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1984. Aomame hat zwei verschieden große Ohren. Beim Rendezvous mit einem reichen Ölhändler zückt sie eine Nadel und ersticht ihn - ein Auftragsmord, um altes Unrecht zu sühnen. Tengo ist Hobby-Schriftsteller. Er soll einen Roman der exzentrischen 17-jährigen Fukaeri überarbeiten, damit sie einen Literaturpreis bekommt. Der Text ist äußerst originell, aber schlecht geschrieben - ein riskanter Auftrag. Aomame wundert sich, warum die Nachrichten ihren Mord nicht melden. Ist sie in eine Parallelwelt geraten? Um diese Sphäre vom gewöhnlichen Leben im Jahr 1984 zu unterscheiden, gibt Aomame der neuen, unheimlichen Welt den Namen 1Q84.…mehr

Produktbeschreibung
1984. Aomame hat zwei verschieden große Ohren. Beim Rendezvous mit einem reichen Ölhändler zückt sie eine Nadel und ersticht ihn - ein Auftragsmord, um altes Unrecht zu sühnen. Tengo ist Hobby-Schriftsteller. Er soll einen Roman der exzentrischen 17-jährigen Fukaeri überarbeiten, damit sie einen Literaturpreis bekommt. Der Text ist äußerst originell, aber schlecht geschrieben - ein riskanter Auftrag. Aomame wundert sich, warum die Nachrichten ihren Mord nicht melden. Ist sie in eine Parallelwelt geraten? Um diese Sphäre vom gewöhnlichen Leben im Jahr 1984 zu unterscheiden, gibt Aomame der neuen, unheimlichen Welt den Namen 1Q84.
Autorenporträt
Haruki Murakami
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2011

Unser Schicksal lauert im Untergrund

Von der einen Realität in die andere nehmen Sie am besten die Autobahn: Haruki Murakamis vorläufiger Abschluss seines gewaltigen Romanprojekts "1Q84".

In seiner japanischen Heimat bezeichnet man Haruki Murakami (nicht immer freundlich) als den westlichsten unter den einheimischen Literaten. Und bei uns gilt der Autor zwar als Exot, aber als einer, der uns die enigmatische japanische Kultur zugänglich macht. Beides ist ein Irrtum, allerdings jeweils ein hochproduktiver. Er führt diesen Büchern Leser zu, die sich ansonsten wohl hätten abschrecken lassen: in Japan die Avantgardisten, im Westen die Traditionalisten.

Nehmen wir als Beispiel Murakamis neuestes Buch: den dritten Teil von "1Q84", seines gewaltigen Romanzyklus, dessen erste beide Teile genau vor einem Jahr zu einem Band zusammengefasst auf Deutsch erschienen sind (F.A.Z. vom 16. Oktober 2010). Darin zieht Murakami in der Tat alle Register dessen, was man gern postmodernes Erzählen nennt - nicht zuletzt dadurch, dass "1Q84" auch die Geschichte seiner eigenen Entstehung als Roman im Roman ist. Aber die angeblich westlich beeinflusste Multifokussierung von Fiktion ist in der japanischen Literatur ein altes Prinzip. Man denke nur an das Gründungswerk epischen Erzählens in Japan, das "Heike Monogatari", jene im vierzehnten Jahrhundert niedergeschriebene Schilderung des Kampfs zwischen den historischen Clans der Taira und Minamoto. Darin wird - als ein buddhistisches Erfordernis - die Rezeption des Erzählten von den Figuren bereits mitgedacht: Sie arbeiten am Mythos ihrer selbst. Nichts anderes tun Murakamis Figuren, zumal in "1Q84".

Und was lehrt dieser Riesenroman über Japan und die Japaner? Nichts Konkretes, denn Murakami siedelt das Geschehen in einer Parallelwelt an, die von seiner Protagonistin Masami Aomame mit "1Q84" bezeichnet wird - Q steht darin für "question mark", Fragezeichen, ist aber im Japanischen auch homonym zum Zahlwort "9". Durch das Verlassen des realen Tokio des Jahres 1984, das Aomame unfreiwillig dadurch vollzieht, dass sie eines Tages während eines Staus auf der Autobahn Nr. 3 ihr Taxi verlässt und die Hochstraße über eine kleine Treppe verlässt, die sie in die Parallelwelt führt, wird jedes im Folgenden erzählte Ereignis phantastisch. Dieser Trick erlaubt es Murakami, noch mehr als in seinen elf früheren Romanen Verhaltensweisen zu schildern, die eben nicht spezifisch japanisch, sondern im emphatischen Sinne menschlich sind.

