1956 war eines der außergewöhnlichsten Jahre des 20. Jahrhunderts: Rund um den Globus erhoben die Menschen ihre Stimmen, um »Freiheit« zu fordern. Simon Hall schildert die turbulenten Ereignisse dieses Jahres und entfaltet zugleich das große Panorama einer Zeitenwende.
Wie 1789 und 1848 war das Jahr 1956 ein Jahr revolutionärer Umbrüche, das die Welt von Grund auf veränderte. Wichtige Ereignisse waren beispielsweise:
-In Montgomery (Alabama) erzwingen schwarze Amerikaner unter Martin Luther King die Aufhebung der Rassentrennung.
-20. Parteitag der KPdSU: Geheimrede Chruschtschows, die mit ihrer Kritik an Stalin die Einheit des Ostblocks gefährdete.
-Suez-Krise: britisch-französisch-israelischer Angriff auf Ägypten
-Tunesien und Marokko werden in die Unabhängigkeit entlassen
-Kampf gegen die Apartheid in Südafrika: Die Freiheits-Charta für ein nichtrassistisches demokratisches Südafrika wird verabschiedet.
-Die Jugend rebelliert gegen überkommene Werte, neue Formen der Jugendkultur entstehen; Rock'n'Roll spaltet die Generationen.
-Freiheitsbewegungen im Ostblock: der polnische »Frühling im Oktober« (Generalstreik in Posen)
-Ungarnaufstand (23. Oktober Beginn der revolutionären Unruhen in Ungarn, 4./11. November: Niederschlagung durch Sowjettruppen)
-Landung der Rebellen unter Fidel Castro und Che Guevara auf Kuba
Wie 1789 und 1848 war das Jahr 1956 ein Jahr revolutionärer Umbrüche, das die Welt von Grund auf veränderte. Wichtige Ereignisse waren beispielsweise:
-In Montgomery (Alabama) erzwingen schwarze Amerikaner unter Martin Luther King die Aufhebung der Rassentrennung.
-20. Parteitag der KPdSU: Geheimrede Chruschtschows, die mit ihrer Kritik an Stalin die Einheit des Ostblocks gefährdete.
-Suez-Krise: britisch-französisch-israelischer Angriff auf Ägypten
-Tunesien und Marokko werden in die Unabhängigkeit entlassen
-Kampf gegen die Apartheid in Südafrika: Die Freiheits-Charta für ein nichtrassistisches demokratisches Südafrika wird verabschiedet.
-Die Jugend rebelliert gegen überkommene Werte, neue Formen der Jugendkultur entstehen; Rock'n'Roll spaltet die Generationen.
-Freiheitsbewegungen im Ostblock: der polnische »Frühling im Oktober« (Generalstreik in Posen)
-Ungarnaufstand (23. Oktober Beginn der revolutionären Unruhen in Ungarn, 4./11. November: Niederschlagung durch Sowjettruppen)
-Landung der Rebellen unter Fidel Castro und Che Guevara auf Kuba
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etikettenschwindel!, ruft Rainer Stephan angesichts von Simon Halls Versuch, mit dem Jahr 1956 ein bisher unerkanntes Revolutionsjahr zu etablieren. Mag ja stimmen, meint Stephan, dass Elvis und Martin Luther King die Massen mobilisierten, dass Tunesien und Marokko unabhängig wurden und Algerien seine blutigste Zeit erlebte, dass Chruschtschow mit dem Stalinkult brach und Nasser sein Ägypten von westlichen Einflüssen zu befreien versuchte. Und? Nicht nur, dass viele Ereignisse des Jahres lange vorher vorbereitet wurden, der Rezensent kann vor allem keine Chronologie oder einen sonstigen Zusammenhang dieser Aufbruchsmomente erkennen. Eben dies aber scheint der britische Historiker suggerieren zu wollen, meint Stephan. Belege für diesen Kontext kann der Rezensent im Buch allerdings beim besten Willen nicht entdecken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2016Geschichtsklettern mit Bergführer
Sind so viele Epochenbrüche: Ein jedes Jahr findet neuerdings seinen Chronisten. Der Engländer Simon Hall hat sich jetzt 1956 vorgenommen. Was bringt seine flotte Ereignissammlung?
Man muss ja nicht gleich wieder von einem "turn" sprechen, aber dass die Annalistik, die frühste Form römischer Geschichtsschreibung, in letzter Zeit eine erstaunliche Renaissance erfährt, ist doch auffällig. Immer mehr Kunstausstellungen, Abendvorträge und Buchpublikationen widmen sich der Historie eines spezifischen Jahres, machen neue Wendepunkte oder bisher vernachlässigte Epochenbrüche aus und schicken sich an, weitverzweigte strukturelle Entwicklungen zu einem ereignisgeschichtlichen Höhepunkt zu führen.
