Der Deutsch-Deutsche Krieg 1866 war die Entscheidung im Kampf um die Vorherrschaft zwischen Preußen und Österreich. Höhepunkt des Krieges war der Sieg bei Königgrätz. Die kühl kalkulierende Realpolitik Bismarcks und das überragende strategische Können Moltkes führten Preußen zum Sieg - so die gängige Sicht.Tatsächlich war der Sieg in Böhmen nicht zwangsläufig. Preußens Triumph bedeutete faktisch die Aufgabe des Traums von der deutschen Einheit. Er ebnete zwar den Weg zum Deutschen Kaiserreich, doch in seiner kleindeutschen Lösung.Klaus-Jürgen Bremm schildert alle Aspekte dieses Krieges: Er untersucht die Vorgeschichte ebenso wie den Weg in die Eskalation und den eigentlichen Schlachtenverlauf; die Kriegführung im Zeichen neuester waffentechnischer Errungenschaften wie auch die Kämpfe auf dem italienischen Kriegsschauplatz. Darüber hinaus zeigt er die Rezeption der Ereignisse in den verschiedenen beteiligten Staaten - Österreich, Deutschland, Italien. Es ist ein Krieg, der die weitere Entwicklung Europas entscheidend beeinflusste.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Kilb staunt, dass zum Jubiläumsjahr mit Klaus-Jürgen Bremms "1866" nur eine einzige Publikation über Bismarcks Krieg gegen die Habsburger vorliegt. Die aber hat es in sich, verspricht der Kritiker: Zum einen, weil Bremm als Militärhistoriker genau den richtigen Ton trifft, um die Ereignisse auf den Schlachtfeldern anschaulich zu beschreiben; zum anderen, da der Autor detailreich, aber nie kleinteilig, präzise und lebendig zu analysieren weiß, lobt der Rezensent, der auch die Bezugnahme auf populäre Quellen begrüßt. Vor allem aber hebt Kilb Bremms Verdienst hervor, nicht nur weit über Gordon Craigs inzwischen veraltete Studie "Battle of Königgrätz" hinauszugehen, sondern auch Lothar Galls Bismarck-Biografie von 1980 auszuwerten. Ein kluges Buch, das nicht zuletzt über die langfristigen Folgen der damals getroffenen Entscheidungen aufklärt, urteilt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2016Deutschland gegen Preußen
Vor hundertfünfzig Jahren warf Preußen die Österreicher aus Deutschland hinaus. Davon hat sich Deutschland noch immer nicht erholt. Es hilft, sich mit diesem Jahr zu beschäftigen, wie ein neues Buch von Klaus-Jürgen Bremm zeigt
Vor hundertfünfzig Jahren, im Sommer 1866, kam es endlich zum Krieg Deutschlands gegen Preußen, auf welchen die mitteleuropäischen Machtverhältnisse seit langem hinausgelaufen waren. Der Krieg dauerte nicht lange, die Überlegenheit Preußens war zu groß. Deutschland verlor diesen Krieg - und leidet, geistig und kulturell, noch immer an dessen Folgen.
Eine dieser Folgen, eine der schrecklichsten, offenbart sich darin, dass kaum jemand diesen Krieg als deutsch-preußischen Krieg bezeichnen würde. Im Sprachgebrauch jener, die überhaupt etwas wissen darüber, ist es der Krieg Preußens gegen Österreich; im "Spiegel", der doch sonst die Fakten ganz genau checkt, war auch schon zu lesen, es sei der deutsch-österreichische Krieg gewesen, was eine geläufige Sicht der Dinge ist. Und wer heute zugibt, dass er oder sie keine rechte Ahnung habe, wer 1866 gegen wen und warum in den Krieg gezogen sei, kommt auch damit davon. Es ist ja schließlich sehr lange her.
Noch länger, fünf Jahre mehr nämlich, ist es allerdings her, dass in Amerika jener Bürgerkrieg ausbrach, von dem nicht nur die Amerikaner, sondern auch die meisten Deutschen ziemlich genau sagen können, wer da gegen wen kämpfte, worum es ging und wer ihn schließlich gewonnen hat. Das liegt nicht nur daran, dass das Talent der Amerikaner, Geschichten übersichtlich zu gliedern, Konflikte zuzuspitzen, Helden und Gegenspieler zu identifizieren und die Sache auf einen Showdown hinauslaufen zu lassen, sich sogar in ihren historischen Erzählungen zeigt.