Nie triumphierte etwa die Liebe bei Murakami auf so bedingungslose Weise wie in der Beziehung zwischen der dreißigjährigen Kampfsporttrainerin und Auftragsmörderin Aomame und dem gleich alten Schriftsteller Tengo Kawana. Dabei kamen die beiden in den tausend Seiten der ersten beiden Teile nicht ein einziges Mal zusammen, seit sie sich als bereits verliebte zehnjährige Klassenkameraden 1964 aus den Augen verloren hatten. Aber diese lange Wartezeit aufeinander kompensiert die Handlung von Teil 3 nun kräftig. Sie erweist sich als teleologisch: "Wir sind auf diese Welt gekommen, um uns zu begegnen." Das letzte Kapitel ist dann sogar "Aomame & Tengo" überschrieben, während ansonsten immer nur jeweils aus dem Fokus einer Person erzählt wird. Und wurde zuvor sehr entbehrt und geschmachtet, geht es dann auch körperlich zur Sache.

Die offenherzige Schilderung von Sexualakten hat bei Murakami Tradition. Damit hatte er immerhin im Jahr 2000 die Originalbesetzung des "Literarischen Quartetts" gesprengt. Sigrid Löffler wollte nach einer Auseinandersetzung mit Marcel Reich-Ranicki über die von ihr geschmähten, von Reich-Ranicki aber verteidigten Sexualdarstellungen im Roman "Gefährliche Geliebte" nicht mehr länger Teil der Sendung sein. Immerhin kam durch diesen Streit erst heraus, dass der DuMont Verlag Murakamis Bücher nicht aus dem japanischen Original, sondern auf Grundlage der englischen Übersetzungen ins Deutsche bringen ließ. Das hat sich seitdem geändert, und Ursula Gräfe findet bei "1Q84" den richtigen sachlichen Ton für das hochpathetische Geschehen. Auch dieses scheinbare stilistische Paradox passt übrigens zum Klischee des angeblich so westlichen Schriftstellers Murakami.

Er selbst dagegen verwahrt sich gegen jede Festlegung als japanisch oder westlich: "Ohne Zweifel sind die Weisen, wie man denkt oder eine Landschaft betrachtet, durch eine Kultur geprägt. Aber ich glaube nicht, dass die Aufdeckung solcher Differenzen dermaßen wichtig ist", hat er einmal ausgeführt. Und doch ist Murakami nicht nur seiner für einen Japaner beispiellosen weltweiten Popularität wegen ein Exponent der heimatlichen Gesellschaft und Kultur: Er ist ihr Pathologe, der beide seziert, ihnen unter die Haut geht, wie es kein anderer japanischer Schriftsteller getan hat. Ihn interessieren unter der wimmelnden Oberfläche des großstädtischen Lebens die wahren Lebensadern und Nervenbahnen, die Unterwelt im buchstäblichen wie übertragenen Sinne mit ihren Verbindungen, die von außen betrachtet zufällig anmuten, aber in Wahrheit das Geschick all der kleinen Menschenwesen lenken, die da so eifrig um sich selbst zu kreisen scheinen.

In der Welt unter der Oberfläche von Tokio gibt es eine geheimnisvolle Sekte, an deren Spitze ein unförmiger Prophet, der "Leader", steht, dessen Gabe der Hellsicht nicht nur das Geschehen in 1Q84 umfasst. Aomame bringt ihn schon im zweiten Teil des Romans um, doch seine Macht reicht noch weit in den nun erschienenen dritten hinein - durch seine Gefolgsleute, die den Tod ihres Führers zu rächen versuchen, wie durch seine Vorhersagen, die zu Leitfäden von Aomames Handeln werden.

Dass "1Q84" mit seinem dritten Teil nun insgesamt neun Monate Handlungszeit abdeckt, ist natürlich kein Zufall. Schon vor einem Jahr waren die Anspielungen auf Geburt und vor allem Wiedergeburt offenkundig. Die Auserwähltheit des Liebespaares wird durch das stärkste Symbol verdeutlicht, dass die religiöse Überlieferung kennt, und Murakami gelingt es furios, hier das christlich-individuelle Moment mit dem shintoistischen von der potentiellen Beseeltheit aller Dinge zu vereinen. Über die little people, eine dunkle Macht, die eher in den Träumen als in der Wirklichkeit agiert, kommen zudem dämonologische Elemente in den Roman, doch angesichts der dominanten Liebesthematik bleiben sie diesmal erstaunlich reduziert.

