Vieles von dem, was 1938 damals ereignet hat, ist wieder aktuell geworden: Flüchtlingskrise, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, internationales Kräftemessen, ein Erstarken der rechten Parteien, Fake News.
1938 markiert einen Wendepunkt, nicht nur im Leben vieler Menschen hier, sondern weltweit. 1938 werden politische Entscheidungen getroffen, die in den großen, ein Jahr später ausbrechenden Flächenbrand münden. 1938 machen sich Hunderttausende auf die Flucht, sie suchen Schutz vor Verfolgung, aber keiner ist bereit, sie aufzunehmen. 1938 manipulieren politische Agitatoren durch Hetzkampagnen und Falschmeldungen die Bevölkerung und eine beispiellose Gewalt gegen Ausgegrenzte wird schweigend geduldet oder sogar begrüßt. Die Nachwirkungen der sich 1938 anbahnenden Katastrophe sind bis heute spürbar, und die Geister, die damals gerufen wurden, sind heute wieder aktiv.
Zeitzeugen, Überlebende und auch deren Enkel erzählen in persönlichen Berichten ihre Geschichte, darunter Gabriel Bach, Walter Frankenstein, Ruth Rotem, August Zirner, Mirna Funk, Linda Rachel Sabiers, Monica Dugot oder Arye Sharuz Shalicar.
Noch nie veröffentlichte Dokumente, zahlreiche Fotografien und eine lebendige Gestaltung machen das Jahr 1938 greifbar und zeigen zudem Parallelen auf, die in Zeiten eines neu aufkommenden Nationalismus gefährlich werden können. Insofern ist dieses Buch auch ein warnender Weckruf.
»So brauchen wir nicht nur die Erinnerung an 1938, an die Jahre davor und danach, sondern auch einen mutigen Blick nach vorn. Denn Freiheit und Demokratie müssen auch heute mit Mut und Zivilcourage verteidigt werden.« Klaus von Dohnanyi
1938 markiert einen Wendepunkt, nicht nur im Leben vieler Menschen hier, sondern weltweit. 1938 werden politische Entscheidungen getroffen, die in den großen, ein Jahr später ausbrechenden Flächenbrand münden. 1938 machen sich Hunderttausende auf die Flucht, sie suchen Schutz vor Verfolgung, aber keiner ist bereit, sie aufzunehmen. 1938 manipulieren politische Agitatoren durch Hetzkampagnen und Falschmeldungen die Bevölkerung und eine beispiellose Gewalt gegen Ausgegrenzte wird schweigend geduldet oder sogar begrüßt. Die Nachwirkungen der sich 1938 anbahnenden Katastrophe sind bis heute spürbar, und die Geister, die damals gerufen wurden, sind heute wieder aktiv.
Zeitzeugen, Überlebende und auch deren Enkel erzählen in persönlichen Berichten ihre Geschichte, darunter Gabriel Bach, Walter Frankenstein, Ruth Rotem, August Zirner, Mirna Funk, Linda Rachel Sabiers, Monica Dugot oder Arye Sharuz Shalicar.
Noch nie veröffentlichte Dokumente, zahlreiche Fotografien und eine lebendige Gestaltung machen das Jahr 1938 greifbar und zeigen zudem Parallelen auf, die in Zeiten eines neu aufkommenden Nationalismus gefährlich werden können. Insofern ist dieses Buch auch ein warnender Weckruf.
»So brauchen wir nicht nur die Erinnerung an 1938, an die Jahre davor und danach, sondern auch einen mutigen Blick nach vorn. Denn Freiheit und Demokratie müssen auch heute mit Mut und Zivilcourage verteidigt werden.« Klaus von Dohnanyi
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2018„Die Menge steht
und schweigt“
Ein eindringliches
Erinnerungsbuch an 1938
„Als wir den Hausvogteiplatz überqueren, tönt aus der Ferne ein sonderbares Geräusch … Krach-klirr – krach-klirr! Drei schwere Eisenstangen sausen wie Schmiedehämmer in die riesigen Scheiben. Ein Dröhnen, ein Splittern, ein sekundenlanges Rauschen. Dann wird es still. Krach-klirr – krach-klirr! Das nächste Fenster sinkt in Trümmer. Vor ihm stehen fünf Burschen … ihre ganze Leidenschaft ist darauf gerichtet, untadelige Ausführer zu sein. Meister im Handwerk gläserner Zerstörung. Scherben, Scherben, Scherben. Die Menge steht und schweigt.“
So hat die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich die Eindrücke der Judenpogrome vom 9. November 1938 in ihr Tagebuch notiert. Man versteht, warum dieses Datum bald verharmlosend „Reichskristallnacht“ genannt wurde, aber man erfährt auch, wie der NS-Staat den ersten Schritt tat Richtung Holocaust. Ein befreundeter jüdischer Rechtsanwalt hat Andreas-Friedrich zuvor informiert, was wirklich vorgeht in Hauptstadt und im Reich: „Der Teufel geht um in Berlin! Die Synagogen brennen. Das Judenblut spritzt vom Messer.“
Das Jahr 1938 hat es 2018 schwergehabt, in der allgemeinen Erinnerung seinen angemessenen Platz zu bekommen; überlagert wurde diesmal vieles vom Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs und die Revolution in Deutschland vor 100 Jahren. Darum ist es ganz gut, zum Ende des Jahres, in dem Buch „1938 – Warum wir heute genau hinschauen müssen“ zu blättern und in die beklemmende Atmosphäre dieses letzten Friedensjahres einzutauchen. Barbara Schieb und Jutta Hercher haben das Buch (mit dem recht pädagogischen Titel) herausgegeben.
