Enitan ist elf, als sie zum ersten Mal auf Sheri trifft. Sheri, frech und ziemlich frühreif, gefällt ihr auf Anhieb. Obwohl beide Mädchen der oberen Mittelschicht in Lagos angehören,könnten ihre Familien kaum unterschiedlicher sein. Enitans Vater ist ein angesehener Rechtsanwalt, der für Meinungsfreiheit kämpft und seine Tochter zu einer emanzipierten Frau erzieht. Sheris Vater, ein wohlhabender Muslim, hat zwei Ehefrauen und frönt den angenehmen Seiten des Lebens. Die Mädchen schlagen sehr verschiedene Wege ein. Enitan wird Rechtsanwältin und kämpft für ihre Unabhängigkeit, die attraktive Sheri lebt als Mätresse eines alten Generals im Luxus, bis sie ihn eines Tages mit einem Kochtopf zu Boden schlägt …
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2008Ich hatte eine Firma in Afrika
Zorniger Realismus: Sefi Atta gehört zu einer neuen Generation nigerianischer Autoren, die das Lebensgefühl der urbanen afrikanischen Mittelschicht ins Visier nimmt.
Zwischen hungernden Kindern und Serengeti-Parks bleibt wenig Raum für Zwischentöne in unserem Bild von Afrika. Wenn wir Europäer dorthin reisen, dann vor allem, um wilde Tiere und nicht um Menschen zu sehen. Enitan, Anwältin und Ich-Erzählerin im Romandebüt von Sefi Atta, jedenfalls hat genug von den Afrika-Klischees, die sie dazu bringen, erstaunten Engländern erklären zu müssen, dass der erste Löwe sie nicht in Afrika, sondern im Londoner Zoo anbrüllte. Nach dem Schulinternat und einem Jurastudium in England arbeitet sie als Anwältin in London, bis sie das Heimweh und der Ehrgeiz packen. Sie will zurück nach Lagos, um in die renommierte Kanzlei ihres Vaters als Teilhaberin einzutreten.
Keine leichte Entscheidung, zumal man Lagos, diesen nach Fisch und Öl stinkenden Moloch, nur schwer lieben kann. Schmutzig, laut, gefährlich, nachts versinkt die Stadt nicht selten in völliger Dunkelheit, weil in einem der ölreichsten Länder der Welt wieder einmal die Stromversorgung zusammenbricht, was nebenbei dazu führt, dass die Lebensmittel in den Gefriertruhen und Kühlschränken verderben. Vom Elend, der Armut und einem absurden Zivildienstlager, in dem Enitan mit anderen Universitätsabsolventen nach einem neuerlichen Militärputsch eine patriotische Gehirnwäsche bekommt, ganz zu schweigen. Kurz nach ihrer Ankunft trifft sie eine Freundin aus Kindertagen, was schmerzhafte Erinnerungen und Schuldgefühle weckt. Als Teenager erlebte Enitan, wie Sheri, das muslimische Nachbarsmädchen, Opfer einer Vergewaltigung wurde. Später avancierte die hübsche Sheri zur Schönheitskönigin, die ihr Land bei den Wahlen zur Miss World vertrat. Jetzt, nach dem Tod des Vaters und einem erfolglosen Erbstreit, lässt sie sich von einem korrupten Regierungsmitglied als Mätresse aushalten.
