Ein junger Mann, ziel- und heimatlos, nimmt einen Job an, der ihn in die Weite von Texas und Oklahoma führt, und lernt in dieser gottverlassenen Gegend nicht nur die skurrilsten Menschen und ihre Schicksale kennen, sondern auch die wechselhafte Geschichte der Prärie, des amerikanischen Herzlands.
Ein großartiger Roman über das heutige Amerika, voller Leben und Poesie, rauher Schönheit und herrlichem Humor.
Im Herzen von Amerika, wo die schmalen Ausläufer, die panhandles, von Texas und Oklahoma aufeinanderstoßen, lag einst der »Wilde Westen« mit seinen riesigen Ranches und Viehherden.
Inzwischen wandern die Leute ab, die für die Landschaft typischen Windräder fördern kaum noch Wasser, und die trockene Steppe breitet sich immer weiter aus. Hierher verschlägt es Bob Dollar, einen jungen Mann aus Denver, der nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen weiß und nach ein paar Gelegenheitsjobs bei Global Pork Rind anheuert: Im Panhandle-Gebiet soll er nach Land für Schweinemastbetriebe suchen und die Besitzer zum Verkauf überreden.
Er läßt sich in Woolybucket nieder, einem kleinen texanischen Ort voll sturer und schrulliger Hinterwäldler. Im Old Dog Café hört er Geschichten von Tornados, eisigen Winden und Sandstürmen, von Hahnenkämpfen und Rodeoshows, von Familienfehden und Liebschaften, aber vor allem vom Niedergang der Prärie. Und eben jene Schweinefarmen, für die er arbeitet, sind zum großen Teil daran schuld.
Allmählich versteht Bob Dollar, der mit sieben Jahren von seinen Eltern verlassen wurde, was diese Menschen mit ihrem Land verbindet, und zum erstenmal in seinem Leben sieht er eine Zukunft vor sich.
Ein modernes Märchen, die Geschichte eines Hans-im-Glück, der in einer bösen Welt nur Gutes will - mit Annie Proulx´ Sprachgewalt, ihrem scharfen Blick fürs allzu Menschliche und ihren atemberaubenden Landschaftsbeschreibungen wird daraus ein großer Roman über das heutige Amerika, wie wir es kaum kennen, voller Leben und Poesie, rauher Schönheit und herrlichem Humor.
Ein großartiger Roman über das heutige Amerika, voller Leben und Poesie, rauher Schönheit und herrlichem Humor.
Im Herzen von Amerika, wo die schmalen Ausläufer, die panhandles, von Texas und Oklahoma aufeinanderstoßen, lag einst der »Wilde Westen« mit seinen riesigen Ranches und Viehherden.
Inzwischen wandern die Leute ab, die für die Landschaft typischen Windräder fördern kaum noch Wasser, und die trockene Steppe breitet sich immer weiter aus. Hierher verschlägt es Bob Dollar, einen jungen Mann aus Denver, der nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen weiß und nach ein paar Gelegenheitsjobs bei Global Pork Rind anheuert: Im Panhandle-Gebiet soll er nach Land für Schweinemastbetriebe suchen und die Besitzer zum Verkauf überreden.
Er läßt sich in Woolybucket nieder, einem kleinen texanischen Ort voll sturer und schrulliger Hinterwäldler. Im Old Dog Café hört er Geschichten von Tornados, eisigen Winden und Sandstürmen, von Hahnenkämpfen und Rodeoshows, von Familienfehden und Liebschaften, aber vor allem vom Niedergang der Prärie. Und eben jene Schweinefarmen, für die er arbeitet, sind zum großen Teil daran schuld.
Allmählich versteht Bob Dollar, der mit sieben Jahren von seinen Eltern verlassen wurde, was diese Menschen mit ihrem Land verbindet, und zum erstenmal in seinem Leben sieht er eine Zukunft vor sich.
