Produktdetails
- Verlag: Rowohlt, Reinbek
- Originaltitel: Lettres a Nelson Algren
- Seitenzahl: 860
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 1018g
- ISBN-13: 9783498006037
- ISBN-10: 3498006037
- Artikelnr.: 24937745
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Briefe einer athletischen Nonne
Simone de Beauvoir feiert "Eine transatlantische Liebe"
Die Sätze, mit denen Simone de Beauvoir in ihrem Buch "Zeremonie des Abschieds" die Krankheitsgeschichte Sartres beendet und sein Sterben kommentiert, bringt das Gelübde, das der Priester Eheleuten abverlangt - einander verbunden zu bleiben, "bis dass der Tod Euch scheidet" -, in eine atheistische Form: "Sein Tod trennt uns. Mein Tod wird uns nicht wieder vereinen . . . Schön ist, dass unsere Leben so lange harmonisch vereint sein konnten." Anders als den Frommen wird den beiden Intellektuellen für ihre lebenslange Gemeinschaft nach dem Tode nicht der Lohn einer Wiederbegegnung im Jenseits beschieden sein, vielleicht ein Weiterleben im Gedächtnis der Nachwelt. Auf solchem Nihilismus beruht der Stolz des Paares, das wie keines sonst die Unzertrennlichkeit für dieses Leben zum Programm erhoben hatte. Die Legende "Beauvoir / Sartre" berichtet vom Wunder der Treue ohne Treue. Die Amouren Sartres waren zugleich die Freundinnen Simone de Beauvoirs, in Scharen flatterten sie zwischen den beiden getrennt gehaltenen Haushalten hin und her. Die chronische Untreue war geradezu nötig als Beweis für das unerschütterliche Einverständnis, das über die körperliche Liebe erhaben ist. Fast hat es den Anschein, als ob die "kleinen Frühlingsgeschichten", die Sartre in seinen Briefen an "Castor" erzählt - so nennt er die Freundin mythisierend, vielleicht um selbst als Pollux, als "Paul-Lux", aufzutreten -, nur deshalb veranstaltet wurden, um den ewigen Redefluss der beiden mit attischem Salz zu würzen.
Eine solche Artistik der Liebe gelingt nicht ohne intellektuelle Emphase. Sartres Brief etwa an "Castor" vom 28. Februar 1940 bekennt die zynische Wahrheit dieses Lebens zwischen Amor und Caritas, zwischen irdischer und geistiger Liebe: Der Philosoph erscheint sowohl als Verehrer wie als Verächter der Frauen, zu dessen Sportsgeist es gehört, mit falschen Schwüren die Herzen der "Nebenfrauen" zu gewinnen, und der nicht einmal zögert, zu diesem Zweck die "ewige" Freundin Simone zu verleugnen.
Da bislang nur Sartres "Briefe an Castor" publiziert waren, ist Simone de Beauvoir von denen, die die aristokratische Tradition eines solchen Lebensentwurfs nicht zugeben und die Möglichkeit seiner Aktualisierung im bürgerlichen Zeitalter nicht wahrhaben wollten, als das Opfer patriarchalischen Egoismus bemitleidet worden. Simone de Beauvoir aber war Sartre durchaus gewachsen. Ihre nun publizierten Briefe an den amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren zeigen, wie gut sie begriffen hat, dass Sartre den Stil des Libertin für die sexuelle Aufklärung im zwanzigsten Jahrhundert nutzen und die zynische Geste mit der Vernunft verbinden wollte: Erst die Freiheit der Liebe wird die Befreiung des Geistes vollenden.
Auf dem schmalen Grat zwischen Leidenschaft und Disziplin balanciert Simone de Beauvoir mit größerer Sicherheit als Sartre. Auch für sie liegt der sportliche Ehrgeiz darin, mit Nelson Algren die große Liebe des Lebens zu erfahren, so süß, überschwenglich und qualvoll, wie es sich nur junge Mädchen erträumen mögen, aber doch keine Sekunde ihres Lebens mit Sartre zu verschenken. An der Schwelle zum Alter hat Simone de Beauvoir sich selbst und ihrem Gefährten den Beweis geliefert, dass sie ihr Leben mit nicht geringerer Geistesstärke und Kühnheit entwirft als er.
