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Hallgrímur Helgason erzählt mit einem trockenen, bissigen Humor von einer hippen Jugendszene, die genausogut in London, Paris oder Berlin sein könnte.
101 Reykjavík ist eine schräge Komödie um den 34jährigen Hlynur, einen ziemlichen Versager, der die Tage im Bett vergammelt und im Internet nach Pornos surft und auch sonst wenig Sinnvolles tut. Er lebt noch bei seiner Mutter, und wenn er mal weggeht, dann bloß nachts zum Kneipenbummel mit seinen Kumpels. Er hat zwar alle möglichen Freundinnen, doch scheint sein Interesse eher theoretischer Natur: er führt Listen, in denen er penibel den…mehr

Produktbeschreibung
Hallgrímur Helgason erzählt mit einem trockenen, bissigen Humor von einer hippen Jugendszene, die genausogut in London, Paris oder Berlin sein könnte.
101 Reykjavík ist eine schräge Komödie um den 34jährigen Hlynur, einen ziemlichen Versager, der die Tage im Bett vergammelt und im Internet nach Pornos surft und auch sonst wenig Sinnvolles tut. Er lebt noch bei seiner Mutter, und wenn er mal weggeht, dann bloß nachts zum Kneipenbummel mit seinen Kumpels. Er hat zwar alle möglichen Freundinnen, doch scheint sein Interesse eher theoretischer Natur: er führt Listen, in denen er penibel den Marktwert seiner Freundinnen und anderer Frauen einträgt. Nur mit Lolla ist es anders. Sie ist Drogenberaterin und in seine Mutter verliebt, was sie dennoch nicht hindert, sich von ihm verführen zu lassen. Der One-Night Stand hat dummerweise Folgen... Hlynur, der sich verbissen weigert, seine gemütliche kleine Welt zu verlassen, dämmert es allmählich, daß das Leben ganz und gar nicht so läuft, wie er es sich gedacht hat.
Autorenporträt
Hallgrímur Helgason wurde 1959 geboren, studierte zunächst Malerei in München, Paris und New York, wo er mehrere Ausstellungen hatte, und fing dann an zu schreiben: Drei Romane sind bisher veröffentlicht und ein Gedichtband. Er zeichnet eine Comic-Serie für eine isländische Zeitung, hat zwei Bühnenstücke geschrieben und macht gern den stand-up-comedian. Sein letzter Roman, "101 Reykjavík", wurde 1998 mit dem angesehenen Nordic Council Prize ausgezeichnet; auch der gleichnamige Film nach dem Roman wurde ausgezeichnet.
Rezensionen
"Kneipennächte. Familienfeiern. Mädchen und Masturbation - ein Kultstück von Hallgrimur Helgason." (Süddeutsche Zeitung)
"Eine schrille isländische Sex-Komödie - wahre Leidenschaft beginnt erst weit unter null Grad zu glühen." (Der Spiegel)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2002

Oblomow auf Speed
Hallgrímur Helgason zappt sich durch Reykjavíks Nächte

"Isländischer Humor ist einfach yesss!" Eine Bemerkung wie diese kann nur in einem isländischen Roman stehen. Auf der Insel gibt es ungefähr "600 Fjorde, voll schneidender Winde, mit einer Good-for-nothing-Brandung", es gibt infolgedessen den isländischen Humor, und es gibt Reykjavík. Wenn das Wort von der Stadt, die niemals schläft, irgendwo wirklich zutrifft, dann hier. Reykjavík ist das nordische Synonym für Sex, Drugs und Rock'n'Roll.

Im Herzen dieses polaren Babylon lebt Hlynur. Er lebt zu Hause bei seiner Mutter, verbringt die meiste Zeit im Bett, zappt sich weltweit durch Musik- und Pornosender und schaltet gelegentlich die pakistanischen Nachrichten ein, um zu sehen, ob dort Island auf der Weltkarte eingezeichnet ist. Wenn er mit anderen Menschen redet, dann am liebsten im Chatroom; auf die Frage nach seinen Verbindungen zu Frauen antwortet er: "Nur schnurlos." Das ist etwas übertrieben, denn wenn Hlynur nachts doch noch das Haus verläßt, dann um sich, von Drugs und Rock'n'Roll beflügelt, auf die Suche nach einem irgendwie überraschenden One-Night-Stand zu machen - was in Reykjavík dadurch erschwert wird, daß hier schon jeder mit jedem im Bett war. Wenn er endlich einschläft, dann nur vor laufenden Pornos; seine Blaue Stunde sind die Blue Movies.

