Der Band dokumentiert in repräsentativer Auswahl die Gesamtpolitik der Regierung Hitlers im Jahr 1937. 208 aufwändig kommentierte Aktenstücke führen zu den Problemen, die sich dem Regime stellten, hellen Entscheidungsabläufe im Vorfeld wichtiger Gesetze und Erlasse, ihre Hintergründe und Intentionen auf. Mit einbezogen sind auch unvollendete Projekte, welche die Ziele des Nationalsozialismus oft besonders charakterisieren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2006Geschickt verhüllte Motive
Dokumente zur Politik Hitlers und der nationalsozialistischen Führungsgruppe im Jahr 1937
Im fünften Jahr der nationalsozialistischen Diktatur schienen die Prozesse der Sicherung und Behauptung der Macht weitgehend abgeschlossen zu sein. Die sich anschließende Konsolidierungsphase war primär durch die Anstrengungen der Innen- und Außenpolitik bestimmt, die "Volksgemeinschaft", Wirtschaft und Finanzen, das Militär und insbesondere die Rüstungsindustrie auf die Erfordernisse eines Krieges in Europa vorzubereiten. Die deutschsprachige Publizistik im Exil verstärkte deshalb in jener Zeit ihre Bemühungen, das Ausland über die realen Entwicklungen im Deutschen Reich, die propagandistischen Taktiken und die kriegerischen Ziele des Regimes aufzuklären. Jedoch erweckten weder diese Berichte und Kommentare noch die gut dokumentierten und von Fachkundigen verfaßten denkschriftartigen Studien in den Nachbarstaaten die Einsicht in eine wachsende Kriegsgefahr. Wie konkret sie bestand, zeigt auch die Einleitung zu der umfangreichen Aktenpublikation über das Jahr 1937. Sie setzt mit dem Hinweis auf Hitlers Kriegspläne ein, die der "Führer" in der berühmt gewordenen Geheimsitzung vom 5. November 1937 einem kleinen Kreis von Ministern und Militärs offenbart hatte. In dieser Sitzung hat der Diktator, wie die Öffentlichkeit im Nürnberger Prozeß aus der damals erst vorgelegten Niederschrift des Adjutanten, Oberst Friedrich Hoßbach, erfuhr, die "Lösung der deutschen Frage" in einem "blitzartigen" Krieg in Europa gesehen, für den er Österreich und die Tschechoslowakei als erste Angriffsziele bestimmte.
Da Hitler nicht einmal die Kabinettsminister hinzugezogen und ihnen auch anschließend keine Information hatte zukommen lassen, konnte das brisante Schriftstück in der vorliegenden Dokumentation nicht berücksichtigt werden. Darin spiegeln sich die konzeptionelle Begrenzung beziehungsweise die relativ enge sachthematische Akzentuierung dieser Aktenpublikation. Denn die Kabinettsprotokolle und die mit ihnen in enger Verbindung stehenden Dokumente vermögen zwar zahlreiche Aufschlüsse über die Vielgestaltigkeit und Intensität der offiziell als friedliebend dargestellten Planungen zur "Reichsverteidigung" zu bieten, doch offenbaren sie so gut wie nichts über die wahren Inhalte und Zielrichtungen, die geschickt verhüllten Motive und die unverhohlene Aggressivität der Hitlerschen Außen- und Kriegspolitik. Dennoch gelingt es dem Bearbeiter in vier einführenden Abschnitten zur Außen- und Kriegspolitik, zur Innen- und Rechtspolitik, zu Wirtschaft und Finanzen sowie zur Arbeits- und Sozialpolitik nicht nur eine knappe Übersicht über die 208 gedruckten Dokumente zu geben, sondern sie auch in die jeweils aufschlußreichen Zusammenhänge zuverlässig einzuordnen. An seinen Ausführungen ist sachlich kaum etwas zu bemängeln. Allerdings sind sie an Sprödigkeit und Trockenheit kaum zu überbieten, wenn über tarifpolitische Angelegenheiten wie "Heuererhöhung" oder "Kleinrentnerhilfe" in gleichem Stil referiert wird wie über Kriegsvorbereitungen und Rassenpolitik.
