Im braunen Netzwerk sitzen viele "Spinnen" - eine davon ist Gudrun Burwitz, die Tochter des früheren Reichsführers SS, Heinrich Himmler. Sie spielt in der "Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte", einer als Amnesty International für braune Kameraden getarnten Nazi-Organisation, eine zentrale Rolle. Dem SS-Schwur "Meine Ehre heißt Treue" folgend, hält der Verein Kontakt zu untergetauchten Nazis und ist sofort mit Anwälten zur Stelle, wenn irgendwo auf der Welt einem NS-Kriegsverbrecher der Prozeß gemacht werden soll. Für ihre Arbeit kann die Himmler-Tochter auf ein Heer von SS-Veteranen und Altnazis zählen. Oliver Schröm und Andrea Röpke widmen sich der Geschichte der "Stillen Hilfe". Sie zeigen, in welchen Fällen und mit welchen Mitteln weltweit gesuchten Kriegsverbrechern wie Klaus Barbie, dem "Schlächter von Lyon", die Flucht ermöglicht wurde. Gestützt auf bislang unveröffentlichtes Material, können Fluchtrouten nachgezeichnet und dabei die Rollen diverser Geheimdienste , von Waffenschiebern und Wirtschaftsbossen beleuchtet werden. Im Mittelpunkt stehen die heutigen Aktivitäten der "Stillen Hilfe". Sie hat vielfältige Verbindungen zum rechtsextremen Nachwuchs, unterstützt ihn finanziell und hilft, internationale Kontakte zu knüpfen. Den Autoren, die sich immer wieder in heimliche Treffs und Veranstaltungen der rechten Szene eingeschlichen haben, ist ein brisanter Inside-Report gelungen, der den Brückenschlag zwischen Alt- und Neonazis offenlegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2002Reichsheinis Gudrun
Wie sich Neonazis am Vorbild der Altnazis orientieren
Oliver Schröm: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis. Unter Mitarbeit von Andrea Röpke. Ch. Links Verlag, Berlin 2001. 213 Seiten, 15,50 Euro.
Sie sind engagierte Autoren, spezialisiert auf Rechtsextremismus und politische Skandale: Oliver Schröm und Andrea Röpke, die Verfasser des vorliegenden Inside-Reports. Ihre Recherchen galten diesmal dem am 15. November 1951 gegründeten und beim Amtsgericht Rotenburg/Wümme registrierten Verein "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e. V.", der es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu Haftstrafen verurteilte NS-Täter in ideeller und materieller Weise zu unterstützen.
Das Buch bringt zahlreiche Beispiele dafür, wie der Verein, der sogar bis 1994 den Gemeinnützigkeitsstatus besaß, in den fünfziger Jahren schwerbelasteten Funktionsträgern und Schergen zur Flucht in den Nahen Osten oder nach Argentinien verhalf, wie die Hilfe für Inhaftierte oder Untergetauchte stets mit einer Rechtfertigung des nationalsozialistischen Systems verbunden war und wie der Verein das Muster für die heutige Neonazi-Szene ist. Insbesondere die für die Betreuung von jetzigen rechtsextremen Kriminellen geschaffene "Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige" nahm sich den "Stille Hilfe"-Verein zum Vorbild. Dessen Vernetzung mit unverbesserlichen Altnazis in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie auch mit den Nachgeborenen derselben Gesinnung wird faktenreich dargestellt.
Besonders wichtig erscheint der Hinweis auf jene neuheidnischen Fanatiker, die gemäß der Parole "Odin statt Jesus" eine militante Haltung gegenüber den christlichen Kirchen - und ebenso gegenüber den anderen abrahamitischen Religionen Judentum und Islam - einnehmen und vor keinem Verbrechen zurückschrecken. Die Verfasser konnten unerkannt an einem SS-Kameradschaftstreffen in Krumpendorf bei Klagenfurt teilnehmen und dort miterleben, wie Gudrun Burwitz, dem geistigen Vermächtnis des Vaters verpflichtete Heinrich-Himmler-Tochter und Ikone des "Stille Hilfe"-Vereins, mehrere ehemalige SS-Führer begrüßte und in einer Art Audienz empfing.
