Dieses Weihnachtsbuch will Sie vom Glauben abbringen. Oder vielleicht von dem, was man landläufig unter Glauben versteht. Es ist Zeit, sich zurückzubesinnen auf die Ursprünge eines Fests, das weit in vorchristliche Zeit zurückreicht und heute oft bis zur kitschigen Unkenntlichkeit entstellt wird. Weihnachten kann immer noch überraschen - vorausgesetzt, man will sich verzaubern lassen von Mythen, Legenden und den uralten historischen Wurzeln, aus denen unsere winterliche Fest- und Feierzeit zwischen Allerheiligen und Fastnacht erwachsen ist.Was sahen die Menschen des Neolithikums beim feierlichen Blick in den Himmel? Was verbindet Christus mit dem griechischen Dionysos und dem ägyptischen Horus? Wie wurde der Paradiesbaum zu unserem leuchtenden Christbaum? Was haben römische Sarturnalien mit den Perchten gemein und wann entstanden aus Bienenfleiß die ersten Lebkuchen zur Adventszeit? Gerald Huber führt uns wortgewandt und mit viel Wissen zurück in die Entstehungszeit unserer heutigen Traditionen und gleichzeitig tief hinein in den lichtdunklen Zauber der Weihnacht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2018Mit der Göttin nach Altötting
Gerald Hubers lesenswertes Buch „12 000 Jahre Weihnachten“
München – „Dieses Buch will Sie vom Glauben abbringen.“ Mit diesem Satz wirbt der Autor Gerald Huber im Vorwort für sein recht gut in die Zeit passendes Werk mit dem Titel „12 000 Jahre Weihnachten“. Man ist ja gewohnt, dass Einleitungsschreiben dieser Art oft ein bisschen überambitioniert formuliert werden. Und so kommt man nach Beendigung des Buches auch in diesem Fall zu dem Schluss: Der Satz ist nicht ganz richtig. Aber das Buch ist herrlich zu lesen.
Gerald Huber, Bayern-2-Hörern als kulturaffiner Journalist seit langem ein Begriff, ist auf 352 Seiten mit vielen hübschen Bebilderungen den „Ursprüngen eines Festes“ nachgegangen, das wie kaum ein anderes den Kalender der Welt bestimmt, wenn auch auf unterschiedlichster Art. Huber, 1962 in Landshut geboren, besuchte das dortige humanistische Hans-Carossa-Gymnasium und könnte, so eine Vermutung, dabei auf einen Lateinlehrer gestoßen sein, der zum einen gleichen Familiennamens ist wie der Autor dieser Zeilen, zum anderen von mächtiger Gestalt und noch mächtigerem Wissen in Sachen alter Sprachen; und der es bei aller pädagogischer Strenge Zeit seines Lehrerlebens vermochte, selbst der verhassten „Lateinischen Wortkunde“ noch einen gewissen Charme zu verleihen. Gerald Huber jedenfalls beweist in diesem Buch eine tiefe Liebe zu sprachlichen und historischen Schürfarbeiten, die wohl schon früh in ihm geweckt wurde.
Und es bietet sich das ganze Brimborium rund ums Weihnachtsfest, gewürzt mit all den bayerischen Zutaten vom Nikolaus über die Perchten bis zu den Heiligen Drei Königen, zur Ausdeutung ja gerade zu an. Auch wenn man zu Anfang, in den ersten Kapiteln der Abteilung Advent, noch ab und an etwas genervt ist vom pädagogischen Impetus des Autors, so legt sich das von Seite zu Seite, weil man dessen Lust und Laune an historischen Erklärungen auch weit vorweihnachtlicher Phänomene spürt und dabei das eine oder andere Aha-Erlebnis genießen darf.
Gerald Huber wühlt sich bis zur Frühgeschichte der Menschheit durch. Von der Eiszeit und der Entdeckung des Feuers schlägt er den Bogen zum heutigen Feiertag, entdeckt die uralte Geschichte der Frau Holle, die mit Schnee so gar nichts zu tun hat, und vollführt mitten drin überraschende und kurz ins Heutige lockende Kapriolen, wenn er etwa über die relative kurze Geschichte des Adventskranzes referiert und dann aus Thomas Manns „Buddenbrooks“ ein einschlägiges Zitat einbringt.
Und wenn Huber, im Advent-Unterkapitel „Sphärenklänge“, die Geschichte der uralten Weihnachtshymne „Veni, redemptor gentium“ erzählt, dabei auf die dem indischen Raga verwandte dorische Tonart verweist und auf das altenglische Volkslied „Scarborough Fair“ (man kennt es von Simon & Garfunkel) kommt, schließt er den Gedanken, verblüffend, aber sehr schlüssig mit „So What“ von Miles Davis ab.
