Vorbei die Zeiten, in denen Würzburg schlicht das 'Weinfass an der Autobahn' war. Heute zählt die schmucke Stadt am Main mit etwa vier Millionen Besuchern jährlich zu den angesagtesten Zielen in Deutschland. Und dass auch die Würzburger selbst sich hier rundum wohlfühlen, beweist schon der Song 'Maine Stadt': 2012 stand dieses Lied monatelang mit ganz viel Lokalkolorit an der Spitze der hiesigen Musikcharts und verwies dabei all die internationalen Hits auf die hinteren Ränge. Neben den allseits bekannten Flaggschiffen wie Residenz, Festung und Dom gibt es in der Mainfrankenmetropole weit mehr, was es sich lohnt zu entdecken: 111 Orte nämlich. Mindestens. Versprochen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2013Von unheiligen Hallen und heiligen Fingern
Ein Buch präsentiert 111 angeblich sehenswerte Orte in und um Würzburg. Mancher Tipp ist witzig gemeint, ist es aber nicht
Würzburg – 111 Orte in und um Würzburg aufzutun, die man gesehen haben muss, könnte man als ambitioniertes Unterfangen bezeichnen. Die beiden Autoren Bernhard Horsinka und Renate Bugyi-Ollert haben dies nun trotzdem versucht und die etablierte Reihe im Emons-Verlag um einen Beitrag aus Unterfranken erweitert. Bände aus Madrid, Paris, Berlin und Hamburg liegen bereits vor, eine dreistellige Anzahl absolut unverzichtbarer Plätzchen dürfte sich dort relativ leicht gefunden haben. So viele Orte aber aus einer überschaubar großen Kommune wie Würzburg?
Vielleicht sollte man beim Blättern nicht mit dem 17. Ort beginnen. Er ist den „Mainfrankensälen“ gewidmet, die der Sommerfrischler nicht in Würzburg, sondern in Veitshöchheim findet. Wie er dorthin gelangt, wird im Buch kenntnisreich beschrieben („Ausfahrt Veitshöchheim-Landesanstalt auf Friedhofstraße“). Diesem Plan zum Unverzichtbaren exakt folgend, fände sich der Besucher unter der Brücke einer pittoresken ICE-Trasse wieder, mit unverstelltem Blick auf ein Bauwerk von kaum schätzbarem Wert. Wer ein Faible mitbringt für den Reiz von Schulturnhallen oder Gemeindefunktionsgebäuden, wird sich unter dieser Brücke auf das Angenehmste bedient fühlen. Denn die Mainfrankensäle von Veitshöchheim erfüllen alle Kriterien, die Freunde einer Ästhetik der Hässlichkeit erwarten dürfen. Der Rest der Besucher freilich könnte sich an diesem Ort fragen: Und was soll ich jetzt hier?
Gut, schon richtig, es gibt einen Tag, irgendwann im Schmuddelwinter, an dem der Besuch der Mainfrankensäle einen gewissen Lustgewinn verspricht. Einmal im Jahr lassen sich angeschickerte Landespolitiker zu der Halle chauffieren und beim kollektiven Schenkelklopfen filmen: Wer auf so was Appetit verspürt, tut gut daran, der Wegbeschreibung an genau diesem einen Abend zu folgen. Sonst aber? Das Buch beschreibt den „erlauchten Kreis“, dem die Ehre einer Eintrittskarte bei der „Fastnacht in Franken“ zuteil wird, die unvermeidlichen Waltraud und Mariechen werden ebenfalls ordnungsgemäß abgefeiert. Was eindeutig fehlt, ist die eindringliche Warnung, dieses Plätzchen an 364 Tagen des Jahres keinesfalls aufzusuchen. Und an dem einen Tag, nun ja, eigentlich auch nicht. Es gab mal eine lustige Buchreihe „Öde Orte“, erschienen allerdings in einem anderen Verlag. Dort wären die Mainfrankensäle gut aufgehoben gewesen.
Auch in Würzburg-Stadt gehen die Autoren dorthin, wo es wehtut. Wogegen grundsätzlich gar nichts einzuwenden wäre, würde im Text deutlicher darauf hingewiesen. Beim Schlagwort 59 „Der Hotelturm“ sieht der Leser wenigstens schon auf dem Foto, dass er dieses Bauwerk nicht gesehen haben muss. Es sei denn, er ist Liebhaber lokaler Possen und interessiert sich für die Architekturgeschichte mindestens skurriler Bauwerke. Dass sich der Würzburger Turm unter den Anwärtern für den Preis als „langsamste Baustelle der Welt“ fände, wenn es so einen gäbe, ist hübsch beobachtet. Ob man den verspiegelten Bettenkoloss deshalb unbedingt gesehen haben muss, eine ganz andere Frage.