Florian Illies' Jahrhundertsommer-Buch "1913" stellt dabei nur den hierzulande bekanntesten Aushänger einer wahren Fülle von "Jahresbüchern" dar. Vor allem im englischsprachigen Raum ist hier innerhalb der Populärwissenschaft eine neue, kommerziellen Erfolg versprechende Sparte entstanden. Das "Times Literary Supplement" listete kürzlich knapp zwanzig Neuerscheinungen auf, die eine Jahreszahl im Titel führen - das Spektrum reichte von "1492 - The Year our World Began" bis zu "1995. The Year the Future began".
An den Mahnruf eines Antonio Gramsci, als Historiker nicht den Eindruck zu vermitteln, bestimmte Jahre seien "wie Berge, über die sich die Menschheit hinwegbewegen musste, um sich dann in einer neuen Welt zu finden", denkt anscheinend niemand mehr. Auch Simon Hall nicht, dessen Buch "1956. Welt im Aufstand" jetzt auf Deutsch erscheint und nichts anderes tut als ebendas: einen künstlichen Epochenberg aufschütten, um sich dann selbst als kundiger Führer für eine Besteigung anzubieten.
Es ist, zugegeben, tatsächlich ein sehr aufregender Gang, den man unter Halls Führung unternimmt, reich an waghalsigen Klippensprüngen und überraschenden Panoramablicken. Alles beginnt in Montgomery, Alabama, mit einer explodierten Dynamitstange auf der Veranda des Reihenhauses von Martin Luther King und dem berühmten Busboykott als emblematische Protestgeste gegen die andauernde Rassentrennung in den Südstaaten. Der Kampf gegen die weiße Vorherrschaft, ihre selbstgerechte Arroganz und Machtgier ist getrieben von einer wilden Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit. Weltweit ergreift sie 1956 die Herzen. Und fordert in der Folge auch eine Unzahl von Opfern.
In Algerien wütet die antikoloniale Gewalt am grausamsten. Nationalistische Terrorattacken gegen französische Siedler werden mit gnadenlosen Vergeltungsaktionen des Militärs beantwortet. Babys werden an die Wand geschleudert, Leichen verstümmelt, Verräter gelyncht. Die einen wollen das Land um jeden Preis vom Makel der Fremdherrschaft befreien, die anderen streiten erbittert darum, ihre Machtstellung zu behaupten.
Das Schema wiederholt sich, nicht nur in den britischen Kolonien Ghana und Zypern, sondern auch in den Satellitenstaaten der Sowjetunion. Nach Chruschtschows berühmter "Geheimrede" im Februar 1956, in der die Schrecken des Stalin-Regimes erstmals publik werden, bricht eine Welle des antisowjetischen Widerstandes los. Erst in Polen, mit der "Posener Revolte" hungriger Metallarbeiter, dann in Ungarn, wo sich aus den Versammlungen des legendären Petöfi-Kreises der bedrohlichste Aufstand gegen das Regime entwickelt. Tausende Zivilisten sterben, als sowjetische Panzer in Budapest das Feuer eröffnen und die Revolution blutig niederschlagen. Aus der Menschheitsvision Kommunismus wird ein Albtraum, der sich auch vom sozialromantischen Freiheitskampf eines Fidel Castro nicht mehr vertreiben lässt.
Mit Nelson Mandela und der Suez-Krise als weitere schillernde Paradigmata des antikolonialen Widerstandes beschließt Hall seinen rastlosen Aufstieg. Und lässt seinen Leser dann ohne viel einordnende Zusammenfassung erschöpft auf dem Epochengipfel zurück. Keine großen Thesen, keine gewagten Urteile, nur dichte Beschreibung, gepaart mit einem fast schon antiquarischen Ehrgeiz der Detailsammlung. Einzig der überall ausbrechende "Aufstand" bindet die einzelnen Kapitel als blutroter Faden aneinander.
Es ist ein durch und durch politikgeschichtliches Buch, das Simon Hall geschrieben hat. Ein kurzes Kapitel über Elvis und die revolutionäre Kraft des Rock 'n' Roll fällt ebenso aus dem Rahmen wie einige pseudopsychologische Einlassungen über das "Gefühl der Zeitgenossen selbst, in einer bedeutungsschweren Zeit zu leben". Hall, der an der University of Leeds amerikanische Geschichte lehrt, liefert nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine erzählerisch hochwertige Form von weltchronologischer Betrachtung. Dass sie "lückenlos" sei, wie der Autor im Prolog ankündigt, ist wohl dem branchenüblichen Werbejargon geschuldet, in dem die historischen Bergführer um ihre Kundschaft werben.