Wie ein immer wiederkehrendes zweites Thema ziehen sich durch die einführenden Bemerkungen und die meisten Dokumente dann detaillierte Berichte über Mangelerscheinungen in den Bereichen Ernte und Produktion, Rohstoffe, Finanzen und Devisen, Arbeitskräfte und Konsum. Des weiteren treten die Schwierigkeiten deutlich hervor, die sich 1937 bei der Aufstellung des Reichshaushalts ergaben, und zwar auf dem Lohnsektor - es waren nicht vorhergesehene und in den Plänen ausdrücklich ausgeschlossene ungleichmäßige Steigerungsraten eingetreten - und bei den Preiskontrollen beziehungsweise Lebenshaltungskosten. In der Kirchen-, Bildungs- und Ausbildungspolitik brachen vielfältig eskalierende Konflikte auf. Daraus resultierten interministerielle Kompetenzstreitigkeiten und die wachsende Stärkung der Schlichtungsfunktion des "Führers". Deshalb suchte Hitler jede endgültige oder zumindest eindeutige Regelung interministerieller Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Die Kontroversen zwischen der Monopolpartei NSDAP und den staatlichen Gewalten überblickte er vermutlich in ihrer ganzen Tragweite, ohne sie jedoch endgültig bereinigen zu wollen, wie es sich sogar in einem der großen Fälle erwies: Nach zweijähriger Verhandlung billigte Hitlers Stellvertreter Heß der "Deutschen Arbeitsfront" nicht den mit Blick auf ihre Wirtschaftsmacht angemessenen Status der traditionellen Rechtsfähigkeit zu, sondern begnügte sich mit der Konstruktion einer neu begründeten, aber undefiniert gebliebenen rechtsfähigen "nationalsozialistischen Gemeinschaft". Auch Hitler selbst verweigerte sich mehrfach selbst und direkt so entschieden endgültigen Kodifizierungen, daß schließlich sogar die frühzeitig geplante große Strafrechtsreform und die Verabschiedung eines neuen Pressegesetzes trotz mehrmaliger anderslautender Ankündigung unterblieb.
Die Auswahl der abgedruckten Dokumente und ihre Textgestalt werden kenntnisreich begründet. Die zumeist vollständig berücksichtigte Überlieferung der Kabinettsprotokolle bietet bei formaler Knappheit ein Optimum an Übersichtlichkeit und Informationsdichte. Die Kommentierung von Friedrich Hartmannsgruber versteht sich als Lese- beziehungsweise Verständnishilfe, wird streng sachbezogen eingesetzt, ist durchgehend sprachlich präzis und gibt selbst dort so gut wie nie der Versuchung zu einer weitergehenden Interpretation nach, wo ein aussagekräftiges Schriftstück erstmals präsentiert werden kann. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um den zentralen Quellenbestand handelt, also um Sitzungsprotokolle und "Führeranordnungen", oder um begleitende Materialien wie Denkschriften und Vorlagen, Aktenvermerke und interne Schriftwechsel. In jedem Einzelfall werden die archivische Situation und Besonderheiten der Überlieferung angegeben; die textkritischen Auffälligkeiten sind punktgenau erfaßt; über die weitere Behandlung der von den Kabinettsmitgliedern besprochenen oder auch nur kurz berührten Themen wird der Leser ebenfalls informiert.
Das Verzeichnis aller Dokumente und die Bibliographie zu der zitierten Literatur ermöglichen einen schnellen Überblick. Eine chronologisch geordnete Zusammenstellung der Einzelvorträge bei Hitler, die Liste aller Kabinettsmitglieder und höheren Ministerialbeamten helfen dem Suchenden mit ihren ausreichend detaillierten Angaben auf eine ebenso zuverlässige Weise weiter wie das Personen- und ein kombiniertes Orts- und Sachregister. Ein gewichtiger Quellenbestand zur Politik Hitlers und der nationalsozialistischen Führungsgruppe liegt damit in mustergültiger editorischer Form vor.
BERND SÖSEMANN
Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1945. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dem Bundesarchiv. Band IV: 1937. Bearbeitet von Friedrich Hartmannsgruber. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 895 S., 99,80 [Euro].
