Einer der größten Künstler unserer Zeit erzählt sein Leben vor dem Hintergrund der Geschichte Chinas
Ai Weiwei gehört zu den bekanntesten Künstlern unserer Zeit. In »1000 Jahre Freud und Leid« schildert er erstmals seinen außerordentlichen künstlerischen Werdegang vor dem Hintergrund der Geschichte seiner Familie in China. Schon als Junge erlebte er die Verbannung und Demütigung seines Vaters Ai Qing, einst ein Vertrauter Maos und Chinas einflussreichster Dichter, der im Zuge der Kulturrevolution als »Rechtsabweichler« gebrandmarkt wurde. Diese Erfahrungen prägten Ai Weiweis Schaffen und seine politischen Überzeugungen. Er beschreibt die schwierige Entscheidung, seine Familie zu verlassen, um für ein Kunststudium in die USA zu gehen, wo er sich u. a. mit Allen Ginsberg anfreundete und künstlerische Inspiration fand. Offen erzählt er von seinem Aufstieg zu einem Star der internationalen Kunstwelt, der aufgrund seiner Menschenrechtsaktivitäten jedoch immer stärker ins Visierdes chinesischen Regimes geriet, das ihn schließlich 2011 mehrere Monate inhaftierte. Die sehr persönlichen und vom Künstler selbst reich illustrierten Erinnerungen geben nicht nur einen fesselnden Einblick in Ai Weiweis Leben und Arbeiten, sie sind zugleich Mahnung, die Meinungsfreiheit immer wieder neu zu verteidigen.
Zeitgleich erscheint eine deutsche Ausgabe von Gedichten seines Vaters Ai Qing, »Schnee fällt auf Chinas Erde«, ISBN 978-3-328-60242-2.
Ausstattung: mit vielen Abbildungen und Farbbildteil
Ai Weiwei gehört zu den bekanntesten Künstlern unserer Zeit. In »1000 Jahre Freud und Leid« schildert er erstmals seinen außerordentlichen künstlerischen Werdegang vor dem Hintergrund der Geschichte seiner Familie in China. Schon als Junge erlebte er die Verbannung und Demütigung seines Vaters Ai Qing, einst ein Vertrauter Maos und Chinas einflussreichster Dichter, der im Zuge der Kulturrevolution als »Rechtsabweichler« gebrandmarkt wurde. Diese Erfahrungen prägten Ai Weiweis Schaffen und seine politischen Überzeugungen. Er beschreibt die schwierige Entscheidung, seine Familie zu verlassen, um für ein Kunststudium in die USA zu gehen, wo er sich u. a. mit Allen Ginsberg anfreundete und künstlerische Inspiration fand. Offen erzählt er von seinem Aufstieg zu einem Star der internationalen Kunstwelt, der aufgrund seiner Menschenrechtsaktivitäten jedoch immer stärker ins Visierdes chinesischen Regimes geriet, das ihn schließlich 2011 mehrere Monate inhaftierte. Die sehr persönlichen und vom Künstler selbst reich illustrierten Erinnerungen geben nicht nur einen fesselnden Einblick in Ai Weiweis Leben und Arbeiten, sie sind zugleich Mahnung, die Meinungsfreiheit immer wieder neu zu verteidigen.
Zeitgleich erscheint eine deutsche Ausgabe von Gedichten seines Vaters Ai Qing, »Schnee fällt auf Chinas Erde«, ISBN 978-3-328-60242-2.
Ausstattung: mit vielen Abbildungen und Farbbildteil
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Georg Imdahl begegnet in Ai Weiweis Erinnerungen einem Künstler mit Zivilcourage, genauer zwei Künstlern. Dass Ai zunächst die Biografie seines Vaters, des Dichters Ai Qing, nacherzählt, die Drangsalierungen und die Verbannung durch den chinesischen Staat, denen er ausgesetzt war, und die ihn letztlich zerbrachen, macht für Imdahl Sinn. Von hier aus gelangt der Autor anekdotenreich und in bildreicher Sprache, so Imdahl, zu seiner eigenen Sozialisation als widerständiger Künstler. Gallige Passagen über die Vereinnahmung durch die westliche Kunstwelt wechseln laut Imdahl ab mit bitteren Erkenntnissen über die Heimat des Künstlers. Dass Ai seine Zeit in Berlin nicht erwähnt, findet der Rezensent bedauerlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2021Ein großer Meister der kleinen Schandtaten
Dieses Werk verdankt sich der politischen Opposition: Ai Weiwei erzählt von seiner künstlerischen Entwicklung und vom Leben seines Vaters.