Ein modernes Märchen, die Geschichte eines Hans-im-Glück, der in einer bösen Welt nur Gutes will - mit Annie Proulx´ Sprachgewalt, ihrem scharfen Blick fürs allzu Menschliche und ihren atemberaubenden Landschaftsbeschreibungen wird daraus ein großer Roman über das heutige Amerika, wie wir es kaum kennen, voller Leben und Poesie, rauher Schönheit und herrlichem Humor.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2003Wo Rancher sticken
Annie Proulx packt Amerika am Pfannenstiel
Durch den Erfolg ihres mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Romans „Schiffsmeldungen” (1993) ist die 1935 in Connecticut geborene Annie Proulx zur literarischen Vertreterin des amerikanischen Hinterlandes geworden. Ihre Helden kommen aus Gegenden, in die sich der Zeitgeist auch am helllichten Tage nicht trauen würde, oder es verschlägt sie dorthin. Etwa in die als „Panhandles” (Pfannenstiele) bezeichneten Ausläufer von Texas und Oklahoma, wo die Ortschaften Cactus oder Sunray heißen. Der junge Bob Dollar soll dort einem anrüchigen Geschäft Vorschub leisten und Leute ausfindig machen, die bereit sind, Land für Schweinemastbetriebe zu verkaufen.
Bob Dollar trägt einen von vielen sprechenden Namen in diesem Buch, doch er macht ihm keine Ehre. Sein nur rudimentär vorhandener Geschäftssinn wird bald von einem Geschichtssinn überlagert, der ihm schon früh antrainiert worden ist. Von seinen Eltern an einen Onkel weitergereicht, ist er in einem Trödelladen aufgewachsen. Und damit ist Bob derart prädestiniert, in altem Gerümpel und alten Fotos, Aufzeichnungen und Geschichten aus dem wilden weiten Westen zu wühlen, dass seine Schöpferin ihm lieber gleich einen Job als Lokalhistoriker hätte anbieten sollen.
Vom Pferdefuß der Rahmenhandlung abgesehen, ist „Mitten in Amerika” ein unterhaltsames Beispiel jener Regionalliteratur, die seit Sarah Orne Jewetts „The Country of the Pointed Firs” (1896) die Entwicklung des ländlichen Amerika begleitet hat. Ein Merkmal ist die Perspektive von Außenstehenden, der sich die scheinbare Konformität des ländlichen Alltags nur zögerlich öffnet, um dann aber unerwartete Dinge preiszugeben: „Knorrige alte Rancher, die am Stickrahmen arbeiteten, alkoholische Zwillingsschwestern im vorgerückten Alter oder der Mann, der in seiner Garage eine Lokomotive in Originalgröße zusammenbaute, der Rancher, der eine Kopie von Stonehenge in halber Größe errichtete, wurden nicht nur toleriert, sondern bewundert.” Durch Fernsehserien wie „Rauchende Colts” an eher konservative Kleiderordnungen für Cowboys gewöhnte Leser müssen ihre Vorstellung vom Wilden Westen korrigieren, wenn sie die Beschreibung einer Silvesterfeier auf einer Ranch im Jahre 1884 lesen: „Ed Miller hatte sich für ein kurzes Straßenkostüm aus zitronengelbem Delaine entschieden und zeigte Muskeln wie ein Grashüpfer. Als Schmuck Nelken und Zitronenschalen. Zurückhaltend, aber fesselnd.”
Bei allem Sinn für Skurrilitäten lenkt Annie Proulx den Blick ihres Helden immer wieder aufs Wesentliche zurück – auf die Bedrohung des alten Amerika durch das neue. Weite und Wassermangel waren schon immer die augenfälligsten Merkmale dieser Landschaft, in der die Büffel von extensiver Viehwirtschaft verdrängt wurden. Danach kamen Stacheldraht, Windräder und schwere Ochsengespanne, deren in Nord-Süd-Richtung verlaufende Frachtrouten den nach oben gerichteten Panhandle von Texas erst geschaffen haben. Doch die Eisenbahnlinien wurden von Ost nach West geführt, und so zeigt dieser Pfannenstiel jetzt ins Nichts. Der lebenserhaltende Grundwasserstrom droht zu versiegen, und die Viehwirtschaft weicht industriell organisierten Schweinemastbetrieben. Am Ende aber wird alles gut: Rettung bringt das Vermögen eines Ölmillionärs mit Viehzüchter-Ambitionen.
