Viele von uns kennen folgendes Szenario: Da hat man sich auf einen behaglichen Abend im Theater oder im Opernhaus eingestellt. Gegeben wird beispielsweise Mozarts „Zauberflöte“, fast schon ein „biblischer Klassiker“ der schönen Muse. Man erwartet wohlbekannte Melodien, die man teils schon auswendig
mitsingen, zumindest mitsummen kann. Während die vertrauten Töne der Ouvertüre über einen…mehrViele von uns kennen folgendes Szenario: Da hat man sich auf einen behaglichen Abend im Theater oder im Opernhaus eingestellt. Gegeben wird beispielsweise Mozarts „Zauberflöte“, fast schon ein „biblischer Klassiker“ der schönen Muse. Man erwartet wohlbekannte Melodien, die man teils schon auswendig mitsingen, zumindest mitsummen kann. Während die vertrauten Töne der Ouvertüre über einen hinwegplätschern, schiebt man sich schon mal genussvoll eine edle Praline oder ein Sahnebonbon in den Mund. Die Vorfreude steigt, gleich wird es losgehen! Doch da hebt sich der Vorhang und diesmal ist alles anders, denn der erwartete Zeitsprung ins 18. Jahrhundert fällt aus und man ist irgendwie in der Gegenwart gelandet: Der Vogelhändler fährt mit einem kleinem Elektroauto herum, der edle Prinz trägt T-Shirt und Lederhose, die Königin der Nacht ist gestylt wie Barbarella, und die drei weisen Knaben schweben nicht gewohnt majestätisch auf einer Wolke über dem Geschehen, nein, sie tollen als richtige kleine Rotzlöffel über die Bühne und sehen zudem noch aus, als seien sie einen Hip-Hop-Video entsprungen. Zugegeben: Vor Überraschung - vielleicht auch vor Empörung - verschluckt man sich fast an seiner Süßigkeit. Eben wollte man sich noch in vertraute Behaglichkeit kuscheln; doch der Regisseur hat einem die Decke weggezogen und mit einem Schlag ist man hellwach. Bekannte Abläufe zeigen einen gänzlichen anderen Grundtenor; was sich bisher würdevoll und feierlich präsentierte, kommt nun humorvoll, vielleicht gar ein wenig respektlos daher. Doch wenn sich der kleine „Kulturschock“ erst einmal gesetzt hat, offenbaren sich neue und äußerst interessante Facetten.
Wer ähnliches schon erlebt hat, kann sich in etwa vorstellen, welche Überraschungseffekte den Leser zwischen den Seiten von Magirius’ neuem Buch erwarten. In vergnüglich zu lesenden Kurzgeschichten schickt der Autor seine biblischen Protagonisten auf eine Zeitreise ins frühe 21. Jahrhundert: Elisabeth und Zacharias sind Mitglieder im örtlichen Tennisverein, Abraham und Sara setzen sich in ihrem Studentenalltag mit niedrigem BAföG und teurem Mensa-Essen auseinander, Lots Kinder lieben es, mit der U-Bahn unter der Metropole Sodom langzudüsen und den städtischen Zoo zu besuchen, Isaak erwägt eine Partnersuche per Internet. Und natürlich taucht auch Jesus auf; als „neuer Mann“ und mit leichter Profilneurose. Von Reihenhaussiedlungen ist die Rede, von Bausparverträgen und Supermärkten, von Kino und Boulevard-Presse. Und dennoch sind es die altvertrauten biblischen und für immer „gültigen“ Geschichten von Liebe, Freundschaft und zwischenmenschlichen Beziehungen, die Magirius vor dem Leser ausbreitet. Die Konfrontation mit ungewohnten Perspektiven stellt dabei altbekannte, sozusagen „allgemeingültige“ Interpretationen in Frage. Als Beispiel hierfür kann man im wahrsten Sinne des Wortes mal bei Adam und Eva anfangen, deren „Rauswurf“ aus dem Paradies von theologischer Seite in der Regel als Strafe für Ungehorsam bewertet wird. Magirius hingegen lässt Adam und Eva bewusst gegen den animierten Dauerurlaub in der Ferienclub-Anlage „Garten Eden“ rebellieren, um sie dann freudig und mutig in die Freiheit des alltäglichen Lebens ziehen zu lassen.
Anders als bei seinen Vorläufern nimmt Magirius in diesem Buch keine Perspektivenwechsel auf der Erzählerebene vor. Während er sonst seine Ausführungen - mal mehr, mal weniger - mit Anekdoten aus seinem Leben und/oder direkten persönlichen Meinungen untermalte, bleibt der Ich-Erzähler Magirius diesmal stumm. Zugegeben: Im direkten Vergleich zwischen den Büchern empfinde ich das als echte „Lücke“, denn mir hat dieser persönliche Aspekt bislang besonders gut gefallen. Dafür offenbart sich Magirius in seinem fünften Buch mehr den je als phantastischer Geschichtenerzähler mit außergewöhnlichem Einfallsreichtum. Erneut sticht seine besondere Begabung hervor, amüsante Unterhaltsamkeit mit poetischer Ausdruckkraft zu einen.