Es liegt auch daran, dass der Deutsche Krieg einen grundsätzlich anderen Charakter hatte: Wenn Monarchien aufeinander losgehen, wenn die Meinungsbildung des Volks kaum eine Rolle spielt, wenn weder die gute Sache noch irgendein Held zu erkennen sind, dann fällt es wesentlich schwerer, die Geschichte eines solchen Krieges nachzuerzählen.
Klaus-Jürgen Bremm, in seinem Buch "1866 - Bismarcks Krieg gegen die Habsburger", der einzigen nennenswerten Neuerscheinung zum 150. Jahrestag, tut es trotzdem - und manchmal hat man bei der Lektüre den Eindruck, dass der Autor der Einzige ist, der hier noch den Überblick hat; dass also schon die Akteure, all die Politiker, Diplomaten und Offiziere, und erst recht das Volk nach all den militärischen und diplomatischen Winkelzügen nicht mehr so recht wussten, wie genau es dazu gekommen war, dass im Juni die Armeen Österreichs, Bayerns, Hannovers sowie das VIII. Bundeskorps (mit den Truppen Hessens, Württembergs, Badens und Frankfurts) den Truppen Preußens gegenüberstanden. Und, bis auf eine, die nicht entscheidend war, alle Schlachten verloren.
Es ist eine Geschichte, welche, vom Anfang her betrachtet, viel weniger Sinn zu ergeben scheint, als wenn man sie im Licht ihres Ausgangs zu deuten versucht. Man kann diese Geschichte mit den Kriegen, die der Preußenkönig Friedrich II. gegen das kaiserliche Habsburg führte, beginnen lassen; oder mit Napoleon, der die Habsburger nötigte, die deutsche Kaiserkrone niederzulegen, und die Hohenzollern demütigte, indem er in ihre Hauptstadt einmarschierte; mit dem Wiener Kongress, der Österreich den Vorsitz des Deutschen Bundes zusprach und damit Preußen in die zweite Reihe stellte, oder mit dem Olmützer Vertrag von 1850, der nach der Revolution die Führungsrolle Österreichs bestätigte und Preußen in die Schranken verwies.
Man lässt die Geschichte meistens damit beginnen, dass Österreich und Preußen einen Krieg gegen Dänemark führen (in welchem es um die Frage geht, ob Schleswig und Holstein deutsch oder dänisch seien) und gewinnen, sich in der Folge aber überwerfen, was dazu führt, dass Preußen den Deutschen Bund für erloschen erklärt, was der Rest dieses Bundes aber anders sieht. Und schon ist man im Krieg gegeneinander.
Vom Ende her betrachtet, ist alles ganz folgerichtig. Die Preußen haben gewonnen, weil sie gewinnen mussten. Es ist das 19. Jahrhundert, die industrielle Revolution entfesselt ungeheure Kräfte, welchen die Grenzposten, Zollschranken und verschiedenen Verwaltungen der deutschen Klein- und Mittelstaaten im Weg stehen. Damit Deutschland sich aber einigen kann, muss die Frage geklärt werden, ob es Groß- oder Kleindeutschland sein soll, ein Staat, der von Österreich, oder einer, der von Preußen geführt wird. Österreich ist, auch ohne den ungarischen Reichsteil, ein Vielvölkerstaat, in dem außer den Deutschen ziemlich viele Menschen leben, die keine Deutschen werden wollen. Italiener, Slowenen, Tschechen. Der Status quo ist labil genug, die Obrigkeit ist an dessen Veränderung nicht interessiert. In Preußen dagegen hat Bismarck das Sagen; der ist zwar an Deutschland nicht unbedingt interessiert, aber an allem, was Preußens Macht stärkt und vergrößert. Es ist also gekommen, wie es vernünftigerweise kommen musste.