Bei einer nüchternen Beobachterin wie Annie Proulx kann ein so harmoniesüchtiger Schluss nur verwundern, und deshalb ist man geradezu erleichtert, dass sich darin zumindest ein giftiger Stachel gegen das urbane Amerika richtet. Während Bob Dollar sein Glück in der Provinz findet, bringt der Kompagnon seines Pflegevaters es zum Angestellten eines hochkarätigen Antiquitätenladens in New York. Das Geschäft liege, so der 2002 erschienene Roman, „im World Trade Center in einem der unteren Stockwerke”.
ULRICH BARON
ANNIE PROULX: Mitten in Amerika. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 511 Seiten, 25 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Annie Proulx packt Amerika am Pfannenstiel
Durch den Erfolg ihres mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Romans „Schiffsmeldungen” (1993) ist die 1935 in Connecticut geborene Annie Proulx zur literarischen Vertreterin des amerikanischen Hinterlandes geworden. Ihre Helden kommen aus Gegenden, in die sich der Zeitgeist auch am helllichten Tage nicht trauen würde, oder es verschlägt sie dorthin. Etwa in die als „Panhandles” (Pfannenstiele) bezeichneten Ausläufer von Texas und Oklahoma, wo die Ortschaften Cactus oder Sunray heißen. Der junge Bob Dollar soll dort einem anrüchigen Geschäft Vorschub leisten und Leute ausfindig machen, die bereit sind, Land für Schweinemastbetriebe zu verkaufen.
Bob Dollar trägt einen von vielen sprechenden Namen in diesem Buch, doch er macht ihm keine Ehre. Sein nur rudimentär vorhandener Geschäftssinn wird bald von einem Geschichtssinn überlagert, der ihm schon früh antrainiert worden ist. Von seinen Eltern an einen Onkel weitergereicht, ist er in einem Trödelladen aufgewachsen. Und damit ist Bob derart prädestiniert, in altem Gerümpel und alten Fotos, Aufzeichnungen und Geschichten aus dem wilden weiten Westen zu wühlen, dass seine Schöpferin ihm lieber gleich einen Job als Lokalhistoriker hätte anbieten sollen.
Vom Pferdefuß der Rahmenhandlung abgesehen, ist „Mitten in Amerika” ein unterhaltsames Beispiel jener Regionalliteratur, die seit Sarah Orne Jewetts „The Country of the Pointed Firs” (1896) die Entwicklung des ländlichen Amerika begleitet hat. Ein Merkmal ist die Perspektive von Außenstehenden, der sich die scheinbare Konformität des ländlichen Alltags nur zögerlich öffnet, um dann aber unerwartete Dinge preiszugeben: „Knorrige alte Rancher, die am Stickrahmen arbeiteten, alkoholische Zwillingsschwestern im vorgerückten Alter oder der Mann, der in seiner Garage eine Lokomotive in Originalgröße zusammenbaute, der Rancher, der eine Kopie von Stonehenge in halber Größe errichtete, wurden nicht nur toleriert, sondern bewundert.” Durch Fernsehserien wie „Rauchende Colts” an eher konservative Kleiderordnungen für Cowboys gewöhnte Leser müssen ihre Vorstellung vom Wilden Westen korrigieren, wenn sie die Beschreibung einer Silvesterfeier auf einer Ranch im Jahre 1884 lesen: „Ed Miller hatte sich für ein kurzes Straßenkostüm aus zitronengelbem Delaine entschieden und zeigte Muskeln wie ein Grashüpfer. Als Schmuck Nelken und Zitronenschalen. Zurückhaltend, aber fesselnd.”