Die Liebesgeschichte brächte den ersten und schlicht erfreulichen Genuss dieses Briefwechsels, der nach einer Begegnung in Chicago 1947 beginnt und immerhin siebzehn Jahre währt. Freilich muss bei einem Leser, der den Jungmädchentraum zunächst mitträumt, die Enttäuschung darüber wachsen, mit welcher Gelassenheit Simone de Beauvoir die allmähliche Abwendung des Mannes hinnimmt, den sie als ihre einzige Liebe tituliert, ja mit welcher Gleichgültigkeit sie die Abwesenheit des amerikanischen Freundes von Anfang an erträgt - Begegnungen in Amerika, Paris, auf Reisen sind in den vielen Jahren selten -, um schließlich gar einen jungen Liebhaber zu seinem europäischen Statthalter zu machen. Gerade die zunehmende emotionale Entfremdung aber macht klar, dass die geographische und kulturelle Distanz Simone de Beauvoir gelegen kam. Die Sehnsucht spannte sich über die Weite des Ozeans, der Standpunkt aber blieb umso sicherer auf dem europäischen Festland.
Wenn es nicht Stil wäre, wie sonst wäre solche Souveränität zu fassen! Simone de Beauvoir genießt die Genugtuung, die ihr die Beherrschung solcher Gefühlsakrobatik bereitet, und steigert das Vergnügen an sich selbst, indem sie sich mit einem Heer unglücklich Liebender umgibt. Diese sind ihr der Beweis dafür, dass Lieben eine zerstörerische Angelegenheit ist und dass nur Helden das Abenteuer unbeschadet bestehen. Für den Leser sind also die schönen Schwüre Nelson Algren gegenüber zusätzlich mit amüsanten Leidensgeschichten durchflochten, von der "häßlichen Frau", die in Simone de Beauvoir selbst verliebt ist, von der "Frau mit der Nadel", von Olga, von Nathalie. Simone de Beauvoir sammelt verrückte Existenzen, sie ist der ruhende Pol im Chaos der Leidenschaften.
Fast möchte man meinen, sie sei mit schwarzer Magie begabt, denn jeder, der in ihren Umkreis gerät, wird nach einiger Zeit unglücklich. Der Liebhaber selbst beginnt die Bekanntschaft zwar als gefeierter Autor, beendet aber das Verhältnis als verkrachte Existenz. Als Algren Simone de Beauvoir 1949 in Paris besuchte, erfuhr er auf der Rückkehr nach Chicago, dass er für seinen Roman "Der Mann mit dem goldenen Arm" den Pulitzer-Preis gewonnen hatte. Gleichzeitig allerdings beginnt Simone de Beauvoir, sich das Revier ihres Liebhabers zu erobern. Den Aufenthalt in Amerika verarbeitet sie in "Amerika bei Tag und Nacht" zu einem geistreichen Reisebericht. 1954 widmet sie "Die Mandarins" Nelson Algren. Die Bestsellerautorin aus Frankreich wird mit diesen beiden Büchern und mit "Das zweite Geschlecht" auch in Amerika zur Berühmtheit, während Algrens Manuskripte inzwischen von den Verlagen bestellt und dennoch nicht angenommen werden, Verfilmungen keinen Gewinn für ihn abwerfen, die Wiederverheiratung mit der ersten Frau ein weiteres Mal in die Scheidung führt.
Mary McCarthy zweifelt in einem Zeitungsartikel, von dem Simone de Beauvoir Algren berichtet, an der Aufrichtigkeit ihres "Glücklichseins". Nicht unpassend nennt die Amerikanerin die Französin eine "athletische Nonne"; wer in den "Zeremonien des Abschieds" von der Pflege Sartres, dieses nun so hinfällig gewordenen existenzialistischen Kämpfers, liest, wird den Gedanken nicht los, dass Simone de Beauvoirs Standhaftigkeit tatsächlich etwas von der Aufgeräumtheit einer Krankenschwester hat. Die Intelligenz freilich hat diese Energie schließlich doch von der Betulichkeit fern gehalten. Zwar beklagt Sartre einmal an den Briefen der jungen Simone, dass sie "für meinen Geschmack etwas zu voll von Natur sind". Wo diese Natur aber nicht über sich hinaus will - zur Theorie, zum literarischen Werk, zur Philosophie gar: Solche Werke der Autorin sind oft geschwätzig -, entfaltet sich erst ihr Talent zur intellektuellen Stilisierung des Lebens. Die Summe aller biografischen Werke der Simone de Beauvoir ergibt das Bild einer weiblichen Kühnheit, wie sie nur kurz nach dem Krieg und in der intellektuellen Umgebung gerade dieser Metropole mit einer bourgeoisen Tradition, die Lebensformen des Adels absorbiert hatte, möglich war.
