Irmgard Möller rekonstruiert in Gesprächen mit Oliver Tolmein ihre eigene und die Geschichte der RAF, die durch Dokumente - wie ihre Prozesserklärung von 1975 und Kassiber aus dem Infosystem - ergänzt werden. Das Buch soll vor allem jüngeren Leuten ermöglichen, sich ein eigenes Bild zu machen: jenseits von BKA-Akten, Enthüllungsstorys deutscher Nachrichtenmagazine und Prozessberichten.In diesem Jahr jähren sich der Deutsche Herbst und die Todesnacht von Stammheim zum 25. Mal. Irmgard Möller hat als einzige der vier RAF-Gefangenen im 7. Stock des Hochsicherheitstraktes schwer verletzt überlebt - und sie widerspricht der offiziellen Version, dass es sich um Selbstmord gehandelt hat. In dem vorliegenden Buch erzählt sie, warum sie in die RAF gegangen ist. Sie setzt sich mit der Entwicklung und dem Ende des bewaffneten Kampfes auseinander und berichtet über ihre Haftzeit, die Hungerstreiks und die Erfahrungen seit ihrer Entlassung 1994. In dieser dritten, überarbeiteten und ergänztenAuflage spricht sie mit Oliver Tolmein auch über die Kritik, die es an diesem Buch nach seinem Erscheinen gegeben hat und über das neu erwachte Interesse an der RAF, das Filme wie "Blackbox BRD" oder "Die Innere Sicherheit" hervorgebracht hat.Das Gespräch mit Irmgard Möller eröffnet eine eigene Perspektive auf die politischen Entwicklungen seit Beginn der Studentenrevolte. Dabei geht es nicht darum, "die Wahrheit" über die RAF und die Reaktionen der deutschen Gesellschaft zu präsentieren. Mit Irmgard Möller wird eine Zeitzeugin kritisch befragt, die sich nicht an die Verhältnisse angepasst hat. Ohne zur privatisieren setzt sie ihre persönliche Geschichte dem offiziellen Bild von Aufbruch und Niedergang der RAF entgegen - und ermöglicht so auch jüngeren Leserinnen und Lesern, sich ein eigenes Bild zu machen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.1997Keine persönliche Geschichte
Irmgard Möller will sich nicht erinnern
Oliver Tolmein: "RAF - Das war für uns Befreiung". Ein Gespräch mit Irmgard Möller über bewaffneten Kampf, Knast und die Linke. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1997. 272 Seiten, 32,- Mark.
Irmgard Möller war Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) seit deren Aufbau zu Beginn der siebziger Jahre. Nach fast 23 Jahren Haft wurde sie 1994 in die Freiheit entlassen. Die einzige Überlebende der Todesnacht von Stammheim im Herbst 1977 hat sich fast ein Jahr lang mit dem Journalisten Oliver Tolmein getroffen und mit ihm Gespräche über die RAF geführt, die nun als Buch vorliegen. Den "einseitigen ideologischen Berichten" über die linksextremistische Terror-Organisation soll "eine persönliche Geschichte entgegengesetzt" werden, so das erklärte Anliegen der Veröffentlichung. Aber gerade das, eine persönliche Geschichte, kann und will Irmgard Möller nicht erzählen. An der derzeitigen RAF-Bewältigungswelle stört sie, "wie beliebig und privat die Geschichten daherkommen. Jeder und jeder erzählt Anekdoten aus seinem Leben." Damit kann Frau Möller nichts anfangen. Und wütend wird sie über ein Fazit der Terrorjahre, wie es das ehemalige RAF-Mitglied Birgit Hogefeld zieht: "Wir sind geworden wie die, die wir bekämpfen wollten." Das sei "bürgerliche Moral", findet Irmgard Möller, denn schließlich müsse man "zwischen revolutionärer Gewalt und Brutalität unterscheiden".
Aus einem streng katholischen Elternhaus, das in Opposition zu den Nazis stand, ging Irmgard Möller als Studentin nach Freiburg, wo es "einfach öde" war, denn die "Studenten sind Wein trinken gegangen und haben gelernt". Statt ebenfalls Wein zu trinken und Althochdeutsch und Altfranzösisch zu pauken, ging Frau Möller nach München, besuchte Teach-ins, zog in eine Kommune ("Die Haushaltsfragen waren weniger gut organisiert als die politische Arbeit"), befreundete sich mit Fritz Teufel. Wie sie dann zur Terroristin wurde, erfährt man nicht genau.