Schröm und Röpke unterscheiden bedauerlicherweise nicht immer deutlich zwischen Anhängern des Nationalsozialismus und denen, die sich mißbrauchen ließen. Wenn sich der württembergische Altbischof Theophil Wurm und der Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler zu Beginn der fünfziger Jahre gemeinsam mit SS-Männern in den Vorstand des Vereins wählen ließen, so war das gewiß ein Ärgernis. Dabei sollten aber Wurms Rolle als "Wortführer der zum Widerstand entschlossenen evangelischen Kirche" (so der Historiker Walther Hofer) während des "Dritten Reiches" und die Dachauer KZ-Haft des katholischen Amtsbruders Neuhäusler nicht in Vergessenheit geraten.
Mögen auch die früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und Franz Josef Strauß wie der ehemalige CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger allzuviel Verständnis für die "Lobbyarbeit" und die Gnadengesuche der "Stillen Hilfe" gezeigt haben, so berechtigt das trotzdem nicht zu der Feststellung: "Führende Unionspolitiker haben gemeinsam mit SS-Veteranenvereinen . . . für die gleichen Ziele gefochten . . ."
GISELHER SCHMIDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie sich Neonazis am Vorbild der Altnazis orientieren
Oliver Schröm: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis. Unter Mitarbeit von Andrea Röpke. Ch. Links Verlag, Berlin 2001. 213 Seiten, 15,50 Euro.
Sie sind engagierte Autoren, spezialisiert auf Rechtsextremismus und politische Skandale: Oliver Schröm und Andrea Röpke, die Verfasser des vorliegenden Inside-Reports. Ihre Recherchen galten diesmal dem am 15. November 1951 gegründeten und beim Amtsgericht Rotenburg/Wümme registrierten Verein "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e. V.", der es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu Haftstrafen verurteilte NS-Täter in ideeller und materieller Weise zu unterstützen.
Das Buch bringt zahlreiche Beispiele dafür, wie der Verein, der sogar bis 1994 den Gemeinnützigkeitsstatus besaß, in den fünfziger Jahren schwerbelasteten Funktionsträgern und Schergen zur Flucht in den Nahen Osten oder nach Argentinien verhalf, wie die Hilfe für Inhaftierte oder Untergetauchte stets mit einer Rechtfertigung des nationalsozialistischen Systems verbunden war und wie der Verein das Muster für die heutige Neonazi-Szene ist. Insbesondere die für die Betreuung von jetzigen rechtsextremen Kriminellen geschaffene "Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige" nahm sich den "Stille Hilfe"-Verein zum Vorbild. Dessen Vernetzung mit unverbesserlichen Altnazis in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie auch mit den Nachgeborenen derselben Gesinnung wird faktenreich dargestellt.
Besonders wichtig erscheint der Hinweis auf jene neuheidnischen Fanatiker, die gemäß der Parole "Odin statt Jesus" eine militante Haltung gegenüber den christlichen Kirchen - und ebenso gegenüber den anderen abrahamitischen Religionen Judentum und Islam - einnehmen und vor keinem Verbrechen zurückschrecken. Die Verfasser konnten unerkannt an einem SS-Kameradschaftstreffen in Krumpendorf bei Klagenfurt teilnehmen und dort miterleben, wie Gudrun Burwitz, dem geistigen Vermächtnis des Vaters verpflichtete Heinrich-Himmler-Tochter und Ikone des "Stille Hilfe"-Vereins, mehrere ehemalige SS-Führer begrüßte und in einer Art Audienz empfing.
