Er ist Deutschlands schillerndster Politiker. Wer ihn für einen Partylöwen hält, wird nach dieser ungewöhnlich offenen Lebensbeschreibung sein Urteil überdenken. Denn kein deutscher Politiker hat sich seinen Aufstieg so hart erarbeitet wie Klaus Wowereit. Von seiner Jugend als eines von fünf Kindern einer alleinerziehenden Arbeiterin in Berlin-Lichtenrade bis zur Wiederwahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin spannt sich der Bogen dieser Autobiographie, die zugleich eine politische Standortbestimmung ist. Wowereits Kennzeichen ist Mut: Er verordnete Berlin ein riskantes Sparprogramm, er wagte eine umstrittene Koalition, er bekennt sich zu seiner Homosexualität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2007Mehr Neigung zum Showbusiness
Klaus Wowereit hat sich hochgerackert und schreibt nun so darüber, wie er spricht
Wenn Politiker die deutsche Sprache nicht nur in Reden, sondern sogar in ihren Memoiren schänden, braucht man sich über die miserable Sprachbeherrschung von anderen ja nicht mehr aufzuregen. Nivelliert wird bekanntlich nach unten. Klaus Wowereit, seit 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin, hat gemeinsam mit Hajo Schumacher ein Buch geschrieben. Dass hier ein Provinzler über sein Idyll schreibt, wird schon in den Eingangspassagen klar: "Tag und Nacht liegt ein Flirren über dieser Stadt, eine Glocke aus Kraft und Kreativität", behauptet Wowereit über Berlin, das im Vergleich mit beinahe jeder anderen Großstadt menschenleer ist und wo ein gemächliches Tempo herrscht.
Der Stift muss nicht besonders spitz sein, um in Wowereits Buch Fehler und Ungeschicklichkeiten in Mengen zu markieren. Ihn zu lesen ist, wie ihm zuzuhören: Man weiß, was gemeint ist, gesagt aber hat er es nicht. "Meine älteste Schwester Helga war mit 18 Jahren parallel schwanger mit meiner Mutter, die mich im Bauch trug." Wer ist da mit wem wie verwandt? Und die unselige Berliner Liebe zum Plusquamperfekt - "Urlaub war schön jewesen . . ." - ließ sich in den gewiss vielfach durchgesehenen Memoiren nicht unterdrücken: "Es war in meiner Familie immer selbstverständlich gewesen, sich in großen sozialdemokratischen Organisationen zu organisieren." Was bei vielen ein Kompliment wäre, markiert bei Wowereit, höflich gesagt, eine Herausforderung: Er schreibt, wie er spricht.
Dabei hat er wirklich etwas zu erzählen. Aufgewachsen als Benjamin einer Kriegerwitwe, die ihre fünf Kinder (von drei Männern) allein großzog. Früh mit Tod und Krankheit vertraut, seine älteste Schwester starb mit 24 Jahren, als Wowereit vier war, als er zwanzig war, erlitt ein Bruder einen Unfall und blieb querschnittsgelähmt. Als Wowereit 23 war, starb ein anderer Bruder. Die Mutter war von 1971 an leidend, erst an Krebs, dann an den Strahlenschäden der Behandlung. Der junge Wowereit studierte Jura an der Freien Universität Berlin, trat in den öffentlichen Dienst ein, wurde mit 30 Jahren Volksbildungsstadtrat im Bezirk Tempelhof - und pflegte nebenher zu Hause jahrelang Bruder und Mutter.
Erst 1993, mit 40, nicht einmal zehn Jahre vor dem titelgebenden Satz vor dem Parteitag, der ihn zum Spitzenkandidaten nominierte - "Ich bin schwul, und das ist auch gut so" -, lernte er den Mann kennen, mit dem er seither lebt. Vorher ließ er sich als munterer Junggeselle von der Damenwelt verehren und suchte vergeblich einen Mann, wie er rührend schildert. Und weil er schwul ist, in der politischen Welt also angreifbar, sind seine Wahrnehmungen der Regeln und Ungerechtigkeiten der Pressebeobachtung besonders genau.
