Es ist, wie es ist
Als vorab veröffentlichter Auszug seines unvollendeten Romans «Jeden ereilt es» erschien 1956 die Erzählung «Die Nacht aus Blei» von Hans Henny Jahnn, es war sein letzter und wohl auch meistgelesener Prosatext. Der Autor gehört zu den lebenslang heftig umstrittenen, sogar von
Gewalttätigkeit bedrohten deutschen Schriftstellern, bejubelt und verrissen gleichermaßen. Als…mehrEs ist, wie es ist
Als vorab veröffentlichter Auszug seines unvollendeten Romans «Jeden ereilt es» erschien 1956 die Erzählung «Die Nacht aus Blei» von Hans Henny Jahnn, es war sein letzter und wohl auch meistgelesener Prosatext. Der Autor gehört zu den lebenslang heftig umstrittenen, sogar von Gewalttätigkeit bedrohten deutschen Schriftstellern, bejubelt und verrissen gleichermaßen. Als krasser literarischer Außenseiter protestiert er gegen ein Weltbild, das den Menschen als Mittelpunkt des real Existierenden darstellt. Sein Werk basiert vielmehr auf der konträren Überzeugung, dass der Mensch ein «Schöpfungsfehler» sei, er reduziert ihn auf das biologische Sein. Die Natur aber ist mitleidlos grausam, eine Versöhnung des Menschen mit ihr sei nur durch die Kunst möglich. Sie allein sei Antrieb seines Schaffens, und dabei verweigert er konsequent jede Moral, negiert zudem jedwede Möglichkeit der Sublimierung, was metaphysische Deutungen einschließt. Eine beinharte Perspektive also eines als überaus schwierig geltenden Schriftstellers!
Mit den Sätzen «Ich verlasse dich jetzt. Du musst allein weitergehen.» beginnt die kafkaeske Geschichte des 23jährigen Mathieu, der nachts von einem Engel in einer unbekannten Stadt ausgesetzt wird, er soll die Stadt erforschen. Auf der Suche nach einer Unterkunft streift er durch menschenleere Strassen mit düsteren Häusern, deren Fenster alle unbeleuchtet sind. Aus einem Hauseingang heraus spricht ihn nach einiger Zeit überraschend ein livrierter Mann an und lädt ihn ein, hereinzukommen, eine schöne Frau erwarte ihn. Ein lasziver Gnom führt ihn in ein Zimmer zu Elvira, einer stark geschminkten, attraktiven jungen Frau, die ihm köstliche Speisen und Getränke vorsetzt. Sie munden ihm aber nicht, erscheinen ihm dumpf, offenbar hat er den Geschmackssinn verloren. Elvira nötigt ihm Geld auf und bittet ihn dann, einen Moment zu warten, sie verschwindet durch eine Nebentür. Nach einer Weile ruft sie ihn in ihr Boudoir, sie liegt schon im Bett. Als er ihr Nachtgewand öffnet, erkennt er, dass ihr Leib gänzlich schwarz ist und wie poröser Stein wirkt, völlig unbelebt unter der dicken Schminke.
Entsetzt verlässt Mathieu das Haus und trifft wenig später auf der Strasse einen hilfsbedürftig wirkenden jungen Mann, den er zum Essen einlädt. Der hungrige junge Mann stellt sich als der zehn Jahre jüngere Mathieu heraus, sein früheres Ich also, Mathieu nennt ihn deshalb Anders. Die Spelunke, die sie nach langer Suche finden, kann ihnen aber nichts anbieten, weder Essen noch Getränke seien vorhanden, sagt die Bedienung, selbst Zigaretten kann sie den Beiden nicht verkaufen. Als sie wieder auf die Strasse treten, rieselt ein seltsam grauer Schnee vom Himmel herab, es ist bitterkalt. Anders, sein nur chronologisch anderer Doppelgänger, ist nach einem Überfall schwer verletzt und führt ihn mit letzter Kraft zu seiner gruftartigen Kellerwohnung, in der am Ende auch Gari auftaucht, der dunkle Engel der Beiden.
«Auch krumme Striche wissen, dass sie gerade sein könnten, wenn sie nicht irgendein Stümper verpfuscht hätte» heißt es an einer Stelle. In einer geradezu surrealistischen Bildersprache behandelt Hans Henny Jahnn in dieser apokalyptischen Erzählung mit dem Tod eines der für ihn typischen Themen. Als Atheist stellt er ihn ungeschönt als Auflösung des Selbst dar, als die unausweichliche Vergänglichkeit, der nichts entgegen zu setzen ist. Sein Protagonist spürt ein «völliges Entsinnlichtsein, die Auflösung seines Körpergefühls». Knallhart wird hier dem Leser eine gemarterte Kreatur vorgeführt, werden - bis an die Grenze des Sagbaren gehend - schrecklichste Abgründe beleuchtet. Vermutlich muss man diese trostlose Erzählung dialektisch verstehen, könnte man als verstörter Leser denken. Jedenfalls hat es der Autor seinen Lesern nie leicht gemacht, mir auch nicht. «Es ist, wie es ist, und es ist fürchterlich» hat Hans Henny Jahnn mal lakonisch angemerkt, und damit hatte er ja wohl doch Recht!