Schröm und Röpke unterscheiden bedauerlicherweise nicht immer deutlich zwischen Anhängern des Nationalsozialismus und denen, die sich mißbrauchen ließen. Wenn sich der württembergische Altbischof Theophil Wurm und der Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler zu Beginn der fünfziger Jahre gemeinsam mit SS-Männern in den Vorstand des Vereins wählen ließen, so war das gewiß ein Ärgernis. Dabei sollten aber Wurms Rolle als "Wortführer der zum Widerstand entschlossenen evangelischen Kirche" (so der Historiker Walther Hofer) während des "Dritten Reiches" und die Dachauer KZ-Haft des katholischen Amtsbruders Neuhäusler nicht in Vergessenheit geraten.
Mögen auch die früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und Franz Josef Strauß wie der ehemalige CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger allzuviel Verständnis für die "Lobbyarbeit" und die Gnadengesuche der "Stillen Hilfe" gezeigt haben, so berechtigt das trotzdem nicht zu der Feststellung: "Führende Unionspolitiker haben gemeinsam mit SS-Veteranenvereinen . . . für die gleichen Ziele gefochten . . ."
GISELHER SCHMIDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.06.2001Hilfe für eine braune Sache
Ein Verein von Alt-Nazis nimmt sich der Sache alter Nazis an und erleichtert ihnen das Leben
OLIVER SCHRÖM, ANDREA RÖPKE: Stille Hilfe für braune Kameraden; Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis, Ch. Links Verlag, Berlin 2001. 213 Seiten, 29,80 Mark.
Da meldete sich ein armer Mensch per Post: „Ich bin in einer furchtbaren Lage”, schrieb er, „habe keinen Rechtsschutz und bin im Falle eines Prozesses nicht haftfähig.” Schrecklich sei auch seine Wohnsituation: Der alte Herr, immerhin schon Mitte siebzig, lebe „in einem Wohnheim für Homosexuelle und Penner”, klagte er. „Ich bitte Sie, mir zu helfen, da ich mittellos bin.”
Dem Mann wurde geholfen. Gudrun Burwitz lautet der Name seines guten Sterns. Sie sorgte dafür, dass Anton Malloth in ein ruhiges Altersheim in München umziehen und dort jahrelang unbehelligt leben konnte, pikanterweise auf Kosten des Sozialamtes. Denn Anton Malloth ist nicht irgendjemand: Er war unter den Nazis SS-Aufseher in Theresienstadt. Nach jahrzehntelangen Ermittlungen wurde ihm am Landgericht München der Prozess gemacht, der in der vergangenen Woche zu Ende ging. Das Urteil: lebenslang.
Auch Gudrun Burwitz ist alles andere als eine mildtätige Seele. Die Tochter von Heinrich Himmler hat immer treu zu ihrem Vater gehalten und war jahrzehntelang eine der tragenden Säulen des Vereins „Stille Hilfe für Internierte und Kriegsgefangene e.V.”
Abrechnung nach dem Krieg
Wie Anton Malloth so viele Jahre der gerechten Strafe entkommen konnte und wie der Journalist Peter Finkelgruen sich an seine Fersen heftete, das war in den letzten Monaten immer wieder Thema in der Presse. Ausführlich nachzulesen ist die ganze Geschichte in dem nun erschienen Band von Oliver Schröm und Andrea Röpke. Es ist ein unglaublich spannend geschriebenes Buch; geschickt verknüpfen die Autoren Vergangenheit und Gegenwart, blenden Ereignisse übereinander und liefern so weit mehr als das aktuelle Buch zum Prozess: Der Band ist eine Generalabrechnung mit der in diesem Land seit Kriegsende geduldeten Hilfe für alte und junge Nazis, wie es sie bisher auf dem deutschen Büchermarkt nicht gab. Roter Faden des Buches ist neben der Verfolgung von Anton Malloth die Geschichte der „Stillen Hilfe e.V.”
