"Laut seiner Mutter war Jack Burns bereits ein Schauspieler, bevor er Schauspieler wurde, doch die lebhaftesten Erinnerungen an seine Kindheit waren die an jene Augenblicke, in denen er den Drang verspürte, sich an der Hand seiner Mutter festzuhalten. Das waren die Augenblicke, in denen er nicht spielte." So beginnt John Irvings elfter Roman, Bis ich dich finde – die Geschichte des Schauspielers Jack Burns. Seine Mutter, Alice, ist eine Tätowiererin aus Leith. Sein Vater, William Burns, ist ein junger Kirchenorganist aus Edinburgh und ein »Tintensüchtiger«, dem nachgesagt wird, daß er sich so viele Tattoos stechen lassen wird, bis sein Körper ein einziges Notenblatt und jeder Quadratzentimeter beschrieben ist. Eine düstere Prophezeiung. Doch Alice läßt sich nicht beirren – der tintensüchtige Organist hat längst ihr Herz erobert. Als Jack vier ist, begleitet er seine Mutter auf eine Reise durch verschiedene Ost- und Nordseehäfen – Hamburg, Kopenhagen, Stockholm, Oslo, Helsinki. Die beiden suchen Jacks Vater, der verschwunden ist. Aber Alice benimmt sich höchst rätselhaft, und der Vater bleibt unauffindbar. Jack wird in Kanada und Neuengland erzogen, doch geprägt – und unauslöschlich gezeichnet –wird er durch seine Beziehung zu älteren Frauen. Erst als er längst kein kleiner Junge mehr ist und als Hollywoodstar in Transvestitenrollen Triumphe feiert, bricht Jack noch einmal – allein – nach Europa auf.
'Bis ich dich finde' ist die Geschichte des Schauspielers Jack Burns. Seine Mutter ist Tätowiererin, sein Vater ein Organist, der verschwunden ist. Ein Roman über Obsessionen und Freundschaften; über fehlende Väter und (zu) starke Mütter; über Kirchenorgeln, Ringen und Tattoos; über gestohlene Kindheit, trügerische Erinnerungen und über die Suche nach der einen Person, die unserem Leben endlich einen Sinn gibt.
'Bis ich dich finde' ist die Geschichte des Schauspielers Jack Burns. Seine Mutter ist Tätowiererin, sein Vater ein Organist, der verschwunden ist. Ein Roman über Obsessionen und Freundschaften; über fehlende Väter und (zu) starke Mütter; über Kirchenorgeln, Ringen und Tattoos; über gestohlene Kindheit, trügerische Erinnerungen und über die Suche nach der einen Person, die unserem Leben endlich einen Sinn gibt.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Matthias Altenburg ist genervt von John Irvings neuem, besonders dickem Roman "Bis ich dich finde". Hat da etwa jemand direkt ins Diktaphon gequatscht, ohne hinterher den Wortbrei wenigstens noch einmal durchzulesen? Diesen Eindruck hat Altenburg. Das Buch will nicht aufhören, klagt er, "fahrig" ist es und "unstrukturiert", und auch das überdrehte "Kuriosenkabinett", aus dem Irving sein Personal heranschleppt, hätte er am liebsten abgesperrt. Dass hier eine Eigentherapie mit literarischen Mitteln unternommen werde - von solchen Argumenten der Irving-Freunde mag der Rezensent nichts hören, nicht angesichts eines solchen "dicken Nichts". Aber lassen wir Altenburg selbst zu Wort kommen, sein kritischer Negativismus drängt geradezu dazu: "Niemals habe ich mich bei einem so dicken Buches so gelangweilt. Niemals war ich so oft versucht, die Lektüre abzubrechen. Und nie habe ich so sehr bereut, es nicht getan zu haben."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2006Schmalz auf meiner Haut
Heiße Nadelschau: John Irving reist einem Kindheitstrauma nach
Jeder Roman von John Irving beschert dem Leser über kurz oder lang eine Landung auf der Ringermatte. Auch in seinem elften Roman fehlt sie nicht: Der zukünftige Schauspieler Jack Burns - schmeichelhaft gezeichnetes Alter ego des Autors - lernt in der Sporthalle glücklicherweise alles, was ein vaterloser, androgyn-hübscher, nicht übermäßig kräftiger Kerl an Kniffen braucht, um sich notfalls unter Männern verteidigen zu können.