Dass die Konkurrenz hier groß ist, lässt sich auch daran ablesen, wie eifrig Hall darum bemüht ist, sein eigenes Jahr gegenüber dem dominierenden Marktführer, dem "sehr lautstark" angepriesenen Revoltenjahr 1968, in Stellung zu bringen. Auch innerhalb der neo-annalistischen Geschichtsschreibung ist also der Flügelkampf schon ausgebrochen. Zum "turn" wird es daher wohl nicht reichen, aber zu ein paar mitreißenden Lesestunden durchaus.
SIMON STRAUSS
Simon Hall: "1956". Welt im Aufstand.
Aus dem Englischen von
Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016.
479 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sind so viele Epochenbrüche: Ein jedes Jahr findet neuerdings seinen Chronisten. Der Engländer Simon Hall hat sich jetzt 1956 vorgenommen. Was bringt seine flotte Ereignissammlung?
Man muss ja nicht gleich wieder von einem "turn" sprechen, aber dass die Annalistik, die frühste Form römischer Geschichtsschreibung, in letzter Zeit eine erstaunliche Renaissance erfährt, ist doch auffällig. Immer mehr Kunstausstellungen, Abendvorträge und Buchpublikationen widmen sich der Historie eines spezifischen Jahres, machen neue Wendepunkte oder bisher vernachlässigte Epochenbrüche aus und schicken sich an, weitverzweigte strukturelle Entwicklungen zu einem ereignisgeschichtlichen Höhepunkt zu führen.
Florian Illies' Jahrhundertsommer-Buch "1913" stellt dabei nur den hierzulande bekanntesten Aushänger einer wahren Fülle von "Jahresbüchern" dar. Vor allem im englischsprachigen Raum ist hier innerhalb der Populärwissenschaft eine neue, kommerziellen Erfolg versprechende Sparte entstanden. Das "Times Literary Supplement" listete kürzlich knapp zwanzig Neuerscheinungen auf, die eine Jahreszahl im Titel führen - das Spektrum reichte von "1492 - The Year our World Began" bis zu "1995. The Year the Future began".
An den Mahnruf eines Antonio Gramsci, als Historiker nicht den Eindruck zu vermitteln, bestimmte Jahre seien "wie Berge, über die sich die Menschheit hinwegbewegen musste, um sich dann in einer neuen Welt zu finden", denkt anscheinend niemand mehr. Auch Simon Hall nicht, dessen Buch "1956. Welt im Aufstand" jetzt auf Deutsch erscheint und nichts anderes tut als ebendas: einen künstlichen Epochenberg aufschütten, um sich dann selbst als kundiger Führer für eine Besteigung anzubieten.
Es ist, zugegeben, tatsächlich ein sehr aufregender Gang, den man unter Halls Führung unternimmt, reich an waghalsigen Klippensprüngen und überraschenden Panoramablicken. Alles beginnt in Montgomery, Alabama, mit einer explodierten Dynamitstange auf der Veranda des Reihenhauses von Martin Luther King und dem berühmten Busboykott als emblematische Protestgeste gegen die andauernde Rassentrennung in den Südstaaten. Der Kampf gegen die weiße Vorherrschaft, ihre selbstgerechte Arroganz und Machtgier ist getrieben von einer wilden Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit. Weltweit ergreift sie 1956 die Herzen. Und fordert in der Folge auch eine Unzahl von Opfern.
In Algerien wütet die antikoloniale Gewalt am grausamsten. Nationalistische Terrorattacken gegen französische Siedler werden mit gnadenlosen Vergeltungsaktionen des Militärs beantwortet. Babys werden an die Wand geschleudert, Leichen verstümmelt, Verräter gelyncht. Die einen wollen das Land um jeden Preis vom Makel der Fremdherrschaft befreien, die anderen streiten erbittert darum, ihre Machtstellung zu behaupten.
