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Petra Morsbachs großer Roman über Gerechtigkeit und jene, die sie schaffen sollen
Thirza Zorniger stammt aus einer desaströsen Schauspielerehe und will für Gerechtigkeit sorgen. Sie wird Richterin im Münchner Justizpalast, doch auch hier ist die Wirklichkeit anders als die Theorie: Eine hochdifferenzierte Gerechtigkeitsmaschine muss das ganze Spektrum des Lebens verarbeiten, wobei sie sich gelegentlich verschluckt, und auch unter Richtern geht es gelegentlich zu wie in einer chaotischen Familie. "Justizpalast" ist ein Roman über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, über erregte, zynische,…mehr

Produktbeschreibung
Petra Morsbachs großer Roman über Gerechtigkeit und jene, die sie schaffen sollen

Thirza Zorniger stammt aus einer desaströsen Schauspielerehe und will für Gerechtigkeit sorgen. Sie wird Richterin im Münchner Justizpalast, doch auch hier ist die Wirklichkeit anders als die Theorie: Eine hochdifferenzierte Gerechtigkeitsmaschine muss das ganze Spektrum des Lebens verarbeiten, wobei sie sich gelegentlich verschluckt, und auch unter Richtern geht es gelegentlich zu wie in einer chaotischen Familie. "Justizpalast" ist ein Roman über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, über erregte, zynische, unverschämte, verblendete, verrückte, verwirrte und verzweifelte Rechtssuchende sowie überlastete, mehr oder weniger skrupulöse, kauzige, weise, verknöcherte und leidenschaftliche Richter.
Autorenporträt
Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. 'Opernroman', 'Gottesdiener' und 'Justizpalast'. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2017

Atemlos durch die dritte Macht

Nie war sie mit solcher Genugtuung Richterin: Petra Morsbachs großartiger Roman "Justizpalast" erzählt von der Liebe zwischen einer Frau und der Rechtspflege.

Am kommenden Sonntag erhält Petra Morsbach für diesen Roman mit dem Wilhelm-Raabe-Preis eine der bedeutendsten literarischen Auszeichnungen in Deutschland, nur zwei Tage danach ist sie mit ihm dann gleich für die nächste nominiert: als einem von drei Finalisten für den Bayerischen Buchpreis. Schon vorher ist "Justizpalast" in die zweite Auflage gegangen, und das will etwas heißen für ein solch herausforderndes Buch (F.A.Z. vom 29. Juli). Es steht gut um die deutsche Literatur, wenn es derartige Aufmerksamkeit bei Publikum und Kritik findet. Vor allem aber, weil es überhaupt geschrieben wurde.

Das ist nicht selbstverständlich. Petra Morsbach hat rund zehn Jahre daran gearbeitet, seitdem sie auf Einladung eines Richters das Verwaltungsgericht von Münster besucht hatte. Die Ernsthaftigkeit der Justiz, das Selbstverständnis ihrer Angehörigen und vor allem natürlich die juristische Sprache faszinierten die 1956 geborene Schriftstellerin, die bereits 1998 mit "Opernroman" aus teilnehmender Beobachtung eine Berufskultur zum Gegenstand gewählt - bis heute ihr größter Erfolg - und dieses Verfahren dann 2004 mit ihrem Priesterroman "Gottesdiener" wiederholt hatte. Der Präsident des Verwaltungsgerichts willigte nach Lektüre des letzteren Buchs ein, dass Frau Morsbach zwei Wochen lang in Münster die Arbeit der Justiz aus der Innensicht beobachten durfte - gegen Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung. Aber sie recherchierte ja für einen Roman. Zurückgekehrt ins heimatliche Starnberg, bat sie zur weiteren Vertiefung des Stoffs das Münchner Verwaltungsgericht um ähnliche Kooperationsbereitschaft, bekam hier jedoch eine Absage. Aber das Landgericht München stimmte zu, und mit ihm kam zugleich der Justizpalast ins Spiel, jenes eindrucksvolle neobarocke Gebäude, in dem auch das bayrische Justizministerium residiert. Der Titel des Romans ist auch eine kleine Danksagung für juristische Hilfestellung. Und "Landgericht"hieß ja schon ein erfolgreicher Roman von Ursula Krechel.

Der hatte 2012 den Deutschen Buchpreis gewonnen, doch trotz dem Thema einen ganz anderen Schwerpunkt als Morsbachs Roman, nämlich die mangelhafte Wiedereingliederung der im Nationalsozialismus entlassenen und in die Emigration entkommenen jüdischen Justizangehörigen. Beide Bücher eint aber auch ein zentrales Motiv: das Streben seiner jeweiligen Protagonisten nach Gerechtigkeit. Beide müssen die desillusionierende Erfahrung machen, dass politische Interessen auf die deutsche Rechtsprechung einzuwirken versuchen.

