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Produktdetails
  • Die Andere Bibliothek
  • Verlag: Eichborn
  • Num. u. lim. Ausg.
  • Seitenzahl: 434
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 698g
  • ISBN-13: 9783821841571
  • Artikelnr.: 23921542
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Es waren zwei Liederbrüder
Ekstatisch, toll und zärtlich: Achim von Arnim und Clemens Brentano in ihren Briefen / Von Hermann Kurzke

Auf den ersten, flüchtigen Blick wirken sie so zwillingsbrüdergleich, als bräuchten sie zu zweit nur eine Hose. Aber je länger man liest in diesem Briefwechsel, um so unterschiedlicher erscheinen sie, charakterlich, poetisch, politisch und konfessionell, bis man gar nicht mehr weiß, was sie aneinander gefunden haben mögen. Ihre jahrelange Schwärmerei füreinander hat etwas Forciertes, wie wenn sich zwei Labile aneinanderklammern. Sie schwärmen voneinander in den höchsten Tönen. Brentano besonders schreibt wie ein verliebter Schüler, hingebungsvoll und innig, fast unterwürfig: Ich liebe dich; Arnim, sagt er hundertmal, aber ich bin gar nicht würdig, dein Gefährte zu sein.

Dabei ist er der Bedeutendere, jedenfalls als Poet. Die vielen in die Briefe gestreuten Gedichte sind in seinem Falle von jener betörenden Raffinesse und gekonnten Einfalt, die ihm keiner nachmacht - auch Arnim nicht, der meist nur gute Anfänge mit ziellosen Ausfransungen zustandebringt. Brentano hingegen ist ein Artist mit allerhöchstem Anspruch. "Ich möchte lieber der Lichterputzer Apollos, als die oberste Gottheit der Lappländer sein." Vielleicht kam es deshalb nie zu jener Koproduktion fest und innig verwobener Gedichte, die sie eine Weile planen; ständig hecken sie ja Projekte aus, sind aber im Entwerfen und Träumen stärker als im Verwirklichen.

Ihre wichtigste Leistung zu zweit war eine Bearbeitung: die Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn". Als Goethe sie lobte, freuten sich die beiden, Arnim fühlte sich wie ein gutes Pferd, "als wenn eine schöne Königin mit ihren Fingern durch meine Mähne striche und mir den Hals klatschte." Was die Deutschen lange für Volkslieder hielten, haben die Liederbrüder im Grunde erst erfunden. Sie haben den Volksliedton geschaffen wie die Brüder Grimm den Märchenton. Wie jene nicht hessischen Großmüttern gelauscht haben, sondern ihre Kinder- und Hausmärchen aus zahlreichen Büchern zusammenredigierten und dann mit ihrem Märchenzimt und -zucker bestreuten, so haben Arnim und Brentano Flugblätter, Gesangbücher und Liedersammlungen aller Art exzerpiert, gekürzt, verändert, ergänzt, um jene Lieder zu machen, deren kunstvolle Vertonungen dann das gebildete Bürgertum am Blüthnerflügel zum Klingen brachte. In die Hand des "Volkes" geriet das Wunderhorn nie. Noch hundert Jahre nach Erscheinen war die Erstausgabe im Buchhandel erhältlich.

Ein bißchen guter Wille, sich in vergangene Zeiten einzufühlen, ist nötig, um diesen Briefwechsel zu genießen. Er ist verträumt und kapriziös, ekstatisch und frech, locker und spitzfindig, toll und scharfsinnig, verspielt und ernsthaft, zärtlich und grob, komisch und wehmütig, vor allem aber überbordend wortreich, die Sätze wollen nicht enden, die Absätze erst recht nicht, und die meisten Briefe haben viele Seiten. Sie sind zugleich langatmig und kurzweilig, ja langatmig vor lauter Kurzweiligkeit, denn die Pointen jagen sich in ermüdender Folge, die Wortspiele drängeln sich auf engstem Raum, die Stimmung wechselt mit Lidschlagschnelle, bevor man fertiggelacht hat, soll man schon wieder fertiggeweint haben. Vor allem bei Arnim wirkt dieser Stil als gewollte Masche, stärker als bei Brentano, der sowohl reicher an Nuancen wie an Gedankentiefe ist.

Er hatte mehr Grund zu tiefen Gedanken, das Leben beutelte ihn mehr. Äußerlich geschieht mehr im Leben Arnims, innerlich aber in dem Brentanos. In den ersten Jahren des Briefwechsels macht Achim von Arnim seine Kavalierstour, trägt sein gefühliges Ich wenig beeindruckt durch die Länder Europas. Sein größtes Erlebnis ist der Patriotismus, der ihn im antinapoleonischen Kampf ergreift. Er liebt Preußen wie eine gütige Mutter. Sein Freund hingegen bleibt politisch kühl. Die Staaten sind für ihn Egoisten, die es nicht wert sind - "ich glaube nicht, daß die freie herrliche Seele, die nach Gottes Ebenbild erschaffene schaffende Seele für diesen Egoisten sich wagen darf." Als Preußen bei Jena geschlagen wird, im Oktober 1806, stirbt gerade Brentanos Frau Sophie Mereau bei der Geburt ihres dritten Kindes, nachdem schon die ersten beiden nur wenige Wochen alt geworden waren. "Es ist, als läge ein Fluch auf meinem Samen." Seine Verzweiflung ist gigantisch. "Über meinem Haupt steht das Leben wie ein unendliches Labyrinth von Gewittern erbaut." Wenige Monate später aber heiratet er Knall auf Fall Auguste Bußmann, ein sechzehnjähriges Mädchen, gezwungen, wie er schreibt, von heftiger Liebe. Doch die Scheidung folgt sogleich.

