autorenporträt
Annette Pehnt, geboren 1967, studierte und arbeitete in Irland, Schottland und den USA. Heute lebt sie als freie Autorin in Freiburg und lehrt dort an der Pädagogischen Hochschule. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2008 wurde Annette Pehnt mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet, 2009 erhielt sie den Italo-Svevo-Preis, im Jahr 2012 wurde sie mit dem Solothurner Literaturpreis geehrt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2010

Ohne Gott, aber nicht ohne Engel
Annette Pehnts Erzählungsband „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern”
Wer mit der Bahn unterwegs ist, will meist nichts anderes, als möglichst reibungslos von einem Ort zum anderen zu gelangen. Er hält sich eine Zeitung oder ein Buch vor die Nase, verstöpselt die Ohren und verschließt den Blick. Der Zug ist kein Erlebnis-, sondern ein Transitraum. Und doch gibt es da manchmal diese Momente von Nähe, kleine Sympathiebekundungen, die Freude an Höflichkeit oder das überraschte Registrieren, dass der fremde Körper, den man zufällig berührt, eher angenehme als unangenehme Empfindungen auslöst. „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen, das muss gar nicht lange dauern”, heißt es in der im Zug spielenden Titelerzählung des Bandes, den Annette Pehnt, die 2001 mit „Ich muss los” debütierte und mittlerweile drei weitere hoch gelobte Romane geschrieben hat, nun als ihren ersten Erzählungsband vorlegt.
Die 1967 in Köln geborene Autorin, die nach Auslandsaufenthalten in Irland, Schottland, Australien und den USA heute in Freiburg lebt, hat sich einen Stil erarbeitet, der beinahe kunstlos wirkt und doch sehr geschickt sprachliches Understatement mit nüchterner Empathie verbindet. Dabei steckt der eigentliche Kunstgriff oft in der Wahl der Erzählperspektive. So wie sie in ihrem Roman „Mobbing” die Erfahrungen eines Mannes in der Arbeitswelt durch die Wahrnehmung seiner Ehefrau filtert, die dem Leser nur das erzählen kann, was der Gatte zuhause berichtet, so schildert sie in der ersten Erzählung des Bandes die Atmosphäre einer Bahnfahrt ganz aus der Perspektive einer Zugbegleiterin. Damit bündelt sie nicht nur das episodenhafte Geschehen, sondern gibt ihm auch einen Dreh, der für ihr Schreiben typisch ist. Man könnte das mit Lakonie verwechseln, also mit einer besonders kurzen, aber treffenden Ausdrucksweise. Tatsächlich aber ist eine leichte Verschiebung ins Unangemessene das eigentliche Geheimnis ihres Stils.
In der Fahrgast-Familie
Die Zugbegleiterin, früher hätte man sie Schaffnerin genannt, nimmt ihre Berufsbezeichnung wörtlich und also ernst. Sie möchte die Fahrgäste wirklich begleiten. Augenblicke der Nähe genießt sie fast wie einen Liebesakt. Wenn eine Frau mit gepflegten Fingern nach ihrem Ticket sucht, verharrt sie ein wenig länger neben ihr, „sanft hin und her getrieben von der Bewegung des Zuges”. Schon an der Art des Suchens erkennt sie, dass diese Frau ein Ticket haben wird, und dann ist es sogar die Bahncard 100. „Wir sind im selben Verein Mitglieder, also im Grunde eine Familie”, denkt sie - und hat sich schon an den Fahrgast gewöhnt. Während der Le-ser annimmt, er werde hier auf eine normale Zugfahrt mitgenommen, verwandelt sich der Transitraum in den Lebensraum einer aus der Spur geratenen Frau, die ab und zu mit irgendeinem Kollegen schläft und ihre Wohnung eingerichtet hat wie ein Zimmer im Intercity Hotel. Am Ende sinkt sie auf die Schulter einer alten Dame, die sie schmerzlich vermisst, nachdem sie sich von ihr trennen musste.