Die Idee zu diesem Buch sei ihm in den geheimen Verliesen der chinesischen Staatssicherheit in Peking gekommen, als er an all die Demütigungen gedacht habe, die sein Vater, der bekannte Schriftsteller Ai Qing, jahrzehntelang über sich ergehen lassen musste. Auch Ai Weiwei war zum Staatsfeind erklärt und 2011 in Gewahrsam genommen worden. Nachdem seine Isolationshaft nach 81 Tagen unvermittelt endete, versammelte er ein Team aus Autoren um sich und recherchierte die Lebensgeschichte seines Vaters, um sie gemeinsam mit seiner eigenen Vita zu erzählen.
Fast die Hälfte seiner Erinnerungen widmet Ai Weiwei der Biographie des Vaters, der Geschichte von Haft, Verbannung, Zwangsexil eines Dichters, dem selbst seine späte Rehabilitierung in den Siebzigerjahren noch als Akt selbstherrlicher staatlicher Willkür erscheinen muss. Ai Qing, Kopf der "Neuen Lyrik", war 1941 als Mitglied der Kommunistischen Partei von den Nationalisten hinter Gitter gebracht worden, wurde dann unter Mao, den er ebenso wie den Parteiführer Zhou Enlai persönlich kannte, als "Rechtsabweichler" stigmatisiert, um während der Kulturrevolution 1967 abermals - nun als Urheber bourgeoiser Literatur - gesellschaftlich gebrandmarkt zu werden.
Sein Sohn hatte die Drangsalierungen in jungen Jahren selbst zu spüren bekommen, konnte die politischen Hintergründe und Verwerfungen aber natürlich nicht ermessen. Das holt er in seinen Erinnerungen nach und zeichnet in metapherngesättigter Sprache das Generationenporträt eines unbeugsamen Dissidententums.
Der 1957 geborene Ai Weiwei erweist sich als erstaunlich versierter Autor, eindringlich und anekdotenreich schildert er die Lebensphasen des 1910 geborenen Ai Qing und ordnet sie in die chinesischen Zeitläufte ein, die sich für die (überlebenden) Intellektuellen mit Abschnitten von vager Hoffnung und Entspannung verbanden, vor allem aber mit furchtbaren Strafaktionen - der "Besserung durch Arbeit" - unter Mao. Imposant tritt der Widerstandsgeist Ai Qings hervor, den dieser noch in der Wildnis im Norden Xinjiangs, als Latrinenputzer an der Jauchegrube bei Minus dreißig Grad, nicht verliert. Erst als er selbst "zum Angriffsziel der Feindseligkeit des Regimes" wird, so Ai Weiwei, sei ihm das Schicksal seines Vaters "allmählich klar geworden".
In einem schmalen Kapitel handelt Ai Weiwei seinen zwölfjährigen Aufenthalt in New York ab, wo er in einem ziellosen künstlerischen Dasein Duchamp für sich entdeckt und interessanten Persönlichkeiten nahekommt wie dem taiwanischen Aktionskünstler Tehching Hsieh oder dem Dichter Allen Ginsberg, der das Werk Ai Qings aus eigener Lektüre kennt. Nach dem Mord auf offener Straße an seinem Künstlerkollegen Lin Lin wird Ai Weiwei die "Absurdität dieser Gesellschaft" indessen zu viel, und er kehrt 1993 zurück nach Peking, um noch Zeit mit seinem Vater zu verbringen (der 1996 stirbt). Erst dort findet er zu seinem Werk, das durch die politische Opposition begründet wird, wie Ai Weiwei wiederholt betont.
Die Beschäftigung mit traditioneller chinesischer Kunst und seine bekannten ikonoklastischen "kleinen Schandtaten", verübt an Ritualgefäßen aus der Han-Zeit, bezeichnet Ai als persönlichen Neuanfang. Er fühlt sich jetzt bereit, seinen "Platz als Künstler und Kritiker einzunehmen" und in seiner "eigenen Sprache eine neue Wirklichkeit zu konstruieren". Detailliert berichtet er, wie er zur Documenta 12 von 2007 jene 1001 Landsleute auswählt, die er in einer denkwürdigen Performance auftreten lässt; wie er 2008 nach dem Erdbeben von Sichuan zusammen mit etlichen Helfern den grassierenden Pfusch am Bau aufdeckt und die Namen der Opfer unter den Kindern veröffentlicht; wie er 2010 mit 1600 Arbeitskräften die gigantische Installation "Sunflower Seeds" in der Londoner Tate Modern zustande bringt.