Eine Landung auf der Matte vollzieht sich allerdings auch beim Leser, wenn er aufhört, mit den von Irving-Fans in jedem neuen Buch als "Panoptikum der Skurrilität" begrüßten Charakteren zu hadern. Wer trotz einer obsessiven Beschäftigung mit Orgelmusik, Schultheateraufführungen, Tätowierkunst und Sprachfehlern die Lektüre der knapp 1200 Seiten umfassenden Lebensgeschichte von Jack nicht vorzeitig beendet, erreicht vielleicht irgendwann einen entspannten Zustand, in dem der Text die Wirkung einer psychedelisch gemusterten Tapete entfaltet: vor sich hin wuchernde Elemente in steter Wiederholung, deren ausdauernde Betrachtung das Hirn vom Hang zur Analyse befreit.
Nur zu Beginn fragt man sich noch, ob ein Roman, in dem ein zwölfjähriger Junge regelmäßig einer Vorschülerin zwischen die Beine faßt, von einem größeren Publikum so goutiert würde wie "Bis ich dich finde". Hier ist die umgekehrte Konstellation im Angebot: Klein-Jack, in dem alle Frauen seinen verschollenen charismatischen Vater William erkennen, gewöhnt sich als Fünfjähriger auf einer "Beinahe"Mädchenschule in Toronto daran, daß seine sieben Jahre ältere Mitschülerin und selbsternannte Mentorin Emma Oastler seinen Penis festhält. Vielleicht liegt es an der selbstverständlichen Regelmäßigkeit und der Lakonie, mit der dies geschieht, sicher auch an der "Verdrehtheit" der Erwachsenen rund um das ungleiche Paar, daß diese Umklammerung als nabelschnurartige "lifeline" gegen Haltlosigkeit und Verluste im Leben der beiden durchgeht. Es bleibt später nicht bei Emmas vergleichsweise zartem Zugriff, und Jacks "Kleiner" wird zum öffentlichen Gut. Im Verlauf des zweiten Teils wächst deshalb dem Autor gegenüber die Dankbarkeit für jedes weibliche Wesen, das ausnahmsweise kein Interesse an "Miiiester Penis" zeigt, wie ihn die unsägliche, den Jungen als Zehnjährigen zum Beischlafobjekt machende Mrs. Machado nennt.
Erst spät liefert der Roman Fakten nach, die Emmas Verhalten erklären sollen: Sie wurde mit neun Jahren vom letzten Freund ihrer inzwischen nur noch an Frauen interessierten Mutter vergewaltigt. Mußte man sich bis dahin mit der reichlich phantastischen Behauptung zufriedengeben, Emma sei eine frühreife Zwölfjährige, die "stark auf die 18 zuging" (eine Erklärung, die auch in bezug auf andere Mädchen wiederholt wird und eine Lolita-Phantasie der Erzählstimme ist), so kommt dieser Realitätseinbruch dann eher banal und unmotiviert daher. Ähnlich verhält es sich mit der Enthüllung, daß Jack sein Leben lang von der Frage gequält wird, "was an ihm so anders oder so schräg gewesen war, daß die Mädchen geglaubt hatten, es wäre nicht weiter verwerflich, ihn zu mißbrauchen".
