Mit der Luftfahrt verknüpfte sich der Traum vom unaufhaltsamen, völkerverbindenden Fortschritt. Doch vor genau hundert Jahren wandelte sich dieser Traum in einen Albtraum. Die Deutschen öffneten im August 1914 die Büchse der Pandora: Von Köln aus starteten die Zeppeline in Richtung Belgien, um zum ersten Mal in der Geschichte die Zivilbevölkerung aus der Luft anzugreifen. Winston Churchills Marinepiloten schlugen zurück. Am 8. Oktober 1914 fielen die ersten Bomben auf Köln. Damit begann, was Militärs kühl den "strategischen Luftkrieg" nennen. Die Folgen sind bekannt. Die Anfänge bislang weniger. Davon berichtet Mario Kramp anschaulich mit Blick auf Köln aus europäischer Perspektive unter Auswertung bislang unveröffentlichter Quellen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2014Erster Zeppelin gegen Lüttich
Luftkrieg und Köln 1914
Am 5. August 1914 gegen 22 Uhr stieg in Köln ein nach seiner Heimatstadt - damals noch mit C geschrieben - benannter Zeppelin zum Einsatz auf. Er sollte deutsche Truppen unterstützen, die in Belgien eingefallen waren und auf unerwartet heftige Gegenwehr stießen, vor allem in Lüttich. Dort war der drohende Luftangriff vorher angekündigt worden: Lüttich müsse sofort die Waffen strecken; andernfalls werde "noch an diesem Abend ein Luftschiff über dieser unglücklichen Stadt schweben und auf die seine Bomben fallen lassen". Ein belgischer General lehnte dies - wie er später einmal schrieb - "mit aller gebotenen Höflichkeit" ab.
Gegen 2.30 Uhr am 6. August befahl Wilhelm von Dücker den Abwurf von fünf 15-cm-Granaten und einer 21-cm-Granate - wie Mario Kramp, Direktor des Kölner Stadtmuseums, jetzt in dem Büchlein "Vom Traum zum Albtraum" spannend schildert: "Als der Mechanismus klemmte, warf man die tödliche Last von Hand ab und nahm fünf Detonationen wahr - und heftiges Abwehrfeuer. Von diesem getroffen, aber noch manövrierfähig, gelang die Rückfahrt. Kurz vor Köln musste von Dücker die Notlandung anordnen. Die ,Cöln' havarierte gegen 4.30 Uhr in einem Wald bei Walberberg zwischen Bonn und Köln. Die Besatzung konnte sich retten. Die Kölner Presse jubelte. Von der Haverie war keine Rede. Stattdessen hieß es über den Unteroffizier, der die Bomben abgeworfen habe: ,Derselbe war nach der Landung des Luftschiffes unter den tausenden Zuschauern Gegenstand der begeisterten Ovationen.' Die Wirklichkeit sah weniger pathetisch aus." Die gestrandete Besatzung wurde von einem Kloster in der Nähe mit Kaffee und Kuchen versorgt und mit Autos nach Köln zurückgeholt, ihr Luftschiff "Cöln" alsbald verschrottet.
Von der Stadt Köln aus sei "der erste Bombenangriff auf eine städtische Zivilbevölkerung in Europa" erfolgt, betont Kramp. Er belegt dies nur mit einem Zitat aus Dückers Gefechtsbericht. Demnach war es "der Zweck der Fahrt, die Bevölkerung Lüttichs mürbe zu machen". Der Befehl dazu sei von allerhöchster Stelle gekommen. In der bisherigen Forschung werde daher fälschlicherweise behauptet, dass militärische Anlagen das Ziel des Luftangriffs gewesen seien, nicht jedoch die Innenstadt.
Kramp beschreibt auch einen britischen Luftschiffangriff gegen Köln im Oktober 1914 und mahnt dann eine Geschichte der Luftangriffe auf die Domstadt 1917/18 an. Erste zivile Opfer hatte Köln durch "eigene" Zeppeline zu beklagen: "Am 12. Januar 1916 spielten Kinder in einer Kiesgrube bei Pesch, die das in Köln stationierte Luftschiffer-Bataillon Nr. 3 als Testgelände für Bombenabwürfe nutzte, mit ,einer vergessenen Fliegerbombe'. Diese explodierte und riss zehn von ihnen in den Tod. Kurz darauf erfolgte der schwerste nächtliche Zeppelinangriff auf Paris, der 26 Tote forderte und zum Bau von Schutzbunkern in Metrostationen führte. Unter diesem Eindruck prägte der französische Journalist Léon Daudet am 9. Februar 1916 den Begriff vom ,totalen Krieg'."
RAINER BLASIUS
Mario Kramp: 1914: Vom Traum zum Albtraum. Köln und der Beginn des Bombenkriegs in Europa. Greven Verlag Köln 2014. 123 S., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luftkrieg und Köln 1914
Am 5. August 1914 gegen 22 Uhr stieg in Köln ein nach seiner Heimatstadt - damals noch mit C geschrieben - benannter Zeppelin zum Einsatz auf. Er sollte deutsche Truppen unterstützen, die in Belgien eingefallen waren und auf unerwartet heftige Gegenwehr stießen, vor allem in Lüttich. Dort war der drohende Luftangriff vorher angekündigt worden: Lüttich müsse sofort die Waffen strecken; andernfalls werde "noch an diesem Abend ein Luftschiff über dieser unglücklichen Stadt schweben und auf die seine Bomben fallen lassen". Ein belgischer General lehnte dies - wie er später einmal schrieb - "mit aller gebotenen Höflichkeit" ab.
Gegen 2.30 Uhr am 6. August befahl Wilhelm von Dücker den Abwurf von fünf 15-cm-Granaten und einer 21-cm-Granate - wie Mario Kramp, Direktor des Kölner Stadtmuseums, jetzt in dem Büchlein "Vom Traum zum Albtraum" spannend schildert: "Als der Mechanismus klemmte, warf man die tödliche Last von Hand ab und nahm fünf Detonationen wahr - und heftiges Abwehrfeuer. Von diesem getroffen, aber noch manövrierfähig, gelang die Rückfahrt. Kurz vor Köln musste von Dücker die Notlandung anordnen. Die ,Cöln' havarierte gegen 4.30 Uhr in einem Wald bei Walberberg zwischen Bonn und Köln. Die Besatzung konnte sich retten. Die Kölner Presse jubelte. Von der Haverie war keine Rede. Stattdessen hieß es über den Unteroffizier, der die Bomben abgeworfen habe: ,Derselbe war nach der Landung des Luftschiffes unter den tausenden Zuschauern Gegenstand der begeisterten Ovationen.' Die Wirklichkeit sah weniger pathetisch aus." Die gestrandete Besatzung wurde von einem Kloster in der Nähe mit Kaffee und Kuchen versorgt und mit Autos nach Köln zurückgeholt, ihr Luftschiff "Cöln" alsbald verschrottet.
Von der Stadt Köln aus sei "der erste Bombenangriff auf eine städtische Zivilbevölkerung in Europa" erfolgt, betont Kramp. Er belegt dies nur mit einem Zitat aus Dückers Gefechtsbericht. Demnach war es "der Zweck der Fahrt, die Bevölkerung Lüttichs mürbe zu machen". Der Befehl dazu sei von allerhöchster Stelle gekommen. In der bisherigen Forschung werde daher fälschlicherweise behauptet, dass militärische Anlagen das Ziel des Luftangriffs gewesen seien, nicht jedoch die Innenstadt.
Kramp beschreibt auch einen britischen Luftschiffangriff gegen Köln im Oktober 1914 und mahnt dann eine Geschichte der Luftangriffe auf die Domstadt 1917/18 an. Erste zivile Opfer hatte Köln durch "eigene" Zeppeline zu beklagen: "Am 12. Januar 1916 spielten Kinder in einer Kiesgrube bei Pesch, die das in Köln stationierte Luftschiffer-Bataillon Nr. 3 als Testgelände für Bombenabwürfe nutzte, mit ,einer vergessenen Fliegerbombe'. Diese explodierte und riss zehn von ihnen in den Tod. Kurz darauf erfolgte der schwerste nächtliche Zeppelinangriff auf Paris, der 26 Tote forderte und zum Bau von Schutzbunkern in Metrostationen führte. Unter diesem Eindruck prägte der französische Journalist Léon Daudet am 9. Februar 1916 den Begriff vom ,totalen Krieg'."
RAINER BLASIUS
Mario Kramp: 1914: Vom Traum zum Albtraum. Köln und der Beginn des Bombenkriegs in Europa. Greven Verlag Köln 2014. 123 S., 9,90 [Euro].
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