Bei allem Sinn für Skurrilitäten lenkt Annie Proulx den Blick ihres Helden immer wieder aufs Wesentliche zurück – auf die Bedrohung des alten Amerika durch das neue. Weite und Wassermangel waren schon immer die augenfälligsten Merkmale dieser Landschaft, in der die Büffel von extensiver Viehwirtschaft verdrängt wurden. Danach kamen Stacheldraht, Windräder und schwere Ochsengespanne, deren in Nord-Süd-Richtung verlaufende Frachtrouten den nach oben gerichteten Panhandle von Texas erst geschaffen haben. Doch die Eisenbahnlinien wurden von Ost nach West geführt, und so zeigt dieser Pfannenstiel jetzt ins Nichts. Der lebenserhaltende Grundwasserstrom droht zu versiegen, und die Viehwirtschaft weicht industriell organisierten Schweinemastbetrieben. Am Ende aber wird alles gut: Rettung bringt das Vermögen eines Ölmillionärs mit Viehzüchter-Ambitionen.
Bei einer nüchternen Beobachterin wie Annie Proulx kann ein so harmoniesüchtiger Schluss nur verwundern, und deshalb ist man geradezu erleichtert, dass sich darin zumindest ein giftiger Stachel gegen das urbane Amerika richtet. Während Bob Dollar sein Glück in der Provinz findet, bringt der Kompagnon seines Pflegevaters es zum Angestellten eines hochkarätigen Antiquitätenladens in New York. Das Geschäft liege, so der 2002 erschienene Roman, „im World Trade Center in einem der unteren Stockwerke”.
ULRICH BARON
ANNIE PROULX: Mitten in Amerika. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 511 Seiten, 25 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2003Der Rancher am Stickrahmen
Im Herzen des Landes herrschen die Schweine: Annie Proulx entdeckt unbekannte Seiten der amerikanischen Prärie
Manche Konstellationen tragen von Anfang an das Vorzeichen des künftigen Scheiterns unübersehbar auf der Stirn. Wer ihnen beim Entstehen zusieht, kann es nicht fassen, daß auch nur einer der Beteiligten an den Erfolg des Unternehmens glaubt. Da schickt ein Schweinemastkonzern aus Colorado einen Angestellten nach Texas, damit der heimlich auskundschaftet, wo sich Landbesitzer zum Verkauf ihrer Grundstücke bereit finden könnten - heimlich deshalb, weil Agenten, die dem Bau von pestilenzartig stinkenden Mastbetrieben Vorschub leisten, gewöhnlich keinen leichten Stand haben. Doch der junge Mann, den die Konzernbosse für diese Aufgabe ausgewählt haben, ist so erkennbar außerstande zur Konspiration, daß man sich nur fragt, was seine Vorgesetzten in ihm sehen. Schon im allerersten Absatz des Romans, der seine Mission schildert, ist von Bob Dollars "hellen, unschuldigen Augen" die Rede, und als er nach einigen Irrwegen seinen Einsatzort erreicht hat, fliegt seine Tarnung auf, kaum daß er die ersten Worte mit der Landbevölkerung gewechselt hat.
Bob Dollars Mission stellt den Rahmen für Annie Proulx' neuen Roman "Mitten in Amerika", im Zentrum aber steht die Landschaft, die Dollar bereist, die Geschichte ihrer Besiedlung und ihrer Bewohner. Aus diesem Spannungsverhältnis gewinnt das Buch seine beträchtliche Faszination, und Annie Proulx, die in ihrem Erfolgsroman "Schiffsmeldungen" aus einer ähnlichen Konstellation heraus ein liebevolles Bild Neufundlands entworfen hat, weiß hier das Schicksal des jungen Mannes, den es in ein abgelegenes Gebiet verschlägt, noch geschickter in den Dienst der Landschaftsschilderung zu stellen.