Es handelt sich nicht um ein wissenschaftliches Buch mit klarer historischer Analyse der Ereignisse, sondern um ein Kaleidoskop von persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungen an Unrecht, Vertreibung und Mord. Die Herausgeberinnen haben „dem Ganzen den Charakter eines Albums“ verliehen, „das uns ermöglicht, auf eine sehr persönliche Weise von tragischen Umbrüchen zu erfahren“.
Versammelt sind meist kürzere Aufzeichnungen von bekannten Personen der Zeitgeschichte, aber der Fokus liegt auf den Erlebnissen ganz normaler Bürger und ihrer persönlichen Sicht auf den „Anschluss“ Österreichs, das Münchner Abkommen, Emigration und Flucht, sowie auf die Vertreibung, Inhaftierung und Ermordung von deutschen Juden. Auch Kinder und Enkel der Zeitzeugen kommen zu Wort. Einige Dokumente werden in diesem Buch mit unkonventionellem Layout erstmals präsentiert; Klaus von Dohnanyi hat ein mahnendes Vorwort geschrieben.
„1938“ ist ein erhellendes Lesebuch; eine bessere historische Einordnung hätte aber nicht geschadet.
ROBERT PROBST
Barbara Schieb,
Jutta Hercher (Hg.):
1938 – Warum wir
heute genau hinschauen müssen. Mit einem
Vorwort von Klaus von Dohnanyi.
Elisabeth-Sandmann-
Verlag München, 2018. 208 Seiten, 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und schweigt“
Ein eindringliches
Erinnerungsbuch an 1938
„Als wir den Hausvogteiplatz überqueren, tönt aus der Ferne ein sonderbares Geräusch … Krach-klirr – krach-klirr! Drei schwere Eisenstangen sausen wie Schmiedehämmer in die riesigen Scheiben. Ein Dröhnen, ein Splittern, ein sekundenlanges Rauschen. Dann wird es still. Krach-klirr – krach-klirr! Das nächste Fenster sinkt in Trümmer. Vor ihm stehen fünf Burschen … ihre ganze Leidenschaft ist darauf gerichtet, untadelige Ausführer zu sein. Meister im Handwerk gläserner Zerstörung. Scherben, Scherben, Scherben. Die Menge steht und schweigt.“
So hat die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich die Eindrücke der Judenpogrome vom 9. November 1938 in ihr Tagebuch notiert. Man versteht, warum dieses Datum bald verharmlosend „Reichskristallnacht“ genannt wurde, aber man erfährt auch, wie der NS-Staat den ersten Schritt tat Richtung Holocaust. Ein befreundeter jüdischer Rechtsanwalt hat Andreas-Friedrich zuvor informiert, was wirklich vorgeht in Hauptstadt und im Reich: „Der Teufel geht um in Berlin! Die Synagogen brennen. Das Judenblut spritzt vom Messer.“
Das Jahr 1938 hat es 2018 schwergehabt, in der allgemeinen Erinnerung seinen angemessenen Platz zu bekommen; überlagert wurde diesmal vieles vom Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs und die Revolution in Deutschland vor 100 Jahren. Darum ist es ganz gut, zum Ende des Jahres, in dem Buch „1938 – Warum wir heute genau hinschauen müssen“ zu blättern und in die beklemmende Atmosphäre dieses letzten Friedensjahres einzutauchen. Barbara Schieb und Jutta Hercher haben das Buch (mit dem recht pädagogischen Titel) herausgegeben.
Es handelt sich nicht um ein wissenschaftliches Buch mit klarer historischer Analyse der Ereignisse, sondern um ein Kaleidoskop von persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungen an Unrecht, Vertreibung und Mord. Die Herausgeberinnen haben „dem Ganzen den Charakter eines Albums“ verliehen, „das uns ermöglicht, auf eine sehr persönliche Weise von tragischen Umbrüchen zu erfahren“.
Versammelt sind meist kürzere Aufzeichnungen von bekannten Personen der Zeitgeschichte, aber der Fokus liegt auf den Erlebnissen ganz normaler Bürger und ihrer persönlichen Sicht auf den „Anschluss“ Österreichs, das Münchner Abkommen, Emigration und Flucht, sowie auf die Vertreibung, Inhaftierung und Ermordung von deutschen Juden. Auch Kinder und Enkel der Zeitzeugen kommen zu Wort. Einige Dokumente werden in diesem Buch mit unkonventionellem Layout erstmals präsentiert; Klaus von Dohnanyi hat ein mahnendes Vorwort geschrieben.
„1938“ ist ein erhellendes Lesebuch; eine bessere historische Einordnung hätte aber nicht geschadet.
ROBERT PROBST
Barbara Schieb,
Jutta Hercher (Hg.):
1938 – Warum wir
heute genau hinschauen müssen. Mit einem
Vorwort von Klaus von Dohnanyi.
Elisabeth-Sandmann-
Verlag München, 2018. 208 Seiten, 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein erhellendes Lesebuch.« Robert Probst Süddeutsche Zeitung Online 20181216