Längst ist er damals "Teil des Globalisierungsspektakels", wie Ai Weiwei einigermaßen gallig bemerkt, als er wiedergibt, wie er 2006 in Peking von einer Delegation des Museum of Modern Art besucht wird. Dabei sehe man im MoMA "nichts als Vorurteile, Snobismus und Eitelkeit", und wer dort nicht von Scham überwältigt werde, sei von allen "künstlerischen Instinkten verlassen oder ein Halunke".
Am stärksten wirkt Ai Weiwei damals durch seinen - 2009 von der Regierung geschlossenen - Blog, der ihn nach eigenen Worten vom Künstler zum Aktivisten werden lässt und seiner Kritik an Staat und Gesellschaft eine enorme Reichweite beschert. In diesem Forum formiert sich eine Res publica, die sich nur hier so versammeln kann. Kein Wunder, dass Ai Weiwei den Blog als Erzeugung von Realität versteht und keineswegs nur als deren Abbildung. So geben ihm denn auch manche User schon früh zu verstehen, er solle es mit der Offenheit nicht übertreiben. "Wir brauchen Sie, Ihren Blog zu besuchen ist ein Teil unseres Lebens geworden." Eine Bitte, die sich Ai Weiwei nicht zu Herzen nimmt und dafür bezahlen muss.
Bedauern darf man den Umstand, dass er seiner Auswanderung nach Berlin kein eigenes Kapitel widmet, hat er sich doch in Deutschland offenbar nicht sonderlich gut aufgehoben gefühlt und das Land zunächst nach Großbritannien, dann gen Portugal verlassen. Kurz geht Ai Weiwei noch auf eine Reise nach Lesbos ein, wo er 2015 ein Schlauchboot mit erschöpften Insassen sieht, ein Eindruck "mit der Kraft einer heiligen Offenbarung", die er in mehreren, auch filmischen Werken verarbeitet. Dass er den Tod des Flüchtlingskindes Aylan für eine Fotografie nachstellt, die von der Kunstkritik ungnädig aufgenommen wird, lässt Ai Weiwei unerwähnt.
Der Künstler schließt mit einer bitteren Erkenntnis über sein Heimatland. China sei einem "moralischem Verfall" preisgegeben. Ai Weiweis OEuvre fehlt in der Emigration hingegen die Konfrontation mit einer Obrigkeit, die eine öffentliche Kritik nicht direkt auch als Ausweis freier Meinungsäußerung für sich verbuchen kann. Wie man sein jüngeres Werk auch beurteilen mag: Dieser Künstler hat vorgelebt, was Zivilcourage bedeutet. GEORG IMDAHL
Ai Weiwei: "1000 Jahre Freud und Leid". Erinnerungen.
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Elke Link. Penguin Verlag, München 2021. 416 S., Abb., geb. 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Werk verdankt sich der politischen Opposition: Ai Weiwei erzählt von seiner künstlerischen Entwicklung und vom Leben seines Vaters.
Die Idee zu diesem Buch sei ihm in den geheimen Verliesen der chinesischen Staatssicherheit in Peking gekommen, als er an all die Demütigungen gedacht habe, die sein Vater, der bekannte Schriftsteller Ai Qing, jahrzehntelang über sich ergehen lassen musste. Auch Ai Weiwei war zum Staatsfeind erklärt und 2011 in Gewahrsam genommen worden. Nachdem seine Isolationshaft nach 81 Tagen unvermittelt endete, versammelte er ein Team aus Autoren um sich und recherchierte die Lebensgeschichte seines Vaters, um sie gemeinsam mit seiner eigenen Vita zu erzählen.
Fast die Hälfte seiner Erinnerungen widmet Ai Weiwei der Biographie des Vaters, der Geschichte von Haft, Verbannung, Zwangsexil eines Dichters, dem selbst seine späte Rehabilitierung in den Siebzigerjahren noch als Akt selbstherrlicher staatlicher Willkür erscheinen muss. Ai Qing, Kopf der "Neuen Lyrik", war 1941 als Mitglied der Kommunistischen Partei von den Nationalisten hinter Gitter gebracht worden, wurde dann unter Mao, den er ebenso wie den Parteiführer Zhou Enlai persönlich kannte, als "Rechtsabweichler" stigmatisiert, um während der Kulturrevolution 1967 abermals - nun als Urheber bourgeoiser Literatur - gesellschaftlich gebrandmarkt zu werden.
Sein Sohn hatte die Drangsalierungen in jungen Jahren selbst zu spüren bekommen, konnte die politischen Hintergründe und Verwerfungen aber natürlich nicht ermessen. Das holt er in seinen Erinnerungen nach und zeichnet in metapherngesättigter Sprache das Generationenporträt eines unbeugsamen Dissidententums.
