Ein Künstler und ein Anwalt versuchen zu begreifen, was Wahrheit ist
Ferdinand von Schirachs neues Buch ist ein Künstlerroman, ein Justizdrama und am Ende ist es eine Beschreibung der Abgründe des Menschen.
Sebastian von Eschburg verliert als Kind durch den Selbstmord seines Vaters den Halt. Er versucht sich durch die Kunst zu retten. Er zeigt mit seinen Fotografien und Videoinstallationen, dass Wirklichkeit und Wahrheit verschiedene Dinge sind. Es geht um Schönheit, Sex und die Einsamkeit des Menschen. Als Eschburg vorgeworfen wird, eine junge Frau getötet zu haben, übernimmt Konrad Biegler die Verteidigung. Der alte Anwalt versucht dem Künstler zu helfen - und damit sich selbst.
Schirach schreibt über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, das den Leser zwingt, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Aber dieses Buch ist viel mehr: Schirach hat den Roman eines Lebens geschrieben, lakonisch, poetisch, berührend.
Ferdinand von Schirachs neues Buch ist ein Künstlerroman, ein Justizdrama und am Ende ist es eine Beschreibung der Abgründe des Menschen.
Sebastian von Eschburg verliert als Kind durch den Selbstmord seines Vaters den Halt. Er versucht sich durch die Kunst zu retten. Er zeigt mit seinen Fotografien und Videoinstallationen, dass Wirklichkeit und Wahrheit verschiedene Dinge sind. Es geht um Schönheit, Sex und die Einsamkeit des Menschen. Als Eschburg vorgeworfen wird, eine junge Frau getötet zu haben, übernimmt Konrad Biegler die Verteidigung. Der alte Anwalt versucht dem Künstler zu helfen - und damit sich selbst.
Schirach schreibt über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, das den Leser zwingt, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Aber dieses Buch ist viel mehr: Schirach hat den Roman eines Lebens geschrieben, lakonisch, poetisch, berührend.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spürbar enttäuscht bespricht Rezensent Hannes Hintermeier Ferdinand von Schirachs neuen Roman "Tabu". Er folgt hier einem unter Synästhesie und Wahnvorstellungen leidenden jungen Fotografen, der des Mordes an einer spurlose verschwundenen Ukrainerin verdächtigt wird, auch wenn deren Existenz gar nicht bewiesen ist. Der Kritiker klagt nicht nur über blasse und schablonenhaft wirkende Figuren, die in ebenso "bedeutungsschwangeren" wie banalen Dialogen miteinander kommunizieren, sondern stört sich auch an den zahlreichen, allzu ausladenden Verweisen etwa auf das Nietzsche-Haus in Sils-Maria oder das Stadtbad Charlottenburg. Während Hintermeier bei der Gestaltung gelungener Figuren - wie der Staatsanwältin oder der Strafverteidigers - den Autor ganz in seinem Element erlebt, muss er nach der Lektüre leider feststellen, dass Schirachs Beitrag zum Büchnerjahr "literarisch noch reichlich Luft nach oben" lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013Nach altem Rezept
Gemütlichkeit ist sein Geheimnis: Ferdinand von Schirachs neuer Roman "Tabu" bereitet Anwalts liebste Erkenntnisse aus
Eigentlich hätte Sebastian von Eschburg ein Ungeheuer werden können; ein sadistisches, unglückliches, brillantes und mächtiges Ungeheuer der Fiktion. Doch leider ist er dazu bestimmt, unbedingt seelenlos zwischen Pappe, Papier und Druckerschwärze zu geistern, bis er in wenigen Monaten vollkommen vergessen sein wird. Sebastian von Eschburg ist der Protagonist des neuen Romans "Tabu" von Ferdinand von Schirach, der Protagonist einer Geschichte, die ihren Helden alles verwehrt, was ihnen nur ein wenig Seele verleihen könnte.