An seinem 42. Geburtstag starb seine Mutter. Kurz drauf wurde er Abgeordneter - und seither spielt Wowereit auf der Berliner Bühne. Inzwischen hält er sich offenbar für befähigt, auch in der Bundespolitik tätig zu werden, und wenn er sich die Mühe machte, der krausen Prosa, die er spricht und schreiben lässt, einmal ein Argument zu entringen, dann müsste man ihm dabei sogar alles Gute wünschen: Sozialdemokratisch ist laut Wowereit nicht, "mehr Geld ins System" zu geben, sondern diejenigen zu belohnen, "die mitmachen wollen". Überrascht liest man, wie hoch er die Bedeutung der Bildung ansetzt. Außer der Entscheidung, Jürgen Zöllner zum Bildungssenator zu machen, zeigte der Regierende Bürgermeister bisher mehr Neigung zu Talmi und Showbusiness als zu Forschung und Schule. Aber auf Seite 106 steht es: "Schule ist das Herzstück jeder Kommune." Aufgabe von Politik, sozialdemokratischer zumal, sei es, fasst Wowereit zusammen, "Perspektiven und Wege aufzuzeigen, auf denen jeder, der will, sich hochrackern kann". Das passt zu Wowereits Äußerung, die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün seien "halbherzig", die Agenda 2010 müsse "radikalisiert werden". Heute stellt sich Wowereit als Vertreter der Linken in der SPD dar, ohne dass der Kurswechel, falls es sich um einen handelt, erklärt worden wäre.
Hochgerackert hat sich Wowereit, mit Glück und einem guten Gefühl für Timing in Machtfragen. Übermäßig viel Fleiß, Takt und Vornehmheit waren, folgt man seinem Buch und der Anschauung seiner Amtsführung, wohl nicht dabei. Seinen sozialdemokratischen Vorvorgänger Walter Momper etwa, dem Rot-Rot ein Gnadenbrot als Parlamentspräsident gönnt, nennt Wowereit "zu stalinistisch", andere Parteifreunde werden ähnlich abgefertigt. Für seine ersten fünf Jahre als "Regiermeister" gibt Wowereit sich eine gute Note: "Was war mir besonders schwergefallen? Eigentlich nichts."
MECHTHILD KÜPPER
Klaus Wowereit mit Hajo Schumacher: . . . und das ist auch gut so. Mein Leben für die Politik. Karl Blessing Verlag, München 2007. 288 Seiten, 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus Wowereit hat sich hochgerackert und schreibt nun so darüber, wie er spricht
Wenn Politiker die deutsche Sprache nicht nur in Reden, sondern sogar in ihren Memoiren schänden, braucht man sich über die miserable Sprachbeherrschung von anderen ja nicht mehr aufzuregen. Nivelliert wird bekanntlich nach unten. Klaus Wowereit, seit 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin, hat gemeinsam mit Hajo Schumacher ein Buch geschrieben. Dass hier ein Provinzler über sein Idyll schreibt, wird schon in den Eingangspassagen klar: "Tag und Nacht liegt ein Flirren über dieser Stadt, eine Glocke aus Kraft und Kreativität", behauptet Wowereit über Berlin, das im Vergleich mit beinahe jeder anderen Großstadt menschenleer ist und wo ein gemächliches Tempo herrscht.
Der Stift muss nicht besonders spitz sein, um in Wowereits Buch Fehler und Ungeschicklichkeiten in Mengen zu markieren. Ihn zu lesen ist, wie ihm zuzuhören: Man weiß, was gemeint ist, gesagt aber hat er es nicht. "Meine älteste Schwester Helga war mit 18 Jahren parallel schwanger mit meiner Mutter, die mich im Bauch trug." Wer ist da mit wem wie verwandt? Und die unselige Berliner Liebe zum Plusquamperfekt - "Urlaub war schön jewesen . . ." - ließ sich in den gewiss vielfach durchgesehenen Memoiren nicht unterdrücken: "Es war in meiner Familie immer selbstverständlich gewesen, sich in großen sozialdemokratischen Organisationen zu organisieren." Was bei vielen ein Kompliment wäre, markiert bei Wowereit, höflich gesagt, eine Herausforderung: Er schreibt, wie er spricht.