Der 1957 geborene Ai Weiwei erweist sich als erstaunlich versierter Autor, eindringlich und anekdotenreich schildert er die Lebensphasen des 1910 geborenen Ai Qing und ordnet sie in die chinesischen Zeitläufte ein, die sich für die (überlebenden) Intellektuellen mit Abschnitten von vager Hoffnung und Entspannung verbanden, vor allem aber mit furchtbaren Strafaktionen - der "Besserung durch Arbeit" - unter Mao. Imposant tritt der Widerstandsgeist Ai Qings hervor, den dieser noch in der Wildnis im Norden Xinjiangs, als Latrinenputzer an der Jauchegrube bei Minus dreißig Grad, nicht verliert. Erst als er selbst "zum Angriffsziel der Feindseligkeit des Regimes" wird, so Ai Weiwei, sei ihm das Schicksal seines Vaters "allmählich klar geworden".
In einem schmalen Kapitel handelt Ai Weiwei seinen zwölfjährigen Aufenthalt in New York ab, wo er in einem ziellosen künstlerischen Dasein Duchamp für sich entdeckt und interessanten Persönlichkeiten nahekommt wie dem taiwanischen Aktionskünstler Tehching Hsieh oder dem Dichter Allen Ginsberg, der das Werk Ai Qings aus eigener Lektüre kennt. Nach dem Mord auf offener Straße an seinem Künstlerkollegen Lin Lin wird Ai Weiwei die "Absurdität dieser Gesellschaft" indessen zu viel, und er kehrt 1993 zurück nach Peking, um noch Zeit mit seinem Vater zu verbringen (der 1996 stirbt). Erst dort findet er zu seinem Werk, das durch die politische Opposition begründet wird, wie Ai Weiwei wiederholt betont.
Die Beschäftigung mit traditioneller chinesischer Kunst und seine bekannten ikonoklastischen "kleinen Schandtaten", verübt an Ritualgefäßen aus der Han-Zeit, bezeichnet Ai als persönlichen Neuanfang. Er fühlt sich jetzt bereit, seinen "Platz als Künstler und Kritiker einzunehmen" und in seiner "eigenen Sprache eine neue Wirklichkeit zu konstruieren". Detailliert berichtet er, wie er zur Documenta 12 von 2007 jene 1001 Landsleute auswählt, die er in einer denkwürdigen Performance auftreten lässt; wie er 2008 nach dem Erdbeben von Sichuan zusammen mit etlichen Helfern den grassierenden Pfusch am Bau aufdeckt und die Namen der Opfer unter den Kindern veröffentlicht; wie er 2010 mit 1600 Arbeitskräften die gigantische Installation "Sunflower Seeds" in der Londoner Tate Modern zustande bringt.
Längst ist er damals "Teil des Globalisierungsspektakels", wie Ai Weiwei einigermaßen gallig bemerkt, als er wiedergibt, wie er 2006 in Peking von einer Delegation des Museum of Modern Art besucht wird. Dabei sehe man im MoMA "nichts als Vorurteile, Snobismus und Eitelkeit", und wer dort nicht von Scham überwältigt werde, sei von allen "künstlerischen Instinkten verlassen oder ein Halunke".
Am stärksten wirkt Ai Weiwei damals durch seinen - 2009 von der Regierung geschlossenen - Blog, der ihn nach eigenen Worten vom Künstler zum Aktivisten werden lässt und seiner Kritik an Staat und Gesellschaft eine enorme Reichweite beschert. In diesem Forum formiert sich eine Res publica, die sich nur hier so versammeln kann. Kein Wunder, dass Ai Weiwei den Blog als Erzeugung von Realität versteht und keineswegs nur als deren Abbildung. So geben ihm denn auch manche User schon früh zu verstehen, er solle es mit der Offenheit nicht übertreiben. "Wir brauchen Sie, Ihren Blog zu besuchen ist ein Teil unseres Lebens geworden." Eine Bitte, die sich Ai Weiwei nicht zu Herzen nimmt und dafür bezahlen muss.
Bedauern darf man den Umstand, dass er seiner Auswanderung nach Berlin kein eigenes Kapitel widmet, hat er sich doch in Deutschland offenbar nicht sonderlich gut aufgehoben gefühlt und das Land zunächst nach Großbritannien, dann gen Portugal verlassen. Kurz geht Ai Weiwei noch auf eine Reise nach Lesbos ein, wo er 2015 ein Schlauchboot mit erschöpften Insassen sieht, ein Eindruck "mit der Kraft einer heiligen Offenbarung", die er in mehreren, auch filmischen Werken verarbeitet. Dass er den Tod des Flüchtlingskindes Aylan für eine Fotografie nachstellt, die von der Kunstkritik ungnädig aufgenommen wird, lässt Ai Weiwei unerwähnt.
