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Unter den Neuerscheinungen zu 1968 wird diese Bilanz eines gesellschaftlichen Aufbruchs gleichzeitig eine der persönlichsten und eine der kritischsten sein. Persönlich, weil nicht nur die Sicht der Autorin, sondern auch ihre von heutiger Warte aus bisweilen bizarren Erlebnisse zum Tragen kommen. Kritisch, weil sie, obwohl so mitten im Geschehen, immer die zwar sympathisierende, aber eben auch distanzgeprägte Sicht auf eine dann doch "fremde" Gesellschaft behält. Auf dieser Grundlage gelingt es ihr, die bleibenden "Erfolge", "Errungenschaften", "Botschaften" der mittlerweile historischen 68er…mehr

Produktbeschreibung
Unter den Neuerscheinungen zu 1968 wird diese Bilanz eines gesellschaftlichen Aufbruchs gleichzeitig eine der persönlichsten und eine der kritischsten sein. Persönlich, weil nicht nur die Sicht der Autorin, sondern auch ihre von heutiger Warte aus bisweilen bizarren Erlebnisse zum Tragen kommen. Kritisch, weil sie, obwohl so mitten im Geschehen, immer die zwar sympathisierende, aber eben auch distanzgeprägte Sicht auf eine dann doch "fremde" Gesellschaft behält. Auf dieser Grundlage gelingt es ihr, die bleibenden "Erfolge", "Errungenschaften", "Botschaften" der mittlerweile historischen 68er zu vermitteln, die weit über das hinausgehen, was in der Zeit selbst im engeren Sinne politisch verhandelt wurde.
Autorenporträt
Gretchen Dutschke ist gebürtige Amerikanerin und ging für ihr Theologiestudium nach Deutschland, wo sie im Sommer 1964 ihren späteren Mann, Rudi Dutschke, kennenlernte. Zusammen mit ihm, einem der führenden Sprecher der bundesrepublikanischen Studentenbewegung, hat sie den Aufbruch der sogenannten 68er aktiv miterlebt. Nach dem Attentat im Jahr 1968, das Rudi Dutschke nur knapp überlebte, begann für das Paar eine jahrelange Odyssee durch halb Europa. In Dänemark ließen sie sich schließlich nieder, wo Gretchen Dutschke - wie auch ihr Mann - an der Universität Aarhus einen Lehrauftrag übernahm. Nach dem frühen Tod ihres Mannes, der eine Spätfolge des Attentats war, kehrte sie 1985 zunächst in die USA zurück, ging dann für einige Zeit nach Vietnam und kam 2009 nach Deutschland zurück. Gretchen Dutschke hat drei Kinder und lebt heute in Berlin-Friedrichshain.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2018

Exzentrisch, exzessiv, erfolgreich
Gretchen Dutschkes neues Buch ist eine Mischung aus ihrer eigenen Biografie und dem Versuch, zu erklären, was 50 Jahre nach der Revolte bleibt
Der ursprünglich vom Verlag geplante Untertitel löste bei Gretchen Dutschke-Klotz Kopfschütteln aus: „Die wunderbar schrecklichen 68er“ sollte ihr Werk heißen, aber da war es auch noch als Gesprächsbuch geplant. Schließlich wurde das Manuskript, wie sie sagt, um „dreiviertel gekürzt“, – und die jetzt 76-Jährige setzte sich auch mit einem neuen Titel durch: „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“ prangt nun auf dem Buch.
Allerdings in einem schwarz-rot-goldenem Einband, was für stramm internationalistische Linke irritierend wirken mag. Doch die Witwe des 1979 verstorbenen Wortführers der Studentenrebellion provoziert bewusst mit dem Wort „stolz“ als auch mit der Farbgebung: 50 Jahre nach der Studentenrevolte interpretiert die gebürtige Amerikanerin 1968 als „Vollendung jener Demokratisierung in allen Lebensbereichen, die mit der bürgerlichen Revolution von 1848 begonnen hatte, dann aber allzu rasch an den Machtverhältnissen scheiterte“. Eine wirkliche Revolution blieb auch 120 Jahre später aus, doch heute deutet sie den kurzen Kampf ihrer Generation als „antiautoritäre Kulturrevolution“, die letztendlich die bundesdeutsche Gesellschaft weltoffener, toleranter und demokratischer gemacht habe. „Stolz“ sei sie auch deshalb auf dieses Deutschland, weil es sich radikal seiner Nazivergangenheit gestellt und Lehren gezogen habe. Dies führte zu einer liberalen „Erfolgsgeschichte“, „die ihresgleichen sucht“.