So zappen sich seine Erzählungen durch Comedy und Drama, bis die Soap Opera zum Horrortrip gerät. Während sein Vater mit dem Alkohol kämpft, verliebt sich seine Mutter in die lesbische Hausfreundin ("Sohn einer Lesbe. Klingt wie Welpe einer Seeschwalbe"); der Sohn wiederum, ohnehin ständig "geil wie ein Pfaffe", läßt sich in einer betrunkenen Silvesternacht von derselben Lesbe verführen, und sein Ehebruch mit der Frau der eigenen Mutter hat prompt eine Schwangerschaft zur Folge. Gleichzeitig gerät, infolge seines heimtückischen Pillen-Diebstahls, auch Hlynurs gutbürgerliche Schwester in andere Umstände; und während der so Überforderte zu einem schwulen Freundespaar flieht, überrascht ihn auch eine Exfreundin mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft - der dritten in dieser Geschichte um Sex, Lügen und Videotapes. Für alle drei Fortpflanzungserfolge fühlt sich ausgerechnet der menschenfeindliche Hlynur verantwortlich, der doch als fideler Zombie in seiner Matrazengruft zappen, rappen und fortschwadronieren wird bis ans mutmaßliche Ende seiner Tage.

Hlynur ist ein Stand-up-Comedian in der Waagerechten, ein Oblomow auf Speed, ein Possenreißer, unter dessen Zoten ein scheues Herz schlägt. Als Running gag durchzieht den Roman seine Marotte, alle ihm begegnenden Frauen auf ihren potentiellen Geldwert hin zu taxieren; den resümierenden Anhang bildet eine fünfseitige Preisliste von der "Sachbearbeiterin auf dem Arbeitsamt (750)" bis zu "Pamela Anderson (4,700,000)". Soviel zu Hlynurs Triebwelt. Sein Herz hingegen gehört Tarantino und Woody Allen und dem klassischen Porno aus jener fernen Zeit, als es noch richtige Spielfilme gab. Hlynur, der sich einen "Hamletterman" nennt, ist ein Held unserer Zeit, die Verkörperung jenes Autismus, der eine Zeitlang als sehr cool und nineties galt. Sein Reykjavík ist die amerikanisch-europäische Metropole in nordischer Miniaturausgabe; und es hat etwas unheimlich Symptomatisches, daß in diesem 1996 zuerst erschienenen Roman einmal auch der Einsturz des World Trade Center durch einen Terrorakt als Horrorbild aufblitzt.

Vor vier Jahren hat diese Geschichte vom Identitätsverlust in der Medienwelt den Literaturpreis des Nordischen Rates erhalten, eine Auszeichnung immerhin, die zuvor Autoren wie Inger Christensen oder Per Olov Enquist zuteil geworden ist. In der Tat knüpft der Autor an große Traditionen an. "Holy Laxness!" ruft sein Held, wenn es ihm ausnahmsweise die Sprache verschlägt. Wenn man Einar Kárasson mit seinen Reykjavíker Slum-Geschichten als Laxness' Enkel apostrophiert hat, dann ist Halgrimur sein hübsch mißratener Neffe.

Weil es aber so rasant beginnt, ist am Ende die Enttäuschung doch beträchtlich. Denn Hlynurs Tragödie erweist sich zunehmend auch als die seines Textes. Den Doppelsinn der Einsicht, daß das Leben nur eine kurze Auszeit vom Tode sei ("man kann ja nicht ewig tot sein"), hat der Leser schneller durchschaut, als dem Autor lieb sein dürfte. Auch der Witz läuft sich tot, aber er kann nicht sterben; ein lebender Toter auch er. Und daß all die Gags und Trips und schnellen Orgasmen etwas zu tun haben mit der Unfähigkeit zu trauern, hat man nach hundert traurig-turbulenten Seiten begriffen; das ist aber erst ein Viertel des Buches. Gerade daß Halgrimur fortwährend alle Register zieht, macht seinen Sound so dröhnend monoton.

