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"versuche wagnis und intensität und keine befürchtungen. versuche ist bereits der falsche ansatz. // ich bin altmodisch, schrieb ich unlängst einem freund, ich glaube nicht nur an autorschaft und das subjekt und den geteilten gleichklang und die erkenntnis, ich glaube sogar an so etwas wie wirkung. jetzt stell dir das doch bitte mal vor!" Katharina Schultens.

Produktbeschreibung
"versuche wagnis und intensität und keine befürchtungen. versuche ist bereits der falsche ansatz. // ich bin altmodisch, schrieb ich unlängst einem freund, ich glaube nicht nur an autorschaft und das subjekt und den geteilten gleichklang und die erkenntnis, ich glaube sogar an so etwas wie wirkung. jetzt stell dir das doch bitte mal vor!" Katharina Schultens.
Autorenporträt
Katharina Schultens, geboren 1980 in Rheinland-Pfalz, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim, St. Louis und Bologna und lebt heute in Berlin. Neben Veröffentlichungen von Lyrik und poetologischen Texten in Zeitschriften und Anthologien erschienen von ihr die Gedichtbände "Aufbrüche", 2004, und "gierstabil", Luxbooks 2011. 2013 erhielt sie den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz Gegenwart sind die Gedichte von Katharina Schultens für die Rezensentin Insa Wilke. Naiv nennt Wilke das, aber mit allem Respekt, da die Autorin hier mit Lakonie und Klarsicht vorgeht, wie Wilke schreibt. So kann Schultens Börsensprache lyrikfähig machen und gesellschaftskritisch sein, ohne verkniffen zu wirken, beteuert die Rezensentin. Für Wilke liegt das auch an Schultens Humor, ihrem Sinn für Erotik und der Fähigkeit, assoziativ Begriffe zu öffnen, ohne dem Leser gleich Kopfzerbrechen zu verursachen. Dass die Energie dieser Texte mitunter ganz unmittelbar oberflächlich spürbar wird, hält die Rezensentin nicht davon ab, poetische Energie auch in den tieferen Schichten der Gedichte zu vermuten und zu verorten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Zungenblitzen im dark pool
Katharina Schultens entführt in ihrem Gedichtband „gorgos portfolio“ der aktuellen Börse die Metaphern und Mystifikationen
Manchmal geht es einem mit Gedichtbänden wie mit dem einen, besonderen Bild in der Gemäldegalerie, von dem man angezogen wird und zu dem man immer wieder zurückkehren muss: Der Band heißt „gorgos portfolio“ und stammt von der 1980 geborenen Katharina Schultens. Als sie im vergangenen Jahr mit dem wichtigsten Nachwuchs-Lyrik-Preis, dem Leonce-und-Lena-Preis, in Darmstadt ausgezeichnet wurde, fiel sie nicht nur durch ihre Texte, sondern auch durch die Art ihres Vortrags auf: mit geschlossenen Augen, frei rezitierend. Das wirkte bei ihr nicht albern oder eitel, sondern passte zu dem eigenwilligen Ich, das in ihren Gedichten spricht.
  Ein Wortfeld, das sie darin literatur- und gedichtfähig macht, ist das der Börsensprache. Man kann daher diese Gedichte durchaus gesellschaftskritisch lesen. Sie sind aber nie so verkniffen oder simpel wie es politischer Dichtung manchmal unterläuft. Nein, Katharina Schultens hat Humor, und ihre Gedichte knistern erotisch.
  Moment, Finanzmarkt und Erotik? Nun, geht es an der Börse nicht um Begehren und Begierden? „morgens wenn es dämmerte ging ich gewöhnlich tanzen / es gab einen club der wechselte die treppenhäuser“, heißt es in Schultens Gedicht „massive attack“. Die Attacke startet hier eine Praktikantin, der man „zwei schlangen zugestanden“ hat. „ich tanzte mit einem kollegen in bärenkostüm / ich trug die stiefel aus meinem Büro // wenn ich mich drehte bohrte ich den absatz immer genau zwischen die zehen seiner tatzen / ich war fast sicher er war unabsichtlich barfuß // (. . .) ich hob die arme fuhr mit allen fingern tief ins haar / und aktivierte probehalber diesen einen blick / die zungen blitzten auf: brillant- / reflex. denn das genügte“.