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Dokumente zur Politik Hitlers und der nationalsozialistischen Führungsgruppe im Jahr 1937
Im fünften Jahr der nationalsozialistischen Diktatur schienen die Prozesse der Sicherung und Behauptung der Macht weitgehend abgeschlossen zu sein. Die sich anschließende Konsolidierungsphase war primär durch die Anstrengungen der Innen- und Außenpolitik bestimmt, die "Volksgemeinschaft", Wirtschaft und Finanzen, das Militär und insbesondere die Rüstungsindustrie auf die Erfordernisse eines Krieges in Europa vorzubereiten. Die deutschsprachige Publizistik im Exil verstärkte deshalb in jener Zeit ihre Bemühungen, das Ausland über die realen Entwicklungen im Deutschen Reich, die propagandistischen Taktiken und die kriegerischen Ziele des Regimes aufzuklären. Jedoch erweckten weder diese Berichte und Kommentare noch die gut dokumentierten und von Fachkundigen verfaßten denkschriftartigen Studien in den Nachbarstaaten die Einsicht in eine wachsende Kriegsgefahr. Wie konkret sie bestand, zeigt auch die Einleitung zu der umfangreichen Aktenpublikation über das Jahr 1937. Sie setzt mit dem Hinweis auf Hitlers Kriegspläne ein, die der "Führer" in der berühmt gewordenen Geheimsitzung vom 5. November 1937 einem kleinen Kreis von Ministern und Militärs offenbart hatte. In dieser Sitzung hat der Diktator, wie die Öffentlichkeit im Nürnberger Prozeß aus der damals erst vorgelegten Niederschrift des Adjutanten, Oberst Friedrich Hoßbach, erfuhr, die "Lösung der deutschen Frage" in einem "blitzartigen" Krieg in Europa gesehen, für den er Österreich und die Tschechoslowakei als erste Angriffsziele bestimmte.
Da Hitler nicht einmal die Kabinettsminister hinzugezogen und ihnen auch anschließend keine Information hatte zukommen lassen, konnte das brisante Schriftstück in der vorliegenden Dokumentation nicht berücksichtigt werden. Darin spiegeln sich die konzeptionelle Begrenzung beziehungsweise die relativ enge sachthematische Akzentuierung dieser Aktenpublikation. Denn die Kabinettsprotokolle und die mit ihnen in enger Verbindung stehenden Dokumente vermögen zwar zahlreiche Aufschlüsse über die Vielgestaltigkeit und Intensität der offiziell als friedliebend dargestellten Planungen zur "Reichsverteidigung" zu bieten, doch offenbaren sie so gut wie nichts über die wahren Inhalte und Zielrichtungen, die geschickt verhüllten Motive und die unverhohlene Aggressivität der Hitlerschen Außen- und Kriegspolitik. Dennoch gelingt es dem Bearbeiter in vier einführenden Abschnitten zur Außen- und Kriegspolitik, zur Innen- und Rechtspolitik, zu Wirtschaft und Finanzen sowie zur Arbeits- und Sozialpolitik nicht nur eine knappe Übersicht über die 208 gedruckten Dokumente zu geben, sondern sie auch in die jeweils aufschlußreichen Zusammenhänge zuverlässig einzuordnen. An seinen Ausführungen ist sachlich kaum etwas zu bemängeln. Allerdings sind sie an Sprödigkeit und Trockenheit kaum zu überbieten, wenn über tarifpolitische Angelegenheiten wie "Heuererhöhung" oder "Kleinrentnerhilfe" in gleichem Stil referiert wird wie über Kriegsvorbereitungen und Rassenpolitik.
Wie ein immer wiederkehrendes zweites Thema ziehen sich durch die einführenden Bemerkungen und die meisten Dokumente dann detaillierte Berichte über Mangelerscheinungen in den Bereichen Ernte und Produktion, Rohstoffe, Finanzen und Devisen, Arbeitskräfte und Konsum. Des weiteren treten die Schwierigkeiten deutlich hervor, die sich 1937 bei der Aufstellung des Reichshaushalts ergaben, und zwar auf dem Lohnsektor - es waren nicht vorhergesehene und in den Plänen ausdrücklich ausgeschlossene ungleichmäßige Steigerungsraten eingetreten - und bei den Preiskontrollen beziehungsweise Lebenshaltungskosten. In der Kirchen-, Bildungs- und Ausbildungspolitik brachen vielfältig eskalierende Konflikte auf. Daraus resultierten interministerielle Kompetenzstreitigkeiten und die wachsende Stärkung der Schlichtungsfunktion des "Führers". Deshalb suchte Hitler jede endgültige oder zumindest eindeutige Regelung interministerieller Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Die Kontroversen zwischen der Monopolpartei NSDAP und den staatlichen Gewalten überblickte er vermutlich in ihrer ganzen Tragweite, ohne sie jedoch endgültig bereinigen zu wollen, wie es sich sogar in einem der großen Fälle erwies: Nach zweijähriger Verhandlung billigte Hitlers Stellvertreter Heß der "Deutschen Arbeitsfront" nicht den mit Blick auf ihre Wirtschaftsmacht angemessenen Status der traditionellen Rechtsfähigkeit zu, sondern begnügte sich mit der Konstruktion einer neu begründeten, aber undefiniert gebliebenen rechtsfähigen "nationalsozialistischen Gemeinschaft". Auch Hitler selbst verweigerte sich mehrfach selbst und direkt so entschieden endgültigen Kodifizierungen, daß schließlich sogar die frühzeitig geplante große Strafrechtsreform und die Verabschiedung eines neuen Pressegesetzes trotz mehrmaliger anderslautender Ankündigung unterblieb.
