Hitlers Erbe: Die Deutschen und das Dritte Reich
Sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit Hitlers Herrschaft im Bunker unter der Reichskanzlei ihr Ende fand. Doch die Erinnerung an die NS-Zeit erscheint gegenwärtiger denn je. Liegt der Grund dafür - paradoxerweise - im Aussterben der Zeitzeugen? Und was hieße das für die Zukunft? 1945 und wir ist eine aktuelle Analyse des Umgangs der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.
Sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit Hitlers Herrschaft im Bunker unter der Reichskanzlei ihr Ende fand. Doch die Erinnerung an die NS-Zeit erscheint gegenwärtiger denn je. Liegt der Grund dafür - paradoxerweise - im Aussterben der Zeitzeugen? Und was hieße das für die Zukunft? 1945 und wir ist eine aktuelle Analyse des Umgangs der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.
Für das Selbstverständnis der Bundesrepublik wurde der kritische Rückbezug auf die Erfahrungen des "Dritten Reiches" seit den sechziger Jahren wichtig. Nach einem langen Jahrzehnt der Verdrängung setzte damals ein, was als "Vergangenheitsbewältigung" die politische Kultur unseres Landes prägte. Diese Epoche geht nun zu Ende - nicht jedoch die Politik mit der Vergangenheit: Im Gange ist, vorangetrieben von der Generation der Kriegskinder, den späteren Achtundsechzigern, nichts weniger als eine Neujustierung unserer Geschichtsverhältnisse. In die Gedächtniskultur einer globalisierten Holocaust-Erinnerung drängt jetzt - und das ist augenscheinlich ein Problem - die intensive Verlebendigung von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit Hitlers Herrschaft im Bunker unter der Reichskanzlei ihr Ende fand. Doch die Erinnerung an die NS-Zeit erscheint gegenwärtiger denn je. Liegt der Grund dafür - paradoxerweise - im Aussterben der Zeitzeugen? Und was hieße das für die Zukunft? 1945 und wir ist eine aktuelle Analyse des Umgangs der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.
Sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit Hitlers Herrschaft im Bunker unter der Reichskanzlei ihr Ende fand. Doch die Erinnerung an die NS-Zeit erscheint gegenwärtiger denn je. Liegt der Grund dafür - paradoxerweise - im Aussterben der Zeitzeugen? Und was hieße das für die Zukunft? 1945 und wir ist eine aktuelle Analyse des Umgangs der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.
Für das Selbstverständnis der Bundesrepublik wurde der kritische Rückbezug auf die Erfahrungen des "Dritten Reiches" seit den sechziger Jahren wichtig. Nach einem langen Jahrzehnt der Verdrängung setzte damals ein, was als "Vergangenheitsbewältigung" die politische Kultur unseres Landes prägte. Diese Epoche geht nun zu Ende - nicht jedoch die Politik mit der Vergangenheit: Im Gange ist, vorangetrieben von der Generation der Kriegskinder, den späteren Achtundsechzigern, nichts weniger als eine Neujustierung unserer Geschichtsverhältnisse. In die Gedächtniskultur einer globalisierten Holocaust-Erinnerung drängt jetzt - und das ist augenscheinlich ein Problem - die intensive Verlebendigung von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005Gezeitenwechsel
Die Akzente in der Bewertung des Zweiten Weltkrieges beginnen sich zu verschieben - hin zu einer Konkurrenz der Opfer
Wie wohl Historiker in einigen Jahren den schier endlosen Erinnerungsmarathon zum 60. Jahrestag des Kriegsendes bewerten werden? Die bloße Menge an Dokumentationen, Kinofilmen und Zeitzeugen-Interviews sprengt alle publizistischen Rekorde. Kein Schlussstrich also - und doch beginnen sich die Akzente zu verändern. Nicht, dass vom Nationalsozialismus, seinen Profiteuren, Wegbereitern und „Vollstreckern” nicht mehr die Rede wäre. Doch sind die Stimmen derer lauter geworden, die sich - als Generation der Kriegskinder - selbst als Opfer des Krieges fühlen, Flucht und Vertreibung und die alliierten Bombardierungen brandmarken und nun, in die Jahre gekommen, deutlich nachsichtiger mit der Elterngeneration umgehen.