Der Künstler schließt mit einer bitteren Erkenntnis über sein Heimatland. China sei einem "moralischem Verfall" preisgegeben. Ai Weiweis OEuvre fehlt in der Emigration hingegen die Konfrontation mit einer Obrigkeit, die eine öffentliche Kritik nicht direkt auch als Ausweis freier Meinungsäußerung für sich verbuchen kann. Wie man sein jüngeres Werk auch beurteilen mag: Dieser Künstler hat vorgelebt, was Zivilcourage bedeutet. GEORG IMDAHL
Ai Weiwei: "1000 Jahre Freud und Leid". Erinnerungen.
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Elke Link. Penguin Verlag, München 2021. 416 S., Abb., geb. 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2021Zwei Asse trumpfen auf
Der Künstler Ai Weiwei stellt in Berlin seine Autobiografie vor, im Gespräch mit
dem Autor Daniel Kehlmann. Und plötzlich lässt er sich besser begreifen
VON SONJA ZEKRI
Als der Schauspieler Veit Schubert auf der Bühne des Berliner Ensembles die Passage liest, in der Ai Weiwei und sein Vater ihre eigenen Bücher verbrennen – Baudelaire, Majakowski, Lorca –, macht Ai Wei Wei ein Handy-Video von ihm. „Bei einem nach dem anderen riss ich die Seiten heraus und warf sie ins Feuer“, las Schubert: „Wie untergehende Gespenster krümmten sie sich in der Hitze.“ Die Szene ist ein Schlüsselmoment in Ai Wei Weis Autobiografie. Der Sohn hilft dem Vater Ai Qing, seine geliebte Bibliothek zu vernichten, weil die Zerstörung den „Rechtsabweichler“ Ai Qing vor dem Zorn der Roten Garden schützen soll, und aus dieser Katastrophe erwächst eine lebenslange Aufgabe, fast ein Schwur: Als die Bücher zu Asche wurden, „erfasst mich eine seltsame Kraft“, schreibt Ai Weiwei: „Eine Verpflichtung zur Vernunft, zu einem Sinn für Schönheit – diese Dinge sind unbeugsam.“ In den Flammen der brennenden Bibliothek wurde der Künstler Ai Weiwei geboren, ein Künstler in der Tradition seines Vaters. Kultur kann zerstört werden, das begriff er. Aber was folgte danach?
„1000 Jahre Freud und Leid“ ist die Autobiografie des Künstlers Ai Weiwei, aber ebenso sehr ist es die Biografie seines Vaters. Ein „ehrlicher Mann“, sei er gewesen, gerechtigkeitsliebend, patriotisch: „Und er hatte das Glück, dass er sein Land nie verlassen musste“, sagte Ai Weiwei in Berlin. In Europa ist es sein einziger Auftritt zur Vorstellung seines Buches, und nach Ai Weiweis schimpfender Abreise aus Berlin 2019 ist das doch beachtenswert. Nachdem Schubert eine weitere Passage gelesen hat, scherzt Ai Weiwei, wenn er gewusst hätte, dass sein Text auf Deutsch so gut klinge, wäre er länger in Berlin geblieben. Damit ist klar: Eine Abrechnung mit Deutschland wird dies nicht. Obwohl sein Gesprächspartner auch dafür offen wäre. Er könne über seine unerfreulichen Begegnungen in Deutschland ruhig sprechen, daraus könne man ja nur lernen, ermuntert Daniel Kehlmann den Künstler. Aber Ai Weiwei mag nicht. Was er gesagt habe, sei ja nur eine Einzelmeinung, er habe nun mal eine „große Klappe“ und auch nicht immer recht, sagt er nicht ohne Ironie. Und ergänzt dann immerhin, dass die Deutschen dazu neigten, Kritik „ein wenig persönlich“ zu nehmen. Ai Weiwei wurde im Jahr der Kulturrevolution 1957 geboren. Als der Schrecken 1967 in seine nächste, noch dunklere Phase trat, wurde sein Vater verbannt und nahm den Sohn mit. Ai Qing, der Mao kannte, ja, mit dem sich Mao in einer der abgründigsten Szenen des Buches sogar zu beraten vorgab, war als Verfasser „bourgeoiser“ Werke in Ungnade gefallen, und wurde nach „Klein-Sibirien“ in Xinjiang verbannt. Eine unwirtliche Gegend, Auffangbecken für die „fünf schwarzen Kategorien: Grundbesitzer, reiche Bauern, Konterrevolutionäre, schlechte Elemente und Rechtsabweichler“, schreibt Ai Weiwei.