Arnim ehelicht im Jahre 1811 heimlich Brentanos Lieblingsschwester Bettine. Aus dem vorzüglichen Einleitungsessay von Hartwig Schultz erfährt man, wie Arnim um sie geworben hatte, nämlich damit, daß er Kinder brauche und demzufolge eine Mutter für solche, da das Erbe seiner Väter erst seinen Kindern voll zustehe. Bettine antwortete ähnlich pragmatisch, und so kommt es zwischen dem märkischen Landedelmann und der Frankfurter Bürgerstochter zu einer nüchternen Zweckehe, die so gar nicht dem Bild entspricht, das man sich von deutscher Romantikerliebe zu machen pflegt.

Der unglückliche Brentano paßt besser in dieses Bild. Er will gleich bei dem jungen Paar einziehen, das ist typisch für ihn, aber das Paar will ihn durchaus nicht haben. Er wird sich noch oft verlieben, in Luise Hensel einige Jahre später, im Alter noch einmal in Emilie Linder, schmerzliche, sehnsüchtige Affären, die unerfüllt bleiben, ihn um und um treiben, aber auch großartige Gedichte aus ihm herauspressen. In seinen späteren Jahren verachtet er sich als Poet, es ist furchtbar anzusehen, das Dichten wie seine ganze Getriebenheit erklärt er sich nun als Folge der Erbsünde. Im Jahre 1817 legt er eine Generalbeichte ab und kehrt zum katholischen Glauben seiner Kindheit zurück. Mehrere Jahre bringt er am Krankenbett der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick zu, um aus ihren "Visionen", die er mit Hilfe einer ganzen Bibliothek hagiographischer Literatur in sie hineinlegt und dann wieder aus ihr herausliest, ein großangelegtes "Leben Jesu" zu schaffen. Das anonym erschienene Erbauungsbuch "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christ" wurde der größte Erfolg seines Lebens, in Verkaufszahlen gemessen jedenfalls, bis heute.

In einem großen Brief versuchte er damals auch den protestantischen Landedelmann Achim von Arnim für den katholischen Glauben zu werben. Es war eine schockierende Art von Glauben. Brentano soll zum Beispiel eine Sammlung emmerickblutgetränkter Lappen mit sich geführt haben, die er für wundertätig hielt. Die provozierende Mischung aus dogmatischem Starrsinn und unzweifelhafter existentieller Gepacktheit jagt einem noch heute Schauer über den Rücken, weil sich hier kein frommer Einfaltspinsel äußert, sondern der abgrundseelentiefste Poet der deutschen Romantik. Arnims Antwort ist nicht erhalten, sie muß freundlich, aber bestimmt gewesen sein. Schon in der "Wunderhorn"-Zeit hatte er die Wittenbergische Nachtigall Martin Luthers der katholischen Trutznachtigall Friedrich von Spees vorgezogen. Einen wenig konfessionellen Krach haben sie schon damals gehabt.

Der Briefwechsel der beiden war bisher so gut wie unbekannt. Nur einige Auszüge, tendenziös zusammengestellt, hatte Reinhold Steig vor fast hundert Jahren publiziert. Sie haben bisher das Bild bestimmt. Seit wenigen Jahren sind zwar die meisten Brentano-Briefe (außer wenigen seitdem neu entdeckten) in der Frankfurter Brentano-Ausgabe zu finden, aber die großen wissenschaftlichen Editionen werden von einer breiteren Öffentlichkeit ja nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Die Arnim-Briefe erscheinen in ihrer Mehrheit überhaupt zum ersten Mal. Entzifferung und Kommentierung waren eine entsagungsvolle Arbeit, die in der Brentano-Arbeitsstelle des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt von Hartwig Schultz und einigen Mitarbeitern geleistet wurde. In Text und Kommentar verbindet die vorliegende Ausgabe wissenschaftliche Gediegenheit mit größtmöglicher Leserfreundlichkeit. Wie immer in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Reihe "Die andere Bibliothek" handelt es sich um überlegt und liebevoll gestaltete Bücher. Die Briefe des armen Clemens sind amaranthrot, die des guten Arnim tintenblau gedruckt - ein hübscher und hilfreicher Einfall.

Achim von Arnim und Clemens Brentano: "Freundschaftsbriefe. 1801 bis 1829". Vollständig kritische Edition von Hartwig Schultz. Herausgegeben unter Mitarbeit von Holger Schwinn. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998. 2 Bände, zus. 965 S., geb., je 54,- DM.

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