"Die kleindeutsche Lösung hatte die Logik der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit für sich", schreibt Thomas Nipperdey, den Bremm in seinem Schlusskapitel zustimmend zitiert - und das Verdienst des Buches besteht aber darin, dass diese ganze schicksalshafte Zwangsläufigkeit, die "Alternativlosigkeit", wie heute selbst Historiker sagen, mit welcher die Geschichte angeblich darauf hinausgelaufen sei, dass Deutschland preußisch werde und Österreich nicht mehr deutsch: dass all das sich verflüchtigt, je näher der Text den tatsächlichen Ereignissen kommt. Bremm ist Militärhistoriker, das macht die Lektüre manchmal mühsam für Leute, die von Logistik, Nachrichtenwesen und Gefechtsverläufen nur wenig wissen oder wissen wollen. Aber durch diese Details muss man sich durcharbeiten, dann erkennt man, dass der scheinbare vorherbestimmte Ausgang des Krieges eine Folge von höchst umstrittenen, riskanten, oft auch zufällig getroffenen Entscheidungen war. Es gab Momente vor dem Krieg, da fürchtete das Volk in Preußens Hauptstadt, dass die Österreicher, Bayern und Hannoveraner in Berlin einmarschieren würden. Es gab Momente während des Krieges, da verzweifelten viele Wiener an der Trägheit und Schlampigkeit der eigenen Führung. Und hofften, die Preußen würden in Wien einmarschieren und endlich die Verwaltung in Ordnung bringen. Bremm beschreibt, wie vor der Schlacht von Königgrätz, die den Krieg entschied, die österreichische Armee die getrennt marschierenden preußischen Truppenteile einzeln hätte womöglich schlagen können. Und natürlich schreibt er vom Zündnadelgewehr, das fünf Schüsse in der Minute abfeuern konnte und das die Preußen hatten, die Alliierten aber nicht. Das habe schließlich den Unterschied ausgemacht.
Aber ach, es geht nicht um militärische Fragen, wenn man, hundertfünfzig Jahre danach, noch immer nicht einverstanden sein mag mit diesem Gang der Geschichte. Nach dem Krieg annektierte Preußen alle gegnerischen Staaten nördlich des Mains außer Sachsen - wofür es weder eine monarchische noch eine demokratische Legitimation gab. Es war so falsch, zynisch und brutal, dass man sich heute noch fragen muss, wie jemand konservativ und gesinnungspreußisch zugleich sein kann. Den süddeutschen Staaten nötigte Preußen Schutzbündnisse auf, und nach dem Krieg gegen Frankreich, vier Jahre später, blieb ihnen nichts anderes übrig, als jenem preußisch-deutschen Reich beizutreten, das auf Illegitimität gegründet war. Und das, ob es uns jetzt passt oder nicht, noch immer das staatliche Gefäß ist für jene Bundesrepublik, deren geistige Enge womöglich mit dieser Gründungsgeschichte mehr zu tun hat, als es uns heute bewusst ist.
Denn 1866, das war ja nicht nur der Rauswurf Österreichs aus Deutschland. Es war die Ausbürgerung einer südlicheren, lässigeren, barockeren Möglichkeit, deutsch zu sein - was man, als Bayer jedenfalls, immer dann als schmerzlich empfindet, wenn mal wieder von sprachlichen, geistigen, kulinarischen Austriazismen die Rede ist, obwohl es doch um die kulturellen Eigenheiten ganz Süddeutschlands geht.
Klaus-Jürgen Bremm zitiert in seinem Buch den 74-jährigen Franz Grillparzer, der das Ergebnis des Deutschen Krieges so kommentierte: "Als Deutscher ward ich geboren, bin ich noch einer? Nur was ich Deutsches geschrieben, nimmt mir keiner." So empfanden es wohl die meisten - und als Zeitgenossen ahnten sie noch nicht, dass auch Grillparzers erster Satz nicht mehr lange richtig sein würde. Denn im Jahr 1866 wurde nicht nur Österreichs Gegenwart ausgebürgert, sondern auch dessen Vergangenheit. Nein, in heutigen Lexika wird Grillparzer als österreichischer Autor, ja als österreichischer Nationaldichter geführt - und als vor ein paar Jahren im Knaus-Verlag ein Buch über die deutsche Seele erschien, war die österreichische Seele eindeutig nicht gemeint, ganz im Gegenteil. Im Eintrag zur Musik schrieb die Autorin Thea Dorn sogar, dass es einen kategorischen Unterschied zwischen der "österreichischen" Musik Haydns und Mozarts und der angeblich viel tieferen und ernsteren und darum "deutschen" Musik Beethovens und Wagners gebe. Haydn und Mozart konnten nicht protestieren, und die heutigen Österreicher wollen es schon deshalb nicht, weil sie, seit 1945, ganz froh sind über die Ausbürgerung ihrer Geschichte; die erspart ihnen das Nachdenken über Hitler.