Im Mittelpunkt von "Justizpalast" steht Thirza Zorniger, deren Nachname keineswegs ein Omen ist, die aber auch durch ihren ungewöhnlichen hebräischen Vornamen - der für "Anmut" steht - nicht charakterisiert wird. Vielmehr beschreibt gerade der innere Zwiespalt des gesamten Namens ihre grundlegende Gespaltenheit: Als ganz auf ihren Beruf fixierte Gerechtigkeitsfanatikerin ist sie sich doch auch ihrer traurigen privaten Situation bewusst (die nur einmal in fast sechzig erzählten Lebensjahren in eine wirkliche Liebe mündet, die dann ein ebenso trauriges wie literarisch virtuos erzähltes Ende findet), als rechtsphilosophisch gebildete Richterin mit Gustav Radbruch als Vorbild muss sie doch zugleich Praktikerin und auch Pragmatikerin sein, und als Verfechterin und Nutznießerin der gesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit weiß sie doch auch, dass es private wie gesellschaftliche Prägungen und Bindungen gibt, die man nicht abstreift, wenn man die Richterrobe überwirft. Aus diesen Dilemmata entsteht die Romanhandlung. Einmal wird es ausgesprochen, mit den beiden einzigen Worten in Versalien: "Und jetzt haben wir: DIE JUSTIZ, ein schwindelerregendes Konstrukt aus Anspruch und Verblendung, Abstraktion und Herrschaftssicherung, Moral und Missbrauch, Redlichkeit und Routine, Zwanghaftigkeit und Zynismus. Nicht zu durchdringen."

Was in dieser Aufzählung fehlt, ist die Sprache. Jener Juristenjargon, der von höchster Präzision ist - da lacht das Schriftstellerinnenherz -, aber auch von einer technischen Kälte, die man so nicht in der abgeklärtesten literarischen Prosa findet. Aber jetzt in Petra Morsbachs "Justizpalast", über ganze Seiten mit Fallschilderungen und teilweise Gesetzes- und Verordnungstexten hinweg, und das ist immens mutig, denn im Verlauf des Buchs wird klar, dass nicht Thirza Zorniger die eigentliche Heldin ist, sondern eben die Justiz, und dass deren Sprache wie bei jeder literarischen Figur ein unentbehrliches Mittel zur Kenntlichmachung ist. Entsprechend konsequent wird sie gebraucht. "Justizpalast" ist aber kein Roman in Juristendeutsch, immer wieder wird Thirza Zornigers Stimme zwischengeschaltet, in einer Abfolge wechselnder Perspektiven, die einen eigenen Rhythmus etablieren, der atemlos beschleunigen kann, aber auch wieder retardierend abbremsen, teilweise innerhalb eines einzigen Satzes: "Thirza wieder Herrin der Lage in ihrem Gnadenbüro, das sich, nachdem der Hauch des leidenschaftlichen, verworrenen Lebens verflogen war, steril anfühlte wie eine Raumkapsel."

Chronologisch erzählt wird hier nicht, es gibt Rückblicke, Abschweifungen, Vorgriffe, und da kommt der literarische Anspruch bisweilen der sonstigen juristischen Präzision in die Quere, wenn gesetzliche Regelungen greifen, die zum Zeitpunkt der Romanhandlung noch nicht oder nicht mehr gültig waren. In der Danksagung zum Buch wird zahlreichen Juristen für deren Beratung gedankt, aber keiner von ihnen bekam den ganzen Roman vorab zu lesen, so dass sie nicht immer wissen konnten, wann die jeweils zu prüfende Passage angesiedelt war. Aber das sind Kleinigkeiten, die auch nur Juristen aufspüren werden, denn der Erzählbogen von "Justizpalast" ist ja keine Beweiskette, die auf lückenlose Plausibilität zu prüfen wäre. Er rundet sich durch die intime Zweisamkeit von Richterin und Recht, und diese Partnerschaft ist meisterhaft beschrieben und motiviert.