Die Panhandle-Region, das Prärieland im Grenzgebiet von Texas und Oklahoma, gewinnt so in diesem Roman unversehens ein Eigenleben, indem die Besonderheiten von Landschaft und Klima jene Farmerfamilien, deren Mitglieder Bob Dollar begegnen, in ihrem Wesen offensichtlich tief geprägt haben: "Wie ein einsamer Baum den Blitz anzieht, zogen die Panhandle-Gebiete Weltuntergangsgewitter, Steppenbrände, höllische Nordwinde, gelbbraune Staubstürme und jedes Jahr eine Abfolge ekelhafter Tornados auf sich. Wenn nachts das Licht gelöscht war und man die Glieder zum Schlafen ausgestreckt hatte, konnte niemand mit Sicherheit wissen, ob er oder sie am nächsten Morgen aufwachen oder inmitten eines Wirbels von Metallteilen und zersplittertem Holz in den Himmel fortgetragen sein würde. Das Leben im Panhandle-Gebiet war von einem unterschwelligen Gefühl der Ungewißheit geprägt."
Dem Zerstörungswerk aus der Luft setzen die Bewohner ein Mittel der Landschaftskultivierung entgegen, das seinen Platz im gleichen Bereich findet. Überall errichten sie Windräder, um damit Wasserpumpen für die Rinderherden anzutreiben, und den Erbauern dieser weithin sichtbaren Türme gilt erkennbar die besondere Liebe der Autorin. Als sich am Ende doch noch eine Lösung für die durch Abwanderung und Bodenspekulation bedrohte Schönheit der Region andeutet, ist diese märchenhafte Wendung der jahrzehntelangen Arbeit eines passionierten Windradkonstrukteurs geschuldet.
Die Geschichten, die Bob Dollar von ganz unterschiedlichen, meist älteren Siedlern hört, erzählen von Aufbau und Wirschaftskrisen, von Viehtransporten, märchenhaftem Reichtum und kollektivem Elend, vom Schatten, den die Ereignisse der großen Welt auf diesen zuletzt besiedelten Winkel von Texas werfen. Nicht alle sind wahr, einige ganz offensichtlich aus Versatzstücken zusammengefügt, und daß es eher auf das Panorama als auf das Detail ankommt, wird rasch deutlich - nicht zufällig gerät der heimliche Agent der Schweinezüchter einmal an einen Zirkel älterer Damen, die zusammen an großformatigen gestickten Bildern arbeiten. In dieser Lesart ist die Überlieferung von Vergangenem ebenso ein Gemeinschaftswerk wie die Kultivierung der Landschaft, und weil Proulx dabei niemals in die Gefahr gerät, ihren Gegenstand zu verklären, hält ihr Lied von der Panhandle-Region den Leser bis zuletzt ebenso in Atem wie die Geschichten der alten Damen den jungen Besucher.
Denn auch Bob Dollar merkt rasch, daß er in ein sehr spezielles Gebiet geraten ist, in dem es Fremde nicht leicht haben, wenn sie die ungeschriebenen Gesetze dieser Gesellschaft nicht rasch erkennen und beachten: "Knorrige alte Rancher, die am Stickrahmen arbeiteten, alkoholische Zwillingsschwestern in vorgerücktem Alter oder der Mann, der in seiner Garage eine Lokomotive in Originalgröße zusammenbaute, der Rancher, der eine Kopie von Stonehenge in halber Größe errichtete; Mrs. Splawn, die den Dee-Tex-Metalldetektor ihres Mannes geerbt hatte und damit am Straßenrand nach Münzen und Verlobungsringen suchte, die gehässige, heißblütige texanische Mädchen weggeworfen hatten, wurden nicht etwa toleriert, sondern bewundert. Aber dunkle Haut, ungewohnte Sprachfärbung und Manifestationen von Homosexualität oder unverhülltem Liberalismus kamen nicht in Frage."
Daß die amerikanische Autorin es - anders als in "Schiffsmeldungen" - hier vermeidet, ihrem von der Welt beschädigten Helden in der Provinz eine neue Heimat zu bescheren, ist für ihren Roman ein Gewinn und völlig konsequent. Denn so unterläuft sie nicht die ganz und gar antiromantische Haltung des Buchs. "Mitten in Amerika" beschreibt einen Landstrich mit Akribie, Anteilnahme und literarischer Raffinesse, nur um mit jedem neuen Kapitel die Fremdheit des Gebiets zu betonen, die Eigengesetzlichkeit: die Würde, die aus Unzugänglichkeit erwächst.