Es ist ja, wer auf seinem Nichteinverstandensein beharrt, auch in sehr schlechter Gesellschaft. Hitlers "Mein Kampf" beginnt damit, dass die Spaltung Deutschlands beklagt und Hoffnung auf deren Überwindung artikuliert wird. Heute wissen wir, wie es war, als sich diese Hoffnung erfüllte. Und wer damals fliehen musste oder ermordet wurde.
Und wenn heute jemand die österreichische Nation als Fiktion bezeichnet, dann ist es meistens jemand vom rechten Rand der Freiheitlichen Partei, mit dem man sich auch nicht gemein machen mag. Es war andererseits aber Bruno Kreisky, österreichischer Bundeskanzler von 1970 bis 1983, Sozialdemokrat und Jude, der immer wieder daran erinnerte, dass es drei deutsche Staaten gebe, die Bundesrepublik, die DDR und Österreich.
Es geht also, wenn man die Folgen von 1866 reflektiert, nicht um die Grenzen von heute, die ja, wenn nicht gerade die Polizei ein paar Stichproben macht und der Verkehr sich staut auf der Salzburger Autobahn, so durchlässig sind, wie sie es niemals waren. Es geht eher darum, die selbstgesteckten Grenzen, die Borniertheiten, die kompletten Falschaussagen in unserem Geschichtsbild, dem Bewusstsein unserer geistigen Herkunft zu überwinden. Gerade in der Berliner Republik und unter Leuten, die Potsdam für eine geistige Lebensform halten, gibt es ja die Tendenz, auf der Ausbürgerung des Südens zu beharren und preußische Geschichte zu deutscher Vorgeschichte umzudeuten. Warum sonst hielt der Bundestag die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses für eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung? Warum widersprach kaum jemand dem damaligen Bauminister Wolfgang Tiefensee, als der vor ein paar Jahren im Interview mit der "Zeit" sagte, dieses Schloss werde der "Schlussstein der deutschen Einheit" sein - wo es doch, zu der Zeit, als es seine barocke Gestalt bekam, nichts weiter war als die Residenz eines deutschen Kurfürsten (der sich nur außerhalb des Heiligen Römischen Reichs "König in Preußen" nennen durfte), während der Kaiser in der Wiener Hofburg residierte?
Andererseits muss an dieser Stelle dringend darauf hingewiesen werden, dass es auch in der österreichischen Gegenwart, wie die vergangenen Monate gezeigt haben, geistig sehr, sehr eng werden kann.
CLAUDIUS SEIDL
Klaus-Jürgen Bremm: "1866 - Bismarcks Krieg gegen die Habsburger". Theiss-Verlag, 312 Seiten, 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor hundertfünfzig Jahren warf Preußen die Österreicher aus Deutschland hinaus. Davon hat sich Deutschland noch immer nicht erholt. Es hilft, sich mit diesem Jahr zu beschäftigen, wie ein neues Buch von Klaus-Jürgen Bremm zeigt
Vor hundertfünfzig Jahren, im Sommer 1866, kam es endlich zum Krieg Deutschlands gegen Preußen, auf welchen die mitteleuropäischen Machtverhältnisse seit langem hinausgelaufen waren. Der Krieg dauerte nicht lange, die Überlegenheit Preußens war zu groß. Deutschland verlor diesen Krieg - und leidet, geistig und kulturell, noch immer an dessen Folgen.
Eine dieser Folgen, eine der schrecklichsten, offenbart sich darin, dass kaum jemand diesen Krieg als deutsch-preußischen Krieg bezeichnen würde. Im Sprachgebrauch jener, die überhaupt etwas wissen darüber, ist es der Krieg Preußens gegen Österreich; im "Spiegel", der doch sonst die Fakten ganz genau checkt, war auch schon zu lesen, es sei der deutsch-österreichische Krieg gewesen, was eine geläufige Sicht der Dinge ist. Und wer heute zugibt, dass er oder sie keine rechte Ahnung habe, wer 1866 gegen wen und warum in den Krieg gezogen sei, kommt auch damit davon. Es ist ja schließlich sehr lange her.
