Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 14,90 €
  • Gebundenes Buch

Im Jahr 1857 kommt es zu einem verstörenden Zusammentreffen, denn drei ganz unterschiedliche Meisterwerke der Moderne erscheinen: Flauberts »Madame Bovary«, Baudelaires »Les Fleurs du Mal« und Stifters »Nachsommer«. Wolfgang Matz geht in seiner originellen Studie der Frage nach, wie in demselben historischen Augenblick drei verschiedene Autoren zu ihrem Werk finden, und wie drei verschiedene Bücher auf diesen Augenblick antworten. In seiner Darstellung, die Biographie und Ästhetik überblendet und in Nietzsche mündet, wird 1857 zu einem Schlüsseljahr der Moderne, gerade weil es so unterschiedliche ästhetische Konzepte hervorbrachte.…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahr 1857 kommt es zu einem verstörenden Zusammentreffen, denn drei ganz unterschiedliche Meisterwerke der Moderne erscheinen: Flauberts »Madame Bovary«, Baudelaires »Les Fleurs du Mal« und Stifters »Nachsommer«. Wolfgang Matz geht in seiner originellen Studie der Frage nach, wie in demselben historischen Augenblick drei verschiedene Autoren zu ihrem Werk finden, und wie drei verschiedene Bücher auf diesen Augenblick antworten. In seiner Darstellung, die Biographie und Ästhetik überblendet und in Nietzsche mündet, wird 1857 zu einem Schlüsseljahr der Moderne, gerade weil es so unterschiedliche ästhetische Konzepte hervorbrachte.
Autorenporträt
Wolfgang Matz, geb. 1955 in Berlin, lehrte von 1987-95 deutsche Sprache und Literatur an der Universität Poitiers und arbeitet seitdem als Verlagslektor in München. Er veröffentlichte zahlreiche Essays zur deutschen und zur französischen Literatur, wurde als Übersetzer mit dem Paul Celan Preis und dem Petrarca-Preis ausgezeichnet und ist Herausgeber von Adalbert Stifters 'Sämtliche Erzählungen in der Fassung des Erstdrucks' (2005).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2007

In Linz beginnt's
Der dritte Mann: Wolfgang Matz ruft Kronzeugen der Moderne auf

Was ist die literarische Moderne? Und mit wem begann sie? Mit Baudelaire und Flaubert natürlich. Wolfgang Matz hat noch einen Dritten aufgetrieben, den bislang nur Nietzsche auf der Rechnung hatte: Stifter.

Modern konnte man schon in der Spätantike sein, wenn man sich von der Kultur der Älteren absetzen wollte. Ein regelrechtes Epochenbewusstsein wurde an den Begriff jedoch erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts geknüpft. Seither mangelt es nicht an Versuchen, "die Moderne" anhand literarischer Wegmarken zu datieren und ihren Beginn zwischen der entgrenzenden Romantik und dem wissenschaftlichen Naturalismus anzusiedeln.

Der Münchner Übersetzer und Publizist Wolfgang Matz hat sich jetzt entschlossen, den 150. Geburtstag der Moderne zu feiern, und beruft sich dabei auf das gemeinsame Erscheinungsjahr von Flauberts "Madame Bovary" und Baudelaires Gedichtband "Les Fleurs du mal". Matz nimmt noch Stifters "Nachsommer" (ebenfalls 1857) hinzu, der von der Initiation eines jungen Mannes in ein durch Bildung und Liebe geordnetes Leben berichtet - ein Überraschungscoup, weil Stifters Roman zwar zum europäischen Kanon zählt, aber als Portaltext der Moderne bislang kaum auffällig war.

Es empfiehlt sich, mit der Lektüre hinten anzufangen. Am Ende präsentiert Matz seinen Gewährsmann: Nietzsche hatte in "Menschliches, Allzumenschliches", direkt nach dem Deutsch-Französischen Krieg, den eminenten Einfluss Flauberts und Baudelaires auf die Dichtkunst der Gegenwart geltend gemacht und Stifter als einen der wenigen genannt, die in der deutschsprachigen Literatur fortdauernde Lektüre verdienten. Auch das entbehrte nicht der Provokation, war Stifter doch von der Kritik ins biedermeierliche Abseits gestellt worden.

Inspiriert von Nietzsches Prophetie, hat Matz den Autoren drei umfangreiche Kapitel gewidmet, in denen Werk und Vita in eine Dynamik gestellt werden, die geradezu zwangsläufig 1857 kulminiert - und schon um sich diesem teleologischen Sog zu entziehen, ist der Leser gut beraten, seine Lektüre rückwärts fortzusetzen. Da die Modernität Flauberts und Baudelaires inzwischen nicht mehr bewiesen, sondern allenfalls in Zitaten und Anekdoten lebendig gehalten werden muss, liegt das eigentliche Augenmerk der Monographie auf Stifter, als dessen Biograph der Autor bereits 1995 hervorgetreten ist.