Unprätentiös und lakonisch erzählt Sefi Atta vom Leben zweier Frauen aus der jungen urbanen afrikanischen Mittelschicht, deren Träume sich kaum von denen ihrer Altersgenossen im Westen unterscheiden, nur dass das Leben in Nigeria ein gnadenlos anderes ist. Das Buch sei, sagte Atta in einem Interview, eine Studie über den Kampf mit der Macht, der in Nigeria an vielen Fronten und besonders erbittert geführt wird. Enitans Vater setzt sich ganz gegen seine Gewohnheit für politische Häftlinge ein und wird prompt selbst in eines der berüchtigten Foltergefängnisse verschleppt. Als die Tochter Kontakt zur Opposition aufnimmt, muss auch sie für eine Nacht in eine der übelriechenden, feuchten Zellen, in denen Frauen ohne jede Hoffnung auf einen fairen Prozess am lebendigen Leib verfaulen. Die Nacht wird für die behütete Rechtsanwältin zum Schlüsselerlebnis. Die politischen Machtverhältnisse zermürben die Frauen, eine patriarchalische Moral und ein bigotter Rechtspluralismus, der Männer schamlos bevorzugt. Während sie ihren inhaftierten Vater in der Kanzlei vertritt, stößt Enitan auf dessen jahrelanges Doppelleben und auf einen Halbbruder. Die Verbitterung der Mutter, die einer obskuren religiösen Sekte angehört, rückt in ein anderes Licht. Unter dem Druck der überkommenen Konventionen leidet auch die junge Generation, deren männliche Vertreter, zuweilen wider Willen, den Macho geben. Zudem droht den Kindern des Ölbooms - anders als ihren Eltern aus der postkolonialen Gründergeneration - permanent der wirtschaftliche Abstieg, dem viele durch Auswanderung zu entkommen suchen, die aber selbst für Akademiker immer schwieriger wird. Ein Bettler, in einer Hand eine Webster-Enzyklopädie, in der anderen eine Klobürste, wird zum Sinnbild einer bizarren Lebenswirklichkeit wie ächzende Stromgeneratoren in einer Wohnsiedlung mit Montessori-Schule.
Die geschäftstüchtige Sheri steht am Ende für die afrikanische Variante der Emanzipation, indem sie ein bescheidenes Glück in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit eines Catering-Unternehmens findet, von dem die begnadete Köchin ihre beiden Stiefmütter und zahlreichen Halbgeschwister ernähren kann. Enitan wächst über sich hinaus, indem sie die Kanzlei am Leben erhält, politisch erwacht und damit nicht weniger als ihre kriselnde Ehe und eine mit Hilfe der modernen Reproduktionsmedizin hart errungene Schwangerschaft gefährdet. Ihr Mann hingegen, Jurist bei einer Investment Bank, hadert nicht nur mit dem männlichen Rollenbild, sondern kämpft auch um seinen in England lebenden Sohn aus erster Ehe. Das alles klingt nach den Sorgen von nebenan, wären da nicht die hohen Mauern der bewachten Wohnsiedlungen.
Wie ihre Heldin ging Sefi Atta auf ein englisches Internat und studierte in Birmingham, wo sie zur Wirtschaftsprüferin ausgebildet wurde. Nach einigen Berufsjahren in Nigeria verließ sie ihre Heimat und lebt heute mit ihrem Mann, einem ebenfalls aus Nigeria stammenden Mediziner, und ihrer Tochter in Amerika, wo der Roman 2004 erschien. Zusammen mit Autoren wie Ben Okri, Chimamanda Ngozi Adichie und Chris Abani, die alle im Westen leben, verkörpert sie eine neue Generation nigerianischer Literaten, denen es nicht mehr primär um die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und um den Zerfall der traditionellen Gemeinschaften geht. Vielmehr müssen diese Autoren den Spagat zwischen den Jenseits-von-Afrika-Klischees des westlichen Buchmarkts, für den sie primär schreiben, und einer beschriebenen Lebenswirklichkeit und potentiellen Lesern in einem Herkunftsland leisten, das kaum über einen Buchmarkt verfügt.
Sefi Atta begegnet dieser Herausforderung mit einem zornigen Realismus, der nichts und niemanden schont, weder die herrischen neuen Dienstherren aus der afrikanischen Mittelschicht noch ihre lethargischen, ausgebeuteten Dienstboten, weder die politischen Oppositionellen, die als selbstverliebte Familienpatriarchen vorgeführt werden, noch die heilige afrikanische Großmutter, die bei aller Courage das Patriarchat eher stützt als stürzt. Und auch in Afrika gibt es Kinderwunschsprechstunden, die nicht auf Voodoo, sondern auf moderner Reproduktionsmedizin beruhen. Nur beim Titel, so Sefi Atta, habe sie Zugeständnisse gemacht. Sag allen, es wird gut, klinge einfach nicht nigerianisch.
SABINE BERKING.