Es ist eine Gulag-Kindheit. Die beiden lebten in einem Erdloch, klebten Zeitung an die Wände, hinter der sich Ratten versteckten, und kochten die Kleidung aus, um die Läuse loszuwerden. Manchmal fällt ein Schwein in das Loch. Der Vater muss die Latrinen säubern, 13 Gemeinschaftstoiletten, die im Wesentlichen aus Balken über einer Jauchegrube bestanden. Ehe er die Arbeit aufnahm, rauchte er eine Zigarette und begutachtete die gefrorenen Fäkalienhaufen, „als bewundere er eine Skulptur von Rodin“.
Sein Leben lang wird Ai Weiwei sich zu Höhlen hingezogen fühlen, stecken ihm diese Jahre in den Knochen. Er zieht Kraft aus der Situation, die Gewissheit eines Außenseiters, der um seine Außenseiter-Stellung weiß. Heute, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, wird er manchmal gefragt, ob er mit dieser Haltung nicht kokettiere, schließlich habe er alles erreicht, was ein Künstler erreichen könnte. Aber diese Frage setzt voraus, dass Ausstellungen, Aufmerksamkeit und Würdigungen eine so grausame Kindheit auslöschen oder umschreiben könnten. Als ob das eine mit dem anderen irgendetwas zu tun hätte.
Der Verbannungs-Teil ist der eindrucksvollste Part, eine Höllenfahrt in die Tyrannei, die umso beklemmender ist, als die Menschen – wie Ai Qing – an die Tyrannen glaubten. Die alte Welt musste ausgelöscht werde, damit eine neue entstehen könnte, an diese Ideologie glaubten auch ihre Opfer. Jeden Tag erlebte Ai Weiwei, wie sein Vater im Speisesaal sich selbst anklagen musste, die Demütigungsrituale gehörten so selbstverständlich zum Alltag des Kindes wie die endlose Natur.
Ai Weiwei beschreibt das Leid und die Deformierungen von Millionen Menschen trocken, fast lakonisch. Dass dies weniger literarischer Trick als eher eine Überlebensstrategie ist, ahnt man, als Kehlmann fragt, wie er diese Zeit überhaupt ausgehalten habe, warum er daran nicht zerbrochen sei. „Ich war ein dummes Kind und nicht sehr sensibel“, behauptet Ai Weiwei: „Sonst wäre ich verrückt geworden.“ Man muss das nicht glauben, aber dennoch hat der Satz seinen Sinn.
Kehlmann gibt sich an diesem Abend begeisterungsfähig, ehrfürchtig und manchmal offensiv naiv, ein Luftgeist, eine Art sonnige Version von Kevin Kühnert, aber unverkennbar auch: ein Mann aus dem Westen. Dagegen wirkt Ai Weiwei schwerer, bullig, kraftvoll, dabei hellwach. Zu einem aufschlussreichen Missverständnis kommt es, als Ai Weiwei das Verhältnis des Westens und Chinas skizziert. Beide seien Konkurrenten, die nicht nur nach anderen Spielregeln spielten, sondern ganz andere Spiele: „Der Westen spielt Schach, China spielt Go“, so Ai Weiwei. Kehlmann machte daraus: „Der Westen spielt Schach, China spielt Golf“.
„1000 Jahre Freud und Leid“ umspannt zeitlich, räumlich und ideologisch ganze Universen. Als Ai Weiwei in den Achtzigerjahren nach 30 Jahren Isolation im kommunistischen China nach New York kam, in die Stadt Ginsbergs und Warhols, habe er sich gefühlt wie ein Eisbrocken in kochendem Wasser. Die bizarren, mal brutalen, mal stümperhaften Repressionen Behörden beschreibt Ai Weiwei mit exhibitionistischer Detailgenauigkeit.
Manche Wesenszüge lassen sich tatsächlich besser begreifen, manche Kritik erscheint plötzlich ahnungslos. Als Ai Weiwei nach Lesbos zu den Flüchtlingen fuhr, als er sogar als toter Flüchtlingsjunge Alan Kurdi posierte, wurde ihm das als politische Trittbrettfahrerei ausgelegt, als geltungssüchtig und frivol. Aber wenn er jetzt in Berlin beschreibt, wie die Zelte, der Dreck, die Angst Erinnerungen an seine Kindheit zurückbrachten, wie alle Gewissheiten über europäische Werte zerbrachen, sollte man manche Vorwürfe noch einmal überdenken.
„Ich war ein dummes Kind und
nicht sehr sensibel. Sonst
wäre ich verrückt geworden.“
Bulle und Luftgeist: Ai Weiwei und Daniel Kehlmann in Berlin.