Die Wachsamkeit allen Erscheinungen des Lebens gegenüber macht die Briefe an Nelson Algren auch zu einem unterhaltsamen, ja belehrenden Dokument der Zeit. Das Paris der fünfziger Jahre lässt sich kaum authentischer erleben als in den Skizzen für den Freund, der diese Stadt noch nie gesehen hat. Es scheint unausweichlich zu sein, dass man im Café "Deux Magots" und nicht zu Hause arbeitet, Cognac trinkt, Couscous isst, in Jazzkellern die Nächte verbringt, das erste Auto kutschiert, die staunenden Freunde um den neuen Plattenspieler versammelt, die Fahrt auf den Mond mit aufgeregten Zukunftsphantasien umspinnt.
Dem deutschen Leser verschaffen die Briefe aus Berlin, wohin Simone de Beauvoir 1948 Sartre begleitet, eine erregende Erinnerung an die zerstörte Stadt. Die Deutschen "tragen immer irgend etwas auf dem Rücken, in Rucksäcken, oder schieben kleine Karren vor sich her". Der kahle Tiergarten "ohne Bäume" setzt sie in Schrecken, denn "die Leute haben die Bäume gefällt, um Brennholz zu haben, und jetzt haben sie dort kleine Gärten, in denen Rüben und Kartoffeln angebaut werden". Die Unfähigkeit zu trauern oder Schuld zu empfinden, die sich die Deutschen bis zum heutigen Tag als Vergehen vorwerfen, kann die Französin an dieser besiegten Nation offenbar nicht feststellen: "Diese Frage der Reue ist für Deutsche von großer Bedeutung. Bei allen Vorträgen und in Diskussionen und privaten Gesprächen redeten sie immer über ihre Gewissensbisse."
In den fünfziger Jahren wendet sich der Blick Simone de Beauvoirs von der Beobachtung der Menschen ab, um deren politische Lenkung zu planen. Doch hat sie die Rolle als politische Aktivistin an der Seite Sartres, glaubt man ihrer Autobiographie "Der Lauf der Dinge", mit Widerstreben übernommen. Sartres Hinwendung zur Politik empfindet sie als Entfremdung, als Störung ihrer Zweisamkeit, sie fühlt "eine matte Trauer". In den Briefen an Algren ist von dieser Distanz nichts zu spüren. Im Kampf gegen den Gaullismus oder für die Befreiung Algeriens steht sie Sartre zur Seite, besucht mit ihm Lateinamerika und Castro, riskiert bei der Rückkehr die Gefangensetzung - was alles sie dem amerikanischen Freund mit gewohnter Ungerührtheit und amüsierter Lebendigkeit beschreibt. Dieser kommt in der Ausgabe nicht zu Wort. Seine Briefe sind nur, wo es nötig ist, um den Gang der Ereignisse zu kommentieren, in kurzen Regesten wiedergegeben. Seine Stummheit schmerzt nicht sehr, denn der - in ein geschmeidiges Deutsch übersetzte - Briefwechsel ist fast so etwas wie der Schlussstein im Lebensbild der Simone de Beauvoir und die endgültige Apotheose einer Freundschaft, die sich nicht ohne Recht in einem Sternbild - Castor und Pollux - verewigt sehen wollte.