Gegründet wurde der Verein am 15. November 1951 durch die Eintragung in das Vereinsregister Wolfratshausen. Hochrangige ehemalige SS-Offiziere und Würdenträger der beiden Kirchen, darunter auch der Münchener Weihbischof Johannes Neuhäusler, hatten sich zusammengeschlossen, um in „stiller tätiger Hilfe allen denjenigen zu helfen, die infolge der Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit durch Gefangennahme, Internierung oder ähnliche, von ihnen persönlich nicht zu vertretende Umstände ihre Freiheit verloren”, wie es in der Satzung hieß. Spenden zur Unterstützung der Arbeit des als gemeinnützig anerkannten Vereins waren selbstverständlich von der Steuer absetzbar.
Erich Priebke, Josef Schwammberger oder Herbert Kappler sowie andere Altnazis, die in Deutschland oder anderen Ländern vor Gericht standen, kamen in den Genuss der Stillen Hilfe: „Bei Herrn Priebke ist alles in Ordnung”, teilte Gudrun Burwitz ihren Vereinsfreunden Anfang 1997 in einem Rundbrief mit. Das Urteil für einen der Verantwortlichen am Massaker in den Adreatinischen Höhlen im März 1944 konnte sie nicht verhindern: Priebke wurde sechs Monate später zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Seit mehr als zehn Jahren recherchiert Andrea Röpke zum Thema „Stille Hilfe”. Zusammen mit ihrem Fotografen trat sie als Pärchen auf, sie nahm an heimlichen Treffen und Vereinssitzungen teil und sie stand auf dem Verteiler der Vereinsrundschreiben. „Der Blick hinter die Kulissen”, so berichtet sie, sei so beängstigend wie spannend gewesen. Als Frau wurde sie von den Männern oft nicht ganz für voll genommen – anders als im Gespräch mit den Geschlechtsgenossinnen: Hier musste die Undercoverjournalistin häufig viel mehr Energie aufwenden, um Skepsis und Misstrauen zu überwinden.
Mittlerweile ist die Deckung durch verschiedene Veröffentlichungen aufgeflogen. Fazit ihrer Recherche: „Die Stille Hilfe hat eine gute Vorarbeit geleistet. Ohne sie wäre die aktuelle Neonaziszenerie weniger einflussreich, als sie es ist.”
Und genau hier liegt der eigentliche Skandal, den das Buch aufdeckt. Dass Altnazis Sympathien für Altnazis haben und ihnen helfen, das ist so unerfreulich wie bekannt. Wirklich unerträglich ist, dass diese Art der Hilfe seit Jahrzehnten mehr oder weniger bekannt war und bekannt ist – und trotzdem kaum etwas geschieht. 1993 startete der SPD-Abgeordnete Siegfried Vergin eine Aktion, mit der er versuchte, der Stillen Hilfe zumindest die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen (was dann einige Zeit später auch gelang). Vorher jedoch erhielt Vergin als Antwort auf seine Initiative einen Brief des CSU- Staatssekretärs Eduard Lintner. Darin stand, die Bundesregierung sei der Meinung, dass die Stille Hilfe „derzeit keine rechtsextremistische Bestrebungen verfolge” – eine grobe Verharmlosung der politischen Realität.
Wie das Buch zeigt, hatte und hat die Stille Hilfe viele Sympathisanten – in der Politik wie in der Justiz. Die Autoren nennen Namen: Von Politikern wie Manfred Dregger, Prinz Casimir zu Sayn-Wittgenstein, Otto von Habsburg und Franz-Josef Strauß und von Staats- und Rechtsanwälten wie dem Münchener Klaus Goebel oder dem Hamburger Jürgen Rieger.
Verschleppte Ermittlungen
Wut und Hilflosigkeit ruft diese Lektüre hervor. Wut darüber, dass ein Mann wie der Dortmunder Staatsanwalt Klaus Schacht, der jahrzehntelang die Ermittlungen gegen Anton Malloth verschleppte, heute ungestört seine Pension genießt, während viele Opfer der Nazis noch auf Entschädigung warten; Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass alte wie junge Nazis so ungestraft in diesem Land agieren und ihre Netzwerke knüpfen können. Eine Hilflosigkeit, die auch die Autoren bei ihrer Arbeit ergriffen hat: „Was”, so lautet der letzte Satz des Buches, „muss eigentlich noch geschehen, bis die Behörden endlich aktiv werden und auf breiter Front gegen derartige Organisationen vorgehen?”