Die Auswahl der abgedruckten Dokumente und ihre Textgestalt werden kenntnisreich begründet. Die zumeist vollständig berücksichtigte Überlieferung der Kabinettsprotokolle bietet bei formaler Knappheit ein Optimum an Übersichtlichkeit und Informationsdichte. Die Kommentierung von Friedrich Hartmannsgruber versteht sich als Lese- beziehungsweise Verständnishilfe, wird streng sachbezogen eingesetzt, ist durchgehend sprachlich präzis und gibt selbst dort so gut wie nie der Versuchung zu einer weitergehenden Interpretation nach, wo ein aussagekräftiges Schriftstück erstmals präsentiert werden kann. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um den zentralen Quellenbestand handelt, also um Sitzungsprotokolle und "Führeranordnungen", oder um begleitende Materialien wie Denkschriften und Vorlagen, Aktenvermerke und interne Schriftwechsel. In jedem Einzelfall werden die archivische Situation und Besonderheiten der Überlieferung angegeben; die textkritischen Auffälligkeiten sind punktgenau erfaßt; über die weitere Behandlung der von den Kabinettsmitgliedern besprochenen oder auch nur kurz berührten Themen wird der Leser ebenfalls informiert.
Das Verzeichnis aller Dokumente und die Bibliographie zu der zitierten Literatur ermöglichen einen schnellen Überblick. Eine chronologisch geordnete Zusammenstellung der Einzelvorträge bei Hitler, die Liste aller Kabinettsmitglieder und höheren Ministerialbeamten helfen dem Suchenden mit ihren ausreichend detaillierten Angaben auf eine ebenso zuverlässige Weise weiter wie das Personen- und ein kombiniertes Orts- und Sachregister. Ein gewichtiger Quellenbestand zur Politik Hitlers und der nationalsozialistischen Führungsgruppe liegt damit in mustergültiger editorischer Form vor.
BERND SÖSEMANN
Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1945. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dem Bundesarchiv. Band IV: 1937. Bearbeitet von Friedrich Hartmannsgruber. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 895 S., 99,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "mustergültig" würdigt Rezensent Bernd Sösemann diese Edition von Dokumenten zur Politik Hitlers und seiner Regierung im Jahr 1937. Zwar will er die konzeptionelle Begrenzung einer solchen Quellenausgabe nicht verschweigen, offenbaren die Kabinettsprotokolle doch kaum etwas über die wahren Inhalte und Zielrichtungen, die geschickt verhüllten Motive und die unverhohlene Aggressivität der Hitlerschen Außen- und Kriegspolitik. Dafür aber gelingt es dem Bearbeiter Friedrich Hartmannsgruber nach Ansicht Sösemanns, eine übersichtliche Einführung in die 208 gedruckten Dokumente zu geben und sie zuverlässig in die jeweiligen Zusammenhänge einzuordnen. Dabei haben ihn die Auswahl der Dokumente und ihre die übersichtliche Anordnung ebenso überzeugt wie Hartmannsgrubers sachlicher, zurückhaltender und sprachlich präziser Kommentar. Hilfreich findet er zudem das Verzeichnis aller Dokumente, die Bibliographie zur zitierten Literatur, die chronologisch geordnete Zusammenstellung der Einzelvorträge bei Hitler, die Liste aller Kabinettsmitglieder und höheren Ministerialbeamten sowie die Personen- und ein kombiniertes Orts- und Sachregister.
© Perlentaucher Medien GmbH
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