Simone de Beauvoir: "Eine transatlantische Liebe". Briefe an Nelson Algren 1947 bis 1964. Herausgegeben von Sylvie Le Bon de Beauvoir. Aus dem Französischen von Judith Klein. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 860 S., Abb., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Simone de Beauvoir feiert "Eine transatlantische Liebe"
Die Sätze, mit denen Simone de Beauvoir in ihrem Buch "Zeremonie des Abschieds" die Krankheitsgeschichte Sartres beendet und sein Sterben kommentiert, bringt das Gelübde, das der Priester Eheleuten abverlangt - einander verbunden zu bleiben, "bis dass der Tod Euch scheidet" -, in eine atheistische Form: "Sein Tod trennt uns. Mein Tod wird uns nicht wieder vereinen . . . Schön ist, dass unsere Leben so lange harmonisch vereint sein konnten." Anders als den Frommen wird den beiden Intellektuellen für ihre lebenslange Gemeinschaft nach dem Tode nicht der Lohn einer Wiederbegegnung im Jenseits beschieden sein, vielleicht ein Weiterleben im Gedächtnis der Nachwelt. Auf solchem Nihilismus beruht der Stolz des Paares, das wie keines sonst die Unzertrennlichkeit für dieses Leben zum Programm erhoben hatte. Die Legende "Beauvoir / Sartre" berichtet vom Wunder der Treue ohne Treue. Die Amouren Sartres waren zugleich die Freundinnen Simone de Beauvoirs, in Scharen flatterten sie zwischen den beiden getrennt gehaltenen Haushalten hin und her. Die chronische Untreue war geradezu nötig als Beweis für das unerschütterliche Einverständnis, das über die körperliche Liebe erhaben ist. Fast hat es den Anschein, als ob die "kleinen Frühlingsgeschichten", die Sartre in seinen Briefen an "Castor" erzählt - so nennt er die Freundin mythisierend, vielleicht um selbst als Pollux, als "Paul-Lux", aufzutreten -, nur deshalb veranstaltet wurden, um den ewigen Redefluss der beiden mit attischem Salz zu würzen.
Eine solche Artistik der Liebe gelingt nicht ohne intellektuelle Emphase. Sartres Brief etwa an "Castor" vom 28. Februar 1940 bekennt die zynische Wahrheit dieses Lebens zwischen Amor und Caritas, zwischen irdischer und geistiger Liebe: Der Philosoph erscheint sowohl als Verehrer wie als Verächter der Frauen, zu dessen Sportsgeist es gehört, mit falschen Schwüren die Herzen der "Nebenfrauen" zu gewinnen, und der nicht einmal zögert, zu diesem Zweck die "ewige" Freundin Simone zu verleugnen.
Da bislang nur Sartres "Briefe an Castor" publiziert waren, ist Simone de Beauvoir von denen, die die aristokratische Tradition eines solchen Lebensentwurfs nicht zugeben und die Möglichkeit seiner Aktualisierung im bürgerlichen Zeitalter nicht wahrhaben wollten, als das Opfer patriarchalischen Egoismus bemitleidet worden. Simone de Beauvoir aber war Sartre durchaus gewachsen. Ihre nun publizierten Briefe an den amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren zeigen, wie gut sie begriffen hat, dass Sartre den Stil des Libertin für die sexuelle Aufklärung im zwanzigsten Jahrhundert nutzen und die zynische Geste mit der Vernunft verbinden wollte: Erst die Freiheit der Liebe wird die Befreiung des Geistes vollenden.
Auf dem schmalen Grat zwischen Leidenschaft und Disziplin balanciert Simone de Beauvoir mit größerer Sicherheit als Sartre. Auch für sie liegt der sportliche Ehrgeiz darin, mit Nelson Algren die große Liebe des Lebens zu erfahren, so süß, überschwenglich und qualvoll, wie es sich nur junge Mädchen erträumen mögen, aber doch keine Sekunde ihres Lebens mit Sartre zu verschenken. An der Schwelle zum Alter hat Simone de Beauvoir sich selbst und ihrem Gefährten den Beweis geliefert, dass sie ihr Leben mit nicht geringerer Geistesstärke und Kühnheit entwirft als er.
Die Liebesgeschichte brächte den ersten und schlicht erfreulichen Genuss dieses Briefwechsels, der nach einer Begegnung in Chicago 1947 beginnt und immerhin siebzehn Jahre währt. Freilich muss bei einem Leser, der den Jungmädchentraum zunächst mitträumt, die Enttäuschung darüber wachsen, mit welcher Gelassenheit Simone de Beauvoir die allmähliche Abwendung des Mannes hinnimmt, den sie als ihre einzige Liebe tituliert, ja mit welcher Gleichgültigkeit sie die Abwesenheit des amerikanischen Freundes von Anfang an erträgt - Begegnungen in Amerika, Paris, auf Reisen sind in den vielen Jahren selten -, um schließlich gar einen jungen Liebhaber zu seinem europäischen Statthalter zu machen. Gerade die zunehmende emotionale Entfremdung aber macht klar, dass die geographische und kulturelle Distanz Simone de Beauvoir gelegen kam. Die Sehnsucht spannte sich über die Weite des Ozeans, der Standpunkt aber blieb umso sicherer auf dem europäischen Festland.