Foto: GETTY
Ai Weiwei: 1000 Jahre Freud und Leid. Erinnerungen. Aus dem Chinesischen von Norbert Juraschitz und Elke Link. Penguin, München 2021. 416 Seiten, 38 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Künstler Ai Weiwei stellt in Berlin seine Autobiografie vor, im Gespräch mit
dem Autor Daniel Kehlmann. Und plötzlich lässt er sich besser begreifen
VON SONJA ZEKRI
Als der Schauspieler Veit Schubert auf der Bühne des Berliner Ensembles die Passage liest, in der Ai Weiwei und sein Vater ihre eigenen Bücher verbrennen – Baudelaire, Majakowski, Lorca –, macht Ai Wei Wei ein Handy-Video von ihm. „Bei einem nach dem anderen riss ich die Seiten heraus und warf sie ins Feuer“, las Schubert: „Wie untergehende Gespenster krümmten sie sich in der Hitze.“ Die Szene ist ein Schlüsselmoment in Ai Wei Weis Autobiografie. Der Sohn hilft dem Vater Ai Qing, seine geliebte Bibliothek zu vernichten, weil die Zerstörung den „Rechtsabweichler“ Ai Qing vor dem Zorn der Roten Garden schützen soll, und aus dieser Katastrophe erwächst eine lebenslange Aufgabe, fast ein Schwur: Als die Bücher zu Asche wurden, „erfasst mich eine seltsame Kraft“, schreibt Ai Weiwei: „Eine Verpflichtung zur Vernunft, zu einem Sinn für Schönheit – diese Dinge sind unbeugsam.“ In den Flammen der brennenden Bibliothek wurde der Künstler Ai Weiwei geboren, ein Künstler in der Tradition seines Vaters. Kultur kann zerstört werden, das begriff er. Aber was folgte danach?
„1000 Jahre Freud und Leid“ ist die Autobiografie des Künstlers Ai Weiwei, aber ebenso sehr ist es die Biografie seines Vaters. Ein „ehrlicher Mann“, sei er gewesen, gerechtigkeitsliebend, patriotisch: „Und er hatte das Glück, dass er sein Land nie verlassen musste“, sagte Ai Weiwei in Berlin. In Europa ist es sein einziger Auftritt zur Vorstellung seines Buches, und nach Ai Weiweis schimpfender Abreise aus Berlin 2019 ist das doch beachtenswert. Nachdem Schubert eine weitere Passage gelesen hat, scherzt Ai Weiwei, wenn er gewusst hätte, dass sein Text auf Deutsch so gut klinge, wäre er länger in Berlin geblieben. Damit ist klar: Eine Abrechnung mit Deutschland wird dies nicht. Obwohl sein Gesprächspartner auch dafür offen wäre. Er könne über seine unerfreulichen Begegnungen in Deutschland ruhig sprechen, daraus könne man ja nur lernen, ermuntert Daniel Kehlmann den Künstler. Aber Ai Weiwei mag nicht. Was er gesagt habe, sei ja nur eine Einzelmeinung, er habe nun mal eine „große Klappe“ und auch nicht immer recht, sagt er nicht ohne Ironie. Und ergänzt dann immerhin, dass die Deutschen dazu neigten, Kritik „ein wenig persönlich“ zu nehmen. Ai Weiwei wurde im Jahr der Kulturrevolution 1957 geboren. Als der Schrecken 1967 in seine nächste, noch dunklere Phase trat, wurde sein Vater verbannt und nahm den Sohn mit. Ai Qing, der Mao kannte, ja, mit dem sich Mao in einer der abgründigsten Szenen des Buches sogar zu beraten vorgab, war als Verfasser „bourgeoiser“ Werke in Ungnade gefallen, und wurde nach „Klein-Sibirien“ in Xinjiang verbannt. Eine unwirtliche Gegend, Auffangbecken für die „fünf schwarzen Kategorien: Grundbesitzer, reiche Bauern, Konterrevolutionäre, schlechte Elemente und Rechtsabweichler“, schreibt Ai Weiwei.
Es ist eine Gulag-Kindheit. Die beiden lebten in einem Erdloch, klebten Zeitung an die Wände, hinter der sich Ratten versteckten, und kochten die Kleidung aus, um die Läuse loszuwerden. Manchmal fällt ein Schwein in das Loch. Der Vater muss die Latrinen säubern, 13 Gemeinschaftstoiletten, die im Wesentlichen aus Balken über einer Jauchegrube bestanden. Ehe er die Arbeit aufnahm, rauchte er eine Zigarette und begutachtete die gefrorenen Fäkalienhaufen, „als bewundere er eine Skulptur von Rodin“.
