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Aus der Anfangszeit der Regierung Brandt liegen jetzt erstmals die Akten des Bundeskanzleramtes zur Deutschland- und Ostpolitik vor. Eigens herabgestufte Dokumente gewähren Einblicke in bislang unbekannte Hintergründe und Vorgänge. Der erste Band der neuen VI. Reihe enthält zahlreiche Aufzeichnungen, Korrespondenzen und Planungspapiere aus den Entscheidungszentralen in Bonn und Ost-Berlin. Sie erhellen die vielfältigen Abstimmungsprozesse und Verhandlungen, die zu den Treffen von Brandt und Stoph in Erfurt und Kassel und dem Abschluss der Verträge von Moskau und Warschau führten. Dabei zeigt…mehr

Produktbeschreibung
Aus der Anfangszeit der Regierung Brandt liegen jetzt erstmals die Akten des Bundeskanzleramtes zur Deutschland- und Ostpolitik vor. Eigens herabgestufte Dokumente gewähren Einblicke in bislang unbekannte Hintergründe und Vorgänge. Der erste Band der neuen VI. Reihe enthält zahlreiche Aufzeichnungen, Korrespondenzen und Planungspapiere aus den Entscheidungszentralen in Bonn und Ost-Berlin. Sie erhellen die vielfältigen Abstimmungsprozesse und Verhandlungen, die zu den Treffen von Brandt und Stoph in Erfurt und Kassel und dem Abschluss der Verträge von Moskau und Warschau führten. Dabei zeigt sich, welche Rolle die Westmächte spielten und welchen Einfluss die Kremlherrscher auf das SED-Politbüro nahmen.
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Autorenporträt
Herausgegeben vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs.
Wissenschaftliche Leitung: Klaus Hildebrand, Hans-Peter Schwarz. Bundesarchiv: Hartmut Weber.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2002

Schwarze Kanäle gegen schwarze Domäne
Deutschlandpolitik 1969/70: Wie Erstabdrucke vom Bundesarchiv verschwiegen werden

Dokumente zur Deutschlandpolitik. VI. Reihe/Band 1: 21. Oktober 1969 bis 31. Dezember 1970. Herausgegeben vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs. Wissenschaftliche Leitung: Klaus Hildebrand und Hans-Peter Schwarz. Bearbeitet von Daniel Hofmann. R. Oldenbourg Verlag, München 2002. XCVIII und 1112 Seiten, 99,80 [Euro].

Der am 21. Oktober 1969 gebildeten SPD/FDP-Regierung unter Bundeskanzler Brandt ist es schnell gelungen, eine neue Ost- und Deutschlandpolitik umzusetzen. Deren Ziel war es, sich in den internationalen Entspannungskurs einzupassen, den die Große Koalition mit Brandt als Außenminister eingeleitet hatte. Europas "Nachkriegsrealitäten" wurden akzeptiert und die Beziehungen zur Sowjetunion und zu Polen durch gegenseitige Gewaltverzichtsabkommen normalisiert. Das gelang nicht so schnell gegenüber der DDR; denn dieses "Gebilde" (Kurt Georg Kiesinger) wollte die Bonner Regierung zwar staatlich, nicht aber völkerrechtlich anerkennen.

Der Architekt und Schrittmacher des neuen Konzepts war der bisherige Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, Egon Bahr, nunmehr Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Diesem visionären Analytiker und Vertrauten Brandts ist es gelungen, in aufreibenden Verhandlungen mit Außenminister Gromyko den Moskauer Vertrag so weit vorzubereiten, daß auch Außenminister Scheel (FDP), als er in Moskau weiterverhandeln wollte, am "Bahr-Papier" nichts mehr ändern konnte. Brandt unterzeichnete den Vertrag am 12. August 1970 in Moskau; dabei akzeptierte die östliche Weltmacht den Wiedervereinigungsvorbehalt in Form eines "Briefes zur deutschen Einheit".

Wenige Wochen später gelang der Abschluß eines Grenzvertrags mit Polen, den das Auswärtige Amt mit beeinflussen konnte. Ihn unterzeichnete der Bundeskanzler in Warschau, wiederum mit öffentlichkeitswirksamer Symbolik. Darin wurde auch die "Westgrenze Polens" als "unverletzlich" garantiert, nicht aber, worauf die Gegenseite vergeblich gedrängt hatte, als "unverrückbar". Inzwischen hatten die vier Mächte mit Verhandlungen über Berlin begonnen. Dabei bestand Einigkeit darüber, daß die Ostverträge im Bundestag nur dann eine Mehrheit finden würden, wenn bis dahin auch eine befriedigende Lösung für Berlin erreicht worden war.

Verlauf und Ergebnisse der Ostpolitik waren seit langem durch Memoiren beteiligter Politiker und Diplomaten, auch der Gegenseite, bekannt. Vor allem Werner Link hat diesen Komplex schon früh historisch aufbereitet und Helga Haftendorn in ihrer jüngsten Darstellung über die Außenpolitik der Bundesrepublik bereits die einschlägigen Bände der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" (AAPD; Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz) für 1969 und für 1970 (erschienen 2000 und 2001) einbezogen. Sie vermittelten wesentliche neue Erkenntnisse über das Zustandekommen der Ostverträge und über die Schlüsselrolle von Bahr.