Gretchen Dutschke hat ein wunderbares, manchmal schrecklich offenes Buch aus der Perspektive der Frau des prominentesten Studentenführers geschrieben. Im Gegensatz zu ihrem 522-Seiten-Wälzer „Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben“ (Kiepenheuer und Witsch) aus dem Jahr 1996 geht es hier mehr um die Bewegung – die sich freilich nicht von ihrer Autobiografie trennen lässt – statt nur um Rudi. Es ist eine Mischung aus ihrer eigenen Biografie und dem Versuch zu erklären, was bleibt.
Dieser letzte Punkt ist leider etwas dünn geblieben, aber auch schon die 68er blieben in dem, was sie wollten („Seid realistisch – verlangt das Unmögliche“) schwammig und vage. Selbst Rudi Dutschke und der mit ihm eng befreundete Frankfurter SDS-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl entwickelten nie eine konkrete Alternative zum kapitalistischen System und dem Staatssozialismus des inzwischen untergegangenen Ostblocks. Allerdings sucht man ja auch keine staatstheoretischen Abhandlungen bei der Frau, die seit ein paar Jahren wieder in Berlin lebt, der Stadt, in der ihre „persönliche Geschichte mit der deutschen aufs engste verbunden“ ist.
Tatsächlich haben der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und die Schüsse auf ihren Mann am 11. April 1968 „eine ganze Generation politisiert“ und auch viele radikalisiert, bis zur RAF. Doch manches, wie etwa die damalige Kritik an einer „Fachidiotenausbildung“ für Lehrer „ohne Raum für gesellschaftkritische Kritik“, liest sich angesichts eines heute völlig verschulten Studiums seltsam aktuell. Oder die damalige Kritik an der „Systempresse“ (gemeint waren Springer-Publikationen) angesichts von Fake News und „Lügenpresse“. Oder die billigen Kopien des APO-Erfolgskonzepts durch Pegida und die rechten „Identitären“ – „kleine Anlässe, große Wirkung“: „Provokation ist Teil der Alltags- und Popkultur geworden, mit der man, siehe Lady Gaga, sogar viel Geld verdienen kann.“
Gar nicht so gewagt hingegen ist ihre These, dass die Kommunarden Fritz Teufel und Rainer Langhans heute wohl „YouTube-Stars“ wären. Herrlich auch ihre Erinnerungen an den durchgeknallten Pascha Dieter Kunzelmann („Was geht mich Vietnam an, ich habe Orgasmusschwierigkeiten“.)
Was also bleibt? „Der Bruch mit der Kultur des Gehorsams“, die deutsche Frauenbewegung, die Kinderläden und ein breites links-alternatives Milieu, aus dem freilich auch ein linkes Biedermeiertum erwachsen ist, meint Gretchen Dutschke. Ihr Buch ist auch als Plädoyer gegen all die Dobrindts zu lesen, die von einer „linke Meinungsvorherrschaft“ menetekeln und eine „konservative Revolution“ beschwören. Oder gegen die Meuthens, die über ein
angeblich „links-rot-grün verseuchtes 68er-Deutschland“ ätzen – und dabei geflissentlich übersehen, dass für den von
ihnen zitierten Sittenverfall und Werteverlust letztendlich die Nazis mit ihren monströsen Verbrechen verantwortlich sind. Aber doch nicht die, die sich, trotz Irrungen und Wirrungen, 20 Jahre nach Kriegsende an einer wirklich demokratisch
verfassten Gesellschaft versuchten und verankerten.
Die „APO-Omas und Opas“, schreibt Dutschke, haben auf „ihre gewiss sehr exzentrische und zuweilen exzessive Art“ Courage und Mut bewiesen sowie sich des eigenen Verstandes bedient – um aufzubegehren. „Die Kritik der 68er an dem globalen Wirtschaftssystem bleibt gültig, auch wenn das Ziel nach all den historischen
Erfahrungen nicht mehr Sozialismus heißen muss.“ Gretchen Dutschke, inzwischen mehrfache Großmutter, schließt mit einem Appell: „Jetzt sind die Jungen dran!“
LARS LANGENAU
Gretchen Dutschke:
1968. Worauf wir stolz
sein dürfen. Kursbuch Edition Hamburg 2018,
227 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
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