Das erste Drittel des Romans will Jacks Kindheit so wiedergeben, wie sie sich ihm dank seines guten Gedächtnis- und Orientierungssinns eingeprägt hat. Doch da nicht aus der Ich-Perspektive erzählt wird, macht sich ein auktorialer Erzähler oft genug kommentierenderweise mit dem Text davon, so wie seine Mutter Alice den kleinen Jack stets ohne viel Federlesens mitgeschleift hat. Dessen pflichtvergessenem Vater William hart auf den Fersen, verdingt sich Alice Ende der sechziger Jahre in skandinavischen Hauptstädten und im Amsterdamer Rotlichtviertel als Tätowierkünstlerin. So flüchtig Jacks Erzeuger, so massiv und unübersehbar thront dessen Passion über diesen Episoden: William ist Kirchenorganist und reist von einem berühmten Instrument zum nächsten, um zu lernen, zu lehren und zu musizieren. Außerdem besucht er die örtlichen Tätowierungsmeister, um sich Musikstücke in die Haut stechen zu lassen, und zieht wie Don Juan eine umfangreiche Liste sehr junger Frauen mit gebrochenen Herzen hinter sich her. Manch harsches Detail verbirgt Alice vor den Augen und Ohren ihres Sohnes ("Nicht, wenn Jack dabei ist!"), anderes baut sie für ihn um (Prostituierte werden zu "Ratgeberinnen").
Die Umschichtung von Jacks Kindheitserinnerungen während einer Reise in die Vergangenheit, die der Mittdreißiger nach dem Tod der Mutter - und seiner langjährigen Weggefährtin Emma - unternimmt, beginnt spektakulär. Dann jedoch verläppert der Effekt, weil der Autor seinen Helden schlicht sämtliche Stationen seiner frühen Odyssee abklappern läßt und mit allem und jedem lange Gespräche führen läßt, ohne daß dadurch grundsätzlich Neues ans Tageslicht käme. Erzählökonomie ist wohl einfach nicht John Irvings Sache.
Wenn etwas Methode hat, dann das Aufhäufen von vermeintlichen Realitätssignalen wie Musikstücken, Ortsnamen, Filmen oder Restaurants. Das Spiel mit solchen Informationen ist ebenso penetrant wie wirkungsvoll, wenn das schnelle Leben des von Identitätskrisen geplagten Transvestiten-Darstellers Jack in Hollywood ausgemalt wird: Wie ein Forrest Gump steht Jack Burns während der Oscar-Verleihung neben Arnold Schwarzenegger auf dem Herrenklo. Immerhin spielte er einmal Nicole Kidmans "langsam sterbenden Ehemann". "Terminator 2" spielt leider wesentlich mehr Geld ein als "Nett und normal", Jacks Film nach Emmas Roman.
Trotz dieser Vielzahl von Flaschenpost-Sendungen aus der Realität bleibt der Roman zweidimensional wie eine Tapetenblume. Seelische Vorgänge wie die Entfremdung von seiner Mutter, vor deren Tätowierungsstudio samt Umfeld er sich irgendwann zu ekeln beginnt, spielen sich hinter den Kulissen ab. Jack ist halbherzig auf der Jagd nach Normalität, doch Hollywood ist der denkbar schlechteste Ort dafür, selbst wenn man nicht trinkt, keine Drogen nimmt und nicht tätowiert ist.
Schmerzhafter als eine Tätowierung auf der Innenseite des Oberschenkels ist die Lektüre des letzten Romanteils: Jack macht eine Therapie bei einer anstrengenden Psychiaterin, deren Gebot, alle Gefühle in eine chronologische Ordnung zu bringen, ihn fast um den Verstand bringt. Dann jedoch findet er seine gleichermaßen bodenständige, intelligente und attraktive Halbschwester in Edinburgh, entdeckt seinen psychisch zerrütteten Vater in einer noblen Klinik am Zürichsee und sagt beiden, wie lieb er sie hat. Und ist "endlich der wirkliche Jack Burns".
Man würde den zuckersüßen Schlußteil gern als ironisches Angebot an Hollywood verstehen, doch bald bei den Filmrechten zuzugreifen, doch steht zu fürchten, daß das alles ganz ernst gemeint ist. Vielleicht ist ja wenigstens der Verdacht unbegründet, das bodenlos alberne Kilchberger Ärzte-Ensemble sei eine Hommage an den "Zauberberg". Thomas Mann wäre wohl ziemlich pikiert.