Seine Biographie beginnt allerdings ziemlich aussichtsreich, zumindest literarisch. Als Sohn verarmter Adliger muss er in einem Kabinett der Herzlosigkeit aufwachsen. Seine Mutter interessiert sich mehr für ihre Pferde als für den eigenen Sohn. Der Vater säuft und tötet sich schließlich selbst. Sebastian findet die Leiche mit dem weggeschossenen Kopf. Seine Mutter verbietet ihm, über den Selbstmord des Vaters zu sprechen. Zur familiären Tragik kommt hinzu, dass Sebastian anders ist: ein Synästhetiker. Er nimmt seine Umwelt in Farbtönen wahr: "Die Hände des Kindermädchens waren Cyan und Amber, seine Haare leuchteten für ihn violett mit einer Spur Ocker, die Haut des Vaters war eine blasse, grünblaue Fläche."
Doch das vergisst man schnell wieder, denn Schirach macht sich nur selten die Mühe, die farbige Welt seines Protagonisten zu beschreiben. Lieber lässt er Sebastian schnell zu einem gefeierten Fotokünstler heranwachsen, ständig mit einer sexy PR-Dame schlafen, später vielleicht ein Verbrechen begehen, um dann auf einer Polizeiwache unter Folterdrohungen jenen Mord zu gestehen. Da es trotz Geständnis keine Leiche gibt, taucht bald der Strafverteidiger Konrad Biegler auf und kämpft für Sebastians Rechte. Dabei gibt Schirach seinen Lesern auch gleich einen langen Exkurs über die Würde des Menschen. Und so gelangt die Handlung ins gewohnte Milieu des schreibenden Strafverteidigers.
Wie fettige Pommes stopft man sich dann die einzelnen Seiten schnell hinein. Nach dem ambitionierten Auftakt erinnert der Roman bald, wie schon die letzten drei Schirach-Bücher, an einen Besuch im Fastfood-Laden, wo es in New York, Berlin oder Moskau gleich schmeckt. Bei Schirach geht es immer nur um die Frage, was Schuld ist. Als Beilage gibt es einen zwiegespaltenen Helden, der es schwer hatte im Leben, und zum Schluss ein paar brillante Gerichtsdialoge zur Erfrischung. Um seine gewohnten Ingredienzien zu garnieren, versucht sich der Autor auch noch an einer Liebesgeschichte. Aber leider ist Schirach zu jenem Zeitpunkt, an dem er Sebastian seine Freundin Sofia endlich lieben lassen will, schon lange nicht mehr an seinen Figuren interessiert und viel zu sehr damit beschäftigt, einen komplexen Krimi zu konstruieren.
Daran mag es auch liegen, dass die Gespräche der Liebenden immer wie ein missglückter Versuch wirken, Gefühle halbwegs glaubhaft zu imitieren: ",Geh nicht', sagt sie. ,Es ist zu kompliziert', sagt er. ,Das ist es immer', sagt sie." Und obwohl das alles so steril ist, legt man das Buch nicht weg. Denn Ferdinand von Schirach ist ein genialer Blender und arbeitet konsequent mit Illusionen. So konstruiert er halbinteressante Weisheiten, lässt seine Protagonisten über Wirklichkeit, Wahrheit, Kunst und Schönheit philosophieren, und plötzlich denkt man: Hier geht es tatsächlich um was! Doch "Tabu" will selbst keine Fragen beantworten, die Fäden aller Gespräche verlaufen ins Leere, nichts ergibt am Ende einen Sinn - da ist bloß die altbekannte und liebste Erkenntnis des Anwalts: "Schuld - das ist der Mensch."
Und wenn man wieder einmal von Schirach gelernt hat, dass Schuld zur menschlichen Existenz gehört, neigt sich der Roman seinem Ende. So ist "Tabu" ebenso schnell gelesen, wie Fastfood gegessen. Sofort legt man sich auf sein Sofa und hat ein schlechtes Gewissen, will morgen früh auf jeden Fall Sport machen, abends in ein Pinzettenkoch-Restaurant gehen und danach ganz viel Suhrkamp-Literatur-Literatur lesen. Doch, weil alle guten Vorsätze mit "morgen" beginnen und es so wahnsinnig gemütlich ist auf der Couch, hat man Zeit nachzudenken, warum Menschen überhaupt Bücher von Ferdinand von Schirach kaufen.
