Freuds treueste Schüler und Anhänger hatten im Jahre 1912 ein "Geheimes Komitee" gegründet, das die Sache der Psychoanalyse gegen alle äußeren Fährnisse verteidigen sollte. Diese Gruppe von sieben Personen - Sigmund Freud, Otto Rank, Karl Abraham, Hanns Sachs, Max Eitingon, Sandor Ferenczi und Ernest Jones - korrespondierte über viele Jahre intensiv miteinander. In diesen Rundbriefen geht es unter anderem um Kongresse und Komiteesitzungen, Übersetzungen von Freuds Schriften, Finanzfragen, die Redaktionspolitik der Zeitschriften, Buchbesprechungen, Ausbildungsfragen, Personalpolitik, Ereignisse in den örtlichen Zweigvereinigungen und hin und wieder auch um Persönliches. Doch durch die Erörterung dieser Themen scheinen immer wieder Konflikte und Spannungen hindurch, die aus einer Geschäftskorrespondenz - die die Rundbriefe vordergründig darstellen -, Dokumente zur inneren Dynamik einer Gruppe von Männern machen, von denen sich jeder mehr oder weniger Hoffnung machte, als Nachfolger Freuds auserkoren zu werden.
Band 2:
Das Jahr 1921
2001, 367 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
ISBN 3-89295-661-8
Band 3:
Das Jahr 1922
2004, 304 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
Erscheint im Januar 2004
ISBN 3-89295-662-6
Band 4:
Die Jahre 1923-1936
ca. 300 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
Erscheint im Herbst 2005
ISBN 3-89295-663-4
Band 2:
Das Jahr 1921
2001, 367 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
ISBN 3-89295-661-8
Band 3:
Das Jahr 1922
2004, 304 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
Erscheint im Januar 2004
ISBN 3-89295-662-6
Band 4:
Die Jahre 1923-1936
ca. 300 Seiten, gebunden
EUR 28,00 / sFr 49,80
Erscheint im Herbst 2005
ISBN 3-89295-663-4
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2000Freuds Paladine
Die „Rundbriefe” des Geheimen
Komitees der Psychoanalyse
Passend zum 100. Geburtstag der Freudschen „Traumdeutung” (ausgeliefert im November 1899, vordatiert auf die Epoche machende Jahreszahl 1900) erhält die Kritik an der institutionellen Praxis der Psychoanalyse neue Nahrung durch die Veröffentlichung der „Rundbriefe” des sogenannten „Geheimen Komitees”. Unfreiwillig selbstironisch zeigen diese Briefe die Psychoanalyse weniger als Theorie denn als Praxis der Verdrängung, die die Gestalt einer Konspiration von oben annimmt. Zusammen mit den ebenfalls geheimen, aber von unten konspirierenden 119 „Rundbriefen” Otto Fenichels (siehe SZ vom 30. 1. 99) enthüllt sich das Bild einer Organisation, die in Bezug auf sich selber von ihren großen Erkenntnissen nichts wissen will. Die Beschreibung des psychischen Apparats ist zugleich als die des institutionellen zu lesen: Das Über-Ich, das den Charakter eines „Geheimen Komitees” annimmt, um „Herr im eigenen Haus” zu bleiben, findet seine komplementäre Entsprechung in der Kellerexistenz eines verdrängten, eben deswegen windungsreiche Wege gehenden subversiven Es.
Der erste von insgesamt drei geplanten Bänden Korrespondenz, der die Zeit bis 1920 umfasst, führt in das Gründungsjahr des Komitees zurück. Die Mitglieder – Freud selbst, Karl Abraham, Max Eitington, Sándor Ferenczi, Ernest Jones, Otto Rank und Hanns Sachs – korrespondieren noch ohne feste Regeln miteinander – bis dann ab 1920 an festgelegten Wochentagen die eigentlichen „Rundbriefe” zirkulieren. Die privaten Korrespondenzen werden daneben fortgeführt.