Das einzige, was ihn am Ende rettet, ist die grandiose Übersetzung. Karl-Ludwig Wetzig hat Halgrimurs Sprachkapriolen derart souverän und wortschöpferisch ins Deutsche gebracht, daß man zuweilen argwöhnt, seine Version sei noch etwas schlauer als das Original. Wenn Hlynur die Songs von Police nicht mehr hören mag, sagt er: "Mir stingt's"; daß ein Präservativ nicht dichthält, erwägt er als "eine Mögleckheit"; und das sind bloß die Kalauer. Die Eleganz, mit der sich Wetzig durch die Sounds und Stilebenen swingt, ist der beste Grund, dieses Buch zu Ende zu lesen. Der zweitbeste sind ein paar Menschheitsfragen, die am Schluß doch noch beantwortet werden. Warum haben manche Zigaretten in den USA weiße Filter und in Europa gelbe? "Damit Keith Richards weiß, auf welchem Kontinent er sich gerade aufhält."

HEINRICH DETERING

Hallgrímur Helgason: "101 Reykjavík". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002. 440 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2002

König Ohnehose
Grotesk: Hallgrímur Helgasons
Roman „101 Reykjavik”
Hlynur Björn ist dreiunddreißig und gern gesehener Dauergast im Wellness-Hotel „Mama”. Zwischen zwei Hardcore-Pornos klopft seine über alles geliebte Mutti an die dreiunddreißig Jahre alte Kinderzimmertür, um ihm eine Tasse heißen Kakao zu reichen. Kakao tut gut nach einer durchzechten Nacht in den Kaschemmen von Reykjavik.
Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter lesbisch, und weil Hlynur Björn nicht mit ihr ins Bett kann, schläft er mit ihrer Geliebten. Der isländische Ödipus kopuliert über Bande. Auch seine Schwester versucht er indirekt zu schwängern: indem er ihr aus seelentiefer Langeweile eine Anti-Baby-Pille aus dem Monatsbriefchen entwendet. Der Mann ist sexbesessen wie eine Schiffsladung voller Wikinger auf Ecstasy.
Dass er bei dem nordischen Ringelpiez bislang zu kurz gekommen ist, verdoppelt seinen Hormonüberdruck. Viel zu selten bekommt er Gelegenheit, seine Unterhosen runterzulassen, die ihm seine Mutter im zellophanknisternden Fünferpack aus dem Supermarkt mitbringt. Er taxiert jede Frau, die in seinem lüstern zitternden Fadenkreuz auftaucht und misst ihr einen Preis in isländischen Kronen zu. Mutter Teresa steht mit 1700 Kronen am unteren Ende der Hlynur-Skala. Die kalifornische Palme der Schöpfung ist Pamela Anderson, noch vor Madonna und der Jungfrau Maria, mit einem unschlagbaren Score von 4 700 000 isländischen Kronen. Insgesamt gilt jedoch: alles Schlampen, außer Mutti.
Eigentlich ist dieses ödipale Milchgesicht der größte Unsympath im Einzugsgebiet der Postleitzahl 101, dem Innenstadtbereich von Reykjavik. Hallgrímur Helgasons große Kunst besteht darin, seinen monomanen Ich-Erzähler zu einer Figur gestaltet zu haben, der man trotz aller Unsäglichkeiten und Unflätigkeiten über vierhundert Seiten zu folgen bereit ist. Und das sehr gerne, denn der verhätschelte Maniac ist ein wortgewandter und äußerst komischer Dandy. So wandelt sich über die Zeiten das Bild des snobistischen Décadent: verprasste er in der Vergangenheit die königliche Rente, die seine adeligen Vorfahren verdient hatten, zehrt er heute von der Sozialhilfe, lässt sich die städtische Fernwärme um die Nase spielen und wird feudal bemuttert: „Soll ich dein Bett nicht mal eben neu beziehen?”
Wie ein moderner Oblomow räkelt sich der Taugeüberhauptnichts in der sozialen Hängematte. Selbstredend ist der fernsehsüchtige Stubenhocker auf der Suche nach wahrer Zuneigung, und natürlich ließe sich Helgasons Roman als bitterböse Abrechnung mit der infantilen Medien-, Wohlfahrts- und Konsumgesellschaft lesen. Aber vor dieser Lesart würde Hlynur Björn auf der Stelle in den nächsten Pornokanal flüchten: Bloß kein Bildungsfernsehen. Hat er alles schon verstanden. Langweilt ihn trotzdem. Gerade das ist sein Drama.
Aus Berufung arbeitslos