Dabei hat er wirklich etwas zu erzählen. Aufgewachsen als Benjamin einer Kriegerwitwe, die ihre fünf Kinder (von drei Männern) allein großzog. Früh mit Tod und Krankheit vertraut, seine älteste Schwester starb mit 24 Jahren, als Wowereit vier war, als er zwanzig war, erlitt ein Bruder einen Unfall und blieb querschnittsgelähmt. Als Wowereit 23 war, starb ein anderer Bruder. Die Mutter war von 1971 an leidend, erst an Krebs, dann an den Strahlenschäden der Behandlung. Der junge Wowereit studierte Jura an der Freien Universität Berlin, trat in den öffentlichen Dienst ein, wurde mit 30 Jahren Volksbildungsstadtrat im Bezirk Tempelhof - und pflegte nebenher zu Hause jahrelang Bruder und Mutter.
Erst 1993, mit 40, nicht einmal zehn Jahre vor dem titelgebenden Satz vor dem Parteitag, der ihn zum Spitzenkandidaten nominierte - "Ich bin schwul, und das ist auch gut so" -, lernte er den Mann kennen, mit dem er seither lebt. Vorher ließ er sich als munterer Junggeselle von der Damenwelt verehren und suchte vergeblich einen Mann, wie er rührend schildert. Und weil er schwul ist, in der politischen Welt also angreifbar, sind seine Wahrnehmungen der Regeln und Ungerechtigkeiten der Pressebeobachtung besonders genau.
An seinem 42. Geburtstag starb seine Mutter. Kurz drauf wurde er Abgeordneter - und seither spielt Wowereit auf der Berliner Bühne. Inzwischen hält er sich offenbar für befähigt, auch in der Bundespolitik tätig zu werden, und wenn er sich die Mühe machte, der krausen Prosa, die er spricht und schreiben lässt, einmal ein Argument zu entringen, dann müsste man ihm dabei sogar alles Gute wünschen: Sozialdemokratisch ist laut Wowereit nicht, "mehr Geld ins System" zu geben, sondern diejenigen zu belohnen, "die mitmachen wollen". Überrascht liest man, wie hoch er die Bedeutung der Bildung ansetzt. Außer der Entscheidung, Jürgen Zöllner zum Bildungssenator zu machen, zeigte der Regierende Bürgermeister bisher mehr Neigung zu Talmi und Showbusiness als zu Forschung und Schule. Aber auf Seite 106 steht es: "Schule ist das Herzstück jeder Kommune." Aufgabe von Politik, sozialdemokratischer zumal, sei es, fasst Wowereit zusammen, "Perspektiven und Wege aufzuzeigen, auf denen jeder, der will, sich hochrackern kann". Das passt zu Wowereits Äußerung, die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün seien "halbherzig", die Agenda 2010 müsse "radikalisiert werden". Heute stellt sich Wowereit als Vertreter der Linken in der SPD dar, ohne dass der Kurswechel, falls es sich um einen handelt, erklärt worden wäre.
Hochgerackert hat sich Wowereit, mit Glück und einem guten Gefühl für Timing in Machtfragen. Übermäßig viel Fleiß, Takt und Vornehmheit waren, folgt man seinem Buch und der Anschauung seiner Amtsführung, wohl nicht dabei. Seinen sozialdemokratischen Vorvorgänger Walter Momper etwa, dem Rot-Rot ein Gnadenbrot als Parlamentspräsident gönnt, nennt Wowereit "zu stalinistisch", andere Parteifreunde werden ähnlich abgefertigt. Für seine ersten fünf Jahre als "Regiermeister" gibt Wowereit sich eine gute Note: "Was war mir besonders schwergefallen? Eigentlich nichts."
MECHTHILD KÜPPER
Klaus Wowereit mit Hajo Schumacher: . . . und das ist auch gut so. Mein Leben für die Politik. Karl Blessing Verlag, München 2007. 288 Seiten, 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Philip Grassmann kann der Autobiografie des regierenden Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit nicht viel abgewinnen. Im Vordergrund sieht er die private Seite des Politikers, über die er alles erfährt, was ihn nie interessiert hat. Das in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Hajo Schumacher entstandene Buch ist für ihn im Grunde eine einzige, im "Plauderton" gehaltene "Parade der Banalitäten". Ausführlich erzähle Wowereit, warum er gern TV-Serien guckt, wie er im Partykeller herumknutschte, seine kranke Mutter pflegte, nach zwei längerem Beziehungen zu Frauen seinen Freund kennen lernte und so weiter. Demgegenüber bleibt das Politische nach Grassmanns Ansicht doch erheblich unterbelichtet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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