Das Leben – ein Traum?
Samar Yazbek ist eine syrische Schriftstellerin, die 2011 nach Europa emigrierte. Sie stammt aus einer großbürgerlichen alawitischen Familie. In ihrer Heimat hatte sie sich für Bürger- und Frauenrechte engagiert. Sie trennte sich von ihrem Ehemann, den sie mit 16 Jahren
geheiratet hatte und baute sich ein eigenes Leben auf.
Ali, der Erzähler, schwebt durch seine eigene…mehrDas Leben – ein Traum?
Samar Yazbek ist eine syrische Schriftstellerin, die 2011 nach Europa emigrierte. Sie stammt aus einer großbürgerlichen alawitischen Familie. In ihrer Heimat hatte sie sich für Bürger- und Frauenrechte engagiert. Sie trennte sich von ihrem Ehemann, den sie mit 16 Jahren geheiratet hatte und baute sich ein eigenes Leben auf.
Ali, der Erzähler, schwebt durch seine eigene Geschichte. Im kleinen: die eines Jungen eines abgelegenen Dorfes und im größeren Rahmen die seiner Heimat Syrien.
Der Roman ist poetisch, von fast lyrischer Schönheit und legt sich wie eine schützende Hülle um das Geschehen. Er strahlt eine beschauliche Stille aus, trotz der gesellschaftlichen und politischen Hinter- und Abgründe.
Ali ist verwundet und liegt unter Laub in der Einöde eines Berggipfels. Er versucht sich zu erinnern: an eine untergegangene Welt, die Welt vor dem Krieg in einem kleinen abgelegenen Bergdorf. Wichtige Bezugsperson seines kurzes Lebens war Humairuna, eine Frau, die anders war als die anderen des Dorfes. Sie hatte ihm bei seiner Geburt das Leben gerettet, da er sich weigerte zu atmen. Sie legte ihn unter den Baum des Heiligengrabes, so wurde er zum „Sohn des Baumes“. Er lernte mit und in den Bäumen zu leben, zwischen den Ästen hin und her hüpfend, sich wie eine Fledermaus an einen Ast zu hängen. Und er baute sich ein Baumhaus, tagelang sammelte er Zweige und Äste, fügte sie ineinander und verband sie mit Seilen aus Hanf: ein dreiwändiges Haus, so dass er einen Ausblick ins gesamte Universum hatte. Seine Mutter patchworkte ihm eine Decke, die zu einem wärmenden Kleinod wurde.
Er träumte von Licht und von einer Baumherde, die Richtung Himmel stieg. Er lernte osmotisch das Alter der Bäume und ihre Geschichte. Aber er war auch ein Wolkenmaler. Die Wolken waren wie Freunde und sein Spielzeug. Und der Wind bildete mit ihnen eine Art Triumvirat, das Dreigestirn seines kleinen Lebens.
Immer wieder schimmert durch diese poetischen Erinnerungen die Realität auf. Die hart arbeitende Mutter Nahla, der sie schlagende Vater, die Schwester, die sich von einem Abhang stürzte im Glauben an Flügel. Der Tod des jüngeren Bruder, der Stolz seiner Eltern, als Märtyrer fürs Vaterland. Ein alter weiser Scheich, der Ali in die Religion einführte, ihn Lesen und Schreiben lehrte, ihm von sozialer und spiritueller Macht erzählte.
Und die neuen Zeiten mit neuen Scheichs. Der Präsident ist tot. Es lebe der Präsident!
Checkpoints wurden eingerichtet, junge Männer eingezogen. Und die Kämpfe um die Macht begannen.
Ali wusste nicht, wofür oder gegen wen wer kämpfte. An einem Checkpoint nahmen sie ihn mit. Jetzt lag er da, unter Laub, weit weg vom Leben, nicht wissend, ob er überhaupt am Leben war oder nur sein Leben träumte
. Da waren er und „der Andere“. War es sein Alter ego? Sein Astralleib?
Und Ali fliegt. Wo kommt er an? Wir wissen es nicht. Quo vadis?
Samar Yazbek gelingt es, die Leserinnen und Leser mit ihren Worten zu verzaubern: ein kleines Meisterwerk zwischen Tag und Traum.