Vieles spricht dafür, dies als einen erinnerungskulturellen „Gezeitenwechsel” zu deuten, wie es der Jenaer Zeithistoriker Norbert Frei in einer lesenswerten Sammlung von zumeist schon andernorts publizierten Aufsätzen über den Nationalsozialismus und seine Nachgeschichte im „Bewusstsein der Deutschen” vorschlägt. Dazu zählt auch der „Abschied von der Zeitgenossenschaft” - das langsame Verstummen der Zeitzeugen, von Opfern, Tätern und Mitläufern und die daraus entstehende neue Debatte über den Stellenwert des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte, einem neuen „Zeitalter der Opferkonkurrenz”. Frei richtet seinen Blick auf die Bindekraft des Dritten
Reiches und die vergangenheitspolitischen Schlachten der jungen Bundesrepublik: auf die schwierige juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und den langen Weg, bis Widerstandskämpfer nicht mehr als „Vaterlandsverräter” denunziert wurden. Seine elegant formulierten Analysen zeigen eindringlich, wie elementar ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstein für den Abbau kollektiver Mythen ist - wozu die langlebige Vorstellung vieler Deutscher gehört, selbst das „erste Opfer” Hitlers gewesen zu sein.
Wie unterschiedlich die Erfahrungen des Krieges jedoch sein können, zeigt der neue Band des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA). Die Zeitgeschichte hat lange gebraucht, das Spannungsverhältnis von „innerer” und „äußerer” Front, von Gesellschaft und Regime im Krieg und die Bedeutung der aggressiven Expansionspolitik für die Funktionsweise des Dritten Reiches zu beleuchten. Insofern leistet der Band Vorbildliches, weil er unterschiedliche Perspektiven miteinander verbindet: die Dynamik und Radikalisierung des Krieges, die Mobilisierung aller Ressourcen; die Kontinuität und Veränderungen der Denk- und Verhaltensmuster seit dem Ersten Weltkrieg und die zunehmende Entgrenzung der Gewalt als wesentliches Element der deutschen Kriegsgesellschaft - ein Aspekt, der bei vielen Bombardierungs-Gedenkfeiern allzu leicht in Vergessenheit gerät. Die „Heimatfront” war nicht so „zivil”, wie sie viele Legenden zeichnen.
Mit zunehmender Kriegsdauer wurde gerade in den vom Luftkrieg massiv betroffenen Städten deutlich, wie eng verflochten nationalsozialistische Fürsorge und Vernichtung waren. Zuerst traf es die Juden, dann kamen Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene hinzu, die unter Einsatz ihres Lebens Trümmer und Bombenblindgänger beseitigen mussten und gezwungen waren, die Rüstungsproduktion am Laufen zu halten. Alte, Kranke und Schwache gerieten in das Räderwerk der Vernichtung. Die Geschichte der deutschen Kriegsgesellschaft war, wie der Band zeigt, eine Geschichte von wachsendem Terror und innerem Vernichtungswillen.
Die NSDAP spielte für die Mobilisierung und lang währende Loyalität der Bevölkerung eine zentrale Rolle, wie der besonders gelungene Beitrag von Armin Nolzen deutlich macht. Kurz vor Kriegsende erreichte die Mitgliederzahl knapp neun Millionen. Das waren keineswegs alles Zwangsmitgliedschaften. Es ging auch um die Chance zum persönlichen Aufstieg, zur Teilhabe an politischer Macht - im kleinen wie großen. Während des Krieges dehnte die Partei ihren Herrschaftsbereich immer weiter aus. Nolzen zeigt diesen Prozess „volksgemeinschaftlicher” Integration, der auf der Basis antijüdischer Ausgrenzung basierte, äußerst anschaulich.
Gerhard Schreiber und Rolf-Dieter Müller, beides ausgewiesene Kenner der deutschen Militärgeschichte, setzten einen anderen Schwerpunkt. Schreibers „Kurze Geschichte des Zweiten Weltkrieges” geht auf ein vor einigen Jahren veröffentlichtes Buch zurück und konzentriert sich ganz auf die militärische Ereignisgeschichte - eine äußerst konventionelle Art der Kriegsgeschichte, zudem sehr spröde geschrieben. In seinen Urteilen ist Schreiber aber erfreulich klar, wenn er etwa über den Vernichtungskrieg feststellt: „Ohne Duldung, auch Gutheißen des Genozids durch die, im weiteren Sinn des Worts verstanden, Wehrmachtsführung wäre der Völkermord nicht möglich gewesen.”