Die offenkundige Absicht, auch dem Kuriosen und Abseitigen einen Platz einzuräumen in dem Band über die barocke Schönheit am Main, bringt aber auch wirklich Sehenswertes hervor: Da ist etwa die Schlange vor dem Bratwurstverkäufer auf dem Marktplatz. Zwar wird in Würzburg eine katholische Wurst verkauft, die unter einschlägigen fränkischen Wurstgourmets allgemein eher nicht zu den Marktführern gerechnet wird, im Gegensatz etwa zu der evangelischen Ware in Nürnberg und Coburg. In die Schlange auf dem Marktplatz sollte sich der Würzburg-Tourist aber trotzdem stellen, und sei es nur, um den Vordermann zu fragen, warum der ausgerechnet hier seine Wurst kauft und dafür einige Lebenszeit investiert. Vielleicht bekommt er zur Antwort, dass es die spezifische Senfaufstrichtechnik ist, die diesen Stand in der Tat unverzichtbar macht.
Hübsch auch der Eintrag über den kleinen Finger des Brückenheiligen namens Kilian. Gerade weil es dort weniger um den Heiligen an sich geht, eher um eine ortstypische Spezialität, die Einheimische unterm Fachbegriff Meefischli genießen. Dieser, der Kleinfisch aus dem stadtbeherrschenden Fluss, darf angeblich keinesfalls länger sein als der Finger vom Heiligen, warum auch immer. Lohnend zu lesen auch über Tiepolo und sein Hochzeitsfresko Kaiser Friedrich Barbarossas, verbunden mit der Beobachtung, dass es sich bei der abgebildeten Dame keineswegs um eine Zwölfjährige handelt wie bei der historischen Braut. Und der Text übers beschauliche Lusamgärtchen, wo Walther von der Vogelweide begraben liegt, und wo zeitgenössische Minnesänger bis heute frische Blumen hinterlegen.
OLAF PRZYBILLA
Bernhard Horsinka, Renate Bugyi-Ollert: 111 Orte in und um Würzburg, die man gesehen haben muss. Emons-Verlag, 240 Seiten, 14,95 Euro.
Der 17. Ort: die Mainfrankensäle
in Veitschöchheim. Erreichbar
über die Friedhofstraße. Oje.
Würzburger Highlights (von links): das beschauliche Lusamgärtchen, der Hotelturm mit seiner pannenreichen Baugeschichte, Tiepolos Hochzeitsfresko, der Bratwurstverkäufer auf dem Marktplatz, bekannt für seine innovative Senfstreichtechnik, und der Finger des Brückenheiligen Kilian
FOTOS: EMONS-VERLAG/OH
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Ein Buch präsentiert 111 angeblich sehenswerte Orte in und um Würzburg. Mancher Tipp ist witzig gemeint, ist es aber nicht
Würzburg – 111 Orte in und um Würzburg aufzutun, die man gesehen haben muss, könnte man als ambitioniertes Unterfangen bezeichnen. Die beiden Autoren Bernhard Horsinka und Renate Bugyi-Ollert haben dies nun trotzdem versucht und die etablierte Reihe im Emons-Verlag um einen Beitrag aus Unterfranken erweitert. Bände aus Madrid, Paris, Berlin und Hamburg liegen bereits vor, eine dreistellige Anzahl absolut unverzichtbarer Plätzchen dürfte sich dort relativ leicht gefunden haben. So viele Orte aber aus einer überschaubar großen Kommune wie Würzburg?
Vielleicht sollte man beim Blättern nicht mit dem 17. Ort beginnen. Er ist den „Mainfrankensälen“ gewidmet, die der Sommerfrischler nicht in Würzburg, sondern in Veitshöchheim findet. Wie er dorthin gelangt, wird im Buch kenntnisreich beschrieben („Ausfahrt Veitshöchheim-Landesanstalt auf Friedhofstraße“). Diesem Plan zum Unverzichtbaren exakt folgend, fände sich der Besucher unter der Brücke einer pittoresken ICE-Trasse wieder, mit unverstelltem Blick auf ein Bauwerk von kaum schätzbarem Wert. Wer ein Faible mitbringt für den Reiz von Schulturnhallen oder Gemeindefunktionsgebäuden, wird sich unter dieser Brücke auf das Angenehmste bedient fühlen. Denn die Mainfrankensäle von Veitshöchheim erfüllen alle Kriterien, die Freunde einer Ästhetik der Hässlichkeit erwarten dürfen. Der Rest der Besucher freilich könnte sich an diesem Ort fragen: Und was soll ich jetzt hier?