Widersprüchlich
Vielmehr handeln große Teile des Buches von Konzepten, Erklärungen und Strategiepapieren der RAF. Frau Möller erinnert sich offenbar auswendig an die jeweiligen Passagen eines jeden Papiers, und ihr Interviewpartner hat sie ebenfalls seit Jahren studiert - ein Gespräch von Insidern, keine persönliche Geschichte.
Wer sich dennoch durch diese Teile des Textes quält, findet viele widersprüchliche Aussagen. Frau Möller will zu der Entscheidung stehen, in den Untergrund gegangen und den Kampf gegen den "imperialistischen Staat BRD" geführt zu haben. Sie will sich die RAF, wie sie sie erlebt haben will, nicht kaputtmachen lassen. "Wir hatten große Lust auf ein freies Leben . . . und hatten viel Freude und Spaß miteinander." Befällt sie ein Zweifel, hält sie sich an den Grundüberzeugungen fest, die man sich in den späten sechziger Jahren angeeignet hat: "Das wirft man nicht schnell mal über Bord." Von den RAF-Aussteigern, die in der DDR waren, ist sie enttäuscht; die seien, als sie 1990 gefaßt wurden, schon völlig "entpolitisiert" gewesen. Diese Leute seien um 1977 zu schnell in die RAF gegangen, das war ein "gravierender Fehler", findet Frau Möller; auch Christian Klar hat die Aussteiger einmal als "Rekrutierungsfehler" bezeichnet.
Mörderisch
Irmgard Möller ist für die Sicht der Aussteiger - sie würde wohl von "Verrat" sprechen - nicht zu haben. Den Mord an Schleyer verteidigt sie, denn er war der "mächtigste Wirtschaftsführer" und ein "ehemaliger SS-Offizier". Auch die erschossenen Fahrer und Leute des Personenschutzes hätten gewußt, was sie mit ihrem Job riskierten. Die Ermordung des amerikanischen Soldaten Pimental, den man aus einer Disco herauslockte und von hinten erschoß, nur um an seine ID-Karte zu kommen, findet sie "völlig inakzeptabel". Auch den Mord an Gerold von Braunmühl lehnt sie als "Bestrafungsaktion" ab; an anderer Stelle rechtfertigt sie jedoch die Ermordung des Bundesanwalts Siegfried Buback gerade als eine ebensolche "Bestrafungsaktion" ("Die sollten sich zweimal überlegen, ob sie noch mal einen von uns erschießen.")
Frau Möller hält den Selbstmord Ulrike Meinhofs ebenso wie den Tod von Baader, Raspe und Ensslin für eine Mordaktion des Nachrichtendienstes BND. Aussagen ehemaliger RAF-Mitglieder, daß man von dem geplanten Selbstmord wußte, beeindrucken sie nicht. Wie sie selbst in jener Nacht im Oktober 1977 zu vier teilweise lebensgefährlichen Stichen in der Brust kam - daran kann oder will sie sich nicht erinnern. Sie spricht von der Isolationshaft, von der Angst, daß "die alten bürgerlichen Strukturen einen wieder einholen können und überwältigen", von "Selbstverachtung" und "Schuldgefühlen, nicht genug gekämpft zu haben". Mit einem Hungerstreik hat man sich 1981 gegen die Haftbedingungen gewehrt, der Staat reagierte mit Zwangsernährung - "ein dicker Schlauch wurde in den Hals gerammt". Doch den RAF-Häftling Holger Meins, so glaubt sie, ließ man absichtlich verhungern. Zweifel an der Richtigkeit des Hungerstreiks hatte sie auch nach dem Tod von Meins, "den ich sehr mochte", nicht. Den letzten gewaltsamen Tod eines RAF-Mitglieds, die mutmaßliche Selbsttötung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen 1993, sieht sie als "Hinrichtung eines Gefangenen in aller Öffentlichkeit".
Schließlich biegt sich Frau Möller die Geschichte der RAF zur Erfolgsgeschichte um: Man habe in den siebziger Jahren "zum Beispiel ein zunehmend klares Bewußtsein darüber geschaffen, wie aggressiv dieser deutsche Staat wirklich ist". In diesem Staat will Irmgard Möller auf Dauer nicht bleiben; sie kann sich nicht vorstellen, nur "irgendwo in eine Antifa-Gruppe zu gehen, Flugblätter zu verteilen oder immerzu auf Demos zu gehen".