Von anderem Gewicht ist der neue „Gebhardt” zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus der Feder von Rolf-Dieter Müller. Es lohnt sich, über die Thesen des Wissenschaftlichen Direktors des MGFA zu streiten. Auch er legt das Schwergewicht auf die militärischen Aspekte, wobei er immer wieder kenntnisreich über den Zusammenhang von nationalsozialistischer Politik, Wirtschaft und Kriegsverlauf informiert. In seiner wichtigen Studie benennt er auch schonungslos die „Hungerpolitik” gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen als Teil der Besatzungs- und Vernichtungspolitik. Der Krieg öffnete die Schleusen für die rücksichtslose „Neuordnung” annektierter Gebiete.
Deutlicher als andere betont Müller die Entschlossenheit Winston Churchills im Kampf gegen Hitler, die ein „entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts” gewesen sei und das Überleben der westlichen Demokratien gesichert habe. Blass bleibt dagegen die Erfahrungsgeschichte des „kleines Mannes”, seine Prägungen und Erlebnisse, die Bedeutung von Gewalt und gruppenspezifischen Verhaltensmuster - Aspekte, die in letzter Zeit das Bild des Krieges deutlich erweitert haben. Ob tatsächlich „einiges” für die Annahme spricht, die Entscheidung Hitlers für die Ermordung der Juden sei nicht zuletzt durch die Atlantik-Charta vom August 1941 und das enge Bündnis von Churchill und Roosevelt mit beeinflusst worden, ist zumindest umstritten.
Da Müllers Arbeiten über apologetische Ausfälle erhaben sind, sind manche Formulierungen wohl einer gewissen Gedankenlosigkeit geschuldet. Die Soldaten des Ostheeres hätten auf dem „Schlachtfeld unvergleichliche Leistungen” vollbracht. Was sollte das sein? Wohl am ehesten die Beteiligung am Massenmord von Juden und Kriegsgefangenen und weniger militärische Husarenstücke. Und ob seine Behauptung zutrifft, dass in manchen Gebieten mehr Einheimische durch Partisanen ums Leben kamen als durch deutsche Soldaten, darf man bezweifeln. Ungewöhnlich sind die heftigen Attacken gegen die DDR-Weltkriegsgeschichte und alle jene Historiker im Westen, die der „sowjetischen Geschichtspropaganda” nicht getrotzt hätten. Dies und der Ost-West-Konflikt hätten dazu geführt, so Müller bedauernd, dass es bisher noch keine deutsche „Nationalgeschichte” des Zweiten Weltkriegs gibt. Sein Plädoyer ist umso unverständlicher, als es längst keinen Zweifel mehr geben kann, dass sich eine Geschichte des Zweiten Weltkrieges nicht mehr als Nationalgeschichte schreiben lässt - heute weniger denn je. Denn 60 Jahre nach Kriegsende gehören die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zum zentralen Fundament einer gerade entstehenden gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur.
Norbert Frei
1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen
C. H. Beck Verlag, München 2005.
224 Seiten, 19,90 Euro.
Rolf-Dieter Müller
Der Zweite Weltkrieg 1939-1945
Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 21. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 461 Seiten, 42 Euro.
Gerhard Schreiber
Kurze Geschichte des
Zweiten Weltkrieges
C. H. Beck-Verlag, München 2005.
221 Seiten, 14,90 Euro.
Jörg Echternkamp (Hrsg.)
Das Deutsche Reich
und der Zweite Weltkrieg
Band. 9, Erster Halbband: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Im Auftrag des Militärgeschicht-
lichen Forschungsamtes. DVA, München 2004. 993 Seiten, 49,80 Euro.
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Die Akzente in der Bewertung des Zweiten Weltkrieges beginnen sich zu verschieben - hin zu einer Konkurrenz der Opfer
Wie wohl Historiker in einigen Jahren den schier endlosen Erinnerungsmarathon zum 60. Jahrestag des Kriegsendes bewerten werden? Die bloße Menge an Dokumentationen, Kinofilmen und Zeitzeugen-Interviews sprengt alle publizistischen Rekorde. Kein Schlussstrich also - und doch beginnen sich die Akzente zu verändern. Nicht, dass vom Nationalsozialismus, seinen Profiteuren, Wegbereitern und „Vollstreckern” nicht mehr die Rede wäre. Doch sind die Stimmen derer lauter geworden, die sich - als Generation der Kriegskinder - selbst als Opfer des Krieges fühlen, Flucht und Vertreibung und die alliierten Bombardierungen brandmarken und nun, in die Jahre gekommen, deutlich nachsichtiger mit der Elterngeneration umgehen.