ANNETTE ZERPNER
John Irving: "Bis ich dich finde". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl. Diogenes Verlag, Zürich 2006. 1139 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heiße Nadelschau: John Irving reist einem Kindheitstrauma nach
Jeder Roman von John Irving beschert dem Leser über kurz oder lang eine Landung auf der Ringermatte. Auch in seinem elften Roman fehlt sie nicht: Der zukünftige Schauspieler Jack Burns - schmeichelhaft gezeichnetes Alter ego des Autors - lernt in der Sporthalle glücklicherweise alles, was ein vaterloser, androgyn-hübscher, nicht übermäßig kräftiger Kerl an Kniffen braucht, um sich notfalls unter Männern verteidigen zu können.
Eine Landung auf der Matte vollzieht sich allerdings auch beim Leser, wenn er aufhört, mit den von Irving-Fans in jedem neuen Buch als "Panoptikum der Skurrilität" begrüßten Charakteren zu hadern. Wer trotz einer obsessiven Beschäftigung mit Orgelmusik, Schultheateraufführungen, Tätowierkunst und Sprachfehlern die Lektüre der knapp 1200 Seiten umfassenden Lebensgeschichte von Jack nicht vorzeitig beendet, erreicht vielleicht irgendwann einen entspannten Zustand, in dem der Text die Wirkung einer psychedelisch gemusterten Tapete entfaltet: vor sich hin wuchernde Elemente in steter Wiederholung, deren ausdauernde Betrachtung das Hirn vom Hang zur Analyse befreit.
Nur zu Beginn fragt man sich noch, ob ein Roman, in dem ein zwölfjähriger Junge regelmäßig einer Vorschülerin zwischen die Beine faßt, von einem größeren Publikum so goutiert würde wie "Bis ich dich finde". Hier ist die umgekehrte Konstellation im Angebot: Klein-Jack, in dem alle Frauen seinen verschollenen charismatischen Vater William erkennen, gewöhnt sich als Fünfjähriger auf einer "Beinahe"Mädchenschule in Toronto daran, daß seine sieben Jahre ältere Mitschülerin und selbsternannte Mentorin Emma Oastler seinen Penis festhält. Vielleicht liegt es an der selbstverständlichen Regelmäßigkeit und der Lakonie, mit der dies geschieht, sicher auch an der "Verdrehtheit" der Erwachsenen rund um das ungleiche Paar, daß diese Umklammerung als nabelschnurartige "lifeline" gegen Haltlosigkeit und Verluste im Leben der beiden durchgeht. Es bleibt später nicht bei Emmas vergleichsweise zartem Zugriff, und Jacks "Kleiner" wird zum öffentlichen Gut. Im Verlauf des zweiten Teils wächst deshalb dem Autor gegenüber die Dankbarkeit für jedes weibliche Wesen, das ausnahmsweise kein Interesse an "Miiiester Penis" zeigt, wie ihn die unsägliche, den Jungen als Zehnjährigen zum Beischlafobjekt machende Mrs. Machado nennt.
Erst spät liefert der Roman Fakten nach, die Emmas Verhalten erklären sollen: Sie wurde mit neun Jahren vom letzten Freund ihrer inzwischen nur noch an Frauen interessierten Mutter vergewaltigt. Mußte man sich bis dahin mit der reichlich phantastischen Behauptung zufriedengeben, Emma sei eine frühreife Zwölfjährige, die "stark auf die 18 zuging" (eine Erklärung, die auch in bezug auf andere Mädchen wiederholt wird und eine Lolita-Phantasie der Erzählstimme ist), so kommt dieser Realitätseinbruch dann eher banal und unmotiviert daher. Ähnlich verhält es sich mit der Enthüllung, daß Jack sein Leben lang von der Frage gequält wird, "was an ihm so anders oder so schräg gewesen war, daß die Mädchen geglaubt hatten, es wäre nicht weiter verwerflich, ihn zu mißbrauchen".