Ihr Gesprächspartner, der 35 Jahre alte Journalist Tolmein, begegnet Frau Möller mit einer Mischung aus Faszination und Solidarität, Distanz und Unverständnis. Mit 16 Jahren hatte er 1977, damals Mitglied der Jungen Union, "die Erschießung von Gefangenen (der RAF) als Geiseln zumindest als Idee akzeptabel gefunden". Wie er zur Beschäftigung und teilweisen Solidarisierung mit der RAF kam, erfahren wir nicht.
Fraglich
Tolmein gibt sich Mühe, doch gelingt es ihm nur selten, an Irmgard Möller heranzukommen. Eine seiner besten Fragen: "War das etwas, worüber ihr, als ihr noch in der RAF gekämpft habt, nachgedacht habt: Wie lange kann man illegal sein und kämpfen? Was macht man im Alter?" Antwort: "Nein, nein, nein! Das war keine Frage. Nie."
Das Buch widmet Tolmein seinem kleinen Sohn, denn es sei "irgendwie doch eine Fortsetzung von Tigerpanthers Erfahrungen in der Welt". Wird der Junge, wenn er groß ist, noch irgend etwas von diesem Buch verstehen? Hoffentlich nicht. MARKUS WEHNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Irmgard Möller will sich nicht erinnern
Oliver Tolmein: "RAF - Das war für uns Befreiung". Ein Gespräch mit Irmgard Möller über bewaffneten Kampf, Knast und die Linke. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1997. 272 Seiten, 32,- Mark.
Irmgard Möller war Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) seit deren Aufbau zu Beginn der siebziger Jahre. Nach fast 23 Jahren Haft wurde sie 1994 in die Freiheit entlassen. Die einzige Überlebende der Todesnacht von Stammheim im Herbst 1977 hat sich fast ein Jahr lang mit dem Journalisten Oliver Tolmein getroffen und mit ihm Gespräche über die RAF geführt, die nun als Buch vorliegen. Den "einseitigen ideologischen Berichten" über die linksextremistische Terror-Organisation soll "eine persönliche Geschichte entgegengesetzt" werden, so das erklärte Anliegen der Veröffentlichung. Aber gerade das, eine persönliche Geschichte, kann und will Irmgard Möller nicht erzählen. An der derzeitigen RAF-Bewältigungswelle stört sie, "wie beliebig und privat die Geschichten daherkommen. Jeder und jeder erzählt Anekdoten aus seinem Leben." Damit kann Frau Möller nichts anfangen. Und wütend wird sie über ein Fazit der Terrorjahre, wie es das ehemalige RAF-Mitglied Birgit Hogefeld zieht: "Wir sind geworden wie die, die wir bekämpfen wollten." Das sei "bürgerliche Moral", findet Irmgard Möller, denn schließlich müsse man "zwischen revolutionärer Gewalt und Brutalität unterscheiden".
Aus einem streng katholischen Elternhaus, das in Opposition zu den Nazis stand, ging Irmgard Möller als Studentin nach Freiburg, wo es "einfach öde" war, denn die "Studenten sind Wein trinken gegangen und haben gelernt". Statt ebenfalls Wein zu trinken und Althochdeutsch und Altfranzösisch zu pauken, ging Frau Möller nach München, besuchte Teach-ins, zog in eine Kommune ("Die Haushaltsfragen waren weniger gut organisiert als die politische Arbeit"), befreundete sich mit Fritz Teufel. Wie sie dann zur Terroristin wurde, erfährt man nicht genau.
Widersprüchlich
Vielmehr handeln große Teile des Buches von Konzepten, Erklärungen und Strategiepapieren der RAF. Frau Möller erinnert sich offenbar auswendig an die jeweiligen Passagen eines jeden Papiers, und ihr Interviewpartner hat sie ebenfalls seit Jahren studiert - ein Gespräch von Insidern, keine persönliche Geschichte.
Wer sich dennoch durch diese Teile des Textes quält, findet viele widersprüchliche Aussagen. Frau Möller will zu der Entscheidung stehen, in den Untergrund gegangen und den Kampf gegen den "imperialistischen Staat BRD" geführt zu haben. Sie will sich die RAF, wie sie sie erlebt haben will, nicht kaputtmachen lassen. "Wir hatten große Lust auf ein freies Leben . . . und hatten viel Freude und Spaß miteinander." Befällt sie ein Zweifel, hält sie sich an den Grundüberzeugungen fest, die man sich in den späten sechziger Jahren angeeignet hat: "Das wirft man nicht schnell mal über Bord." Von den RAF-Aussteigern, die in der DDR waren, ist sie enttäuscht; die seien, als sie 1990 gefaßt wurden, schon völlig "entpolitisiert" gewesen. Diese Leute seien um 1977 zu schnell in die RAF gegangen, das war ein "gravierender Fehler", findet Frau Möller; auch Christian Klar hat die Aussteiger einmal als "Rekrutierungsfehler" bezeichnet.