Mit seinem Kinderzimmer-Dandy ist Helgason eine originelle One- Man-Show gelungen. Vielleicht wird sich Hlynur als adäquater Prototyp für Prosahelden in den Zeiten der Rezession erweisen. Nach den New-Economy-Yuppies in Prada-Sneakers kommen nun die Arbeitslosen aus Berufung und stoischen Versager in Polyesterunterhosen. Statt seine Aktienoptionen zu verzocken, versäuft man nun mit Anstand die Stütze. Ehrgeiz lohnt sich nicht, denn der Job als Screendesigner ist nicht weniger entwürdigend als die Festanstellung als Leichenwäscher. Die Mär von der Selbstverwirklichung ist systemerhaltende Propaganda.
Helgason jedenfalls hat seinen Globalversager so lieb gewonnen, dass er ihm gleich den ganzen Roman gewidmet hat. In Hlynur Björns coolen Tresenrepliken klirrt der isländische Permafrost, die Kalauer des notorischen Sprücheklopfers lassen den heißesten Geysir gefrieren. Der aphoristische Porno- Addict spricht viel Wahres: „Modeschauen haben nur einen Nachteil. Die Klamotten.” Auch viel Gutes: „Mann ist das Bier nervös! Kaum hat man zwei Schlucke genommen, ist es schon weg.” Und nicht zuletzt viel Schönes: „Wenn es doch nur für sehen ein ähnliches Wort gäbe wie murmeln.”
Auf eine geradlinige Dramaturgie hat Helgason keinen großen Wert gelegt. Sein Held stolpert ziellos von Mamis nestwarmer Matratzengruft zur nächsten muffigen Pornokabine, von Amsterdamer Schwulenkneipe zu isländischem Zeltplatz. Niemals verlässt Hlynur sein Zimmer ohne Fernbedienung, die er wie ein Rettungsanker in seiner Jackentasche umfasst. Und auch in Helgasons Text herrscht die Ästhetik der Fernbedienung. Der Autor zappt von einer amüsanten Szene zur nächsten. Der Autor arbeitet auch als Comic-Zeichner und Stand-Up- Comedian, und beides hat erfreuliche Spuren in seinem Text hinterlassen. So lethargisch Hlynurs Leben ist, so experimentierfreudig ist seine überdrehte Rhetorik. Helgason bleibt trotz seiner großen Liebe zu polterndem Slapstick immer ein vortrefflicher und phantasievoller Stilist. Die fortwährende Nutzung der schnellen Comedy als fruchtbarer Nährboden für komplexere Poesie ist das Originellste an Helgasons Roman.
Der Übersetzer Karl-Ludwig Wetzig hat die zahlreichen Wortspiele ohne holpernde Reibungsverluste aus dem isländischen Geländewagenterrain ins Deutsche transportiert. Sensiblen Frauenbeauftragten ist der Roman allerdings nicht zu empfehlen.
STEPHAN MAUS
HALLGRÍMUR HELGASON: 101 Reykjavik. Roman. Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 440 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Heinrich Deterings Rezension schwankt zwischen Hymne und Totalverriss. Man wird neugierig und abgestoßen in einem. Vor allem wird man auf die Stadt Reykjavik ("dieses polare Babylon") aufmerksam, wo wir Detering zufolge auf den jungen Hlynur treffen, der sich weltweit durch Musik- und Pornosender zappt und gelegentlich die pakistanischen Nachrichten einschaltet, um zu sehen, ob Island dort auf der Weltkarte eingezeichnet ist. Wenn er mit Menschen redet, "dann am liebsten im Chatroom". Detering sieht Helgasons Roman sich durch Comedy und Drama zappen bis "die Soap zum Horrortrip gerät" - und der Rezensent zappt zunächst mit. Der Protagonist hat als selbsternannter "Hamletterman" zunächst ebenso seine Sympathie wie der Roman selbst. Als "Geschichte vom Identitätsverlust in der Medienwelt" findet Detering ihn symptomatisch. Auch der Einsturz des World Trade Centers durch einen Terrorakt sieht er in dem 1996 im Original erschienenen Buch als Horrorbild aufblitzen. Am Ende ist Detering trotzdem enttäuscht. Die Tragödie des Protagonisten erweise sich zunehmend auch als Tragödie des Textes. Fallen und Finessen habe man nach hundert Seiten begriffen, doch dies sei erst ein Viertel des Buches. Fortwährend ziehe Helgason alle Register, bis der Rezensent total zugedröhnt ist von seinem Sound. Aber dann setzt Detering doch noch zur finalen Hymne an: und zwar auf die "grandiose Übersetzung". Sie rettet für Detering das Buch. Helgasons Sprachkapriolen findet er von Karl-Ludwig Wetzig derart souverän ins Deutsche gebracht, dass ihm dessen Version fast klüger als das Original erscheint.

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