Vieles spricht dafür, dies als einen erinnerungskulturellen „Gezeitenwechsel” zu deuten, wie es der Jenaer Zeithistoriker Norbert Frei in einer lesenswerten Sammlung von zumeist schon andernorts publizierten Aufsätzen über den Nationalsozialismus und seine Nachgeschichte im „Bewusstsein der Deutschen” vorschlägt. Dazu zählt auch der „Abschied von der Zeitgenossenschaft” - das langsame Verstummen der Zeitzeugen, von Opfern, Tätern und Mitläufern und die daraus entstehende neue Debatte über den Stellenwert des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte, einem neuen „Zeitalter der Opferkonkurrenz”. Frei richtet seinen Blick auf die Bindekraft des Dritten
Reiches und die vergangenheitspolitischen Schlachten der jungen Bundesrepublik: auf die schwierige juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und den langen Weg, bis Widerstandskämpfer nicht mehr als „Vaterlandsverräter” denunziert wurden. Seine elegant formulierten Analysen zeigen eindringlich, wie elementar ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstein für den Abbau kollektiver Mythen ist - wozu die langlebige Vorstellung vieler Deutscher gehört, selbst das „erste Opfer” Hitlers gewesen zu sein.
Wie unterschiedlich die Erfahrungen des Krieges jedoch sein können, zeigt der neue Band des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA). Die Zeitgeschichte hat lange gebraucht, das Spannungsverhältnis von „innerer” und „äußerer” Front, von Gesellschaft und Regime im Krieg und die Bedeutung der aggressiven Expansionspolitik für die Funktionsweise des Dritten Reiches zu beleuchten. Insofern leistet der Band Vorbildliches, weil er unterschiedliche Perspektiven miteinander verbindet: die Dynamik und Radikalisierung des Krieges, die Mobilisierung aller Ressourcen; die Kontinuität und Veränderungen der Denk- und Verhaltensmuster seit dem Ersten Weltkrieg und die zunehmende Entgrenzung der Gewalt als wesentliches Element der deutschen Kriegsgesellschaft - ein Aspekt, der bei vielen Bombardierungs-Gedenkfeiern allzu leicht in Vergessenheit gerät. Die „Heimatfront” war nicht so „zivil”, wie sie viele Legenden zeichnen.
Mit zunehmender Kriegsdauer wurde gerade in den vom Luftkrieg massiv betroffenen Städten deutlich, wie eng verflochten nationalsozialistische Fürsorge und Vernichtung waren. Zuerst traf es die Juden, dann kamen Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene hinzu, die unter Einsatz ihres Lebens Trümmer und Bombenblindgänger beseitigen mussten und gezwungen waren, die Rüstungsproduktion am Laufen zu halten. Alte, Kranke und Schwache gerieten in das Räderwerk der Vernichtung. Die Geschichte der deutschen Kriegsgesellschaft war, wie der Band zeigt, eine Geschichte von wachsendem Terror und innerem Vernichtungswillen.
Die NSDAP spielte für die Mobilisierung und lang währende Loyalität der Bevölkerung eine zentrale Rolle, wie der besonders gelungene Beitrag von Armin Nolzen deutlich macht. Kurz vor Kriegsende erreichte die Mitgliederzahl knapp neun Millionen. Das waren keineswegs alles Zwangsmitgliedschaften. Es ging auch um die Chance zum persönlichen Aufstieg, zur Teilhabe an politischer Macht - im kleinen wie großen. Während des Krieges dehnte die Partei ihren Herrschaftsbereich immer weiter aus. Nolzen zeigt diesen Prozess „volksgemeinschaftlicher” Integration, der auf der Basis antijüdischer Ausgrenzung basierte, äußerst anschaulich.
Gerhard Schreiber und Rolf-Dieter Müller, beides ausgewiesene Kenner der deutschen Militärgeschichte, setzten einen anderen Schwerpunkt. Schreibers „Kurze Geschichte des Zweiten Weltkrieges” geht auf ein vor einigen Jahren veröffentlichtes Buch zurück und konzentriert sich ganz auf die militärische Ereignisgeschichte - eine äußerst konventionelle Art der Kriegsgeschichte, zudem sehr spröde geschrieben. In seinen Urteilen ist Schreiber aber erfreulich klar, wenn er etwa über den Vernichtungskrieg feststellt: „Ohne Duldung, auch Gutheißen des Genozids durch die, im weiteren Sinn des Worts verstanden, Wehrmachtsführung wäre der Völkermord nicht möglich gewesen.”