Sefi Atta: "Sag allen, es wird gut!" Roman. Aus dem Englischen von Sigrid Groß. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2008. 380 S., geb., 22, - [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zorniger Realismus: Sefi Atta gehört zu einer neuen Generation nigerianischer Autoren, die das Lebensgefühl der urbanen afrikanischen Mittelschicht ins Visier nimmt.
Zwischen hungernden Kindern und Serengeti-Parks bleibt wenig Raum für Zwischentöne in unserem Bild von Afrika. Wenn wir Europäer dorthin reisen, dann vor allem, um wilde Tiere und nicht um Menschen zu sehen. Enitan, Anwältin und Ich-Erzählerin im Romandebüt von Sefi Atta, jedenfalls hat genug von den Afrika-Klischees, die sie dazu bringen, erstaunten Engländern erklären zu müssen, dass der erste Löwe sie nicht in Afrika, sondern im Londoner Zoo anbrüllte. Nach dem Schulinternat und einem Jurastudium in England arbeitet sie als Anwältin in London, bis sie das Heimweh und der Ehrgeiz packen. Sie will zurück nach Lagos, um in die renommierte Kanzlei ihres Vaters als Teilhaberin einzutreten.
Keine leichte Entscheidung, zumal man Lagos, diesen nach Fisch und Öl stinkenden Moloch, nur schwer lieben kann. Schmutzig, laut, gefährlich, nachts versinkt die Stadt nicht selten in völliger Dunkelheit, weil in einem der ölreichsten Länder der Welt wieder einmal die Stromversorgung zusammenbricht, was nebenbei dazu führt, dass die Lebensmittel in den Gefriertruhen und Kühlschränken verderben. Vom Elend, der Armut und einem absurden Zivildienstlager, in dem Enitan mit anderen Universitätsabsolventen nach einem neuerlichen Militärputsch eine patriotische Gehirnwäsche bekommt, ganz zu schweigen. Kurz nach ihrer Ankunft trifft sie eine Freundin aus Kindertagen, was schmerzhafte Erinnerungen und Schuldgefühle weckt. Als Teenager erlebte Enitan, wie Sheri, das muslimische Nachbarsmädchen, Opfer einer Vergewaltigung wurde. Später avancierte die hübsche Sheri zur Schönheitskönigin, die ihr Land bei den Wahlen zur Miss World vertrat. Jetzt, nach dem Tod des Vaters und einem erfolglosen Erbstreit, lässt sie sich von einem korrupten Regierungsmitglied als Mätresse aushalten.
Unprätentiös und lakonisch erzählt Sefi Atta vom Leben zweier Frauen aus der jungen urbanen afrikanischen Mittelschicht, deren Träume sich kaum von denen ihrer Altersgenossen im Westen unterscheiden, nur dass das Leben in Nigeria ein gnadenlos anderes ist. Das Buch sei, sagte Atta in einem Interview, eine Studie über den Kampf mit der Macht, der in Nigeria an vielen Fronten und besonders erbittert geführt wird. Enitans Vater setzt sich ganz gegen seine Gewohnheit für politische Häftlinge ein und wird prompt selbst in eines der berüchtigten Foltergefängnisse verschleppt. Als die Tochter Kontakt zur Opposition aufnimmt, muss auch sie für eine Nacht in eine der übelriechenden, feuchten Zellen, in denen Frauen ohne jede Hoffnung auf einen fairen Prozess am lebendigen Leib verfaulen. Die Nacht wird für die behütete Rechtsanwältin zum Schlüsselerlebnis. Die politischen Machtverhältnisse zermürben die Frauen, eine patriarchalische Moral und ein bigotter Rechtspluralismus, der Männer schamlos bevorzugt. Während sie ihren inhaftierten Vater in der Kanzlei vertritt, stößt Enitan auf dessen jahrelanges Doppelleben und auf einen Halbbruder. Die Verbitterung der Mutter, die einer obskuren religiösen Sekte angehört, rückt in ein anderes Licht. Unter dem Druck der überkommenen Konventionen leidet auch die junge Generation, deren männliche Vertreter, zuweilen wider Willen, den Macho geben. Zudem droht den Kindern des Ölbooms - anders als ihren Eltern aus der postkolonialen Gründergeneration - permanent der wirtschaftliche Abstieg, dem viele durch Auswanderung zu entkommen suchen, die aber selbst für Akademiker immer schwieriger wird. Ein Bettler, in einer Hand eine Webster-Enzyklopädie, in der anderen eine Klobürste, wird zum Sinnbild einer bizarren Lebenswirklichkeit wie ächzende Stromgeneratoren in einer Wohnsiedlung mit Montessori-Schule.