Und bald ahnt man es: Das Gemütliche ist Schirachs Geheimnis. Denn der Anwalt sucht für all seine Themen, Figuren und Handlungen, so grausam sie auch sein mögen, altbekannte und warme Gemeinplätzchen aus. Obwohl die Welt des schreibenden Strafverteidigers eine Welt der Kriminellen, der Zwangskriminellen und die Welt der Tatsächlich-Nichtkriminellen ist, will Schirach für das, was er im Anwaltsalltag erlebt, keine Bilder und keine Sprache erfinden. Anstelle literarischer Sinnlichkeit gibt es Floskeln in Endlosschleife. Die Haare der Alten sind bei Schirach immer "dünn", die Köpfe der Wütenden sowieso "rot", und ab und an "zittert" natürlich die Stimme von irgendwem.
Aber nicht nur Schirachs Sprache, auch seine Figuren leiden an allen denkbaren, bekannten Klischees. So ist Sebastians Gegenspieler, Strafverteidiger Biegler, ein Typ, den man aus abendlichen Krimiserien gut kennt. Am liebsten sitzt Biegler in seinem Berliner Stammcafé am Savignyplatz und liest Zeitung, achtet niemals auf seine Gesundheit, hasst Ferien und ist immerzu mürrisch, dabei dennoch irgendwie liebenswert. Und natürlich ist Biegler auch superschlau, das beweist er in dem finalen Mordprozess der Geschichte. Aber auch ein Pornofilmproduzent, der in der Mitte der Handlung einen kurzen Auftritt ergattert, ist eine Fiktion von der Stange. Er trägt, wie könnte es anders sein, eine Sonnenbrille, die obligatorische schwarze Lederjacke und sieht eben so aus, wie Pornofilmproduzenten im Fernsehen nun mal aussehen.
Auch Sebastian, der anfangs das Zeug zum poetischen Helden hatte, bleibt ein Holzschnitt kleinbürgerlicher Künstlerbilder. So will er "sich mit der Fotografie eine andere Welt erschaffen" und muss deshalb auf jeden Fall in die Nationalgalerie gehen, um sich stundenlang den "Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich anzuschauen. Überhaupt offenbart "Tabu" eine Kunstwelt, die es nur in Gedanken von Menschen gibt, die sich vorstellen, wie es wohl auf einer Ausstellungseröffnung so ist. Auch deshalb erinnert Sebastians eigene Kunst, die Schirach so mühevoll wie ermüdend beschreibt, an Kunstrequisite schlechterer Spielfilme. Alles wirkt albern, gewollt und unbedingt unecht.
Obwohl das alles nun ziemlich abgegriffen und vorhersehbar ist, erzeugen diese Stilmittel immerhin doch die Atmosphäre einer gar nicht so schlechten "Tatort"-Folge. Weil man sich wohl fühlt in all den Klischees, weil man sie kennt, sie bestätigt bekommt, liest man bis zum glücklichen Ende.
Aber glücklich ist man nach der Lektüre überhaupt nicht, und klüger schon gar nicht. Man spürt gar nichts. Alles, was Schirach in "Tabu" aufgeschrieben hat, ist so wenig zwingend und so vollkommen gewöhnlich, dass man das Buch nicht einmal aufrichtig hasst. Es wird einem völlig egal, und so vergisst man den ganzen Roman ebenso schnell, wie man vom billigen und ballaststoffarmen Fastfood wieder Hunger bekommt. Das paradoxe Ergebnis: Da nichts in Erinnerung bleibt, wird man vermutlich auch den nächsten Roman von Ferdinand von Schirach lesen.
ANNA PRIZKAU
Ferdinand von Schirach: "Tabu". Roman. Piper, 256 Seiten, 17,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gemütlichkeit ist sein Geheimnis: Ferdinand von Schirachs neuer Roman "Tabu" bereitet Anwalts liebste Erkenntnisse aus
Eigentlich hätte Sebastian von Eschburg ein Ungeheuer werden können; ein sadistisches, unglückliches, brillantes und mächtiges Ungeheuer der Fiktion. Doch leider ist er dazu bestimmt, unbedingt seelenlos zwischen Pappe, Papier und Druckerschwärze zu geistern, bis er in wenigen Monaten vollkommen vergessen sein wird. Sebastian von Eschburg ist der Protagonist des neuen Romans "Tabu" von Ferdinand von Schirach, der Protagonist einer Geschichte, die ihren Helden alles verwehrt, was ihnen nur ein wenig Seele verleihen könnte.