Das erste Drittel des Romans will Jacks Kindheit so wiedergeben, wie sie sich ihm dank seines guten Gedächtnis- und Orientierungssinns eingeprägt hat. Doch da nicht aus der Ich-Perspektive erzählt wird, macht sich ein auktorialer Erzähler oft genug kommentierenderweise mit dem Text davon, so wie seine Mutter Alice den kleinen Jack stets ohne viel Federlesens mitgeschleift hat. Dessen pflichtvergessenem Vater William hart auf den Fersen, verdingt sich Alice Ende der sechziger Jahre in skandinavischen Hauptstädten und im Amsterdamer Rotlichtviertel als Tätowierkünstlerin. So flüchtig Jacks Erzeuger, so massiv und unübersehbar thront dessen Passion über diesen Episoden: William ist Kirchenorganist und reist von einem berühmten Instrument zum nächsten, um zu lernen, zu lehren und zu musizieren. Außerdem besucht er die örtlichen Tätowierungsmeister, um sich Musikstücke in die Haut stechen zu lassen, und zieht wie Don Juan eine umfangreiche Liste sehr junger Frauen mit gebrochenen Herzen hinter sich her. Manch harsches Detail verbirgt Alice vor den Augen und Ohren ihres Sohnes ("Nicht, wenn Jack dabei ist!"), anderes baut sie für ihn um (Prostituierte werden zu "Ratgeberinnen").
Die Umschichtung von Jacks Kindheitserinnerungen während einer Reise in die Vergangenheit, die der Mittdreißiger nach dem Tod der Mutter - und seiner langjährigen Weggefährtin Emma - unternimmt, beginnt spektakulär. Dann jedoch verläppert der Effekt, weil der Autor seinen Helden schlicht sämtliche Stationen seiner frühen Odyssee abklappern läßt und mit allem und jedem lange Gespräche führen läßt, ohne daß dadurch grundsätzlich Neues ans Tageslicht käme. Erzählökonomie ist wohl einfach nicht John Irvings Sache.
Wenn etwas Methode hat, dann das Aufhäufen von vermeintlichen Realitätssignalen wie Musikstücken, Ortsnamen, Filmen oder Restaurants. Das Spiel mit solchen Informationen ist ebenso penetrant wie wirkungsvoll, wenn das schnelle Leben des von Identitätskrisen geplagten Transvestiten-Darstellers Jack in Hollywood ausgemalt wird: Wie ein Forrest Gump steht Jack Burns während der Oscar-Verleihung neben Arnold Schwarzenegger auf dem Herrenklo. Immerhin spielte er einmal Nicole Kidmans "langsam sterbenden Ehemann". "Terminator 2" spielt leider wesentlich mehr Geld ein als "Nett und normal", Jacks Film nach Emmas Roman.
Trotz dieser Vielzahl von Flaschenpost-Sendungen aus der Realität bleibt der Roman zweidimensional wie eine Tapetenblume. Seelische Vorgänge wie die Entfremdung von seiner Mutter, vor deren Tätowierungsstudio samt Umfeld er sich irgendwann zu ekeln beginnt, spielen sich hinter den Kulissen ab. Jack ist halbherzig auf der Jagd nach Normalität, doch Hollywood ist der denkbar schlechteste Ort dafür, selbst wenn man nicht trinkt, keine Drogen nimmt und nicht tätowiert ist.
Schmerzhafter als eine Tätowierung auf der Innenseite des Oberschenkels ist die Lektüre des letzten Romanteils: Jack macht eine Therapie bei einer anstrengenden Psychiaterin, deren Gebot, alle Gefühle in eine chronologische Ordnung zu bringen, ihn fast um den Verstand bringt. Dann jedoch findet er seine gleichermaßen bodenständige, intelligente und attraktive Halbschwester in Edinburgh, entdeckt seinen psychisch zerrütteten Vater in einer noblen Klinik am Zürichsee und sagt beiden, wie lieb er sie hat. Und ist "endlich der wirkliche Jack Burns".
Man würde den zuckersüßen Schlußteil gern als ironisches Angebot an Hollywood verstehen, doch bald bei den Filmrechten zuzugreifen, doch steht zu fürchten, daß das alles ganz ernst gemeint ist. Vielleicht ist ja wenigstens der Verdacht unbegründet, das bodenlos alberne Kilchberger Ärzte-Ensemble sei eine Hommage an den "Zauberberg". Thomas Mann wäre wohl ziemlich pikiert.
ANNETTE ZERPNER
John Irving: "Bis ich dich finde". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl. Diogenes Verlag, Zürich 2006. 1139 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein wirklich großer Geschichtenerzähler.«