Der neue Band der "Dokumente zur Deutschlandpolitik" (DzD) enthält für die ersten vierzehn Monate der Kanzlerschaft Brandts neben bereits bekannten Materialien des Bundeskanzlers und seines Staatssekretärs eine Fülle von Details über Planung und Ausführung wie über den Zusammenhang der Ost- und Deutschlandpolitik mit den im Frühjahr 1970 begonnenen Berlin-Verhandlungen. In die internen Überlegungen war der Chef des Bundeskanzleramts, Horst Ehmke, administrativ eingeschaltet, während Herbert Wehner überraschend selten auftaucht. Deutlich werden die Rivalitäten zum Auswärtigen Amt, das Karl Wienand, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, seinen kommunistischen Gesprächspartnern als "schwarze Domäne" darstellte. Dabei gab Wienand ("IM Streit") auch andere Informationen aus der Bonner Zentrale weiter. Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke (SPD), blieb vom Arkanwissen ausgeschlossen.

Zur Realisierung der Ostpolitik nutzte Brandt weiterhin - via Bahr - "schwarze Kanäle" zu Breschnew und Honecker, aber ebenso - über Henry Kissinger - zu Präsident Nixon. Dennoch blieb Washington mißtrauisch über das Tempo der Bonner Ostpolitik. Gleichzeitig wachten alle vier Mächte über ihre Rechte betreffend "Deutschland als Ganzes". Sie legten Wert auf rechtzeitige Abstimmung, die Bahr dosiert vornahm. Unbeschadet einer Koalitionsabsprache, wonach bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion "keine Profilierung gegen die FDP" erfolgen dürfe, wurde der Außenminister nicht immer hinreichend einbezogen.

Der DzD-Band enthält erstmals, chronologisch entsprechend eingereiht, Dokumente aus dem Zentralkomitee der SED. Auf diese Weise, so in der Vorbemerkung, werde die "bislang vorwaltende Zweiteilung des Untersuchungsgegenstandes in Forschungen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" überwunden und ein Vergleich zwischen dem möglich, "was in Bonn und in Ost-Berlin zur gleichen Zeit gedacht, geplant bzw. verwirklicht worden ist". Zu ergänzen wäre allerdings: auch in Moskau; denn von dort aus erhielt das ZK der SED, wie gerade die neuen Quellen belegen, weiterhin laufend seine Direktiven. Ob das Konzept des Paralleldrucks "zukunftsweisend" ist, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Bemerkenswert ist die von Breschnew betriebene Demontage des inzwischen lästig gewordenen Statthalters Ulbricht, der sich der neuen sowjetischen Westpolitik zunächst in den Weg stellte. Als er schließlich einschwenkte, sah Bahr seine Prognose bestätigt: Ulbrichts Linientreue zu Moskau "bewährt sich am besten in den Kurven". Der KPdSU-Chef machte dem neuen Hoffnungsträger Honecker unmißverständlich klar: "Erich, die DDR kann ohne uns nicht existieren." Erst allmählich dämmerte es den östlichen Machthabern, daß Brandt keineswegs darauf abzielte, die DDR zu "liquidieren" und weiterhin eine "Alleinvertretungsanmaßung" zu praktizieren.

Dennoch gelang es bei den spektakulären Treffen von Brandt mit Ministerpräsident Stoph in Erfurt und Kassel in Vieraugengesprächen nicht, sich zu verständigen. Die östliche Seite beharrte auf völkerrechtlicher Anerkennung der DDR, forderte Unterstützung für ihre Aufnahme in die Vereinten Nationen und suchte ein "propagandistisches Maximum an Gewinn" aus den prestigefixierten Treffen herauszuholen. Die SED-Satrapen träumten weiterhin davon, die DDR nach dem östlichen Vorbild in eine "neue höhere Etappe der sozialistischen Gesellschaft" zu überführen, sahen sich aber gleichzeitig gezwungen, in Moskau wie in Bonn ihre Zahlungsunfähigkeit zu offenbaren. Erstaunlich bleibt, wie sehr sich die kommunistischen Führer der Warschauer-Pakt-Staaten selbst intern gegenseitig mit ideologischem Quark langweilten.

Die Dokumente hat der beim Bundesarchiv tätige Bearbeiter zuverlässig kommentiert und deren Inhalt in einer Einführung gut erläutert. Dennoch bildet dieser DzD-Band ein Unikat in der Editionsgeschichte: Nicht weniger als 76 der darin publizierten 188 Dokumente aus Bonner Provenienz sind bereits in den Jahresbänden 1969 und 1970 der AAPD veröffentlicht, noch dazu im selben Verlag, ohne daß diese Erstdrucke überhaupt erwähnt werden. Dabei sind die beiden AAPD-Jahrgänge im Literaturverzeichnis aufgeführt und in den Anmerkungen des DzD-Bandes mehr als achtzigmal zitiert. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit ist nun gespannt auf die Begründung für eine derart umfassende, aber gezielt "verschwiegene" Zweitpublikation.

RUDOLF MORSEY

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