Seine Biographie beginnt allerdings ziemlich aussichtsreich, zumindest literarisch. Als Sohn verarmter Adliger muss er in einem Kabinett der Herzlosigkeit aufwachsen. Seine Mutter interessiert sich mehr für ihre Pferde als für den eigenen Sohn. Der Vater säuft und tötet sich schließlich selbst. Sebastian findet die Leiche mit dem weggeschossenen Kopf. Seine Mutter verbietet ihm, über den Selbstmord des Vaters zu sprechen. Zur familiären Tragik kommt hinzu, dass Sebastian anders ist: ein Synästhetiker. Er nimmt seine Umwelt in Farbtönen wahr: "Die Hände des Kindermädchens waren Cyan und Amber, seine Haare leuchteten für ihn violett mit einer Spur Ocker, die Haut des Vaters war eine blasse, grünblaue Fläche."
Doch das vergisst man schnell wieder, denn Schirach macht sich nur selten die Mühe, die farbige Welt seines Protagonisten zu beschreiben. Lieber lässt er Sebastian schnell zu einem gefeierten Fotokünstler heranwachsen, ständig mit einer sexy PR-Dame schlafen, später vielleicht ein Verbrechen begehen, um dann auf einer Polizeiwache unter Folterdrohungen jenen Mord zu gestehen. Da es trotz Geständnis keine Leiche gibt, taucht bald der Strafverteidiger Konrad Biegler auf und kämpft für Sebastians Rechte. Dabei gibt Schirach seinen Lesern auch gleich einen langen Exkurs über die Würde des Menschen. Und so gelangt die Handlung ins gewohnte Milieu des schreibenden Strafverteidigers.
Wie fettige Pommes stopft man sich dann die einzelnen Seiten schnell hinein. Nach dem ambitionierten Auftakt erinnert der Roman bald, wie schon die letzten drei Schirach-Bücher, an einen Besuch im Fastfood-Laden, wo es in New York, Berlin oder Moskau gleich schmeckt. Bei Schirach geht es immer nur um die Frage, was Schuld ist. Als Beilage gibt es einen zwiegespaltenen Helden, der es schwer hatte im Leben, und zum Schluss ein paar brillante Gerichtsdialoge zur Erfrischung. Um seine gewohnten Ingredienzien zu garnieren, versucht sich der Autor auch noch an einer Liebesgeschichte. Aber leider ist Schirach zu jenem Zeitpunkt, an dem er Sebastian seine Freundin Sofia endlich lieben lassen will, schon lange nicht mehr an seinen Figuren interessiert und viel zu sehr damit beschäftigt, einen komplexen Krimi zu konstruieren.
Daran mag es auch liegen, dass die Gespräche der Liebenden immer wie ein missglückter Versuch wirken, Gefühle halbwegs glaubhaft zu imitieren: ",Geh nicht', sagt sie. ,Es ist zu kompliziert', sagt er. ,Das ist es immer', sagt sie." Und obwohl das alles so steril ist, legt man das Buch nicht weg. Denn Ferdinand von Schirach ist ein genialer Blender und arbeitet konsequent mit Illusionen. So konstruiert er halbinteressante Weisheiten, lässt seine Protagonisten über Wirklichkeit, Wahrheit, Kunst und Schönheit philosophieren, und plötzlich denkt man: Hier geht es tatsächlich um was! Doch "Tabu" will selbst keine Fragen beantworten, die Fäden aller Gespräche verlaufen ins Leere, nichts ergibt am Ende einen Sinn - da ist bloß die altbekannte und liebste Erkenntnis des Anwalts: "Schuld - das ist der Mensch."
Und wenn man wieder einmal von Schirach gelernt hat, dass Schuld zur menschlichen Existenz gehört, neigt sich der Roman seinem Ende. So ist "Tabu" ebenso schnell gelesen, wie Fastfood gegessen. Sofort legt man sich auf sein Sofa und hat ein schlechtes Gewissen, will morgen früh auf jeden Fall Sport machen, abends in ein Pinzettenkoch-Restaurant gehen und danach ganz viel Suhrkamp-Literatur-Literatur lesen. Doch, weil alle guten Vorsätze mit "morgen" beginnen und es so wahnsinnig gemütlich ist auf der Couch, hat man Zeit nachzudenken, warum Menschen überhaupt Bücher von Ferdinand von Schirach kaufen.