Die anderen Akteure in "Justizpalast" gehorchen dem Prinzip der Typenbildung. So auch die Kläger und Beklagten - wir haben es im Roman nahezu ausschließlich mit Zivil- und Verwaltungsrecht zu tun. "Sie hatten mehr Rechte denn je in ihrer Geschichte und mehr Rechte als fast alle Bürger sonst auf der Welt, und was taten sie? Sie litten und tobten. Sie prozessierten sich um Kopf und Kragen." In solchen Passagen ist Morsbachs Erzählerin (hier in der auktorialen Variante) mit Justitia selbst zu identifizieren, die etwa unmittelbar nach diesen Sätzen in einen abwägenden Dialog mit demokratischer Vernunft, moralischer Vernunft und historischer Erfahrung eintritt, ehe dann wie auf einer Bühne Richterin Zorniger in den Text tritt: "Thirza: Alles klar, sollen sie streiten. Aber warum so viel?"

So lernen wir aus diesem Roman unser Gemeinwesen besser kennen, am Beispiel seiner wichtigsten öffentlichen Instanz. Dass dann die nachlässige Behandlung der (realen) Causa um die Auslandsguthaben des bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und seiner Familie durch die Justiz (man könnte auch von deren Behinderung sprechen) zu einem untergründigen, aber bis zum Ende stets neu erscheinenden Handlungsfaden wird, ist das Antidot zum Gift einer frommen Denkungsart, die in der Rechtsprechung etwas selbst Unangreifbares sieht. Dass Petra Morsbach im vergangenen Jahr anlässlich der publizistischen Feiern zum hundertsten Geburtstag von Strauß fast verzweifelte, weil diese Aspekte auch in der Presse totgeschwiegen wurden, weist sie selbst als eine Person mit jenem unbestechlichen Gerechtigkeitsempfinden aus, wie sie es in Thirza Zorniger verkörpert hat. Insofern ist dieses Romanporträt unserer Rechtspflege auch ein Porträt der Autorin als zorniger Frau. Und so kommt der Name der Protagonistin auch zu seinem Recht.

ANDREAS PLATTHAUS.

Petra Morsbach: "Justizpalast". Roman.

Knaus Verlag, München 2017. 480 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.09.2017