Wenn es nicht Stil wäre, wie sonst wäre solche Souveränität zu fassen! Simone de Beauvoir genießt die Genugtuung, die ihr die Beherrschung solcher Gefühlsakrobatik bereitet, und steigert das Vergnügen an sich selbst, indem sie sich mit einem Heer unglücklich Liebender umgibt. Diese sind ihr der Beweis dafür, dass Lieben eine zerstörerische Angelegenheit ist und dass nur Helden das Abenteuer unbeschadet bestehen. Für den Leser sind also die schönen Schwüre Nelson Algren gegenüber zusätzlich mit amüsanten Leidensgeschichten durchflochten, von der "häßlichen Frau", die in Simone de Beauvoir selbst verliebt ist, von der "Frau mit der Nadel", von Olga, von Nathalie. Simone de Beauvoir sammelt verrückte Existenzen, sie ist der ruhende Pol im Chaos der Leidenschaften.
Fast möchte man meinen, sie sei mit schwarzer Magie begabt, denn jeder, der in ihren Umkreis gerät, wird nach einiger Zeit unglücklich. Der Liebhaber selbst beginnt die Bekanntschaft zwar als gefeierter Autor, beendet aber das Verhältnis als verkrachte Existenz. Als Algren Simone de Beauvoir 1949 in Paris besuchte, erfuhr er auf der Rückkehr nach Chicago, dass er für seinen Roman "Der Mann mit dem goldenen Arm" den Pulitzer-Preis gewonnen hatte. Gleichzeitig allerdings beginnt Simone de Beauvoir, sich das Revier ihres Liebhabers zu erobern. Den Aufenthalt in Amerika verarbeitet sie in "Amerika bei Tag und Nacht" zu einem geistreichen Reisebericht. 1954 widmet sie "Die Mandarins" Nelson Algren. Die Bestsellerautorin aus Frankreich wird mit diesen beiden Büchern und mit "Das zweite Geschlecht" auch in Amerika zur Berühmtheit, während Algrens Manuskripte inzwischen von den Verlagen bestellt und dennoch nicht angenommen werden, Verfilmungen keinen Gewinn für ihn abwerfen, die Wiederverheiratung mit der ersten Frau ein weiteres Mal in die Scheidung führt.
Mary McCarthy zweifelt in einem Zeitungsartikel, von dem Simone de Beauvoir Algren berichtet, an der Aufrichtigkeit ihres "Glücklichseins". Nicht unpassend nennt die Amerikanerin die Französin eine "athletische Nonne"; wer in den "Zeremonien des Abschieds" von der Pflege Sartres, dieses nun so hinfällig gewordenen existenzialistischen Kämpfers, liest, wird den Gedanken nicht los, dass Simone de Beauvoirs Standhaftigkeit tatsächlich etwas von der Aufgeräumtheit einer Krankenschwester hat. Die Intelligenz freilich hat diese Energie schließlich doch von der Betulichkeit fern gehalten. Zwar beklagt Sartre einmal an den Briefen der jungen Simone, dass sie "für meinen Geschmack etwas zu voll von Natur sind". Wo diese Natur aber nicht über sich hinaus will - zur Theorie, zum literarischen Werk, zur Philosophie gar: Solche Werke der Autorin sind oft geschwätzig -, entfaltet sich erst ihr Talent zur intellektuellen Stilisierung des Lebens. Die Summe aller biografischen Werke der Simone de Beauvoir ergibt das Bild einer weiblichen Kühnheit, wie sie nur kurz nach dem Krieg und in der intellektuellen Umgebung gerade dieser Metropole mit einer bourgeoisen Tradition, die Lebensformen des Adels absorbiert hatte, möglich war.