Nun scheint er angetreten zu sein, um Stifters Selbstbild als "Nachgeborener", als nicht mehr in die Zeit Passender, zu korrigieren: An seiner Person interessiert ihn der Kontakt mit der "düsteren Großstadt" Wien, wo man mit Polizei und Prostitution fast so einfach in Kontakt kommen konnte wie in Paris; der Kampf gegen die christlich-moralischen Zwänge der dominierenden Kunstauffassung sowie die Nähe seines Erzählens zur französischen Tradition der Sittengeschichte. Im "Nachsommer" spürt er nicht mehr den Elementen des Bildungsromans nach, sondern der Melancholie als ihrem Subtext - einem Motiv also, dem Emma Bovary ebenso einprägsam verfallen war wie der Dichter des Spleen; statt der vielgeschmähten Handlungsarmut rücken die "Registrierung des Jetzt" und die Artifizialität des Sprachkunstwerks in den Mittelpunkt. Nun ist bekannt, dass der Liberale Stifter nach den ersten Kämpfen von 1848 ins ruhigere Linz zog und dort das "sanfte Gesetz" und "sittliche Offenbarung" zur pädagogischen Pflicht seines Schaffens erklärte - ein Ausweis von Modernität? Durchaus, meint Matz und führt den Leser zu überzeugenden Parallelstellen aus Frankreich. Denn in den voranstehenden Kapiteln zu Flaubert und Baudelaire macht er deutlich, dass diese eben gerade nicht durch Konformität mit ihrer Zeit Epoche machten, sondern durch erbitterte Renitenz gegen sie. Die Garantie ihrer Progressivität lag just in ihrer vehementen Fortschrittskritik, ihre Texte waren explizite Gegenbewegungen gegen die technischen und politischen Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts, das sie als Bedrohung empfanden. Moderne und Antimoderne konnten durchaus koexistieren: "Baudelaire war der Propagandist einer Kunst des modernen Lebens, er war nicht der Propagandist dieses modernen Lebens selbst."

Beim Durchgang durch die literarische Biographie der Franzosen legt Matz das Augenmerk auf "rückwärtsgewandte Impulse" und besonders auf den "ennui", in dem sich Langeweile, Melancholie und Abkehr vom ekelerregenden Alltag trafen. Selbst Antriebe wie Eros und Sexus erschienen den von ihm Befallenen als fade Nichtigkeiten einer abgestandenen Romantik. Um sich und die Kunst zu retten, floh man in die Arbeit am Stil und an der Stilisierung seiner selbst, wohl wissend, dass es um den Ruhm in der Nachwelt ging.

Von den Zeitgenossen sahen sie sich zu Recht missverstanden: Flaubert musste sich wegen Beleidigung von Moral und Religion vor Gericht verantworten, kam allerdings ungeschoren davon; Baudelaire wurde aus den gleichen Gründen angezeigt, musste eine Geldstrafe bezahlen und auf den Abdruck von sechs Gedichten verzichten. Letztlich geriet bei beiden der wertungslose Standpunkt der literarischen Darbietung zum Skandal und damit ebenjenes Prinzip, das ihren Erfolg als Vorreiter der Moderne ausmachte. Stifter wurde der Prozess von der Kritik gemacht, weil der "Nachsommer", gemessen an den Kriterien des Realismus, zu wirklichkeitsfremd wirken musste. Dass Stifter in der Hinwendung seines Helden zur Botanik und Geologie ein Manifest der Zeitkritik hinterlassen hatte, blieb vorerst ebenso unbemerkt wie die Tatsache, dass er die Langeweile des lernenden Wartens und der familiären Rituale in seinem Roman als Nobilitierung des Sinnhaften gegenüber modischen Zeitläuften konzipiert hatte.

Die partiellen Affinitäten, die den Zweiundfünfzigjährigen mit den beiden Sechsunddreißigjährigen aus Paris verbanden, blieben aber auch ihm selbst verborgen: Die geographische und kulturelle Distanz, die zwischen den Modernen lag, überwanden sie weder als Reisende noch als Lesende. Die Verbindung Paris-Linz, die Matz im ansonsten recht farblos bleibenden Jahr 1857 herstellen will, funktioniert nur über eine nachträgliche Modernisierung Stifters. Andersherum wäre es mehr als abwegig, die Modernität Flauberts oder Baudelaires mit Parallelen zu Stifter begründen zu wollen. Die französische Dominanz in der Konstituierung der Moderne fällt auf und gibt zu denken. Während "Les Fleurs du mal" und "Madame Bovary" schon im neunzehnten Jahrhundert auch auf Deutsch vorlagen, erschien die erste französische Übersetzung des "Nachsommers" im Jahr 2000.

ROMAN LUCKSCHEITER

Wolfgang Matz: "1857". Flaubert, Baudelaire, Stifter. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 432 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rundum gelungen findet Martin Krumbolz diesen Essay von Wolfgang Matz über drei Meisterwerke der Moderne, die allesamt im Jahr 1857 erschienen sind. Die Auswahl der Texte hat ihn zunächst überrascht, leuchtet es doch nicht unmittelbar ein, was Flauberts "Madame Bovary", Baudelaires "fleurs du mal" und Stifters "Nachsommer" außer dem Erscheinungsjahr substanziell gemein ist. Dies zu zeigen, scheint ihm der Clou von Matz' Buch. Er unterstreicht den biografischen Ansatz, der bei allen drei Autoren nur rare Freuden und zahlreiche Aporien ans Licht bringt, deren ästhetischer Ertrag sich in den behandelten Meisterwerken niederschlägt. Deutlich wird für Krumbolz, dass Flaubert, Baudelaire und Stifter bei allen inhaltlichen und stilistischen Unterschieden ein ähnliches Konzept von Modernität zugrunde liegt, in dem die Kunst und der Widerstand gegen die bürgerliche Gesellschaft, das System ökonomischer Verwertung, das Diktat des Betriebs eine zentrale Rolle spielen.

© Perlentaucher Medien GmbH