Von anderem Gewicht ist der neue „Gebhardt” zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus der Feder von Rolf-Dieter Müller. Es lohnt sich, über die Thesen des Wissenschaftlichen Direktors des MGFA zu streiten. Auch er legt das Schwergewicht auf die militärischen Aspekte, wobei er immer wieder kenntnisreich über den Zusammenhang von nationalsozialistischer Politik, Wirtschaft und Kriegsverlauf informiert. In seiner wichtigen Studie benennt er auch schonungslos die „Hungerpolitik” gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen als Teil der Besatzungs- und Vernichtungspolitik. Der Krieg öffnete die Schleusen für die rücksichtslose „Neuordnung” annektierter Gebiete.
Deutlicher als andere betont Müller die Entschlossenheit Winston Churchills im Kampf gegen Hitler, die ein „entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts” gewesen sei und das Überleben der westlichen Demokratien gesichert habe. Blass bleibt dagegen die Erfahrungsgeschichte des „kleines Mannes”, seine Prägungen und Erlebnisse, die Bedeutung von Gewalt und gruppenspezifischen Verhaltensmuster - Aspekte, die in letzter Zeit das Bild des Krieges deutlich erweitert haben. Ob tatsächlich „einiges” für die Annahme spricht, die Entscheidung Hitlers für die Ermordung der Juden sei nicht zuletzt durch die Atlantik-Charta vom August 1941 und das enge Bündnis von Churchill und Roosevelt mit beeinflusst worden, ist zumindest umstritten.
Da Müllers Arbeiten über apologetische Ausfälle erhaben sind, sind manche Formulierungen wohl einer gewissen Gedankenlosigkeit geschuldet. Die Soldaten des Ostheeres hätten auf dem „Schlachtfeld unvergleichliche Leistungen” vollbracht. Was sollte das sein? Wohl am ehesten die Beteiligung am Massenmord von Juden und Kriegsgefangenen und weniger militärische Husarenstücke. Und ob seine Behauptung zutrifft, dass in manchen Gebieten mehr Einheimische durch Partisanen ums Leben kamen als durch deutsche Soldaten, darf man bezweifeln. Ungewöhnlich sind die heftigen Attacken gegen die DDR-Weltkriegsgeschichte und alle jene Historiker im Westen, die der „sowjetischen Geschichtspropaganda” nicht getrotzt hätten. Dies und der Ost-West-Konflikt hätten dazu geführt, so Müller bedauernd, dass es bisher noch keine deutsche „Nationalgeschichte” des Zweiten Weltkriegs gibt. Sein Plädoyer ist umso unverständlicher, als es längst keinen Zweifel mehr geben kann, dass sich eine Geschichte des Zweiten Weltkrieges nicht mehr als Nationalgeschichte schreiben lässt - heute weniger denn je. Denn 60 Jahre nach Kriegsende gehören die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zum zentralen Fundament einer gerade entstehenden gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur.
Norbert Frei
1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen
C. H. Beck Verlag, München 2005.
224 Seiten, 19,90 Euro.
Rolf-Dieter Müller
Der Zweite Weltkrieg 1939-1945
Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 21. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 461 Seiten, 42 Euro.
Gerhard Schreiber
Kurze Geschichte des
Zweiten Weltkrieges
C. H. Beck-Verlag, München 2005.
221 Seiten, 14,90 Euro.
Jörg Echternkamp (Hrsg.)
Das Deutsche Reich
und der Zweite Weltkrieg
Band. 9, Erster Halbband: Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Im Auftrag des Militärgeschicht-
lichen Forschungsamtes. DVA, München 2004. 993 Seiten, 49,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Lesenswert" findet Dietmar Süß diesen Band, der eine Reihe von zumeist schon andernorts veröffentlichten Aufsätzen des Zeithistorikers Norbert Frei über den Nationalsozialismus und seine Nachgeschichte im "Bewusstsein der Deutschen" versammelt. Frei diagnostiziere einen erinnerungskulturellen "Gezeitenwechsel", zu dem etwa der "Abschied der Zeitgenossen" - das langsame Verstummen von Zeitzeugen, Opfern, Tätern und Mitläufern - zähle, oder die Debatte über den Stellenwert des Nationalsozialismus für die Deutsche Geschichte. Auch richte Frei seinen Blick mit der Bindekraft des Dritten Reichs und befasse sich mit den vergangenheitspolitischen Schlachten in der jungen Bundesrepublik, etwa die schwierige juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Süß? resümiert: "Freis elegant formulierten Analysen zeigen eindringlich, wie elementar ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein für den Abbau kollektiver Mythen ist."
© Perlentaucher Medien GmbH
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