Und bald ahnt man es: Das Gemütliche ist Schirachs Geheimnis. Denn der Anwalt sucht für all seine Themen, Figuren und Handlungen, so grausam sie auch sein mögen, altbekannte und warme Gemeinplätzchen aus. Obwohl die Welt des schreibenden Strafverteidigers eine Welt der Kriminellen, der Zwangskriminellen und die Welt der Tatsächlich-Nichtkriminellen ist, will Schirach für das, was er im Anwaltsalltag erlebt, keine Bilder und keine Sprache erfinden. Anstelle literarischer Sinnlichkeit gibt es Floskeln in Endlosschleife. Die Haare der Alten sind bei Schirach immer "dünn", die Köpfe der Wütenden sowieso "rot", und ab und an "zittert" natürlich die Stimme von irgendwem.
Aber nicht nur Schirachs Sprache, auch seine Figuren leiden an allen denkbaren, bekannten Klischees. So ist Sebastians Gegenspieler, Strafverteidiger Biegler, ein Typ, den man aus abendlichen Krimiserien gut kennt. Am liebsten sitzt Biegler in seinem Berliner Stammcafé am Savignyplatz und liest Zeitung, achtet niemals auf seine Gesundheit, hasst Ferien und ist immerzu mürrisch, dabei dennoch irgendwie liebenswert. Und natürlich ist Biegler auch superschlau, das beweist er in dem finalen Mordprozess der Geschichte. Aber auch ein Pornofilmproduzent, der in der Mitte der Handlung einen kurzen Auftritt ergattert, ist eine Fiktion von der Stange. Er trägt, wie könnte es anders sein, eine Sonnenbrille, die obligatorische schwarze Lederjacke und sieht eben so aus, wie Pornofilmproduzenten im Fernsehen nun mal aussehen.
Auch Sebastian, der anfangs das Zeug zum poetischen Helden hatte, bleibt ein Holzschnitt kleinbürgerlicher Künstlerbilder. So will er "sich mit der Fotografie eine andere Welt erschaffen" und muss deshalb auf jeden Fall in die Nationalgalerie gehen, um sich stundenlang den "Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich anzuschauen. Überhaupt offenbart "Tabu" eine Kunstwelt, die es nur in Gedanken von Menschen gibt, die sich vorstellen, wie es wohl auf einer Ausstellungseröffnung so ist. Auch deshalb erinnert Sebastians eigene Kunst, die Schirach so mühevoll wie ermüdend beschreibt, an Kunstrequisite schlechterer Spielfilme. Alles wirkt albern, gewollt und unbedingt unecht.
Obwohl das alles nun ziemlich abgegriffen und vorhersehbar ist, erzeugen diese Stilmittel immerhin doch die Atmosphäre einer gar nicht so schlechten "Tatort"-Folge. Weil man sich wohl fühlt in all den Klischees, weil man sie kennt, sie bestätigt bekommt, liest man bis zum glücklichen Ende.
Aber glücklich ist man nach der Lektüre überhaupt nicht, und klüger schon gar nicht. Man spürt gar nichts. Alles, was Schirach in "Tabu" aufgeschrieben hat, ist so wenig zwingend und so vollkommen gewöhnlich, dass man das Buch nicht einmal aufrichtig hasst. Es wird einem völlig egal, und so vergisst man den ganzen Roman ebenso schnell, wie man vom billigen und ballaststoffarmen Fastfood wieder Hunger bekommt. Das paradoxe Ergebnis: Da nichts in Erinnerung bleibt, wird man vermutlich auch den nächsten Roman von Ferdinand von Schirach lesen.
ANNA PRIZKAU
Ferdinand von Schirach: "Tabu". Roman. Piper, 256 Seiten, 17,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ferdinand von Schirach feiert weltweit Erfolge. (...) Von Schirach ist auch in diesem Land [Japan] ein gefeierter Bestsellerautor.", DPA Deutsche Presse-Agentur, 10.06.2015