So zieht er Bögen von der indischen Stadt Goa, in jüngerer Zeit als Hippie-Hochburg bekannt, aber einst Kreuzungsort von Buddhismus und Katholizismus, zum Jesuitenmitbegründer Franz Xaver, einer gerade im Bairischen heute noch beliebten Vornamenkombination; er führt den Leser von der spätlateinischen „placentula“ (kleiner Kuchen) bis zum „Platzerl“; von der hinduistischen Göttin Kali bis zur Schwarzen Madonna von Altötting; von der Geschichte der Christmette bis zum Tiroler Volksaufstand unter Andreas Hofer.
Natürlich ist Christi Geburt, respektive deren Darstellung im Laufe der Historie, Zentrum von Gerald Hubers Weihnachtsgeschichte. Er zieht da, nur als Beispiel, eine Tangente vom antiken Mysterienkult, vom Ur-Stier, der von Mythras getötet wird zum Wohle der Menschheit, bis hin zum Ochsen, der neben dem Esel an der Krippe mit dem Jesuskind steht. Hier werden Historie und auch das Buch dann ein wenig unscharf, weil ein Ochse sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass ihm jenes Körperteil, das den Stier zum Männlichkeitssymbol erhebt (und das, in Silber bemalt, heute noch an manch einer Anhängerkupplung des Machogefährts Dodge Ram hängt), in jungen Jahren entfernt wurde.
Eine kleine Unschärfe findet sich auch in einem der spannendsten Kapitel, wo Huber unter der Rubrik „Stille“ über die Zeit als auch religiöses Phänomen nachdenkt. Über das Jahr mit seinen beiden Kreishälften zwischen den Sonnenwenden, über den Stillstand der Zeit an gerade eben diesen Momenten der Umkehr, und über das Wesen der Null. Etymologisch und semantisch spaziert er hier von der ägyptischen Hieroglyphe bis zum Rad und kommt bei den Römern zum Wort „nullus“ samt dessen Verwandtschaft zum „an(n)us“, zum Jahr also, zum Ring. Dass solch ein Ring als Muskel des menschlichen Körpers eine der Wohlbefindlichkeit dienende Bedeutung hat, diesen Schluss mag der Autor dann aber doch nicht mehr ziehen. Er wäre, wie die Metamorphose des Stiers zum Ochsen, wohl allzu unweihnachtlich. Und könnte einen womöglich glatt vom Glauben abbringen.
KARL FORSTER
12 000 Jahre Weihnachten, Gerald Huber, Volk Verlag, 352 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 28 Euro
Man spürt die Lust und Laune an
historischen Erklärungen weit
vorweihnachtlicher Phänomene
Auch Maria spielt eine große Rolle in Gerald Hubers (oben) Weihnachtsbuch: rechts die Mondsichelmadonna von Lucas Cranach d. Ä.
Fotos: Kimmelzwinger, huber
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gerald Hubers lesenswertes Buch „12 000 Jahre Weihnachten“
München – „Dieses Buch will Sie vom Glauben abbringen.“ Mit diesem Satz wirbt der Autor Gerald Huber im Vorwort für sein recht gut in die Zeit passendes Werk mit dem Titel „12 000 Jahre Weihnachten“. Man ist ja gewohnt, dass Einleitungsschreiben dieser Art oft ein bisschen überambitioniert formuliert werden. Und so kommt man nach Beendigung des Buches auch in diesem Fall zu dem Schluss: Der Satz ist nicht ganz richtig. Aber das Buch ist herrlich zu lesen.
Gerald Huber, Bayern-2-Hörern als kulturaffiner Journalist seit langem ein Begriff, ist auf 352 Seiten mit vielen hübschen Bebilderungen den „Ursprüngen eines Festes“ nachgegangen, das wie kaum ein anderes den Kalender der Welt bestimmt, wenn auch auf unterschiedlichster Art. Huber, 1962 in Landshut geboren, besuchte das dortige humanistische Hans-Carossa-Gymnasium und könnte, so eine Vermutung, dabei auf einen Lateinlehrer gestoßen sein, der zum einen gleichen Familiennamens ist wie der Autor dieser Zeilen, zum anderen von mächtiger Gestalt und noch mächtigerem Wissen in Sachen alter Sprachen; und der es bei aller pädagogischer Strenge Zeit seines Lehrerlebens vermochte, selbst der verhassten „Lateinischen Wortkunde“ noch einen gewissen Charme zu verleihen. Gerald Huber jedenfalls beweist in diesem Buch eine tiefe Liebe zu sprachlichen und historischen Schürfarbeiten, die wohl schon früh in ihm geweckt wurde.