Und doch gibt es ein Gegengewicht zur schieren Harmonie. Als neue dritte Hauptfigur etabliert Murakami den Handlanger Ushikawa, der im Auftrag der Sekte Aomame verfolgt. Ein Drittel aller Kapitel ist seiner Geschichte gewidmet, womit die strenge Dichotomie von Teil 1 und 2, die nur zwischen Aomame und Tengo unterschieden, nunmehr entfällt. Der Roman bekommt dadurch eine neue Ausrichtung, die verhindert, dass alles zu glatt auf den Höhepunkt des Wiedersehens der beiden Liebenden zusteuert. Und Ushikawa gehört denn auch die stärkste Szene des dritten Teils - wie im Buch des vergangenen Jahres ist es ein Mord.

Der wird aber im Gegensatz zum Tod des Sektenführers diesmal in einer grausamen Kälte geschildert, die nichts vom sonst in "1Q84" herrschenden Prinzip des "mono no aware" hat, jener spezifisch japanischen Trauer über die Vergänglichkeit der Welt, die aber immer auch im Pathos dieses Untergangs noch nach Schönheit sucht. Murakami führt in allen seinen Büchern vor, was wir verlieren, wenn wir leben und lieben. Aber was für ein Gewinn die Lektüre dieser Bücher ist, das beweist der dritte Teil von "1Q84" noch einmal exemplarisch. Dass der Roman uns mit manchen offenen Fragen, die sich schon im vergangenen Jahr bei Erscheinen der ersten beiden Drittel gestellt hatten, weiterhin allein lässt, weckt Hoffnung darauf, dass Murakami mit diesem Stoff, seinem größten bisher, noch gar nicht fertig ist.

ANDREAS PLATTHAUS.

Haruki Murakami: "1Q84". Buch 3. Roman.

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Literaturverlag, Köln 2011. 575 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2011