Die geschäftstüchtige Sheri steht am Ende für die afrikanische Variante der Emanzipation, indem sie ein bescheidenes Glück in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit eines Catering-Unternehmens findet, von dem die begnadete Köchin ihre beiden Stiefmütter und zahlreichen Halbgeschwister ernähren kann. Enitan wächst über sich hinaus, indem sie die Kanzlei am Leben erhält, politisch erwacht und damit nicht weniger als ihre kriselnde Ehe und eine mit Hilfe der modernen Reproduktionsmedizin hart errungene Schwangerschaft gefährdet. Ihr Mann hingegen, Jurist bei einer Investment Bank, hadert nicht nur mit dem männlichen Rollenbild, sondern kämpft auch um seinen in England lebenden Sohn aus erster Ehe. Das alles klingt nach den Sorgen von nebenan, wären da nicht die hohen Mauern der bewachten Wohnsiedlungen.
Wie ihre Heldin ging Sefi Atta auf ein englisches Internat und studierte in Birmingham, wo sie zur Wirtschaftsprüferin ausgebildet wurde. Nach einigen Berufsjahren in Nigeria verließ sie ihre Heimat und lebt heute mit ihrem Mann, einem ebenfalls aus Nigeria stammenden Mediziner, und ihrer Tochter in Amerika, wo der Roman 2004 erschien. Zusammen mit Autoren wie Ben Okri, Chimamanda Ngozi Adichie und Chris Abani, die alle im Westen leben, verkörpert sie eine neue Generation nigerianischer Literaten, denen es nicht mehr primär um die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und um den Zerfall der traditionellen Gemeinschaften geht. Vielmehr müssen diese Autoren den Spagat zwischen den Jenseits-von-Afrika-Klischees des westlichen Buchmarkts, für den sie primär schreiben, und einer beschriebenen Lebenswirklichkeit und potentiellen Lesern in einem Herkunftsland leisten, das kaum über einen Buchmarkt verfügt.
Sefi Atta begegnet dieser Herausforderung mit einem zornigen Realismus, der nichts und niemanden schont, weder die herrischen neuen Dienstherren aus der afrikanischen Mittelschicht noch ihre lethargischen, ausgebeuteten Dienstboten, weder die politischen Oppositionellen, die als selbstverliebte Familienpatriarchen vorgeführt werden, noch die heilige afrikanische Großmutter, die bei aller Courage das Patriarchat eher stützt als stürzt. Und auch in Afrika gibt es Kinderwunschsprechstunden, die nicht auf Voodoo, sondern auf moderner Reproduktionsmedizin beruhen. Nur beim Titel, so Sefi Atta, habe sie Zugeständnisse gemacht. Sag allen, es wird gut, klinge einfach nicht nigerianisch.
SABINE BERKING.
Sefi Atta: "Sag allen, es wird gut!" Roman. Aus dem Englischen von Sigrid Groß. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2008. 380 S., geb., 22, - [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ganz froh über den Mangel an Afrika-Klischees in diesem Debütroman von Sefi Atta, lässt sich Sabine Berking gern nach Lagos entführen, um von der Autorin "unprätentiös und lakonisch" die Geschichte zweier Frauen aus Afrikas junger urbaner Mittelschicht erzählt zu bekommen. Dabei stellt Berking fest, wie "gnadenlos" sich das Leben in Nigeria, trotz aller Ähnlichkeiten, von einem Leben im Westen unterscheidet. In der Autorin erkennt sie eine junge, zornige, keine Seite der Gesellschaft schonende Stimme, die thematisch den Spagat zwischen einer westlichen und einer afrikanischen Leserschaft probiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eingezwängt in Traditionen und Rollenklischees schälen sich Enitan und Sheri langsam, jede auf ihre Weise, mit Witz und Wut aus den Zwangsjacken.« Südwestrundfunk SWR