Annie Proulx: "Mitten in Amerika". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 510 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Herzen des Landes herrschen die Schweine: Annie Proulx entdeckt unbekannte Seiten der amerikanischen Prärie
Manche Konstellationen tragen von Anfang an das Vorzeichen des künftigen Scheiterns unübersehbar auf der Stirn. Wer ihnen beim Entstehen zusieht, kann es nicht fassen, daß auch nur einer der Beteiligten an den Erfolg des Unternehmens glaubt. Da schickt ein Schweinemastkonzern aus Colorado einen Angestellten nach Texas, damit der heimlich auskundschaftet, wo sich Landbesitzer zum Verkauf ihrer Grundstücke bereit finden könnten - heimlich deshalb, weil Agenten, die dem Bau von pestilenzartig stinkenden Mastbetrieben Vorschub leisten, gewöhnlich keinen leichten Stand haben. Doch der junge Mann, den die Konzernbosse für diese Aufgabe ausgewählt haben, ist so erkennbar außerstande zur Konspiration, daß man sich nur fragt, was seine Vorgesetzten in ihm sehen. Schon im allerersten Absatz des Romans, der seine Mission schildert, ist von Bob Dollars "hellen, unschuldigen Augen" die Rede, und als er nach einigen Irrwegen seinen Einsatzort erreicht hat, fliegt seine Tarnung auf, kaum daß er die ersten Worte mit der Landbevölkerung gewechselt hat.
Bob Dollars Mission stellt den Rahmen für Annie Proulx' neuen Roman "Mitten in Amerika", im Zentrum aber steht die Landschaft, die Dollar bereist, die Geschichte ihrer Besiedlung und ihrer Bewohner. Aus diesem Spannungsverhältnis gewinnt das Buch seine beträchtliche Faszination, und Annie Proulx, die in ihrem Erfolgsroman "Schiffsmeldungen" aus einer ähnlichen Konstellation heraus ein liebevolles Bild Neufundlands entworfen hat, weiß hier das Schicksal des jungen Mannes, den es in ein abgelegenes Gebiet verschlägt, noch geschickter in den Dienst der Landschaftsschilderung zu stellen.
Die Panhandle-Region, das Prärieland im Grenzgebiet von Texas und Oklahoma, gewinnt so in diesem Roman unversehens ein Eigenleben, indem die Besonderheiten von Landschaft und Klima jene Farmerfamilien, deren Mitglieder Bob Dollar begegnen, in ihrem Wesen offensichtlich tief geprägt haben: "Wie ein einsamer Baum den Blitz anzieht, zogen die Panhandle-Gebiete Weltuntergangsgewitter, Steppenbrände, höllische Nordwinde, gelbbraune Staubstürme und jedes Jahr eine Abfolge ekelhafter Tornados auf sich. Wenn nachts das Licht gelöscht war und man die Glieder zum Schlafen ausgestreckt hatte, konnte niemand mit Sicherheit wissen, ob er oder sie am nächsten Morgen aufwachen oder inmitten eines Wirbels von Metallteilen und zersplittertem Holz in den Himmel fortgetragen sein würde. Das Leben im Panhandle-Gebiet war von einem unterschwelligen Gefühl der Ungewißheit geprägt."
Dem Zerstörungswerk aus der Luft setzen die Bewohner ein Mittel der Landschaftskultivierung entgegen, das seinen Platz im gleichen Bereich findet. Überall errichten sie Windräder, um damit Wasserpumpen für die Rinderherden anzutreiben, und den Erbauern dieser weithin sichtbaren Türme gilt erkennbar die besondere Liebe der Autorin. Als sich am Ende doch noch eine Lösung für die durch Abwanderung und Bodenspekulation bedrohte Schönheit der Region andeutet, ist diese märchenhafte Wendung der jahrzehntelangen Arbeit eines passionierten Windradkonstrukteurs geschuldet.