Knall und Fall
Der Rechtsstaat als Perpetuum mobile des Erzählens: In ihrem Roman „Justizpalast“
schaut Petra Morsbach einer Münchner Richterin über die Schulter
VON HUBERT WINKELS
Am Ende möchte man eine Petition an die bayrische Staatsregierung einreichen, doch bitte die Justiz dringend mit neuen Planstellen und Sachmitteln zu versorgen. Dort werde mit soviel Kenntnis, Hingabe, Menschlichkeit, mit Gesetzestreue und Selbstaufopferung am Ideal der Gerechtigkeit gearbeitet und das schlimme Wüten von Selbstsucht, Gier und Bosheit eingegrenzt, dass es der gesamten Gesellschaft nicht nur zum Nutzen ausschlägt, sondern dass es sie als weitgehend friedliche Bürgergesellschaft überhaupt erhält. Gerechtigkeit, positives Recht und kluge Menschlichkeit sind unsres Glückes Unterpfand. Diesen Affekt eines tiefen Aufatmens bewirkt der neue Roman von Petra Morsbach, „Justizpalast“.
Er tut dies, indem er konkrete Geschichten aus der richterlichen Praxis erzählt, Dutzende Geschichten aus dem straf- und dem zivilrechtlichen Bereich, in dem es vor allem Institutionen, also Firmen, Stiftungen usw. sind, die der Selbstsucht frönen, den Konkurrenz- und den Vernichtungswillen kollektiv, anonymisiert und rechtlich schwer bewaffnet ausagieren. Es sind viele schmutzige, abgründige, weil menschliche Geschichten, die normalerweise nur die Rechtspraktiker zu Gesicht bekommen, jetzt aber, weil Petra Morsbach sich entschieden hat, dort hineinzugehen und genau hinzusehen, ja hinzulangen mit sachter, aber entschiedener Hand, auch wir Romanleser.
Natürlich ist die Literatur voll von Geschichten, oft ganzen Romanen und Theaterstücken, die sich auf Gerichtsprozesse beziehen. Die Kindsmörderin Margarete als Kern des „Faust“, Kleists „Der zerbrochne Krug“, Brechts Augsburger Kreidekreis, Ferdinand von Schirachs Erzählungen nach Strafprozessen. Doch Petra Morsbach macht es anders. Ihr Roman durchläuft wie in einem erweiterten Rechtsreferendariat Station um Station im juristischen Feld von der Staatsanwaltschaft über die amtsgerichtliche Strafjustiz zur landgerichtlichen Berufungs- oder Kartellkammer, die Gnadenabteilung, hoch bis zum Justizministerium und hinunter bis zum kleinen Versicherungsanwalt, der sich auf Tierhaftpflicht spezialisiert.
Sie fördert Geschichten über Geschichten zutage aus einem schier unerschöpflichen Repertoire der Lügen und Hinterlisten und Gewalttaten, samt deren häufig ursächlichen Kehrseiten: den Traumatisierungen und Überforderungen und zufälligen Verstrickungen, der Chancenlosigkeit und schlichten Dummheit der Angeklagten und Beklagten. In sozialpsychologischem Realismus werden Bosheit und Gelegenheit, Charakterschwäche und Impulsivität und das ganze krude Gemisch aus Traum, Enttäuschung und Wahnsinn aus dem jeweiligen Fall herausgezogen .
Solche Häufung von Stürzen, die zu Fällen, auch zu Erzählfällen werden, liebt Petra Morsbach. Ihre Romane sind voll davon, am deutlichsten ihr „Opernroman“ von 1998, in dem sie das Personal eines Musiktheaters in anekdotengespickten Porträts vorstellte. Und nun „Justizpalast“, als ob sie nach Büchern wie „Geschichten mit Pferden“ oder „Dichterliebe“ gegrübelt hätte, in welchem gesellschaftlichen Segment sich die meisten Storys auf engem Erzählraum destillieren ließen. Im Gericht natürlich, und dieser Schauplatz hat zudem den Vorteil, dass die verhandelten Geschichten hier schon vordestilliert sind, sei es aus der Perspektive eines Opfers, Klägers, Anwalts oder Richters.
Das klingt so plausibel wie einfach. Doch der Weg in die Fülle ist voller Tücken. Die allgemeinste ist die Lieblosigkeit, die durch das Serielle, das Gleichförmige und Repetitive droht, überhaupt durch die Unterordnung der einzelnen Geschichte unter das allgemeine Gesetz. Nun liegt jedem Erzählvorgang eine Unterordnung unter allgemeine Gesichtspunkte zugrunde, von erzähltechnischen bis hin zu moralischen. Doch bei der Begegnung von justizförmigen und literarischen Repräsentationen kommt das Individuelle noch ganz anders in Bedrängnis, denn der Schematismus des Gesetzes ist das Gegenstück zum ästhetischen Ideal des Besonderen, der Plötzlichkeit, der Überwältigung, wie wir es zumindest seit der Romantik kennen. Der Anekdotenliebhaber Heinrich von Kleist hat diesen Konflikt gleich zur Grundfrage etlicher seiner Geschichten gemacht.
Petra Morsbach wählt einen anderen Weg, eine Art ästhetische Gerechtigkeit herzustellen. Sie bettet ihren geliehenen Bestand von Mitleid und Furcht hervorrufenden Erzählungen in eine Rahmengeschichte ein, die sie in einen menschlichen Raum einbettet, der beide umfasst, die Richtenden wie die Gerichteten. Kurzum, die Münchner Richterin Thirza Zorniger, die sanfte Heldin des Romans, ist beides zugleich, Teil des allzu menschlichen Zusammenhangs, von dem die Devianzen vor Gericht nur Sonderfälle sind, und das umfassende Medium, das allem Erzählten seinen Raum gibt.
