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Am 22. Mai 1882 wurde der Velociped-Club Mühldorf gegründet. Neben Wettrennen und Ausflügen in die nähere Umgebung, organisierten "Tanz-Kränzchen" und "gemüthlichen Unterhaltungen", unternahmen die Vereinsmitglieder auch längere Wanderfahrten in die Ferne. Josef Rambold, Lederer, aus Mühldorf und langjähriger Vereinsvorsitzender des Velozipedclubs, hat über diese Wanderfahrten ausführlich Tagebuch geführt. Seine Aufzeichnungen vermitteln nicht nur ein Bild damaliger bürgerlicher Lebensart, sondern bieten auch eine Vielzahl von kulturgeschichtlichen Details. So werden nicht nur kunsthistorische…mehr

Produktbeschreibung
Am 22. Mai 1882 wurde der Velociped-Club Mühldorf gegründet. Neben Wettrennen und Ausflügen in die nähere Umgebung, organisierten "Tanz-Kränzchen" und "gemüthlichen Unterhaltungen", unternahmen die Vereinsmitglieder auch längere Wanderfahrten in die Ferne. Josef Rambold, Lederer, aus Mühldorf und langjähriger Vereinsvorsitzender des Velozipedclubs, hat über diese Wanderfahrten ausführlich Tagebuch geführt. Seine Aufzeichnungen vermitteln nicht nur ein Bild damaliger bürgerlicher Lebensart, sondern bieten auch eine Vielzahl von kulturgeschichtlichen Details. So werden nicht nur kunsthistorische Sehenswürdigkeiten in den einzelnen Ortschaften ausführlich beschrieben, sondern der Leser erfährt auch etwas über kulinarische Köstlichkeiten in den besuchten Wirtschaften, über die Streckenführung und über zufällige, aber doch amüsante Begegnungen mit Einheimischen und anderen Radwanderern.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2010

Reisebuch

Reisen mit Rücktrittbremse
Um 1900 war das Fahrradfahren noch eine extravagante Lebensart
Eine Sportskanone stellt man sich anders vor. Der Lederermeister Josef Rambold trug seinen Schnurrbart, der selbst Kaiser Wilhelm höchsten Respekt eingeflößt hätte, mit ebensolcher Würde wie seinen Zwicker auf der Nase und die Fliege am Kragen. Ansonsten war Rambold eher schmächtig von Statur. Sein Bruder hingegen, Otto Rambold, war ein bulliger Typ. Allein, man würde den beiden kaum gerecht werden, wenn man sie als reine Sportler abstempelte. Die Rambolds waren mehr als Gelegenheits-Radfahrer, sie brachten ihre Urlaube damit zu, die Welt auf einem gefederten Sattel zu durchmessen. Sie waren Velocipedisten!
Dieser schöne Begriff ist ausgestorben, das implizite Freizeitverständnis nur noch selten anzutreffen. Velocipedisten, das waren Bildungsbürger, die auf zwei Rädern verreisten, um Kultur in all ihren Facetten zu erleben. Besser lässt sich diese Art zu reisen kaum veranschaulichen als durch die Reiseaufzeichnungen des Josef Rambold (1873 bis 1952), Lederer in Mühldorf am Inn.
Drei seiner Berichte hat der Stadtarchivar selbiger oberbayerischer Stadt, Edwin Hamberger, nun im Verlag Edition Vulpes herausgegeben. Rambold und seine Freunde vom Velocipedclub Mühldorf reisten 1899 ins Salzkammergut, im Jahr darauf über den Brenner bis zum Gardasee und Anfang August 1902 über Villach und Laibach nach Triest und von dort schließlich mit dem Schiff nach Venedig.
Die Rambold-Brüder und ihre Fahrtgesellen würden die Radfahrer, die im 21. Jahrhundert auf den Straßen verkehren, gewiss für sonderbar halten. Umgekehrt fielen natürlich auch sie aus dem Rahmen. Und das nicht allein wegen ihrer Gefährte, die mit Rücktrittbremse, nicht aber mit Gangschaltung ausgestattet waren. Es gibt nämlich auch Passagen, in denen Rambold en passant Juden und „Alpenkretins“ verunglimpfte. Hamberger ediert auch diese, um ein unverfälschtes Zeugnis der damaligen Radlergesellschaft und des Bürgertums jener Zeit vorzulegen, aus welchem sich die sogenannten Velocipedisten rekrutierten.
Was die Radreisen selbst angeht, stechen zwei Tatsachen ins Auge: Zum einen tranken die Radler an jeder Station literweise Bier oder Wein zu üppigen Mahlzeiten, und dennoch bewältigten sie – auf den noch lange nicht geteerten Straßen – beachtliche Tagesetappen. Zum anderen erwähnt Rambold niemals Strapazen, schon gar nicht klagend. Fitness war wohl selbstverständlich.
Die Unbilden, von denen Rambold erzählt, hingen mit hohen Logis-Preisen, dem Wetter oder mit skurrilen Begebenheiten zusammen. In Naturns in Tirol zum Beispiel reichte die Kellnerin einem adeligen Radler versehentlich Zahnpulver statt der Gummilösung zum Reifenflicken. Der Berichterstatter selbst machte auf dieser Gardasee-Fahrt Bekanntschaft mit krakeelenden Briten, welche sein Reisevergnügen durch „Singen und Brüllen“ offenbar erheblich beeinträchtigten. „Wir konnten nichts Besseres tun“, schreibt er, „als die ganze Räuberbande mit Verachtung strafen.“
Der Charme solcher Anekdoten fußt auf Rambolds Mutterwitz, und es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn der Germanist Ludwig Zehetner in seinem fulminanten Geleitwort Rambold mit Jerome K.  Jerome vergleicht, dem großen britischen Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts.
RUDOLF NEUMAIER
EDWIN HAMBERGER: „. . . also frisch drauf los“. Radreisen um 1900. Edition Vulpes, Regensburg 2010, 115 Seiten, 66 Abbildungen, 20 Euro
Fitness war selbstverständlich: Obwohl die Fahrräder damals keine Gangschaltung besaßen, klagte man nie über die Strapazen auf langen Touren, die etwa von Mühldorf am Inn bis nach Venedig führten. Foto: Edition Vulpes
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