  Die Börsensprache arbeite ja mit Mystifizierungen, meint Schultens im Gespräch. Da habe eine Vereinnahmung stattgefunden, die wolle sie rückgängig machen. Gerade die Chartanalyse verwende faszinierende Metaphern: „black marubozu“ und „white marubozu“ zum Beispiel, die beiden Kerzenformen, die Tageskursspannen beschreiben. Und dann gebe es Worte, die ganze Heldengeschichten transportieren, oder Fabelwesen, den Bären und den Bullen zum Beispiel.
  Schultens freier, assoziativer Umgang mit diesen Begriffen ähnelt Durs Grünbeins Begeisterung für die Bedeutungsräume von Namen und Fachbegriffen aus der Geschichte des Mondes. Anders als bei den Gedichten von Grünbein muss man bei Schultens aber keine Lexika wälzen, um ihren Witz zu entdecken. Ihre Gedichte strahlen auch so eine Energie aus, die einerseits durch die ästhetische Oberflächenspannung der schönen Formulierung erzeugt wird, wie zum Beispiel in „dark pools“: „die verfugten flügel die verfluchten / hügel. die wir im erkenntnisflug / uns unterbreiten sind – dreht man / sie um – ein dunkles wesen: ja // es nennt sich pool weil es kein wort hat / für sein inneres“. Schultens poetische Energie pulsiert aber auch im politischen Untergrund ihrer Gedichte.
  Die Gorgo bzw. Medusa, die für die Entweihung ihres Tempels von Pallas Athene in ein Monster verwandelt worden ist, sei eine Leitfigur ihrer Gedichte, weil sich an ihr die Frage stellen lasse, ab wann ein Verhalten oder eine Formulierung eigentlich monströs werde, erklärt Schultens und wird gleich konkret: Sie interessiere sich für die Prozesse, die ablaufen, wenn das Berufliche ins Private einwandere, wenn Freunde beispielsweise auf einmal auf To-do-Listen landen. „klar habe ich büromethoden übertragen“, dichtet Schultens als „perseus“, der im griechischen Mythos der Medusa ihren Kopf raubt: „aber was du mir vorwirfst ist ein versehen: // es ging mir nie um irgendeinen kopf / es ging mir auch nicht um den sieg / ich habe eine differenz gelöst“. So spricht ein Ich, das „geparkt und getrickst und gebändelt“ wurde, andererseits aber noch in der Lage ist, ironisch im Schlagerton zu fragen: „wer hat mich allgemein so kalt gemacht“?
  In der Kälte liegt die Macht. Denn unklar bleibt, wer hier eigentlich die Fäden zieht: der dressierende „projektleiter“ oder das dressierte Angestellten-Ich mit seinen Schlangen, das die zwischen Goldstandard und Bärenmarkt hochgepegelte Liebe ganz trocken so beschreibt: „ein prankenhieb dein kopf ist ab / ein biss: das war dein leib. du krümelst“. Der lakonische Ton, der eine Position der Schwäche in eine durch kühle Klarsicht und innere Unabhängigkeit lebende Stärke verwandelt, ruft eine andere Dichterin auf den Plan: Karin Kiwus, deren erster Gedichtband „Von beiden Seiten der Gegenwart“ die von sich eingenommene Männergesellschaft mit unverfroren überraschenden Wendungen den Zweifel lehrte, muss 1976 eine ähnlich rasante Wirkung gehabt haben wie heute Schultens „gorgos portfolio“.
  „Ich bin nicht der Engel der Geschichte / gelähmt sehe ich tief unter mir / meine Flügel schleifen“, heißt es bei Kiwus, für deren Generation sich die Zeiten noch im Aufbruch zum Stillstand überblendet haben. Katharina Schultens ist solche Lähmung fremd. Ihre Gedichte sind ganz Gegenwart. Durch diese Form der Naivität, die sie von ihren dichtenden Altersgenossen unterscheidet und die nicht unbeschwert ist von Erfahrung, verwandelt sich Gorgos Blick bei ihr in den unwiderstehlichen Spiegel unserer Zeit.
INSA WILKE
Katharina Schultens: gorgos portfolio. Gedicht. Kookbooks, Berlin 2014. 88 Seiten, 19,90 Euro.
„black marubozo“ und „white
marubozo“ heißen die Kerzen-
formen der Tageskursspannen
Zwischen Goldstandard und
Bärenmarkt begegnet
die hochgepegelte Liebe
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