Wie man abwesende Frauen schwängert
Im Winterschlaf der Handlung: Der dritte Teil von „1Q84“, Haruki Murakamis monumentalem Roman-Zyklus
Der voriges Jahr erschienene, über tausend Seiten umfassende Doppelband „1Q84“ von Haruki Murakami hatte einigermaßen als Cliffhanger geendet. Die beiden Protagonisten Tengo (Mathematiker und Verlagslektor) und Aomame (persönliche Trainerin im oberen Preissektor sowie Kontraktkillerin) hatten sich, seit sie einander als Grundschüler in einer kritischen Situation die Hand gehalten hatten, zwanzig Jahre lang nicht gesehen; aber das Buch ließ keinen Zweifel daran, dass sie zum Paar bestimmt waren. Von zwei Seiten her, immer in abwechselnden Kapiteln, waren sie ins selbe Abenteuer hineingeraten, einander immer näher kommend – doch begegnet waren sie sich nie.
„IQ84“ war, trotz seiner Länge, ein sehr schnelles Buch gewesen. Immer geschah etwas, schon gleich zu Beginn, als Aomame den „Leader“ einer geheimnisvollen Sekte, der sich von ihr massieren ließ, mit einem haarfeinen Nadelstich tötete. Tengo hingegen bekam es mit der siebzehnjährigen, leicht autistischen Fukaeri und deren Romanmanuskript „Die Puppe aus Luft“ zu tun, das er in publizierbare Form umschrieb, sodass es zum Bestseller werden konnte; Fukaeri erwies sich als die Tochter des Leaders, und was sie unter dem dünnen Firnis der Fiktion mitzuteilen hatte, passte der Sekte überhaupt nicht in den Kram.
Die Mitwirkenden, hart und kompetent in ihrem Job, aber sämtlich ohne Liebe großgewordene Kinder, spendeten einander Trost so gut sie es konnten, linkisch und anrührend. Mit Spannung erwartete man, wie es wohl weiterginge mit „1Q84“ (das im Japanischen genauso klingen soll wie Orwells 1984), jener Sonderwelt, die sich darin beglaubigt, dass auf einmal zwei Monde am Nachthimmel stehen.
Nun, im dritten Buch, hängen die beiden Monde noch immer am Himmel, ohne dass sie jedoch etwas spektakulär Neues beleuchteten. Die Dynamik des Geschehens ist, wie es oft im Mittelstück dickleibiger Mehrteiler geschieht, sehr herabgemindert; der Stoffwechsel des Plots hält sozusagen Winterschlaf. Die Hauptakteure haben vor den Nachstellungen der Sekte in Deckung gehen müssen, wo sie auch bleiben. Tengo versteckt bei sich Fukaeri, er selbst nimmt Urlaub, um seinen Vater im Krankenhaus einer Provinzstadt zu besuchen. Der Vater liegt im Koma – auch dies nicht gerade ein fetziger Vorgang. Aomame hat eine sichere Wohnung bezogen, wo ihre Auftraggeberin, „Madame“, und deren treuer Handlanger Tamaru sie wöchentlich mit Lebensmitteln versorgen lassen; sie darf weder ausgehen noch die Türe öffnen, auch nicht und ganz besonders nicht, wenn ein durchgeknallter Gebühreneintreiber der GEZ (japanisch: NHK) Einlass erheischt. Sich versteckt halten ist eine Aktion von niedriger Intensität; der Roman beginnt sich sehr zu dehnen.
Aufatmend nimmt man zur Kenntnis, dass wenigstens Ushikawa sich bewegt, der missgestalte Privatdetektiv, den die Sekte auf die Spur der drei gesetzt hat und der zur weiteren Hauptfigur aufsteigt. Aber auch er mietet eine Wohnung als Beobachtungsposten an und spioniert tagein tagaus hinter dem Vorhang mit seiner Kamera . . .
Die sich dem Stillstand annähernde Handlung bewirkt, dass an Tengo, Aomame, Fukaeri kaum mehr Neues und Überraschendes hervorzutreten vermag. Man kennt sie hinlänglich vom letzten Mal. Immerhin tauchen ein paar Nebenfiguren auf, wie sie Murakami so lebendig zu gestalten weiß, unscheinbar, aber eigenwillig und von einer tiefen Humanität, die sich erst auf den zweiten Blick offenbart: die drei Krankenschwestern, die für Tengos Vater zuständig sind und den einsamen jungen Mann zu einem übermütigen Abend mit Whiskey und Karaoke mitnehmen; Tengos alte Lehrerin, unter deren Strenge sich die mütterliche Neigung zu ihrem einstigen Schüler verbirgt. Man ist dankbar für diese Nebenschauplätze, da sich am Hauptschauplatz so wenig tut.
Vor allem zersetzt sich bei solcher Verlangsamung das Amalgam aus Thriller und Magie, das in Teil 1 und 2 so bezaubert hatte. Die magischen Elemente waren solche der kindlichen Sehnsucht und Angst gewesen: Die Puppe aus Luft glich einem gläsernen Mutterschoß, und die mysteriöse Sekte hatte Teil am Waldbösen des Märchens. Nunmehr gerät die Sekte in die Bredouille und muss sich zu einem nüchternen Kompromissvorschlag an Tengo und Aomame bequemen, während die Puppe zu einem bloß umständlichen Konstrukt herabsinkt. (Nur die „Little People“, die am Rande herumgeistern, bewahren sich schaurigschöne Restbestände.) In dieser weitgehend entzauberten Atmosphäre mag man es dem Buch auch nicht mehr so recht abnehmen, dass Tengo, während er einen leidenschaftslosen Geschlechtsakt mit Fukaeri vollzieht, in Wahrheit die abwesende Aomame schwängert.
Zum Schluss kriegen sich Tengo und Aomame, die die ganze Zeit nur zehn Gehminuten entfernt voneinander verbarrikadiert waren, doch noch. Wie bei den meisten Wünschen, die sich allzu lang haben gedulden müssen, haftet auch diesem, nach zwanzig Jahren und mehr als tausend Seiten, in der endlichen Erfüllung etwas Ranziges an. Die Sekte scheint es nunmehr auf das ungeborene Kind der beiden abgesehen zu haben. Dass es mit diesem Riesenwerk noch nicht vorbei ist, lässt sich absehen – hoffentlich wird es wieder so rasant und von solcher emotionalen Kraft erfüllt wie am Anfang.
BURKHARD MÜLLER
HARUKI MURAKAMI: 1Q84 – 3. Teil. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Literaturverlag, Köln 2011. 571 Seiten, 24 Euro.
Gundam ist ein beliebter Roboter einer japanischen TV-Serie: hier hat er im Juli 2009 einen großen Auftritt in einem Park in Tokio Foto: AP /Koji Sasahara
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Murakami's magnum opus Japan Times