Und es bietet sich das ganze Brimborium rund ums Weihnachtsfest, gewürzt mit all den bayerischen Zutaten vom Nikolaus über die Perchten bis zu den Heiligen Drei Königen, zur Ausdeutung ja gerade zu an. Auch wenn man zu Anfang, in den ersten Kapiteln der Abteilung Advent, noch ab und an etwas genervt ist vom pädagogischen Impetus des Autors, so legt sich das von Seite zu Seite, weil man dessen Lust und Laune an historischen Erklärungen auch weit vorweihnachtlicher Phänomene spürt und dabei das eine oder andere Aha-Erlebnis genießen darf.
Gerald Huber wühlt sich bis zur Frühgeschichte der Menschheit durch. Von der Eiszeit und der Entdeckung des Feuers schlägt er den Bogen zum heutigen Feiertag, entdeckt die uralte Geschichte der Frau Holle, die mit Schnee so gar nichts zu tun hat, und vollführt mitten drin überraschende und kurz ins Heutige lockende Kapriolen, wenn er etwa über die relative kurze Geschichte des Adventskranzes referiert und dann aus Thomas Manns „Buddenbrooks“ ein einschlägiges Zitat einbringt.
Und wenn Huber, im Advent-Unterkapitel „Sphärenklänge“, die Geschichte der uralten Weihnachtshymne „Veni, redemptor gentium“ erzählt, dabei auf die dem indischen Raga verwandte dorische Tonart verweist und auf das altenglische Volkslied „Scarborough Fair“ (man kennt es von Simon & Garfunkel) kommt, schließt er den Gedanken, verblüffend, aber sehr schlüssig mit „So What“ von Miles Davis ab.
So zieht er Bögen von der indischen Stadt Goa, in jüngerer Zeit als Hippie-Hochburg bekannt, aber einst Kreuzungsort von Buddhismus und Katholizismus, zum Jesuitenmitbegründer Franz Xaver, einer gerade im Bairischen heute noch beliebten Vornamenkombination; er führt den Leser von der spätlateinischen „placentula“ (kleiner Kuchen) bis zum „Platzerl“; von der hinduistischen Göttin Kali bis zur Schwarzen Madonna von Altötting; von der Geschichte der Christmette bis zum Tiroler Volksaufstand unter Andreas Hofer.
Natürlich ist Christi Geburt, respektive deren Darstellung im Laufe der Historie, Zentrum von Gerald Hubers Weihnachtsgeschichte. Er zieht da, nur als Beispiel, eine Tangente vom antiken Mysterienkult, vom Ur-Stier, der von Mythras getötet wird zum Wohle der Menschheit, bis hin zum Ochsen, der neben dem Esel an der Krippe mit dem Jesuskind steht. Hier werden Historie und auch das Buch dann ein wenig unscharf, weil ein Ochse sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass ihm jenes Körperteil, das den Stier zum Männlichkeitssymbol erhebt (und das, in Silber bemalt, heute noch an manch einer Anhängerkupplung des Machogefährts Dodge Ram hängt), in jungen Jahren entfernt wurde.
Eine kleine Unschärfe findet sich auch in einem der spannendsten Kapitel, wo Huber unter der Rubrik „Stille“ über die Zeit als auch religiöses Phänomen nachdenkt. Über das Jahr mit seinen beiden Kreishälften zwischen den Sonnenwenden, über den Stillstand der Zeit an gerade eben diesen Momenten der Umkehr, und über das Wesen der Null. Etymologisch und semantisch spaziert er hier von der ägyptischen Hieroglyphe bis zum Rad und kommt bei den Römern zum Wort „nullus“ samt dessen Verwandtschaft zum „an(n)us“, zum Jahr also, zum Ring. Dass solch ein Ring als Muskel des menschlichen Körpers eine der Wohlbefindlichkeit dienende Bedeutung hat, diesen Schluss mag der Autor dann aber doch nicht mehr ziehen. Er wäre, wie die Metamorphose des Stiers zum Ochsen, wohl allzu unweihnachtlich. Und könnte einen womöglich glatt vom Glauben abbringen.
KARL FORSTER
12 000 Jahre Weihnachten, Gerald Huber, Volk Verlag, 352 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 28 Euro
Man spürt die Lust und Laune an
historischen Erklärungen weit
vorweihnachtlicher Phänomene
Auch Maria spielt eine große Rolle in Gerald Hubers (oben) Weihnachtsbuch: rechts die Mondsichelmadonna von Lucas Cranach d. Ä.
Fotos: Kimmelzwinger, huber
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