Noch länger, fünf Jahre mehr nämlich, ist es allerdings her, dass in Amerika jener Bürgerkrieg ausbrach, von dem nicht nur die Amerikaner, sondern auch die meisten Deutschen ziemlich genau sagen können, wer da gegen wen kämpfte, worum es ging und wer ihn schließlich gewonnen hat. Das liegt nicht nur daran, dass das Talent der Amerikaner, Geschichten übersichtlich zu gliedern, Konflikte zuzuspitzen, Helden und Gegenspieler zu identifizieren und die Sache auf einen Showdown hinauslaufen zu lassen, sich sogar in ihren historischen Erzählungen zeigt.
Es liegt auch daran, dass der Deutsche Krieg einen grundsätzlich anderen Charakter hatte: Wenn Monarchien aufeinander losgehen, wenn die Meinungsbildung des Volks kaum eine Rolle spielt, wenn weder die gute Sache noch irgendein Held zu erkennen sind, dann fällt es wesentlich schwerer, die Geschichte eines solchen Krieges nachzuerzählen.
Klaus-Jürgen Bremm, in seinem Buch "1866 - Bismarcks Krieg gegen die Habsburger", der einzigen nennenswerten Neuerscheinung zum 150. Jahrestag, tut es trotzdem - und manchmal hat man bei der Lektüre den Eindruck, dass der Autor der Einzige ist, der hier noch den Überblick hat; dass also schon die Akteure, all die Politiker, Diplomaten und Offiziere, und erst recht das Volk nach all den militärischen und diplomatischen Winkelzügen nicht mehr so recht wussten, wie genau es dazu gekommen war, dass im Juni die Armeen Österreichs, Bayerns, Hannovers sowie das VIII. Bundeskorps (mit den Truppen Hessens, Württembergs, Badens und Frankfurts) den Truppen Preußens gegenüberstanden. Und, bis auf eine, die nicht entscheidend war, alle Schlachten verloren.
Es ist eine Geschichte, welche, vom Anfang her betrachtet, viel weniger Sinn zu ergeben scheint, als wenn man sie im Licht ihres Ausgangs zu deuten versucht. Man kann diese Geschichte mit den Kriegen, die der Preußenkönig Friedrich II. gegen das kaiserliche Habsburg führte, beginnen lassen; oder mit Napoleon, der die Habsburger nötigte, die deutsche Kaiserkrone niederzulegen, und die Hohenzollern demütigte, indem er in ihre Hauptstadt einmarschierte; mit dem Wiener Kongress, der Österreich den Vorsitz des Deutschen Bundes zusprach und damit Preußen in die zweite Reihe stellte, oder mit dem Olmützer Vertrag von 1850, der nach der Revolution die Führungsrolle Österreichs bestätigte und Preußen in die Schranken verwies.
Man lässt die Geschichte meistens damit beginnen, dass Österreich und Preußen einen Krieg gegen Dänemark führen (in welchem es um die Frage geht, ob Schleswig und Holstein deutsch oder dänisch seien) und gewinnen, sich in der Folge aber überwerfen, was dazu führt, dass Preußen den Deutschen Bund für erloschen erklärt, was der Rest dieses Bundes aber anders sieht. Und schon ist man im Krieg gegeneinander.
Vom Ende her betrachtet, ist alles ganz folgerichtig. Die Preußen haben gewonnen, weil sie gewinnen mussten. Es ist das 19. Jahrhundert, die industrielle Revolution entfesselt ungeheure Kräfte, welchen die Grenzposten, Zollschranken und verschiedenen Verwaltungen der deutschen Klein- und Mittelstaaten im Weg stehen. Damit Deutschland sich aber einigen kann, muss die Frage geklärt werden, ob es Groß- oder Kleindeutschland sein soll, ein Staat, der von Österreich, oder einer, der von Preußen geführt wird. Österreich ist, auch ohne den ungarischen Reichsteil, ein Vielvölkerstaat, in dem außer den Deutschen ziemlich viele Menschen leben, die keine Deutschen werden wollen. Italiener, Slowenen, Tschechen. Der Status quo ist labil genug, die Obrigkeit ist an dessen Veränderung nicht interessiert. In Preußen dagegen hat Bismarck das Sagen; der ist zwar an Deutschland nicht unbedingt interessiert, aber an allem, was Preußens Macht stärkt und vergrößert. Es ist also gekommen, wie es vernünftigerweise kommen musste.