Thirza Zorniger, die wir vom Kind bis zur alten Frau kennenlernen, und deren Lebensweg so geschickt verwoben wird mit den Justizfällen, dass wir zwischenzeitlich vergessen, ob wir in der Rahmen- oder der Binnenhandlung stecken. Die Heldin, deren Lebensgeschichte etwas weniger von Lieblosigkeit, Hass, Hochmut und Zurückweisungen versehrt ist als die der anderen, nutzt ihre privilegierte Position zur Empathie und Gerechtigkeit. Sie kann zuhören; die meist persönlich grausamen Fälle arbeiten in ihr weiter; sie gibt, so gut es geht, keine Seele verloren; sie liebt ihren spät im Leben kennengelernten Max; sie verliert ihren Max an Krankheit und Tod; sie verhärtet darüber nicht; sie lässt ihr Leid nicht von anderen bezahlen.
Die Person Thirza ist gut, weil sie ihre Schwächen reflektiert und zaudern kann. Sie taugt damit zu einer modernen demokratisch rechtsstaatlichen Allegorie der Justiz, die um ihre strukturelle Kontingenz weiß und um ihre historisch wandelbaren Fehler und Schwächen. Sie ist durch und durch skeptisch, auch am Ende eines Entscheidungsprozesses; und von Humor getragen, einem feinen Wissen um das Vergebliche all des unseligen Bemühungen. Als Skulptur würde Morsbachs Justizia, statt eine Augenbinde zu tragen, leise mit den Augen lächeln. Solcher auf den Rechtsraum bezogener Humor, getragen auch von der Lakonik der Erzählungen, und manchmal zur situativen Komik gesteigert, durchzieht den ganzen Roman.
Es dauert etwa bis zur Hälfte, bis wir endlich eine längere zusammenhängendes Strecke des Lebensweges mit der erwachsenen Richterin mitgehen. Max, ein Mann unterhalb ihres Standes, ein kleiner Krauter als Anwalt, aber ein liebender Mann, tritt in Thirzas Leben. Sie lernt ihn kennen in exakt dem Augenblick, da sie sich eine kurze, aber brutale Abfuhr von ihrem zweifelhaften Jugendschwarm, dem Oberjuristen Alfred einhandelt. Auch für solche dramaturgischen Knalleffekte ist sich Petra Morsbach nicht zu schade,und von da ab lesen wir das lebensgeschichtliche Unterfutter der Entscheiderin immer mehr in der Entscheidung mit.
Wenn die Richterin ihre Einlassungen und Urteile bedenkt, verliert sie nie die Frage nach dem Glück aus den Augen, auf die jede Tat eine Antwort ist. Und ihre Autorin verknüpft gelegentlich die lapidare Fallschilderung mit kleinen philosophischen und literarischen Brocken, die ihr vom Bücherfreund und Glücksbringer Max zufallen, der ihr zum Einschlafen Klassisches vorliest. Eine literarische Leihgabe, die für mehr Tiefe und poetische Anmutung sorgen soll. Zwingend ist sie nicht.
Ein Problem bleibt trotz der geschickten Romandramaturgie ungelöst, dass nämlich trotz aller Empathie, lebenskluger Relativierung und skeptischen Draufschau das Stereotype der gerichtsnotorischen Fälle etwas ermüdet. Ihrem Erzählgesetz folgend, kann die Erzählerin nie über die Stränge schlagen, sich etwa im Motivbündel einer Tat völlig verlieren. Alles bleibt sozialpsychologisch, manchmal psychoanalytisch gut konditioniert. Und wir Leser verstehen so gut wie alles, fallen aber nicht wirklich tief hinein in einen Fall, auch nicht, wenn das Private zunimmt. Wir sind eben im Justizpalast.
Nur in einem ist man überwältigt, und das ist nicht wenig, in der konkreten Anschauung der Justiz selbst. Was für ein herrlich filigranes Gebilde, mit Verstand und Lebensklugheit angewandt, eine Lebensversicherung für uns alle in einer Zeit des grenzenlosen Eigennutzes! Petra Morsbach ist, man kann es kaum glauben, keine Juristin. Sie hat lediglich neun Jahre für ihren Roman recherchiert und bedankt sich an dessen Ende bei etwa fünfzig Juristen, darunter über dreißig Richtern verschiedener Instanzen der Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit aus fünf Bundesländern. Ihnen ist der Roman gewidmet. Man glaubt, die Gründe gut zu verstehen.
Petra Morsbach: Justizpalast. Roman. Knaus Verlag, München 2017. 481 Seiten, 25 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Hier wird das krude Gemisch aus
Traum, Enttäuschung, Wahnsinn
aus einem Fall herausgezogen
Nie verliert die Richterin die Frage
nach dem Glück aus den Augen,
auf die jede Tat eine Antwort ist
Die Justitia auf dem Münchner Justizpalast mit Schwert und Waage. Zu ihren Füßen kauern die Unschuld (links) und das Laster.
Foto: Claus Schunk
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Platthaus nennt Petra Morsbach eine Autorin mit unbestechlichem Gerechtigkeiteempfinden. Ihr Roman über die Rechtspflege hat den Rezensenten fasziniert. Wie Morsbach eine rechtsphilosophisch gebildete Richterin zwischen Redlichkeit und Routine, Moral und Missbrauch nach der Gerechtigkeit fahnden und immer wieder mit ihrer desolaten privaten Situation kollidieren lässt, hat ihn schwer beeindruckt. Preiswürdig findet Platthaus sowohl, wie Morsbach den technischen Juristenjargon nachempfindet und in Fallschilderungen abtaucht, als auch die Art und Weise, wie die Autorin die Handlung beschleunigt, abbremst und mit Rückblenden, Abschweifungen und Vorgriffen erzählt. Der so inszenierten intimen Zweisamkeit von Richterin und Recht beiwohnen zu dürfen, empfindet der Rezensent als Geschenk.

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»Wer aus diesem Roman herauskommt, der ist nicht nur fortan in lingua iustitiae gestählt, ohne selbst vor Gericht gemusst zu haben, der ist auch klüger.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus