The first volume of this four-volume edition covers the years 1933–1934. It reproduces previously unpublished source documents from a number of German and Soviet archives along with key published documents. It represents an invaluable compilation of information about diplomatic, economic, military, cultural, and academic contacts that was virtually inaccessible to researchers until now.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom Machtantritt Hitlers 1933 bis zum Angriff auf die Sowjetunion 1941 waren vor allem für die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts prägend. Die vierbändige Edition Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941 ist ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprojekt im Auftrag der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, das neue Einblicke in diesen Zeitraum eröffnet. Der 1. Band umfasst die Jahre 1933 und 1934; zum Abdruck kommen sowohl bisher unveröffentlichte Quellen aus einer Vielzahl von deutschen und russischen Archiven als auch veröffentlichte Schlüsseldokumente. Dabei werden nicht nur die diplomatischen, sondern auch die ökonomischen, militärischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontakte thematisiert. In einer bisher nicht vorliegenden Zusammenführung werden die zu einem großen Teil bislang schwer zugänglichen Quellen für die Forschung aufbereitet.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom Machtantritt Hitlers 1933 bis zum Angriff auf die Sowjetunion 1941 waren vor allem für die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts prägend. Die vierbändige Edition Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941 ist ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprojekt im Auftrag der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, das neue Einblicke in diesen Zeitraum eröffnet. Der 1. Band umfasst die Jahre 1933 und 1934; zum Abdruck kommen sowohl bisher unveröffentlichte Quellen aus einer Vielzahl von deutschen und russischen Archiven als auch veröffentlichte Schlüsseldokumente. Dabei werden nicht nur die diplomatischen, sondern auch die ökonomischen, militärischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontakte thematisiert. In einer bisher nicht vorliegenden Zusammenführung werden die zu einem großen Teil bislang schwer zugänglichen Quellen für die Forschung aufbereitet.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungNoch keine Repräsentanten des "Dritten Reichs"
Stalin und Litwinow urteilten 1933/34 über Hitlers außenpolitische Absichten realistischer als die Diplomaten an der deutschen Botschaft in Moskau.
Von Jörg Baberowski
Die konservativen Eliten der Weimarer Republik hätten die Bolschewiki für eine "Verbrecherbande" gehalten, bemerkte Sebastian Haffner einmal. Der Westen sei in ihren Augen nicht von Verbrechern regiert worden. Aber er hatte Deutschland beleidigt. "Versailles war eine Beleidigung." Die Bolschewiki hätten nichts dergleichen getan, und deshalb hätten Diplomaten und Generäle sich überwinden und über ihre politischen Ziele hinwegsehen können. In den Jahren der Weimarer Republik unterhielten die Sowjetunion und Deutschland freundschaftliche Beziehungen. Zwischen der Roten Armee und der Reichswehr gab es eine enge Kooperation, und in der Politik galt der Grundsatz, dass zwischen ideologischen Bekundungen und pragmatischen Erwägungen unterschieden werden müsse. Man konnte ein Antikommunist und ein Freund der Sowjetunion sein. Kein Diplomat im Auswärtigen Amt sah darin einen tragischen Widerspruch.
Als Hitler im Januar 1933 zum Regierungschef ernannt wurde, konnte sich im konservativen Establishment kaum jemand vorstellen, dass die Nationalsozialisten in nur wenigen Jahren alle Grundsätze zivilisierter Diplomatie zur Disposition stellen und Tod und Verderben über Europa bringen würden. Warum sollte Hitler länger als seine Vorgänger im Amt bleiben, dachten nicht nur sie, sondern auch Stalin und seine Gefolgsleute. So steht es auch in den Dokumenten, die über die diplomatischen Beziehungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion Auskunft geben. Sie verraten Verunsicherung auf beiden Seiten, weil die Nationalsozialisten sich über Bewährtes hinwegsetzten, aber sie zeugen auch vom Willen der Diplomaten, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen.
Von Anbeginn machten Hitler und die Ideologen seiner Partei keinen Unterschied zwischen den deutschen Kommunisten, der Komintern und der sowjetischen Regierung. Die nationalsozialistische Presse überhäufte die sowjetische Regierung mit wüsten Beschimpfungen, sprach von "jüdischem und asiatischem Pack", das in der sowjetischen Botschaft arbeite. Kaum waren Hitler und seine Partei an die Macht gekommen, ließen sie die alten Eliten spüren, dass nun alles anders werden würde. Es kam zu Übergriffen der SA auf Angehörige der sowjetischen Botschaft in Berlin, ihre Handelsvertretungen wurden durchsucht, sowjetische Staatsbürger verprügelt.
Schon im Jahr 1933 versuchte Hitler, die Richtlinien der Außenpolitik zu bestimmen, ohne mit den Diplomaten überhaupt zu sprechen. Was immer er in der Öffentlichkeit über die Sowjetunion sagte - er sagte es, ohne auf die Diplomatie Rücksicht zu nehmen. Im September 1933 eröffnete der Diktator dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bernhard Wilhelm von Bülow, dass er sowjetische Diplomaten zwar empfangen werde, dass aber eine Wiederherstellung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses ausgeschlossen sei. "Wir dürfen uns aber keinen Illusionen dahin geben, dass die Russen uns immer belügen und eines Tages doch im Stich lassen würden."
Auch Alfred Rosenberg, Hitlers Chefideologe, ließ keinen Zweifel daran, dass die Sowjetunion früher oder später zerfallen werde und dass es im Interesse Deutschlands sei, den Zersetzungsprozess des Vielvölkerreiches zu beschleunigen. Als die nationalsozialistische Presse im Sommer 1933 über die Hungersnot in der Ukraine berichtete und dazu aufrief, deutsche Kolonisten mit Hilfspaketen zu unterstützen, schien das Tischtuch endgültig zerschnitten. Stalins Außenminister Maxim Maximowitsch Litwinow und sein Botschafter in Berlin, Lew Michailowitsch Chintschuk, beklagten sich über die entwürdigende Behandlung, die ihre Diplomaten in Deutschland ertragen müssten, und verwahrten sich gegen Beschimpfungen und Beleidigungen.
Nun hätte auch die deutsche Seite Klage führen können über die aggressiven Parolen der Kommunistischen Internationale und die willkürliche Behandlung deutscher Staatsbürger in der Sowjetunion. Aber das Auswärtige Amt zog es vor, sich in Zurückhaltung zu üben. Am 31. Januar 1933 begab sich der deutsche Botschafter in Moskau, Herbert von Dirksen, zum stellvertretenden Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Nikolai Nikolajewitsch Krestinski, und erklärte ihm, dass es "keine gefährlichen Experimente" geben werde. Denn Außenminister Constantin von Neurath und Reichswehrminister Werner Blomberg stünden fest zur deutsch-russischen Allianz. Zwar bekämpfe die Regierung den Kommunismus im eigenen Land, sie werde aber nicht die guten Beziehungen zur Sowjetunion aufs Spiel setzen. "Die Nationalsozialisten in der Verantwortung sind natürlich andere Menschen und machen eine andere Politik, als sie vorher verkündigt haben", schrieb Bülow an Dirksen. "Das ist immer so gewesen und bei allen Parteien dasselbe." Und Blomberg ließ dem sowjetischen Außenminister ausrichten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich die Nationalsozialisten das "richtige Staatsverständnis" angeeignet hätten.
Über die Nationalsozialisten hatten die Berufsdiplomaten nur Abschätziges mitzuteilen. Hitler sei ein "Dogmatiker und Fanatiker", die "Außenpolitiker" der NSDAP seien Stümper, Rosenberg ein Phantast, den niemand ernst nehme, verriet Dirksens Nachfolger Rudolf Nadolny dem sowjetischen Außenminister Litwinow im Februar 1934. Was in Deutschland geschehe, seien Auswüchse einer Revolution, die bald vorüber sein werde. Und dennoch nahm das Auswärtige Amt wahr, dass sich Hitler von seinem Einfluss zu emanzipieren versuchte. Seine Beamten entwarfen Memoranden und Vorlagen, die Hitler auf die traditionelle Linie festlegen sollten. Im Januar 1934 hielt der deutsche Botschafter in Moskau, Nadolny, in seinem Bericht fest, was Grundlage deutscher Außenpolitik sein sollte. Zwar habe Deutschland gegenüber Polen und Litauen territoriale Ansprüche, nicht aber gegenüber der Sowjetunion. Und deshalb seien freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion in deutschem Interesse. "Denn sie hat weder Territorium im Besitz, auf das wir einen nationalen Anspruch erheben, noch gehört sie zu Mitteleuropa, noch macht sie uns unsere Geltung als gleichberechtigte Großmacht streitig." Nicht die Sowjetunion, sondern Polen sei der eigentliche Feind Deutschlands.
Zwar glaubten auch Stalin und Litwinow, dass Hitler nicht lange an der Macht bleiben werde. Aber sie urteilten über seine außenpolitischen Absichten realistischer als die deutschen Diplomaten, die nicht glauben mochten, dass sich der Regierungschef vom Ressentiment gegen den Bolschewismus leiten ließ. Stalins Fachleute hatten Hitlers "Mein Kampf" gelesen, und sie wussten, dass Rosenberg zwar über geringen Einfluss gebot, seine Auffassungen von Hitler aber geteilt wurden. Bis zum Ausbruch der Revolution war Rosenberg russischer Staatsbürger gewesen, und deshalb nahmen ihn die bolschewistischen Funktionäre auch als "russischen" Emigranten wahr, als Verräter in fremden Diensten. Aus seinem Mund sollte niemand erfahren, dass Menschen im Land der Arbeiter und Bauern verhungerten.
Wenngleich Stalin und seine Diplomaten sich keinen Illusionen über Hitler und seine Absichten hingaben, ließen sie sich nicht von ideologischen Vorbehalten leiten. Die Sowjetunion war schwach und isoliert, und deshalb lag es im Interesse der politischen Führung, gute Beziehungen zur deutschen Regierung zu unterhalten. Stalin war ein zynischer Machtstratege, der sich über Glaubenssätze bedenkenlos hinwegsetzte, wenn sie seinen Zwecken widersprachen. Nicht auf die Weltrevolution, sondern auf die Überlebensfähigkeit der Sowjetunion kam es für ihn an. In der Öffentlichkeit führten die Bolschewiki einen Kreuzzug gegen den Faschismus, ihre Diplomaten aber versuchten, Hitler zu besänftigen. Sie umwarben die Botschafter Dirksen und Nadolny, und sie schmeichelten den Generälen der Reichswehr, weil sie einen Keil zwischen Hitler und seine Diplomatie treiben wollten. Im April 1933 empfahl Litwinow, in Zukunft keinen Juden als Botschafter in Berlin zu benennen. 1939 wurde er selbst abgelöst und durch Molotow ersetzt, weil Stalin Hitler keinen jüdischen Außenminister zumuten wollte.
Aber das ist nicht alles, was diese Dokumentation ihren Lesern verrät. Man begreift, dass Hitler sich gegen Widerstand und Tradition durchsetzen musste. Seine Diplomaten verachteten Ideologen und Fanatiker und bestanden darauf, dass die Außenpolitik in ihren Händen bleiben müsse. Deutschlands Botschafter in Moskau, Dirksen und Nadolny, waren keine Repräsentanten des nationalsozialistischen Regimes. Sie widersetzten sich ihm, wann immer sie es für vernünftig hielten. Hitler, der sich um die Alltagsgeschäfte der Diplomatie nicht kümmerte, konnte gegen diese Renitenz nichts ausrichten. In den Jahren 1933 und 1934 konnten die Diplomaten ihre Freiräume noch nutzen, am Ende der dreißiger Jahre aber hatte Hitler das Auswärtige Amt entmachtet. Im Krieg hatte es ohnehin nichts mehr zu entscheiden.
In Stalins Sowjetunion gab es keine Tradition, über die sich der Diktator hätte hinwegsetzen müssen. Die sowjetische Diplomatie war ein Instrument Stalins, die ohne Wissen und Zustimmung des Vaters der Völker nichts veranlassen und nichts entscheiden durfte. Stalin benötigte keine konkurrierenden Institutionen, keinen Krieg, um durchzusetzen, wonach ihm der Sinn stand. Das Außenministerium und seine Diplomaten waren Vollstrecker seines Willens - deshalb konnte Stalin tun, was er wollte. Als er im September 1939 den Entschluss fasste, einen Pakt mit dem deutschen Diktator abzuschließen, gab es niemanden, der ihm widersprach.
Sergej Slutsch/Carola Tischler (Herausgeber): Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941. Dokumente. Band 1: 30. Januar 1933 - 31. Oktober 1934.
Oldenbourg Verlag, München 2014. 1536 S., 198,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stalin und Litwinow urteilten 1933/34 über Hitlers außenpolitische Absichten realistischer als die Diplomaten an der deutschen Botschaft in Moskau.
Von Jörg Baberowski
Die konservativen Eliten der Weimarer Republik hätten die Bolschewiki für eine "Verbrecherbande" gehalten, bemerkte Sebastian Haffner einmal. Der Westen sei in ihren Augen nicht von Verbrechern regiert worden. Aber er hatte Deutschland beleidigt. "Versailles war eine Beleidigung." Die Bolschewiki hätten nichts dergleichen getan, und deshalb hätten Diplomaten und Generäle sich überwinden und über ihre politischen Ziele hinwegsehen können. In den Jahren der Weimarer Republik unterhielten die Sowjetunion und Deutschland freundschaftliche Beziehungen. Zwischen der Roten Armee und der Reichswehr gab es eine enge Kooperation, und in der Politik galt der Grundsatz, dass zwischen ideologischen Bekundungen und pragmatischen Erwägungen unterschieden werden müsse. Man konnte ein Antikommunist und ein Freund der Sowjetunion sein. Kein Diplomat im Auswärtigen Amt sah darin einen tragischen Widerspruch.
Als Hitler im Januar 1933 zum Regierungschef ernannt wurde, konnte sich im konservativen Establishment kaum jemand vorstellen, dass die Nationalsozialisten in nur wenigen Jahren alle Grundsätze zivilisierter Diplomatie zur Disposition stellen und Tod und Verderben über Europa bringen würden. Warum sollte Hitler länger als seine Vorgänger im Amt bleiben, dachten nicht nur sie, sondern auch Stalin und seine Gefolgsleute. So steht es auch in den Dokumenten, die über die diplomatischen Beziehungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion Auskunft geben. Sie verraten Verunsicherung auf beiden Seiten, weil die Nationalsozialisten sich über Bewährtes hinwegsetzten, aber sie zeugen auch vom Willen der Diplomaten, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen.
Von Anbeginn machten Hitler und die Ideologen seiner Partei keinen Unterschied zwischen den deutschen Kommunisten, der Komintern und der sowjetischen Regierung. Die nationalsozialistische Presse überhäufte die sowjetische Regierung mit wüsten Beschimpfungen, sprach von "jüdischem und asiatischem Pack", das in der sowjetischen Botschaft arbeite. Kaum waren Hitler und seine Partei an die Macht gekommen, ließen sie die alten Eliten spüren, dass nun alles anders werden würde. Es kam zu Übergriffen der SA auf Angehörige der sowjetischen Botschaft in Berlin, ihre Handelsvertretungen wurden durchsucht, sowjetische Staatsbürger verprügelt.
Schon im Jahr 1933 versuchte Hitler, die Richtlinien der Außenpolitik zu bestimmen, ohne mit den Diplomaten überhaupt zu sprechen. Was immer er in der Öffentlichkeit über die Sowjetunion sagte - er sagte es, ohne auf die Diplomatie Rücksicht zu nehmen. Im September 1933 eröffnete der Diktator dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bernhard Wilhelm von Bülow, dass er sowjetische Diplomaten zwar empfangen werde, dass aber eine Wiederherstellung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses ausgeschlossen sei. "Wir dürfen uns aber keinen Illusionen dahin geben, dass die Russen uns immer belügen und eines Tages doch im Stich lassen würden."
Auch Alfred Rosenberg, Hitlers Chefideologe, ließ keinen Zweifel daran, dass die Sowjetunion früher oder später zerfallen werde und dass es im Interesse Deutschlands sei, den Zersetzungsprozess des Vielvölkerreiches zu beschleunigen. Als die nationalsozialistische Presse im Sommer 1933 über die Hungersnot in der Ukraine berichtete und dazu aufrief, deutsche Kolonisten mit Hilfspaketen zu unterstützen, schien das Tischtuch endgültig zerschnitten. Stalins Außenminister Maxim Maximowitsch Litwinow und sein Botschafter in Berlin, Lew Michailowitsch Chintschuk, beklagten sich über die entwürdigende Behandlung, die ihre Diplomaten in Deutschland ertragen müssten, und verwahrten sich gegen Beschimpfungen und Beleidigungen.
Nun hätte auch die deutsche Seite Klage führen können über die aggressiven Parolen der Kommunistischen Internationale und die willkürliche Behandlung deutscher Staatsbürger in der Sowjetunion. Aber das Auswärtige Amt zog es vor, sich in Zurückhaltung zu üben. Am 31. Januar 1933 begab sich der deutsche Botschafter in Moskau, Herbert von Dirksen, zum stellvertretenden Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Nikolai Nikolajewitsch Krestinski, und erklärte ihm, dass es "keine gefährlichen Experimente" geben werde. Denn Außenminister Constantin von Neurath und Reichswehrminister Werner Blomberg stünden fest zur deutsch-russischen Allianz. Zwar bekämpfe die Regierung den Kommunismus im eigenen Land, sie werde aber nicht die guten Beziehungen zur Sowjetunion aufs Spiel setzen. "Die Nationalsozialisten in der Verantwortung sind natürlich andere Menschen und machen eine andere Politik, als sie vorher verkündigt haben", schrieb Bülow an Dirksen. "Das ist immer so gewesen und bei allen Parteien dasselbe." Und Blomberg ließ dem sowjetischen Außenminister ausrichten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich die Nationalsozialisten das "richtige Staatsverständnis" angeeignet hätten.
Über die Nationalsozialisten hatten die Berufsdiplomaten nur Abschätziges mitzuteilen. Hitler sei ein "Dogmatiker und Fanatiker", die "Außenpolitiker" der NSDAP seien Stümper, Rosenberg ein Phantast, den niemand ernst nehme, verriet Dirksens Nachfolger Rudolf Nadolny dem sowjetischen Außenminister Litwinow im Februar 1934. Was in Deutschland geschehe, seien Auswüchse einer Revolution, die bald vorüber sein werde. Und dennoch nahm das Auswärtige Amt wahr, dass sich Hitler von seinem Einfluss zu emanzipieren versuchte. Seine Beamten entwarfen Memoranden und Vorlagen, die Hitler auf die traditionelle Linie festlegen sollten. Im Januar 1934 hielt der deutsche Botschafter in Moskau, Nadolny, in seinem Bericht fest, was Grundlage deutscher Außenpolitik sein sollte. Zwar habe Deutschland gegenüber Polen und Litauen territoriale Ansprüche, nicht aber gegenüber der Sowjetunion. Und deshalb seien freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion in deutschem Interesse. "Denn sie hat weder Territorium im Besitz, auf das wir einen nationalen Anspruch erheben, noch gehört sie zu Mitteleuropa, noch macht sie uns unsere Geltung als gleichberechtigte Großmacht streitig." Nicht die Sowjetunion, sondern Polen sei der eigentliche Feind Deutschlands.
Zwar glaubten auch Stalin und Litwinow, dass Hitler nicht lange an der Macht bleiben werde. Aber sie urteilten über seine außenpolitischen Absichten realistischer als die deutschen Diplomaten, die nicht glauben mochten, dass sich der Regierungschef vom Ressentiment gegen den Bolschewismus leiten ließ. Stalins Fachleute hatten Hitlers "Mein Kampf" gelesen, und sie wussten, dass Rosenberg zwar über geringen Einfluss gebot, seine Auffassungen von Hitler aber geteilt wurden. Bis zum Ausbruch der Revolution war Rosenberg russischer Staatsbürger gewesen, und deshalb nahmen ihn die bolschewistischen Funktionäre auch als "russischen" Emigranten wahr, als Verräter in fremden Diensten. Aus seinem Mund sollte niemand erfahren, dass Menschen im Land der Arbeiter und Bauern verhungerten.
Wenngleich Stalin und seine Diplomaten sich keinen Illusionen über Hitler und seine Absichten hingaben, ließen sie sich nicht von ideologischen Vorbehalten leiten. Die Sowjetunion war schwach und isoliert, und deshalb lag es im Interesse der politischen Führung, gute Beziehungen zur deutschen Regierung zu unterhalten. Stalin war ein zynischer Machtstratege, der sich über Glaubenssätze bedenkenlos hinwegsetzte, wenn sie seinen Zwecken widersprachen. Nicht auf die Weltrevolution, sondern auf die Überlebensfähigkeit der Sowjetunion kam es für ihn an. In der Öffentlichkeit führten die Bolschewiki einen Kreuzzug gegen den Faschismus, ihre Diplomaten aber versuchten, Hitler zu besänftigen. Sie umwarben die Botschafter Dirksen und Nadolny, und sie schmeichelten den Generälen der Reichswehr, weil sie einen Keil zwischen Hitler und seine Diplomatie treiben wollten. Im April 1933 empfahl Litwinow, in Zukunft keinen Juden als Botschafter in Berlin zu benennen. 1939 wurde er selbst abgelöst und durch Molotow ersetzt, weil Stalin Hitler keinen jüdischen Außenminister zumuten wollte.
Aber das ist nicht alles, was diese Dokumentation ihren Lesern verrät. Man begreift, dass Hitler sich gegen Widerstand und Tradition durchsetzen musste. Seine Diplomaten verachteten Ideologen und Fanatiker und bestanden darauf, dass die Außenpolitik in ihren Händen bleiben müsse. Deutschlands Botschafter in Moskau, Dirksen und Nadolny, waren keine Repräsentanten des nationalsozialistischen Regimes. Sie widersetzten sich ihm, wann immer sie es für vernünftig hielten. Hitler, der sich um die Alltagsgeschäfte der Diplomatie nicht kümmerte, konnte gegen diese Renitenz nichts ausrichten. In den Jahren 1933 und 1934 konnten die Diplomaten ihre Freiräume noch nutzen, am Ende der dreißiger Jahre aber hatte Hitler das Auswärtige Amt entmachtet. Im Krieg hatte es ohnehin nichts mehr zu entscheiden.
In Stalins Sowjetunion gab es keine Tradition, über die sich der Diktator hätte hinwegsetzen müssen. Die sowjetische Diplomatie war ein Instrument Stalins, die ohne Wissen und Zustimmung des Vaters der Völker nichts veranlassen und nichts entscheiden durfte. Stalin benötigte keine konkurrierenden Institutionen, keinen Krieg, um durchzusetzen, wonach ihm der Sinn stand. Das Außenministerium und seine Diplomaten waren Vollstrecker seines Willens - deshalb konnte Stalin tun, was er wollte. Als er im September 1939 den Entschluss fasste, einen Pakt mit dem deutschen Diktator abzuschließen, gab es niemanden, der ihm widersprach.
Sergej Slutsch/Carola Tischler (Herausgeber): Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941. Dokumente. Band 1: 30. Januar 1933 - 31. Oktober 1934.
Oldenbourg Verlag, München 2014. 1536 S., 198,- [Euro].
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"Ein preiswürdiger Band zur Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen - Auftakt einer großen Quellenedition."
Kurt Pätzold in: Neues Deutschland, 5. Dezember 2014
Kurt Pätzold in: Neues Deutschland, 5. Dezember 2014