Die Geschichten, die Bob Dollar von ganz unterschiedlichen, meist älteren Siedlern hört, erzählen von Aufbau und Wirschaftskrisen, von Viehtransporten, märchenhaftem Reichtum und kollektivem Elend, vom Schatten, den die Ereignisse der großen Welt auf diesen zuletzt besiedelten Winkel von Texas werfen. Nicht alle sind wahr, einige ganz offensichtlich aus Versatzstücken zusammengefügt, und daß es eher auf das Panorama als auf das Detail ankommt, wird rasch deutlich - nicht zufällig gerät der heimliche Agent der Schweinezüchter einmal an einen Zirkel älterer Damen, die zusammen an großformatigen gestickten Bildern arbeiten. In dieser Lesart ist die Überlieferung von Vergangenem ebenso ein Gemeinschaftswerk wie die Kultivierung der Landschaft, und weil Proulx dabei niemals in die Gefahr gerät, ihren Gegenstand zu verklären, hält ihr Lied von der Panhandle-Region den Leser bis zuletzt ebenso in Atem wie die Geschichten der alten Damen den jungen Besucher.
Denn auch Bob Dollar merkt rasch, daß er in ein sehr spezielles Gebiet geraten ist, in dem es Fremde nicht leicht haben, wenn sie die ungeschriebenen Gesetze dieser Gesellschaft nicht rasch erkennen und beachten: "Knorrige alte Rancher, die am Stickrahmen arbeiteten, alkoholische Zwillingsschwestern in vorgerücktem Alter oder der Mann, der in seiner Garage eine Lokomotive in Originalgröße zusammenbaute, der Rancher, der eine Kopie von Stonehenge in halber Größe errichtete; Mrs. Splawn, die den Dee-Tex-Metalldetektor ihres Mannes geerbt hatte und damit am Straßenrand nach Münzen und Verlobungsringen suchte, die gehässige, heißblütige texanische Mädchen weggeworfen hatten, wurden nicht etwa toleriert, sondern bewundert. Aber dunkle Haut, ungewohnte Sprachfärbung und Manifestationen von Homosexualität oder unverhülltem Liberalismus kamen nicht in Frage."
Daß die amerikanische Autorin es - anders als in "Schiffsmeldungen" - hier vermeidet, ihrem von der Welt beschädigten Helden in der Provinz eine neue Heimat zu bescheren, ist für ihren Roman ein Gewinn und völlig konsequent. Denn so unterläuft sie nicht die ganz und gar antiromantische Haltung des Buchs. "Mitten in Amerika" beschreibt einen Landstrich mit Akribie, Anteilnahme und literarischer Raffinesse, nur um mit jedem neuen Kapitel die Fremdheit des Gebiets zu betonen, die Eigengesetzlichkeit: die Würde, die aus Unzugänglichkeit erwächst.
Annie Proulx: "Mitten in Amerika". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 510 S., geb., 25,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ulrich Baron hat diesen Roman, der im sogenannten "Panhandle" im texanischen Hinterland spielt und wo die Hauptfigur Bob Dollar Land für einen Schweinemastbetrieb ausfindig machen soll, gern gelesen. Die Rahmenhandlung bezeichnet er zwar als "Pferdefuß", denn so ganz überzeugend findet er die Tätigkeit von Dollar nicht und er meint, dass der Protagonist mit seinem derart ausgeprägten Interesse für Historisches von der amerikanischen Autorin lieber gleich als "Lokalhistoriker" hätte konzipieren werden sollen. Diesen kritischen Einwurf aus dem Weg geschafft, lobt der Rezensent das Buch aber als "unterhaltsames Beispiel" für Literatur aus dem "ländlichen Amerika" und er hat sich nicht zuletzt über die Schilderung dessen äußerst skurriler Bewohner amüsiert. Dabei komme Proulx aber immer wieder aufs "Wesentliche" zurück, nämlich auf die Zerstörungen durch das Neue, in diesem Falle die Zerstörung der traditionellen Viehwirtschaft durch moderne Schweinemastbetriebe, betont der Rezensent gefesselt. Über das Happy End am Ende wundert sich Baron zwar ein bisschen und er tadelt Proulx deswegen als "harmoniesüchtig", doch den Roman hat er trotzdem mit Vergnügen gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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