"Die kleindeutsche Lösung hatte die Logik der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit für sich", schreibt Thomas Nipperdey, den Bremm in seinem Schlusskapitel zustimmend zitiert - und das Verdienst des Buches besteht aber darin, dass diese ganze schicksalshafte Zwangsläufigkeit, die "Alternativlosigkeit", wie heute selbst Historiker sagen, mit welcher die Geschichte angeblich darauf hinausgelaufen sei, dass Deutschland preußisch werde und Österreich nicht mehr deutsch: dass all das sich verflüchtigt, je näher der Text den tatsächlichen Ereignissen kommt. Bremm ist Militärhistoriker, das macht die Lektüre manchmal mühsam für Leute, die von Logistik, Nachrichtenwesen und Gefechtsverläufen nur wenig wissen oder wissen wollen. Aber durch diese Details muss man sich durcharbeiten, dann erkennt man, dass der scheinbare vorherbestimmte Ausgang des Krieges eine Folge von höchst umstrittenen, riskanten, oft auch zufällig getroffenen Entscheidungen war. Es gab Momente vor dem Krieg, da fürchtete das Volk in Preußens Hauptstadt, dass die Österreicher, Bayern und Hannoveraner in Berlin einmarschieren würden. Es gab Momente während des Krieges, da verzweifelten viele Wiener an der Trägheit und Schlampigkeit der eigenen Führung. Und hofften, die Preußen würden in Wien einmarschieren und endlich die Verwaltung in Ordnung bringen. Bremm beschreibt, wie vor der Schlacht von Königgrätz, die den Krieg entschied, die österreichische Armee die getrennt marschierenden preußischen Truppenteile einzeln hätte womöglich schlagen können. Und natürlich schreibt er vom Zündnadelgewehr, das fünf Schüsse in der Minute abfeuern konnte und das die Preußen hatten, die Alliierten aber nicht. Das habe schließlich den Unterschied ausgemacht.
Aber ach, es geht nicht um militärische Fragen, wenn man, hundertfünfzig Jahre danach, noch immer nicht einverstanden sein mag mit diesem Gang der Geschichte. Nach dem Krieg annektierte Preußen alle gegnerischen Staaten nördlich des Mains außer Sachsen - wofür es weder eine monarchische noch eine demokratische Legitimation gab. Es war so falsch, zynisch und brutal, dass man sich heute noch fragen muss, wie jemand konservativ und gesinnungspreußisch zugleich sein kann. Den süddeutschen Staaten nötigte Preußen Schutzbündnisse auf, und nach dem Krieg gegen Frankreich, vier Jahre später, blieb ihnen nichts anderes übrig, als jenem preußisch-deutschen Reich beizutreten, das auf Illegitimität gegründet war. Und das, ob es uns jetzt passt oder nicht, noch immer das staatliche Gefäß ist für jene Bundesrepublik, deren geistige Enge womöglich mit dieser Gründungsgeschichte mehr zu tun hat, als es uns heute bewusst ist.
Denn 1866, das war ja nicht nur der Rauswurf Österreichs aus Deutschland. Es war die Ausbürgerung einer südlicheren, lässigeren, barockeren Möglichkeit, deutsch zu sein - was man, als Bayer jedenfalls, immer dann als schmerzlich empfindet, wenn mal wieder von sprachlichen, geistigen, kulinarischen Austriazismen die Rede ist, obwohl es doch um die kulturellen Eigenheiten ganz Süddeutschlands geht.
Klaus-Jürgen Bremm zitiert in seinem Buch den 74-jährigen Franz Grillparzer, der das Ergebnis des Deutschen Krieges so kommentierte: "Als Deutscher ward ich geboren, bin ich noch einer? Nur was ich Deutsches geschrieben, nimmt mir keiner." So empfanden es wohl die meisten - und als Zeitgenossen ahnten sie noch nicht, dass auch Grillparzers erster Satz nicht mehr lange richtig sein würde. Denn im Jahr 1866 wurde nicht nur Österreichs Gegenwart ausgebürgert, sondern auch dessen Vergangenheit. Nein, in heutigen Lexika wird Grillparzer als österreichischer Autor, ja als österreichischer Nationaldichter geführt - und als vor ein paar Jahren im Knaus-Verlag ein Buch über die deutsche Seele erschien, war die österreichische Seele eindeutig nicht gemeint, ganz im Gegenteil. Im Eintrag zur Musik schrieb die Autorin Thea Dorn sogar, dass es einen kategorischen Unterschied zwischen der "österreichischen" Musik Haydns und Mozarts und der angeblich viel tieferen und ernsteren und darum "deutschen" Musik Beethovens und Wagners gebe. Haydn und Mozart konnten nicht protestieren, und die heutigen Österreicher wollen es schon deshalb nicht, weil sie, seit 1945, ganz froh sind über die Ausbürgerung ihrer Geschichte; die erspart ihnen das Nachdenken über Hitler.