Die Wachsamkeit allen Erscheinungen des Lebens gegenüber macht die Briefe an Nelson Algren auch zu einem unterhaltsamen, ja belehrenden Dokument der Zeit. Das Paris der fünfziger Jahre lässt sich kaum authentischer erleben als in den Skizzen für den Freund, der diese Stadt noch nie gesehen hat. Es scheint unausweichlich zu sein, dass man im Café "Deux Magots" und nicht zu Hause arbeitet, Cognac trinkt, Couscous isst, in Jazzkellern die Nächte verbringt, das erste Auto kutschiert, die staunenden Freunde um den neuen Plattenspieler versammelt, die Fahrt auf den Mond mit aufgeregten Zukunftsphantasien umspinnt.
Dem deutschen Leser verschaffen die Briefe aus Berlin, wohin Simone de Beauvoir 1948 Sartre begleitet, eine erregende Erinnerung an die zerstörte Stadt. Die Deutschen "tragen immer irgend etwas auf dem Rücken, in Rucksäcken, oder schieben kleine Karren vor sich her". Der kahle Tiergarten "ohne Bäume" setzt sie in Schrecken, denn "die Leute haben die Bäume gefällt, um Brennholz zu haben, und jetzt haben sie dort kleine Gärten, in denen Rüben und Kartoffeln angebaut werden". Die Unfähigkeit zu trauern oder Schuld zu empfinden, die sich die Deutschen bis zum heutigen Tag als Vergehen vorwerfen, kann die Französin an dieser besiegten Nation offenbar nicht feststellen: "Diese Frage der Reue ist für Deutsche von großer Bedeutung. Bei allen Vorträgen und in Diskussionen und privaten Gesprächen redeten sie immer über ihre Gewissensbisse."
In den fünfziger Jahren wendet sich der Blick Simone de Beauvoirs von der Beobachtung der Menschen ab, um deren politische Lenkung zu planen. Doch hat sie die Rolle als politische Aktivistin an der Seite Sartres, glaubt man ihrer Autobiographie "Der Lauf der Dinge", mit Widerstreben übernommen. Sartres Hinwendung zur Politik empfindet sie als Entfremdung, als Störung ihrer Zweisamkeit, sie fühlt "eine matte Trauer". In den Briefen an Algren ist von dieser Distanz nichts zu spüren. Im Kampf gegen den Gaullismus oder für die Befreiung Algeriens steht sie Sartre zur Seite, besucht mit ihm Lateinamerika und Castro, riskiert bei der Rückkehr die Gefangensetzung - was alles sie dem amerikanischen Freund mit gewohnter Ungerührtheit und amüsierter Lebendigkeit beschreibt. Dieser kommt in der Ausgabe nicht zu Wort. Seine Briefe sind nur, wo es nötig ist, um den Gang der Ereignisse zu kommentieren, in kurzen Regesten wiedergegeben. Seine Stummheit schmerzt nicht sehr, denn der - in ein geschmeidiges Deutsch übersetzte - Briefwechsel ist fast so etwas wie der Schlussstein im Lebensbild der Simone de Beauvoir und die endgültige Apotheose einer Freundschaft, die sich nicht ohne Recht in einem Sternbild - Castor und Pollux - verewigt sehen wollte.
Simone de Beauvoir: "Eine transatlantische Liebe". Briefe an Nelson Algren 1947 bis 1964. Herausgegeben von Sylvie Le Bon de Beauvoir. Aus dem Französischen von Judith Klein. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 860 S., Abb., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hannelore Schlaffer bleibt eine Bewunderin des berühmten Modells einer Liebe, die von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir vorgelebt wurde: der "Treue in der Treulosigkeit". Sie schildert dieses Modell als ein aristokratisches Ideal der Libertinage, das von dem Paar ins bürgerliche Zeitalter übertragen worden sei. Dass Beauvoir hier Sartre ebenbürtig gewesen sei, belege ihr Briefwechsel mit dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren (dem Autor des "Manns mit dem goldenen Arm"). Hier lebe Beauvoir eine mädchenhaft-romantische Liebe neben der großen Liebe zu Sartre, die sie nicht in Frage stelle. Trotz ihrer Bewunderung findet Schlaffer allerdings, dass Beauvoir diese Liebe ein wenig als eine Art intellektuelle Übung betreibe und attestiert ihr "die Aufgeräumtheit einer Krankenschwester". Nebenbei sei der Briefwechsel ein Zeitdokument über das Paris der fünfziger Jahre. Einige Briefe gäben auch interessante Erzählungen aus dem zerstörten Berlin von 1948. Die Übersetzung lobt Schlaffer für ihre Eleganz.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH