1971 und 1972 waren deutschlandpolitische Schlüsseljahre. Die Vier Mächte schlossen im September 1971 das Berlin-Abkommen, Kanzleramtsstaatssekretär Egon Bahr und DDR-Staatssekretär Michael Kohl verhandelten in dieser Zeit über Transitabkommen, Verkehrsvertrag und Grundlagenvertrag. Im Deutschen Bundestag vollzog sich bis Mai 1972 die Auseinandersetzung zwischen der Regierung Brandt/ Scheel und der CDU/CSU-Opposition über die Ratifizierung der Ostverträge. Die DDR-Führung sprach mit dem Senat von Berlin über Besuchsregelungen, bemühte sich um ihre internationale Anerkennung und wollte mit der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen aufgenommen werden.
Fast ausschließlich unveröffentlichte Materialien belegen Kontroversen unter den Vier Mächten und die Koordinierung zwischen alliierten und deutsch-deutschen Verhandlungen.
Erstmals werden vollständig als CD-ROM mit gescannter Vorlage der Originale die von bundesdeutscher und DDR-Seite angefertigten geheimen Protokolle der Vieraugengespräche und Delegationssitzungen über die insgesamt 85 Treffen publiziert, die im Rahmen der Bahr-Kohl-Verhandlungen zwischen 1970 und 1973 stattfanden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Fast ausschließlich unveröffentlichte Materialien belegen Kontroversen unter den Vier Mächten und die Koordinierung zwischen alliierten und deutsch-deutschen Verhandlungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2004Brandts Furcht vor Kohl
Dokumente zur Deutschlandpolitik der Jahre 1970 bis 1973
Dokumente zur Deutschlandpolitik. VI. Reihe/Band 2: 1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972; Die Bahr-Kohl-Gespräche 1970 bis 1973. Herausgegeben vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesarchiv. Bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und anderen. Zwei Teilbände und eine CD-ROM. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. XIII und 992 Seiten, 89,90 [Euro].
In der inzwischen auf 29 Bände angewachsenen Dokumentenreihe nehmen die beiden neuen Teilbände der deutschlandpolitischen Schlüsseljahre 1971 und 1972 eine Sonderstellung ein. Sie sind inhaltlich verbunden und ergänzen sich, allerdings mit unterschiedlicher zeitlicher Begrenzung. Auch fehlt neben den bisher üblichen namentlichen Herausgebern eine Sacheinleitung. Der erste Teilband führt die Publikation zentraler Aktenstücke zur Deutschlandpolitik beider deutscher Staaten in der gewohnten und gut kommentierten chronologischen Reihenfolge fort. Der zweite Teilband enthält ein Verzeichnis von über 500 Dokumenten nebst kurzer Inhaltsangabe der jeweils darin angesprochenen Punkte, ergänzt durch ein mehrfach untergliedertes Register als Hilfsmittel zur Erschließung einer beigegebenen CD-ROM - deren Zugabe allerdings auf der Titelseite der Bände nicht erwähnt ist. Diese Scheibe enthält die mehr als 8200 Seiten umfassenden Protokolle der zwischen Ende November 1970 und Ende November 1973 geführten 85 Treffen zwischen dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt beziehungsweise ab Dezember 1972 Sonderminister Egon Bahr und Michael Kohl, Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, und zwar getrennt nach den Überlieferungssträngen beider Seiten. Diese komplette und durch sachlich zugehörige Stücke ergänzte Überlieferung dokumentiert den mühsamen innerdeutschen Verhandlungsstrang, der schließlich zu mehreren Abkommen führte.
Parallel dokumentiert, im ersten Teilband, sind die 1970 und 1971 geführten, nicht minder schwierigen Beratungen der vier Hauptsiegermächte von 1945 zum Berlin-Abkommen vom September 1971. Dieser Erfolg wiederum ermöglichte den Abschluß der anschließend von Bahr erreichten innerdeutschen Transit- und Verkehrsabkommen und schließlich, nach den inzwischen stattgefundenen Neuwahlen zum Bundestag, den des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 21. Dezember 1972. Aufschlußreich sind die ausführlichen Berichte der amerikanischen Regierung an die Bundesregierung und die der sowjetischen an die SED-Spitze über den Gang der Viermächteverhandlungen. Mit dieser gezielten Unterrichtung unterstützten die beiden Großmächte die in ihre Entspannungspolitik eingepaßte Ostpolitik der Regierung Brandt.
Zu den Schlüsseldokumenten gehören briefliche Ermunterungen des Generalsekretärs der KPdSU, Breschnew, an Brandt und zusätzliche Informationen, die Bahr über einen geheimen Kanal zu Breschnew, der über zwei sowjetische "Kontaktpersonen" lief, beisteuern konnte. Gleichzeitig unterhielt dieser Brandt-Vertraute einen informellen Draht zum amerikanischen Außenminister Kissinger. Bei ihrem Einsatz zur Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau profitierte die SPD/FDP-Koalition neben internationaler Unterstützung auch von der Uneinigkeit innerhalb der CDU/CSU-Opposition. Ihren Vorsitzenden Rainer Barzel, der nach einer im Dezember 1971 nach Moskau unternommenen "Prestigereise" dort als "unseriös" galt, hielt auch Brandt nicht für den "gefährlichsten Mann der CDU", sondern Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg, "weil sie an eine Reihe von Fragen undogmatisch herangingen".
Dokumentiert werden auch zwei Geheimtreffen zwischen dem führenden SED-Politiker Hermann Axen und dem französischen Außenminister Maurice Schumann im Februar und Oktober 1972 in Paris. Dabei ließ sich der Minister erstaunlich weit auf verbale Unterstützung von SED-Positionen ein, jedoch nicht dazu drängen, die DDR diplomatisch anzuerkennen. Überraschend gesprächig gegenüber einem SED-Funktionär war im Februar 1972 Günter Struve, Leiter des Persönlichen Büros des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz. Danach gehe Wehner nunmehr dazu über, "massiven Druck" auf jene SPD-Abgeordneten auszuüben, die bei der bevorstehenden Abstimmung über die Ostverträge als "unklare Kandidaten" angesehen würden, und nannte dabei "als Beispiel" Hupka: Wehner habe ihm und anderen Abgeordneten erklärt, falls sie gegen die Verträge stimmten, würden sie ihre Posten sowohl im Bundestag als auch in der SPD verlieren. Zudem, so Struve weiter, habe Schütz auch eine "sehr intensive Arbeit mit bestimmten kleinen CDU-Abgeordneten' geführt".
Bahr wiederum informierte Honecker im April über seine Annahme, daß die CDU "zwei bis drei Leute der Regierungskoalition gekauft" habe. Dafür revanchierte sich der SED-Chef mit der Prognose, daß die Regierung die Abstimmung gewinnen könne, "auch und nicht zuletzt mit unserer Unterstützung und dank unserer Maßnahmen" - eine Formulierung, die sich auf den Stimmenkauf von Abgeordneten beim gescheiterten Konstruktiven Mißtrauensvotum vom 27. April 1972 beziehen könnte.
RUDOLF MORSEY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dokumente zur Deutschlandpolitik der Jahre 1970 bis 1973
Dokumente zur Deutschlandpolitik. VI. Reihe/Band 2: 1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972; Die Bahr-Kohl-Gespräche 1970 bis 1973. Herausgegeben vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesarchiv. Bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und anderen. Zwei Teilbände und eine CD-ROM. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. XIII und 992 Seiten, 89,90 [Euro].
In der inzwischen auf 29 Bände angewachsenen Dokumentenreihe nehmen die beiden neuen Teilbände der deutschlandpolitischen Schlüsseljahre 1971 und 1972 eine Sonderstellung ein. Sie sind inhaltlich verbunden und ergänzen sich, allerdings mit unterschiedlicher zeitlicher Begrenzung. Auch fehlt neben den bisher üblichen namentlichen Herausgebern eine Sacheinleitung. Der erste Teilband führt die Publikation zentraler Aktenstücke zur Deutschlandpolitik beider deutscher Staaten in der gewohnten und gut kommentierten chronologischen Reihenfolge fort. Der zweite Teilband enthält ein Verzeichnis von über 500 Dokumenten nebst kurzer Inhaltsangabe der jeweils darin angesprochenen Punkte, ergänzt durch ein mehrfach untergliedertes Register als Hilfsmittel zur Erschließung einer beigegebenen CD-ROM - deren Zugabe allerdings auf der Titelseite der Bände nicht erwähnt ist. Diese Scheibe enthält die mehr als 8200 Seiten umfassenden Protokolle der zwischen Ende November 1970 und Ende November 1973 geführten 85 Treffen zwischen dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt beziehungsweise ab Dezember 1972 Sonderminister Egon Bahr und Michael Kohl, Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, und zwar getrennt nach den Überlieferungssträngen beider Seiten. Diese komplette und durch sachlich zugehörige Stücke ergänzte Überlieferung dokumentiert den mühsamen innerdeutschen Verhandlungsstrang, der schließlich zu mehreren Abkommen führte.
Parallel dokumentiert, im ersten Teilband, sind die 1970 und 1971 geführten, nicht minder schwierigen Beratungen der vier Hauptsiegermächte von 1945 zum Berlin-Abkommen vom September 1971. Dieser Erfolg wiederum ermöglichte den Abschluß der anschließend von Bahr erreichten innerdeutschen Transit- und Verkehrsabkommen und schließlich, nach den inzwischen stattgefundenen Neuwahlen zum Bundestag, den des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 21. Dezember 1972. Aufschlußreich sind die ausführlichen Berichte der amerikanischen Regierung an die Bundesregierung und die der sowjetischen an die SED-Spitze über den Gang der Viermächteverhandlungen. Mit dieser gezielten Unterrichtung unterstützten die beiden Großmächte die in ihre Entspannungspolitik eingepaßte Ostpolitik der Regierung Brandt.
Zu den Schlüsseldokumenten gehören briefliche Ermunterungen des Generalsekretärs der KPdSU, Breschnew, an Brandt und zusätzliche Informationen, die Bahr über einen geheimen Kanal zu Breschnew, der über zwei sowjetische "Kontaktpersonen" lief, beisteuern konnte. Gleichzeitig unterhielt dieser Brandt-Vertraute einen informellen Draht zum amerikanischen Außenminister Kissinger. Bei ihrem Einsatz zur Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau profitierte die SPD/FDP-Koalition neben internationaler Unterstützung auch von der Uneinigkeit innerhalb der CDU/CSU-Opposition. Ihren Vorsitzenden Rainer Barzel, der nach einer im Dezember 1971 nach Moskau unternommenen "Prestigereise" dort als "unseriös" galt, hielt auch Brandt nicht für den "gefährlichsten Mann der CDU", sondern Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg, "weil sie an eine Reihe von Fragen undogmatisch herangingen".
Dokumentiert werden auch zwei Geheimtreffen zwischen dem führenden SED-Politiker Hermann Axen und dem französischen Außenminister Maurice Schumann im Februar und Oktober 1972 in Paris. Dabei ließ sich der Minister erstaunlich weit auf verbale Unterstützung von SED-Positionen ein, jedoch nicht dazu drängen, die DDR diplomatisch anzuerkennen. Überraschend gesprächig gegenüber einem SED-Funktionär war im Februar 1972 Günter Struve, Leiter des Persönlichen Büros des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz. Danach gehe Wehner nunmehr dazu über, "massiven Druck" auf jene SPD-Abgeordneten auszuüben, die bei der bevorstehenden Abstimmung über die Ostverträge als "unklare Kandidaten" angesehen würden, und nannte dabei "als Beispiel" Hupka: Wehner habe ihm und anderen Abgeordneten erklärt, falls sie gegen die Verträge stimmten, würden sie ihre Posten sowohl im Bundestag als auch in der SPD verlieren. Zudem, so Struve weiter, habe Schütz auch eine "sehr intensive Arbeit mit bestimmten kleinen CDU-Abgeordneten' geführt".
Bahr wiederum informierte Honecker im April über seine Annahme, daß die CDU "zwei bis drei Leute der Regierungskoalition gekauft" habe. Dafür revanchierte sich der SED-Chef mit der Prognose, daß die Regierung die Abstimmung gewinnen könne, "auch und nicht zuletzt mit unserer Unterstützung und dank unserer Maßnahmen" - eine Formulierung, die sich auf den Stimmenkauf von Abgeordneten beim gescheiterten Konstruktiven Mißtrauensvotum vom 27. April 1972 beziehen könnte.
RUDOLF MORSEY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Deutschlandpolitische Schlüsseljahre" sieht Rezensent Rudolf Morsey in den beiden neuen Teilbände der Dokumente zur Deutschlandpolitik 1970 bis 1973 dokumentiert. Während der erste Teilband zentrale Aktenstücke zur Deutschlandpolitik beider deutscher Staaten in der "gewohnten und gut kommentierten" chronologischen Reihenfolge biete, enthalte der zweite ein Verzeichnis von über 500 Dokumenten nebst kurzer Inhaltsangabe der jeweils darin angesprochenen Punkte, ergänzt durch ein mehrfach untergliedertes Register als Hilfsmittel zur Erschließung einer beigegebenen CD-ROM. Darauf finden sich dem Rezensent zufolge die mehr als 8200 Seiten umfassenden Protokolle der zwischen Ende November 1970 und Ende November 1973 geführten 85 Treffen zwischen dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt beziehungsweise ab Dezember 1972 Sonderminister Egon Bahr und Michael Kohl, Staatssekretär beim Ministerrat der DDR. Sie dokumentierten den mühsamen innerdeutschen Verhandlungsstrang, der schließlich zu mehreren Abkommen führte. Parallel dokumentiere der erste Teilband die 1970 und 1971 geführten Beratungen der vier Hauptsiegermächte von 1945 zum Berlin-Abkommen vom September 1971. Als "Schlüsseldokumente" würdigt Morsey dabei die brieflichen Ermunterungen des Generalsekretärs der KPdSU, Breschnew, an Brandt und zusätzliche Informationen, die Bahr über einen geheimen Kanal zu Breschnew, der über zwei sowjetische "Kontaktpersonen" lief, beisteuern konnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein Band, der sorgfältige Lektüre lohnt." Heinz Hürten in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 67,2/ 2004 "Auch eine engeführte und bewährte wissenschaftliche Buchreihe wie die Dokumente zur Deutschlandpolitik kann mit Hilfe mutiger Innovationen noch an Nutzwert gewinnen. Den Beweis dafür trat jüngst der Oldenbourg Verlag mit der Veröffentlichung des zweiten Bandes der VI. Reihe an, dem erstmals eine CD-ROM beiliegt." Steffen Alisch in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 16/2004