Sein Leben lang wird Ai Weiwei sich zu Höhlen hingezogen fühlen, stecken ihm diese Jahre in den Knochen. Er zieht Kraft aus der Situation, die Gewissheit eines Außenseiters, der um seine Außenseiter-Stellung weiß. Heute, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, wird er manchmal gefragt, ob er mit dieser Haltung nicht kokettiere, schließlich habe er alles erreicht, was ein Künstler erreichen könnte. Aber diese Frage setzt voraus, dass Ausstellungen, Aufmerksamkeit und Würdigungen eine so grausame Kindheit auslöschen oder umschreiben könnten. Als ob das eine mit dem anderen irgendetwas zu tun hätte.
Der Verbannungs-Teil ist der eindrucksvollste Part, eine Höllenfahrt in die Tyrannei, die umso beklemmender ist, als die Menschen – wie Ai Qing – an die Tyrannen glaubten. Die alte Welt musste ausgelöscht werde, damit eine neue entstehen könnte, an diese Ideologie glaubten auch ihre Opfer. Jeden Tag erlebte Ai Weiwei, wie sein Vater im Speisesaal sich selbst anklagen musste, die Demütigungsrituale gehörten so selbstverständlich zum Alltag des Kindes wie die endlose Natur.
Ai Weiwei beschreibt das Leid und die Deformierungen von Millionen Menschen trocken, fast lakonisch. Dass dies weniger literarischer Trick als eher eine Überlebensstrategie ist, ahnt man, als Kehlmann fragt, wie er diese Zeit überhaupt ausgehalten habe, warum er daran nicht zerbrochen sei. „Ich war ein dummes Kind und nicht sehr sensibel“, behauptet Ai Weiwei: „Sonst wäre ich verrückt geworden.“ Man muss das nicht glauben, aber dennoch hat der Satz seinen Sinn.
Kehlmann gibt sich an diesem Abend begeisterungsfähig, ehrfürchtig und manchmal offensiv naiv, ein Luftgeist, eine Art sonnige Version von Kevin Kühnert, aber unverkennbar auch: ein Mann aus dem Westen. Dagegen wirkt Ai Weiwei schwerer, bullig, kraftvoll, dabei hellwach. Zu einem aufschlussreichen Missverständnis kommt es, als Ai Weiwei das Verhältnis des Westens und Chinas skizziert. Beide seien Konkurrenten, die nicht nur nach anderen Spielregeln spielten, sondern ganz andere Spiele: „Der Westen spielt Schach, China spielt Go“, so Ai Weiwei. Kehlmann machte daraus: „Der Westen spielt Schach, China spielt Golf“.
„1000 Jahre Freud und Leid“ umspannt zeitlich, räumlich und ideologisch ganze Universen. Als Ai Weiwei in den Achtzigerjahren nach 30 Jahren Isolation im kommunistischen China nach New York kam, in die Stadt Ginsbergs und Warhols, habe er sich gefühlt wie ein Eisbrocken in kochendem Wasser. Die bizarren, mal brutalen, mal stümperhaften Repressionen Behörden beschreibt Ai Weiwei mit exhibitionistischer Detailgenauigkeit.
Manche Wesenszüge lassen sich tatsächlich besser begreifen, manche Kritik erscheint plötzlich ahnungslos. Als Ai Weiwei nach Lesbos zu den Flüchtlingen fuhr, als er sogar als toter Flüchtlingsjunge Alan Kurdi posierte, wurde ihm das als politische Trittbrettfahrerei ausgelegt, als geltungssüchtig und frivol. Aber wenn er jetzt in Berlin beschreibt, wie die Zelte, der Dreck, die Angst Erinnerungen an seine Kindheit zurückbrachten, wie alle Gewissheiten über europäische Werte zerbrachen, sollte man manche Vorwürfe noch einmal überdenken.
„Ich war ein dummes Kind und
nicht sehr sensibel. Sonst
wäre ich verrückt geworden.“
Bulle und Luftgeist: Ai Weiwei und Daniel Kehlmann in Berlin.
Foto: GETTY
Ai Weiwei: 1000 Jahre Freud und Leid. Erinnerungen. Aus dem Chinesischen von Norbert Juraschitz und Elke Link. Penguin, München 2021. 416 Seiten, 38 Euro.
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»Man merkt in diesen Memoiren, wie ernst es Ai Weiwei ist. Was für ein tief moralischer Künstler er ist. Es ist absolut erschütternd, aufregend und faszinierend, das zu lesen.« Daniel Kehlmann, radioeins »Die Literaturagenten«