Herkunft, das meint, wie wir darüber sprechen, wer man wird, indem man erfindet, wer man war, um zu werden, was man nicht sein muß, sondern kann.Was bedeutet »zuhause«, wenn man einmal - vertrieben oder freiwillig - fortgegangen ist, um dann, als Fremder, in der heimlich unheimlichen Spannung dessen zu kreiseln, was »Heimat« war? Herkunft ist das Thema dieses Buches. Da alles, was für uns Welt ist, im Raster der Sprache erscheint, im Glanz ihrer Metaphern und Irreschein ihrer Idiome, handelt der Text davon, wie Herkunft nicht nur erfunden wurde, um Geschichten zu erzählen, sondern selbst Geschichte ist.Nachgehört wird der Reibung zwischen der Zeugung von Körpern und dem Zeugnisgeben in Sprache. Nachgeschrieben dem Entstehungsprozess eines literarischen Textes. Nachgegangen der Spannung zwischen dem, was wir Wirklichkeit nennen, und dem, was Fiktion heißt. Die Ideen Heimkehr, Zuhause und Heimat sind künstliche und kunstvoll gebaute kulturelle Konstrukte. Zahlreiche Beispiele aus der Literaturgeschichte und aus Ulrike Draesners Werk veranschaulichen dies, bis die Autorin schließlich, zum ersten Mal, ein Stück ihrer eigenen »Heimatgeschichte« in all seiner Ambivalenz erzählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2007Heimatlos
Ulrike Draesner unterscheidet zwischen Mensch und Biene
"O mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern ruhten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht?" Kein Globalisierungsgegner unserer Tage, sondern ein Romantiker der alten Schule stöhnt hier auf angesichts eines ungewiss werdenden Begriffs von Heimat: Achim von Arnims Sorge, dass die Wegmarken der eigenen Herkunft im "Wirbelwind des Neuen" verlorengingen, fand in den seither vergangenen zwei Jahrhunderten keinen befriedigenden Trost.
Kaum einer hat ihn so vehement spenden wollen wie Ludwig Ganghofer, dessen Hochlandromane in Blut-und-Boden-Verdacht gerieten und bleischwer in der deutschen Literaturgeschichte liegengeblieben sind. In den sechziger Jahren sollte sein Geist mit "Anti-Heimat-Romanen" ausgetrieben werden, die aber so monoton gerieten, dass der Markt schon in den achtziger Jahren wieder anfällig wurde für rurale Kitschlektüren. In letzter Zeit ist das Thema zum Gegenstand einer vielfältigen Entkrampfungspublizistik geworden.
Nun hat sich auch Ulrike Draesner in ihren Bamberger Poetik-Vorlesungen des Problems einer Verortung von Identität angenommen und es aus der Sicht der Dichterin reflektiert: "Literatur verhandelt, als wen oder was wir uns sprechend erfinden." Mit dieser Prämisse erklärt sie die Frage nach Heimat zum anthropologischen wie narrativen Grundmotiv: Herkunft, so Draesner, ist stets sprachlich verfasst, ist "immer Erzählung". Das unterscheide uns von den Bienen, die ihre Zugehörigkeit zu einem Stock per Geruchssinn erfassen könnten.
So nüchtern und naturwissenschaftlich das klingt, so persönlich werden Draesners Überlegungen, wenn es um das spezifische Heimaterlebnis ihrer Generation geht. In den Erzählungen der Großeltern sei Heimat als klar umrissener Begriff mit der traumatischen Erfahrung von Flucht und Vertreibung assoziiert gewesen, während sie die eigene Lokalisierung immer nur ex negativo vornehmen konnte: Weder der Osten der familiären Vergangenheit noch der Katholizismus ihrer Gegenwart schienen etwas mit ihrer Persönlichkeit zu tun zu haben.
Aus Gefühlen der Unbehaustheit heraus hat sich vor allem in der Dichtung des Exils, wie etwa bei Nelly Sachs, der Topos von der Sprache als Heimat herausgebildet. Doch der scheint Draesner nicht einleuchten zu wollen. Im Gegenteil: Als Poeta doctus hat sie so viel Deleuze, Foucault, Sloterdijk, Luhmann, Link und Assmann gelesen und so viel über modernes Nomadentum, "Wirklichkeitskurven", Beobachtung, Gedächtnis, Gentechnik und Hirnforschung erfahren, dass ihr vor lauter Unruhe der Erkenntnissuche allenfalls Wortspiele und Metaphern ein gedankliches Zuhause bescheren, aber eben immer nur für kurze Zeit.
Als Interpretin ihres eigenen Werks enthüllt sie motivische "GeHEIMnisse" eines Textes, als Autobiographin erinnert sie sich an die inspirierende Kraft von Lamaspucke, und als Philologin erklärt sie Odysseus zum Vorbild. Das wirkt bei aller intellektuellen Anregung so gehetzt, als wollte sie allen Arnim-Anhängern klarmachen: Eure alten Bäume sind längst zu Pressspanplatten verarbeitet worden. Das ist gleichwohl mehr als eine Ikea-Poetik.