Das Schema wiederholt sich, nicht nur in den britischen Kolonien Ghana und Zypern, sondern auch in den Satellitenstaaten der Sowjetunion. Nach Chruschtschows berühmter "Geheimrede" im Februar 1956, in der die Schrecken des Stalin-Regimes erstmals publik werden, bricht eine Welle des antisowjetischen Widerstandes los. Erst in Polen, mit der "Posener Revolte" hungriger Metallarbeiter, dann in Ungarn, wo sich aus den Versammlungen des legendären Petöfi-Kreises der bedrohlichste Aufstand gegen das Regime entwickelt. Tausende Zivilisten sterben, als sowjetische Panzer in Budapest das Feuer eröffnen und die Revolution blutig niederschlagen. Aus der Menschheitsvision Kommunismus wird ein Albtraum, der sich auch vom sozialromantischen Freiheitskampf eines Fidel Castro nicht mehr vertreiben lässt.
Mit Nelson Mandela und der Suez-Krise als weitere schillernde Paradigmata des antikolonialen Widerstandes beschließt Hall seinen rastlosen Aufstieg. Und lässt seinen Leser dann ohne viel einordnende Zusammenfassung erschöpft auf dem Epochengipfel zurück. Keine großen Thesen, keine gewagten Urteile, nur dichte Beschreibung, gepaart mit einem fast schon antiquarischen Ehrgeiz der Detailsammlung. Einzig der überall ausbrechende "Aufstand" bindet die einzelnen Kapitel als blutroter Faden aneinander.
Es ist ein durch und durch politikgeschichtliches Buch, das Simon Hall geschrieben hat. Ein kurzes Kapitel über Elvis und die revolutionäre Kraft des Rock 'n' Roll fällt ebenso aus dem Rahmen wie einige pseudopsychologische Einlassungen über das "Gefühl der Zeitgenossen selbst, in einer bedeutungsschweren Zeit zu leben". Hall, der an der University of Leeds amerikanische Geschichte lehrt, liefert nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine erzählerisch hochwertige Form von weltchronologischer Betrachtung. Dass sie "lückenlos" sei, wie der Autor im Prolog ankündigt, ist wohl dem branchenüblichen Werbejargon geschuldet, in dem die historischen Bergführer um ihre Kundschaft werben.
Dass die Konkurrenz hier groß ist, lässt sich auch daran ablesen, wie eifrig Hall darum bemüht ist, sein eigenes Jahr gegenüber dem dominierenden Marktführer, dem "sehr lautstark" angepriesenen Revoltenjahr 1968, in Stellung zu bringen. Auch innerhalb der neo-annalistischen Geschichtsschreibung ist also der Flügelkampf schon ausgebrochen. Zum "turn" wird es daher wohl nicht reichen, aber zu ein paar mitreißenden Lesestunden durchaus.
SIMON STRAUSS
Simon Hall: "1956". Welt im Aufstand.
Aus dem Englischen von
Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016.
479 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Der Historiker Simon Hall ist ein glänzender Erzähler, der es immer wieder aufs Neue versteht, einzelne dramatische Episoden in den Gang der Ereignisse einzuordnen und mit erhellenden Rück- und Ausblicken zu erklären... Mitreissend erzählt und analysiert.« Kathrin Meier-Rust, NZZ Bücher am Sonntag, 27.3.2016 »Hall versteht es, mit seinem dichten, packenden Stil den Leser in den Bann der nach Art einer von Einzelreportagen komponierten Gesamterzählung zu sieben.« Ulrich Schlie, Der Tagesspiegel, 6.4.2016 »Ein sehr aufregender Gang, ... reich an waghalsigen Klippensprüngen und überraschenden Panoramablicken.« Simon Strauss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.3.2016 »1956 ... hatte es in sich, wie man nach Lektüre dieses fantastischen Buchs weiß ... Der britische Historiker Simon Hall hat all diese Wendepunkte gekonnt zusammengefasst und eingeordnet. Und er zeigt damit, dass sich ein Blick in die Vergangenheit lohnt, um die Gegenwart besser zu verstehen.« Oberösterreichische Nachrichten, 12.11.2016 »All dieses vielschichtige, vielfältige und übergreifende Geschehen in der Welt ... erzählt Hall in einer klaren, verständlichen Sprache. Und das tut er auch noch ausgesprochen spannend - wie Geschichte eben sein kann.« Burkhard Bischof, Die Presse, 19.11.2016 »Eine sehr kurzweilige historische Handreichung, um auch in die Hintergründe der heutigen Zeit einzudringen.« Wolfgang Schütz, Augsburger Allgemeine, 9.3.2016 »Wer sich für Globalgeschichte interessiert oder sich einen Überblick über die politischen und sozialen Konflikte, die aus Weltkriegen und Kolonialismus entstanden waren, verschaffen will, dem sei das Buch sehr empfohlen.« Militärgeschichte, Dezember 2016