Mörderisch
Irmgard Möller ist für die Sicht der Aussteiger - sie würde wohl von "Verrat" sprechen - nicht zu haben. Den Mord an Schleyer verteidigt sie, denn er war der "mächtigste Wirtschaftsführer" und ein "ehemaliger SS-Offizier". Auch die erschossenen Fahrer und Leute des Personenschutzes hätten gewußt, was sie mit ihrem Job riskierten. Die Ermordung des amerikanischen Soldaten Pimental, den man aus einer Disco herauslockte und von hinten erschoß, nur um an seine ID-Karte zu kommen, findet sie "völlig inakzeptabel". Auch den Mord an Gerold von Braunmühl lehnt sie als "Bestrafungsaktion" ab; an anderer Stelle rechtfertigt sie jedoch die Ermordung des Bundesanwalts Siegfried Buback gerade als eine ebensolche "Bestrafungsaktion" ("Die sollten sich zweimal überlegen, ob sie noch mal einen von uns erschießen.")
Frau Möller hält den Selbstmord Ulrike Meinhofs ebenso wie den Tod von Baader, Raspe und Ensslin für eine Mordaktion des Nachrichtendienstes BND. Aussagen ehemaliger RAF-Mitglieder, daß man von dem geplanten Selbstmord wußte, beeindrucken sie nicht. Wie sie selbst in jener Nacht im Oktober 1977 zu vier teilweise lebensgefährlichen Stichen in der Brust kam - daran kann oder will sie sich nicht erinnern. Sie spricht von der Isolationshaft, von der Angst, daß "die alten bürgerlichen Strukturen einen wieder einholen können und überwältigen", von "Selbstverachtung" und "Schuldgefühlen, nicht genug gekämpft zu haben". Mit einem Hungerstreik hat man sich 1981 gegen die Haftbedingungen gewehrt, der Staat reagierte mit Zwangsernährung - "ein dicker Schlauch wurde in den Hals gerammt". Doch den RAF-Häftling Holger Meins, so glaubt sie, ließ man absichtlich verhungern. Zweifel an der Richtigkeit des Hungerstreiks hatte sie auch nach dem Tod von Meins, "den ich sehr mochte", nicht. Den letzten gewaltsamen Tod eines RAF-Mitglieds, die mutmaßliche Selbsttötung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen 1993, sieht sie als "Hinrichtung eines Gefangenen in aller Öffentlichkeit".
Schließlich biegt sich Frau Möller die Geschichte der RAF zur Erfolgsgeschichte um: Man habe in den siebziger Jahren "zum Beispiel ein zunehmend klares Bewußtsein darüber geschaffen, wie aggressiv dieser deutsche Staat wirklich ist". In diesem Staat will Irmgard Möller auf Dauer nicht bleiben; sie kann sich nicht vorstellen, nur "irgendwo in eine Antifa-Gruppe zu gehen, Flugblätter zu verteilen oder immerzu auf Demos zu gehen".
Ihr Gesprächspartner, der 35 Jahre alte Journalist Tolmein, begegnet Frau Möller mit einer Mischung aus Faszination und Solidarität, Distanz und Unverständnis. Mit 16 Jahren hatte er 1977, damals Mitglied der Jungen Union, "die Erschießung von Gefangenen (der RAF) als Geiseln zumindest als Idee akzeptabel gefunden". Wie er zur Beschäftigung und teilweisen Solidarisierung mit der RAF kam, erfahren wir nicht.
Fraglich
Tolmein gibt sich Mühe, doch gelingt es ihm nur selten, an Irmgard Möller heranzukommen. Eine seiner besten Fragen: "War das etwas, worüber ihr, als ihr noch in der RAF gekämpft habt, nachgedacht habt: Wie lange kann man illegal sein und kämpfen? Was macht man im Alter?" Antwort: "Nein, nein, nein! Das war keine Frage. Nie."
Das Buch widmet Tolmein seinem kleinen Sohn, denn es sei "irgendwie doch eine Fortsetzung von Tigerpanthers Erfahrungen in der Welt". Wird der Junge, wenn er groß ist, noch irgend etwas von diesem Buch verstehen? Hoffentlich nicht. MARKUS WEHNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main