DOROTHEE HEINTZE
Die Rezensentin ist Historikerin und Journalistin in Hamburg.
Gudrun Burwitz, die Tochter Heinrich Himmlers.
Foto: Harry Velchich
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Ein Verein von Alt-Nazis nimmt sich der Sache alter Nazis an und erleichtert ihnen das Leben
OLIVER SCHRÖM, ANDREA RÖPKE: Stille Hilfe für braune Kameraden; Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis, Ch. Links Verlag, Berlin 2001. 213 Seiten, 29,80 Mark.
Da meldete sich ein armer Mensch per Post: „Ich bin in einer furchtbaren Lage”, schrieb er, „habe keinen Rechtsschutz und bin im Falle eines Prozesses nicht haftfähig.” Schrecklich sei auch seine Wohnsituation: Der alte Herr, immerhin schon Mitte siebzig, lebe „in einem Wohnheim für Homosexuelle und Penner”, klagte er. „Ich bitte Sie, mir zu helfen, da ich mittellos bin.”
Dem Mann wurde geholfen. Gudrun Burwitz lautet der Name seines guten Sterns. Sie sorgte dafür, dass Anton Malloth in ein ruhiges Altersheim in München umziehen und dort jahrelang unbehelligt leben konnte, pikanterweise auf Kosten des Sozialamtes. Denn Anton Malloth ist nicht irgendjemand: Er war unter den Nazis SS-Aufseher in Theresienstadt. Nach jahrzehntelangen Ermittlungen wurde ihm am Landgericht München der Prozess gemacht, der in der vergangenen Woche zu Ende ging. Das Urteil: lebenslang.
Auch Gudrun Burwitz ist alles andere als eine mildtätige Seele. Die Tochter von Heinrich Himmler hat immer treu zu ihrem Vater gehalten und war jahrzehntelang eine der tragenden Säulen des Vereins „Stille Hilfe für Internierte und Kriegsgefangene e.V.”
Abrechnung nach dem Krieg
Wie Anton Malloth so viele Jahre der gerechten Strafe entkommen konnte und wie der Journalist Peter Finkelgruen sich an seine Fersen heftete, das war in den letzten Monaten immer wieder Thema in der Presse. Ausführlich nachzulesen ist die ganze Geschichte in dem nun erschienen Band von Oliver Schröm und Andrea Röpke. Es ist ein unglaublich spannend geschriebenes Buch; geschickt verknüpfen die Autoren Vergangenheit und Gegenwart, blenden Ereignisse übereinander und liefern so weit mehr als das aktuelle Buch zum Prozess: Der Band ist eine Generalabrechnung mit der in diesem Land seit Kriegsende geduldeten Hilfe für alte und junge Nazis, wie es sie bisher auf dem deutschen Büchermarkt nicht gab. Roter Faden des Buches ist neben der Verfolgung von Anton Malloth die Geschichte der „Stillen Hilfe e.V.”
Gegründet wurde der Verein am 15. November 1951 durch die Eintragung in das Vereinsregister Wolfratshausen. Hochrangige ehemalige SS-Offiziere und Würdenträger der beiden Kirchen, darunter auch der Münchener Weihbischof Johannes Neuhäusler, hatten sich zusammengeschlossen, um in „stiller tätiger Hilfe allen denjenigen zu helfen, die infolge der Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit durch Gefangennahme, Internierung oder ähnliche, von ihnen persönlich nicht zu vertretende Umstände ihre Freiheit verloren”, wie es in der Satzung hieß. Spenden zur Unterstützung der Arbeit des als gemeinnützig anerkannten Vereins waren selbstverständlich von der Steuer absetzbar.