ROMAN LUCKSCHEITER
Ulrike Draesner: "Zauber im Zoo". Vier Reden von Herkunft und Literatur. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 111 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrike Draesner unterscheidet zwischen Mensch und Biene
"O mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern ruhten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht?" Kein Globalisierungsgegner unserer Tage, sondern ein Romantiker der alten Schule stöhnt hier auf angesichts eines ungewiss werdenden Begriffs von Heimat: Achim von Arnims Sorge, dass die Wegmarken der eigenen Herkunft im "Wirbelwind des Neuen" verlorengingen, fand in den seither vergangenen zwei Jahrhunderten keinen befriedigenden Trost.
Kaum einer hat ihn so vehement spenden wollen wie Ludwig Ganghofer, dessen Hochlandromane in Blut-und-Boden-Verdacht gerieten und bleischwer in der deutschen Literaturgeschichte liegengeblieben sind. In den sechziger Jahren sollte sein Geist mit "Anti-Heimat-Romanen" ausgetrieben werden, die aber so monoton gerieten, dass der Markt schon in den achtziger Jahren wieder anfällig wurde für rurale Kitschlektüren. In letzter Zeit ist das Thema zum Gegenstand einer vielfältigen Entkrampfungspublizistik geworden.
Nun hat sich auch Ulrike Draesner in ihren Bamberger Poetik-Vorlesungen des Problems einer Verortung von Identität angenommen und es aus der Sicht der Dichterin reflektiert: "Literatur verhandelt, als wen oder was wir uns sprechend erfinden." Mit dieser Prämisse erklärt sie die Frage nach Heimat zum anthropologischen wie narrativen Grundmotiv: Herkunft, so Draesner, ist stets sprachlich verfasst, ist "immer Erzählung". Das unterscheide uns von den Bienen, die ihre Zugehörigkeit zu einem Stock per Geruchssinn erfassen könnten.
So nüchtern und naturwissenschaftlich das klingt, so persönlich werden Draesners Überlegungen, wenn es um das spezifische Heimaterlebnis ihrer Generation geht. In den Erzählungen der Großeltern sei Heimat als klar umrissener Begriff mit der traumatischen Erfahrung von Flucht und Vertreibung assoziiert gewesen, während sie die eigene Lokalisierung immer nur ex negativo vornehmen konnte: Weder der Osten der familiären Vergangenheit noch der Katholizismus ihrer Gegenwart schienen etwas mit ihrer Persönlichkeit zu tun zu haben.
Aus Gefühlen der Unbehaustheit heraus hat sich vor allem in der Dichtung des Exils, wie etwa bei Nelly Sachs, der Topos von der Sprache als Heimat herausgebildet. Doch der scheint Draesner nicht einleuchten zu wollen. Im Gegenteil: Als Poeta doctus hat sie so viel Deleuze, Foucault, Sloterdijk, Luhmann, Link und Assmann gelesen und so viel über modernes Nomadentum, "Wirklichkeitskurven", Beobachtung, Gedächtnis, Gentechnik und Hirnforschung erfahren, dass ihr vor lauter Unruhe der Erkenntnissuche allenfalls Wortspiele und Metaphern ein gedankliches Zuhause bescheren, aber eben immer nur für kurze Zeit.
Als Interpretin ihres eigenen Werks enthüllt sie motivische "GeHEIMnisse" eines Textes, als Autobiographin erinnert sie sich an die inspirierende Kraft von Lamaspucke, und als Philologin erklärt sie Odysseus zum Vorbild. Das wirkt bei aller intellektuellen Anregung so gehetzt, als wollte sie allen Arnim-Anhängern klarmachen: Eure alten Bäume sind längst zu Pressspanplatten verarbeitet worden. Das ist gleichwohl mehr als eine Ikea-Poetik.
ROMAN LUCKSCHEITER
Ulrike Draesner: "Zauber im Zoo". Vier Reden von Herkunft und Literatur. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 111 S., br., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In ihren Bamberger Poetikvorlesungen setzt sich Ulrike Draesner, wie Rezensent Roman Luckscheiter erklärt, kritisch mit der Frage auseinander, wie sich Heimat verorten lasse. Kurz umreißt Luckscheiter - von Achim von Arnim über Ludwig Ganghofer bis zur neueren "Entkrampfungspublizistik" - die bisherigen Versuche der Literatur an, Heimat zu bestimmen, um dann auf Draesners Überlegungen einzugehen. Demach ist für die Autorin Herkunft nicht Blut oder Boden, sondern "immer Erzählung", wobei die Suche nach der Heimat eine "anthropologische" und erzählerische Konstante sei. Doch, baut Luckscheiter etwaigen Einwänden vor, belasse es Draesner nicht bei dieser trockenen Erklärung, sondern verbinde diese mit ihren persönlichen Erfahrungen und einschlägigen Lektüreerlebnissen. Seine selbst recht komprimierte Besprechung beschließt Luckscheiter mit der milden Kritik, dass Draesners durchaus "anregende" Vorlesungen in ihrer Auseinandersetzung mit etwaig verbliebenen Arnim-Anhängern oder Baum-Beschwörern ein wenig gehetzt wirkten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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