Vor wenigen Jahren erst ist eine moderne tibetische Literatur entstanden. Provozierend, ambivalent und mit unkonventionellen Mitteln wirft sie einen unverstellten Blick auf ein unbekanntes Tibet, das zwischen modernen und traditionellen Vorstellungen von Leben und Tod, zwischen tiefer Religiosität und Atheismus zerrissen wird. Tashi Dawa fängt die magische Vorstellungswelt ein, in seinem verblüffenden Spiel konfrontiert er die Vergangenheit mit der Gegenwart. Alais eindringliche, kritische Beschreibungen von Natur und Zivilisation führen in den Alltag der Tibeter. Sebo ironisiert und verfremdet in seinen Erzählungen, was religiösen Tibetern heilig ist. Seine Erzählungen sind als chiffrierte Herausforderung an alle Glück und Heil verheißenden Wahrheiten zu lesen.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Tibet ist weit, und entsprechend unscharf ist unsere Sicht auf die dortigen Verhältnisse. Ein Land, könnte man meinen, in dem nicht Materialismus und Konsumdenken, sondern Spiritualität das Handeln der Menschen lenkt. Dabei aber, das zeigt die Sinologin Alice Grünfelder mit ihrer literarischen Anthologie "An den Lederriemen geknotete Seele", hat Tibet auch sehr viel irdischere Seiten, ist nicht minder als der Westen aufs Erwerbsstreben fixiert. Mit Tashi Dawa, Alai und Sebo lasse Grünfelder moderne Autorenstimmen zu Wort kommen, befindet Martin Zähringer, die durch jahrelange Aufenthalte in China eine persönliche Perspektivenverschiebung durchgemacht haben - gewissermaßen in der Moderne angekommen sind. In Erzählungen vom "Übergang vom Leben in den Tod" reflektierten Dawa und Alai denn auch die Übergänge von der alten zur neuen tibetischen Kultur, diagnostiziert der Rezensent. Somit bestehe das Hauptanliegen der jungen Autoren darin, "Versöhnung und Annäherung" zu leisten -zwischen "den traditionellen Lebensformen und Denkweisen einerseits und den künstlerischen Perspektiven einer neuen Generation andererseits".
© Perlentaucher Medien GmbH
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