Gut, schon richtig, es gibt einen Tag, irgendwann im Schmuddelwinter, an dem der Besuch der Mainfrankensäle einen gewissen Lustgewinn verspricht. Einmal im Jahr lassen sich angeschickerte Landespolitiker zu der Halle chauffieren und beim kollektiven Schenkelklopfen filmen: Wer auf so was Appetit verspürt, tut gut daran, der Wegbeschreibung an genau diesem einen Abend zu folgen. Sonst aber? Das Buch beschreibt den „erlauchten Kreis“, dem die Ehre einer Eintrittskarte bei der „Fastnacht in Franken“ zuteil wird, die unvermeidlichen Waltraud und Mariechen werden ebenfalls ordnungsgemäß abgefeiert. Was eindeutig fehlt, ist die eindringliche Warnung, dieses Plätzchen an 364 Tagen des Jahres keinesfalls aufzusuchen. Und an dem einen Tag, nun ja, eigentlich auch nicht. Es gab mal eine lustige Buchreihe „Öde Orte“, erschienen allerdings in einem anderen Verlag. Dort wären die Mainfrankensäle gut aufgehoben gewesen.
Auch in Würzburg-Stadt gehen die Autoren dorthin, wo es wehtut. Wogegen grundsätzlich gar nichts einzuwenden wäre, würde im Text deutlicher darauf hingewiesen. Beim Schlagwort 59 „Der Hotelturm“ sieht der Leser wenigstens schon auf dem Foto, dass er dieses Bauwerk nicht gesehen haben muss. Es sei denn, er ist Liebhaber lokaler Possen und interessiert sich für die Architekturgeschichte mindestens skurriler Bauwerke. Dass sich der Würzburger Turm unter den Anwärtern für den Preis als „langsamste Baustelle der Welt“ fände, wenn es so einen gäbe, ist hübsch beobachtet. Ob man den verspiegelten Bettenkoloss deshalb unbedingt gesehen haben muss, eine ganz andere Frage.
Die offenkundige Absicht, auch dem Kuriosen und Abseitigen einen Platz einzuräumen in dem Band über die barocke Schönheit am Main, bringt aber auch wirklich Sehenswertes hervor: Da ist etwa die Schlange vor dem Bratwurstverkäufer auf dem Marktplatz. Zwar wird in Würzburg eine katholische Wurst verkauft, die unter einschlägigen fränkischen Wurstgourmets allgemein eher nicht zu den Marktführern gerechnet wird, im Gegensatz etwa zu der evangelischen Ware in Nürnberg und Coburg. In die Schlange auf dem Marktplatz sollte sich der Würzburg-Tourist aber trotzdem stellen, und sei es nur, um den Vordermann zu fragen, warum der ausgerechnet hier seine Wurst kauft und dafür einige Lebenszeit investiert. Vielleicht bekommt er zur Antwort, dass es die spezifische Senfaufstrichtechnik ist, die diesen Stand in der Tat unverzichtbar macht.
Hübsch auch der Eintrag über den kleinen Finger des Brückenheiligen namens Kilian. Gerade weil es dort weniger um den Heiligen an sich geht, eher um eine ortstypische Spezialität, die Einheimische unterm Fachbegriff Meefischli genießen. Dieser, der Kleinfisch aus dem stadtbeherrschenden Fluss, darf angeblich keinesfalls länger sein als der Finger vom Heiligen, warum auch immer. Lohnend zu lesen auch über Tiepolo und sein Hochzeitsfresko Kaiser Friedrich Barbarossas, verbunden mit der Beobachtung, dass es sich bei der abgebildeten Dame keineswegs um eine Zwölfjährige handelt wie bei der historischen Braut. Und der Text übers beschauliche Lusamgärtchen, wo Walther von der Vogelweide begraben liegt, und wo zeitgenössische Minnesänger bis heute frische Blumen hinterlegen.
OLAF PRZYBILLA
Bernhard Horsinka, Renate Bugyi-Ollert: 111 Orte in und um Würzburg, die man gesehen haben muss. Emons-Verlag, 240 Seiten, 14,95 Euro.
Der 17. Ort: die Mainfrankensäle
in Veitschöchheim. Erreichbar
über die Friedhofstraße. Oje.
Würzburger Highlights (von links): das beschauliche Lusamgärtchen, der Hotelturm mit seiner pannenreichen Baugeschichte, Tiepolos Hochzeitsfresko, der Bratwurstverkäufer auf dem Marktplatz, bekannt für seine innovative Senfstreichtechnik, und der Finger des Brückenheiligen Kilian
FOTOS: EMONS-VERLAG/OH
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