Die stärksten Erzählungen des Bandes kreisen um Phänomene des Begleitens, Betreuens und Beistehens. „Ein schwarzer Stein” schildert den Besuch eines Geschwisterpaars auf der Intensivstation eines Krankenhauses, in dem ihre Mutter verstorben ist. Hilflos stehen sie neben der Toten. Auf die Frage, ob sie „geistlichen Beistand” wünschen, denkt sich die Tochter der Verstorbenen: „Wir brauchen Beistand, wir brauchen unsere Mutter, damit sie uns beisteht, das hat sie immer gemacht, und wenn sie es nicht genug gemacht hat, waren wir wütend, eigentlich hat sie es nicht gemacht oder nicht genug gemacht oder uns manchmal nicht genug.” Vielleicht brauchen sie sogar einen Engel. „Es geht ohne Gott, aber nicht ohne Engel.” Ausgerechnet der schwarze Stein von einer griechischen Insel, der die Mutter fünfzig Jahre lang begleitete, ist von ihrem Nachttisch verschwunden und bleibt unauffindbar.
Die längste Erzählung, „Wünschen darf man sich alles”, spielt in einem Heim für behinderte Kinder. Deren Schmerz, in einem Körper leben zu müssen, der zwar Wünsche zulässt, kaum aber deren Verwirklichung, wird in zahlreichen Episoden dargestellt. Sie gehen gerade deshalb unter die Haut, weil Annette Pehnt mit einem leichten Übermaß nüchterner Neutralität erzählt. Da hat ein Junge, der im Rollstuhl sitzt, eine der begehrten Karten für ein Fußball-Länderspiel erobert und wird prompt am entscheidenden Tag krank. Da wird zu Weihnachten ein Krippenspiel-Musical veranstaltet und diejenige, die Maria spielen will, bekommt keine Rolle. Die Hackordnung unter den Kindern ist nicht ohne. „Hau ab, Krüppel”, sagt der eine zum anderen, und man konkurriert darum, wer „ärmer dran” ist. Dazwischen eine Vielzahl von Helfern und Betreuern, die ihre Frustration ebenso in Zaum halten müssen wie ihr Mitleid.
Nur die letzte der sechs Erzählungen, eine Familiengeschichte aus den 1960er Jahren, fällt deutlich ab, weil hier die Sprache in den Sog des Sujets gerät. Alle anderen kleiden die großen Wünsche ihrer Figuren in einen Stil, der sich gewöhnlich gibt und Außergewöhnliches leistet: Mit fast britischem Understatement steht Annette Pehnt ihren Figuren bei, die sich in einem barschen Alltag nach Hilfe sehnen. MEIKE FESSMANN
ANNETTE PEHNT: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern. Erzählungen. Piper Verlag, München 2010. 186 Seiten, 16,95 Euro.
Was eine Bahnfahrt und die Reisenden im Innersten zusammenhält, weiß nur sie: die Zugbegleiterin – und Annette Pehnt, die davon erzählt. Foto: Gordon Welters/laif
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Großen Eindruck haben diese unaufdringlich lakonischen Erzählungen auf Rezensentin Gabriele Killert gemacht, die sie vor allem wegen des sicheren Gespürs der Autorin für die "Entfremdungszusammenhänge" ihrer Protagonisten bemerkenswert findet. Wahre Empfindungen kämen nur als "anfallartige Momente" vor, von den "überanstrengten Körpern quasi unter Ausschluss des Bewusstseins" erzwungen. Ein zentrales Motiv dieser Studien aus dem deutschen Alltag seien Gesten unmittelbarer Nächstenliebe. Am eindringlichsten findet die Kritikerin jene Erzählungen und Porträts, die sich mit kindlichen, halbwüchsigen oder leicht autistischen Menschen auseinandersetzen.

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