Es ist ja, wer auf seinem Nichteinverstandensein beharrt, auch in sehr schlechter Gesellschaft. Hitlers "Mein Kampf" beginnt damit, dass die Spaltung Deutschlands beklagt und Hoffnung auf deren Überwindung artikuliert wird. Heute wissen wir, wie es war, als sich diese Hoffnung erfüllte. Und wer damals fliehen musste oder ermordet wurde.
Und wenn heute jemand die österreichische Nation als Fiktion bezeichnet, dann ist es meistens jemand vom rechten Rand der Freiheitlichen Partei, mit dem man sich auch nicht gemein machen mag. Es war andererseits aber Bruno Kreisky, österreichischer Bundeskanzler von 1970 bis 1983, Sozialdemokrat und Jude, der immer wieder daran erinnerte, dass es drei deutsche Staaten gebe, die Bundesrepublik, die DDR und Österreich.
Es geht also, wenn man die Folgen von 1866 reflektiert, nicht um die Grenzen von heute, die ja, wenn nicht gerade die Polizei ein paar Stichproben macht und der Verkehr sich staut auf der Salzburger Autobahn, so durchlässig sind, wie sie es niemals waren. Es geht eher darum, die selbstgesteckten Grenzen, die Borniertheiten, die kompletten Falschaussagen in unserem Geschichtsbild, dem Bewusstsein unserer geistigen Herkunft zu überwinden. Gerade in der Berliner Republik und unter Leuten, die Potsdam für eine geistige Lebensform halten, gibt es ja die Tendenz, auf der Ausbürgerung des Südens zu beharren und preußische Geschichte zu deutscher Vorgeschichte umzudeuten. Warum sonst hielt der Bundestag die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses für eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung? Warum widersprach kaum jemand dem damaligen Bauminister Wolfgang Tiefensee, als der vor ein paar Jahren im Interview mit der "Zeit" sagte, dieses Schloss werde der "Schlussstein der deutschen Einheit" sein - wo es doch, zu der Zeit, als es seine barocke Gestalt bekam, nichts weiter war als die Residenz eines deutschen Kurfürsten (der sich nur außerhalb des Heiligen Römischen Reichs "König in Preußen" nennen durfte), während der Kaiser in der Wiener Hofburg residierte?
Andererseits muss an dieser Stelle dringend darauf hingewiesen werden, dass es auch in der österreichischen Gegenwart, wie die vergangenen Monate gezeigt haben, geistig sehr, sehr eng werden kann.
CLAUDIUS SEIDL
Klaus-Jürgen Bremm: "1866 - Bismarcks Krieg gegen die Habsburger". Theiss-Verlag, 312 Seiten, 24,95 Euro
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»... einer muß weichen oder vom anderen 'gewichen werden', bis dahin müssen wir Gegner sein.« - Bismarck über Österreich, in einem Brief an Ludwig Friedrich Leopold von Gerlach 1853.»Bremms Buch [ist] ein echter Sprung nach vorn« Frankfurter Allgemeine Zeitung»Erneut gelingt es Bremm, der bereits über Waterloo schrieb, von einer großen Schlacht zu erzählen, ohne Militär und Krieg zu verherrlichen.« P.M. History»'1866' ist ein exzellentes Lesebuch über einen fast vergessenen Krieg.« Top Magazin Bodensee»...das Verdienst des Buches besteht [...] darin, dass diese ganze schicksalshafte Zwangsläufigkeit, die 'Alternativlosigkeit', wie heute selbst Historiker sagen, mit welcher die Geschichte angeblich darauf hinausgelaufen sei, dass Deutschland preußisch werde und Österreich nicht mehr deutsch: dass all das sich verflüchtigt, je näher der Text den tatsächlichen Ereignissen kommt.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung»Ein kenntnisreiches Buch...« Nordbayerischer Kurier