1912 hatte Ernest Jones die Idee zu einem „Geheimen Komitee” gehabt: Nach dem Ausscheiden von Alfred Adler und wegen des sich abzeichnenden „Abfalls” von Carl Gustav Jung und drohender weiterer Sezessionen sollte sich der Zirkel der „besten und zuverlässigsten Männer” der Psychoanalyse, ursprünglich die Leiter ihrer „Ortsgruppen”, später die Mitglieder des „Zentralleitungs-Komitees” – sozusagen des psychoanalytischen ZK – wie eine verlässliche „Palastwache”, wie die „Paladine Karls des Großen” um Freud und sein Werk scharen. Freud erkannte zwar das „knabenhafte, vielleicht romantische Element” in dem Projekt – das dogmatisch-repressive und exklusive neben der Männerbündelei nicht: Gerade er insistierte auf „strenger” Geheimhaltung.
Sándor Ferenczis Brief vom 1. Dezember 1919 an Max Eitington spricht die Zielsetzung unverhohlen aus: „Zwar sind die Statuten unserer Gemeinschaft niemals in Worte gefasst worden, doch glaube ich, dass es sich in erster Linie darum handelt, die Idee, Freuds Werk möglichst unverändert zu erhalten. Alles, was er uns sagte und sagen wird, muss also mit einer Art Dogmatismus gehegt werden, auch Dinge, die man vielleicht geneigt wäre anders auszudrücken. Wie oft musste ich nachträglich einsehen, dass die von ihm gegebene Erklärung doch die tiefste und zureichendste war. ” Die Fähigkeit, auf eine eigene Idee zu Gunsten der zentralen zu verzichten, ist also eine der Hauptbedingungen, an die die Mitgliedschaft des Komitees geknüpft ist.
Gegen-Aufklärung
„Eine Art Dogmatismus”, das signalisierte zwar einen gelinden Vorbehalt – Ferenczi zögert aber nicht, die Wahrheitsbesitzermentalität der dogmatischen Religionen auf eine nach ihrem Verständnis kritische und selbstkritische Wissenschaft zu projizieren. Vom „Geheimen Komitee” zur „Geheimen Offenbarung” ist der Schritt nicht weit. Und wider alle Versuchungen wird das „sacrificium intellectus”, des individuellen und möglicherweise dissidenten Eigenverstandes eingefordert.
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes im Zweifelsfall nicht zu bedienen”, lautet die Maxime des freiwilligen Selbstabdankungsaktes, den die Psychoanalyse hier in der Rolle der Gegenaufklärung vollzieht. Kein Wunder also, dass Freud da für seine Jünger immer ex cathedra spricht, als „Papst”, als „Papa” figuriert, auch wenn man gelegentlich dafür sorgen muss, dass er besser informiert wird, weil selbst Päpste nicht alles wissen. „Fragen der psychoanalytischen Propaganda”, die Redaktionspolitik der Zeitschriften, Buchbesprechungen, Ausbildungsfragen, personalpolitische Überlegungen, Ereignisse in den Ortsgruppen sind neben eher Organisatorischem wie Kongressterminen, Komiteesitzungen und Finanzfragen die Themen. Immer aber gilt das von Freud gerne bemühte „Tell”-Zitat, das die Einheit allemal der Freiheit überordnet: „Seid einig – einig – einig. ”
Mit dem „Volk von Brüdern” wollte es gleichwohl nicht so ohne weiteres werden. Selbst in der psychoanalytischen Kirche ließen sich Dissidenzen nicht verhindern. Zumal es schon unter den Mitgliedern des Komitees aus persönlichen Motiven heftig rumorte. Die Frage von Freuds Nachfolge war zu regeln. Erst war Jung der Kronprinz gewesen. Dann durften sich Abraham und Ferenczi Hoffnungen machen. Hierauf sollte das Komitee kollektiv die Verwalterrolle wahrnehmen: die Utopie einer kollegialen Lösung als Forsetzung einer Einpersonenherrschaft unter wenig kollegialen Seelen. Schließlich wurde mit Freuds Tochter, der getreuen „Anna-Antigone”, die Lösung gefunden: Wenn die Söhne sich umbringen wollen, ist nur auf die Töchter Verlass.
LUDGER LÜTKEHAUS
GERHARD WITTENBERGER, CHRISTFRIED TÖGEL (Hrsg. ): Die „Rundbriefe” des „Geheimen Komitees”. Bd. I: 1913–1920. edition diskord, Tübingen 1999. 318 S. , 70 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die „Rundbriefe” des Geheimen
Komitees der Psychoanalyse
Passend zum 100. Geburtstag der Freudschen „Traumdeutung” (ausgeliefert im November 1899, vordatiert auf die Epoche machende Jahreszahl 1900) erhält die Kritik an der institutionellen Praxis der Psychoanalyse neue Nahrung durch die Veröffentlichung der „Rundbriefe” des sogenannten „Geheimen Komitees”. Unfreiwillig selbstironisch zeigen diese Briefe die Psychoanalyse weniger als Theorie denn als Praxis der Verdrängung, die die Gestalt einer Konspiration von oben annimmt. Zusammen mit den ebenfalls geheimen, aber von unten konspirierenden 119 „Rundbriefen” Otto Fenichels (siehe SZ vom 30. 1. 99) enthüllt sich das Bild einer Organisation, die in Bezug auf sich selber von ihren großen Erkenntnissen nichts wissen will. Die Beschreibung des psychischen Apparats ist zugleich als die des institutionellen zu lesen: Das Über-Ich, das den Charakter eines „Geheimen Komitees” annimmt, um „Herr im eigenen Haus” zu bleiben, findet seine komplementäre Entsprechung in der Kellerexistenz eines verdrängten, eben deswegen windungsreiche Wege gehenden subversiven Es.
Der erste von insgesamt drei geplanten Bänden Korrespondenz, der die Zeit bis 1920 umfasst, führt in das Gründungsjahr des Komitees zurück. Die Mitglieder – Freud selbst, Karl Abraham, Max Eitington, Sándor Ferenczi, Ernest Jones, Otto Rank und Hanns Sachs – korrespondieren noch ohne feste Regeln miteinander – bis dann ab 1920 an festgelegten Wochentagen die eigentlichen „Rundbriefe” zirkulieren. Die privaten Korrespondenzen werden daneben fortgeführt.
1912 hatte Ernest Jones die Idee zu einem „Geheimen Komitee” gehabt: Nach dem Ausscheiden von Alfred Adler und wegen des sich abzeichnenden „Abfalls” von Carl Gustav Jung und drohender weiterer Sezessionen sollte sich der Zirkel der „besten und zuverlässigsten Männer” der Psychoanalyse, ursprünglich die Leiter ihrer „Ortsgruppen”, später die Mitglieder des „Zentralleitungs-Komitees” – sozusagen des psychoanalytischen ZK – wie eine verlässliche „Palastwache”, wie die „Paladine Karls des Großen” um Freud und sein Werk scharen. Freud erkannte zwar das „knabenhafte, vielleicht romantische Element” in dem Projekt – das dogmatisch-repressive und exklusive neben der Männerbündelei nicht: Gerade er insistierte auf „strenger” Geheimhaltung.
Sándor Ferenczis Brief vom 1. Dezember 1919 an Max Eitington spricht die Zielsetzung unverhohlen aus: „Zwar sind die Statuten unserer Gemeinschaft niemals in Worte gefasst worden, doch glaube ich, dass es sich in erster Linie darum handelt, die Idee, Freuds Werk möglichst unverändert zu erhalten. Alles, was er uns sagte und sagen wird, muss also mit einer Art Dogmatismus gehegt werden, auch Dinge, die man vielleicht geneigt wäre anders auszudrücken. Wie oft musste ich nachträglich einsehen, dass die von ihm gegebene Erklärung doch die tiefste und zureichendste war. ” Die Fähigkeit, auf eine eigene Idee zu Gunsten der zentralen zu verzichten, ist also eine der Hauptbedingungen, an die die Mitgliedschaft des Komitees geknüpft ist.
Gegen-Aufklärung
„Eine Art Dogmatismus”, das signalisierte zwar einen gelinden Vorbehalt – Ferenczi zögert aber nicht, die Wahrheitsbesitzermentalität der dogmatischen Religionen auf eine nach ihrem Verständnis kritische und selbstkritische Wissenschaft zu projizieren. Vom „Geheimen Komitee” zur „Geheimen Offenbarung” ist der Schritt nicht weit. Und wider alle Versuchungen wird das „sacrificium intellectus”, des individuellen und möglicherweise dissidenten Eigenverstandes eingefordert.
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes im Zweifelsfall nicht zu bedienen”, lautet die Maxime des freiwilligen Selbstabdankungsaktes, den die Psychoanalyse hier in der Rolle der Gegenaufklärung vollzieht. Kein Wunder also, dass Freud da für seine Jünger immer ex cathedra spricht, als „Papst”, als „Papa” figuriert, auch wenn man gelegentlich dafür sorgen muss, dass er besser informiert wird, weil selbst Päpste nicht alles wissen. „Fragen der psychoanalytischen Propaganda”, die Redaktionspolitik der Zeitschriften, Buchbesprechungen, Ausbildungsfragen, personalpolitische Überlegungen, Ereignisse in den Ortsgruppen sind neben eher Organisatorischem wie Kongressterminen, Komiteesitzungen und Finanzfragen die Themen. Immer aber gilt das von Freud gerne bemühte „Tell”-Zitat, das die Einheit allemal der Freiheit überordnet: „Seid einig – einig – einig. ”
Mit dem „Volk von Brüdern” wollte es gleichwohl nicht so ohne weiteres werden. Selbst in der psychoanalytischen Kirche ließen sich Dissidenzen nicht verhindern. Zumal es schon unter den Mitgliedern des Komitees aus persönlichen Motiven heftig rumorte. Die Frage von Freuds Nachfolge war zu regeln. Erst war Jung der Kronprinz gewesen. Dann durften sich Abraham und Ferenczi Hoffnungen machen. Hierauf sollte das Komitee kollektiv die Verwalterrolle wahrnehmen: die Utopie einer kollegialen Lösung als Forsetzung einer Einpersonenherrschaft unter wenig kollegialen Seelen. Schließlich wurde mit Freuds Tochter, der getreuen „Anna-Antigone”, die Lösung gefunden: Wenn die Söhne sich umbringen wollen, ist nur auf die Töchter Verlass.
LUDGER LÜTKEHAUS
GERHARD WITTENBERGER, CHRISTFRIED TÖGEL (Hrsg. ): Die „Rundbriefe” des „Geheimen Komitees”. Bd. I: 1913–1920. edition diskord, Tübingen 1999. 318 S. , 70 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Martin Stingelin hat an diesem Buch vor allem in formaler Hinsicht einiges auszusetzen. Die ohnehin schon sehr verwirrende Überkreuzung der Briefe wird seiner Ansicht nach durch den "Versuch einer Neuregelung" eher noch erhöht als in erhellende Bahnen gelenkt. Darüber hinaus bemängelt er an diesem "verderbten" Band der auf vier Bände angelegten Edition die Ortografie, die einerseits die Regeln vor der Rechtschreibreform verfolgen soll, andererseits aber die zur Enstehungszeit übliche Praxis wiedergibt. Auch zahlreiche Schreibfehler in den Briefen macht Stingelin aus, etwa dort, wo Ernest Jones in seinen englischsprachigen Briefen "he" und "be" verwechselt. Die vielen Apostrophe und mal kurzen, mal langen Gedankenstriche scheinen ihm die Lektüre vollends vermiest zu haben. Auch eine wortwörtliche Wiederholung einer zwölfzeiligen Biografie zu Franz Gabriel Alexander ist in seinen Augen eine editorische Schludrigkeit, die - wie er hofft - in den Folgebänden vermieden werden wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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