Erich Priebke, Josef Schwammberger oder Herbert Kappler sowie andere Altnazis, die in Deutschland oder anderen Ländern vor Gericht standen, kamen in den Genuss der Stillen Hilfe: „Bei Herrn Priebke ist alles in Ordnung”, teilte Gudrun Burwitz ihren Vereinsfreunden Anfang 1997 in einem Rundbrief mit. Das Urteil für einen der Verantwortlichen am Massaker in den Adreatinischen Höhlen im März 1944 konnte sie nicht verhindern: Priebke wurde sechs Monate später zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Seit mehr als zehn Jahren recherchiert Andrea Röpke zum Thema „Stille Hilfe”. Zusammen mit ihrem Fotografen trat sie als Pärchen auf, sie nahm an heimlichen Treffen und Vereinssitzungen teil und sie stand auf dem Verteiler der Vereinsrundschreiben. „Der Blick hinter die Kulissen”, so berichtet sie, sei so beängstigend wie spannend gewesen. Als Frau wurde sie von den Männern oft nicht ganz für voll genommen – anders als im Gespräch mit den Geschlechtsgenossinnen: Hier musste die Undercoverjournalistin häufig viel mehr Energie aufwenden, um Skepsis und Misstrauen zu überwinden.
Mittlerweile ist die Deckung durch verschiedene Veröffentlichungen aufgeflogen. Fazit ihrer Recherche: „Die Stille Hilfe hat eine gute Vorarbeit geleistet. Ohne sie wäre die aktuelle Neonaziszenerie weniger einflussreich, als sie es ist.”
Und genau hier liegt der eigentliche Skandal, den das Buch aufdeckt. Dass Altnazis Sympathien für Altnazis haben und ihnen helfen, das ist so unerfreulich wie bekannt. Wirklich unerträglich ist, dass diese Art der Hilfe seit Jahrzehnten mehr oder weniger bekannt war und bekannt ist – und trotzdem kaum etwas geschieht. 1993 startete der SPD-Abgeordnete Siegfried Vergin eine Aktion, mit der er versuchte, der Stillen Hilfe zumindest die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen (was dann einige Zeit später auch gelang). Vorher jedoch erhielt Vergin als Antwort auf seine Initiative einen Brief des CSU- Staatssekretärs Eduard Lintner. Darin stand, die Bundesregierung sei der Meinung, dass die Stille Hilfe „derzeit keine rechtsextremistische Bestrebungen verfolge” – eine grobe Verharmlosung der politischen Realität.
Wie das Buch zeigt, hatte und hat die Stille Hilfe viele Sympathisanten – in der Politik wie in der Justiz. Die Autoren nennen Namen: Von Politikern wie Manfred Dregger, Prinz Casimir zu Sayn-Wittgenstein, Otto von Habsburg und Franz-Josef Strauß und von Staats- und Rechtsanwälten wie dem Münchener Klaus Goebel oder dem Hamburger Jürgen Rieger.
Verschleppte Ermittlungen
Wut und Hilflosigkeit ruft diese Lektüre hervor. Wut darüber, dass ein Mann wie der Dortmunder Staatsanwalt Klaus Schacht, der jahrzehntelang die Ermittlungen gegen Anton Malloth verschleppte, heute ungestört seine Pension genießt, während viele Opfer der Nazis noch auf Entschädigung warten; Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass alte wie junge Nazis so ungestraft in diesem Land agieren und ihre Netzwerke knüpfen können. Eine Hilflosigkeit, die auch die Autoren bei ihrer Arbeit ergriffen hat: „Was”, so lautet der letzte Satz des Buches, „muss eigentlich noch geschehen, bis die Behörden endlich aktiv werden und auf breiter Front gegen derartige Organisationen vorgehen?”
DOROTHEE HEINTZE
Die Rezensentin ist Historikerin und Journalistin in Hamburg.
Gudrun Burwitz, die Tochter Heinrich Himmlers.
Foto: Harry Velchich
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