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Die globale Infrastruktur des pausenlosen Einkaufens, Arbeitens und Kommunizierens 24 Stunden am Tag und an sieben Tagen der Woche hält mittlerweile bereits die gesamte Menschheit wach. Antischlafmittel sind das neue Lifestyleprodukt, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Der Nachthimmel ist schon längst nicht mehr dunkel. Dabei blieb der Schlaf, während die anderen Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst und Sex schon früh finanziell ausgeschlachtet wurden, lange Zeit der einzige nicht kontrollierbare Rückzugsort vor den Zwängen des Kapitalismus. Noch vor hundert Jahren verbrachten die Menschen…mehr

Produktbeschreibung
Die globale Infrastruktur des pausenlosen Einkaufens, Arbeitens und Kommunizierens
24 Stunden am Tag und an sieben Tagen der Woche hält mittlerweile
bereits die gesamte Menschheit wach. Antischlafmittel sind das neue Lifestyleprodukt,
um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Der Nachthimmel ist schon
längst nicht mehr dunkel. Dabei blieb der Schlaf, während die anderen Grundbedürfnisse
wie Hunger, Durst und Sex schon früh finanziell ausgeschlachtet
wurden, lange Zeit der einzige nicht kontrollierbare Rückzugsort vor den
Zwängen des Kapitalismus.
Noch vor hundert Jahren verbrachten die Menschen regelmäßig zehn Stunden
schlafend. Der heute allgegenwärtige Schlafmangel ist Symptom eines beschleunigten
Lebens, bei dem die persönlichen Gedanken und Gefühle an den
Rand gedrängt werden. Ab ins Bett, schließt die Augen, fordert uns der Autor
daher auf, damit wir uns in den Gefilden der Pause und der vermeintlichen
Leere zumindest zwischendurch befreit fühlen können. Denn es ist die leere
Zeit, die besonders kostbar ist.
Autorenporträt
Jonathan Crary ist ein international bekannter Kunstkritiker, Essayist und Meyer-Schapiro-Professor für moderne Kunst und Theorie an der Columbia University in New York. Seine Werke beschäftigen sich unter anderem mit Techniken der Wahrnehmung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2014

Rund um die Uhr

Wer schläft, kauft und produziert nichts - und das ist gut so: Jonathan Crary macht seinem Unmut über neoliberale Zeitdiebe Luft.

Von Thomas Thiel

Die Dachsammer kommt auf ihren Flügen entlang der amerikanischen Westküste bis zu sieben Tage ohne Schlaf aus. Eine faszinierende Leistung, fand die amerikanische Militärforschung und holte sich den Vogel ins Labor, um von ihm abzuschauen, wie man einen Soldaten schafft, der niemals ruht.

Mit dieser Anekdote beginnt der amerikanische Kunstprofessor Jonathan Crary sein Buch, und er dreht die Effizienzschraube gleich noch etwas weiter. Weil es erfahrungsgemäß nicht lange dauert, bis militärische Erfindungen ihren Weg in die Gesellschaft finden, steht am Ende dies: eine Welt ohne Schlaf. Ganz so weit wird es nicht kommen, sagt Crary, aber er meint es nicht beschwichtigend. Denn so weit dieses Band dehnbar ist, wird man an ihm ziehen.

Der Schlaf ist die Zeit, die sich dem Kapitalkreislauf entzieht. Ein gewaltiger, unerschlossener Markt (außer für die Matratzen- und Schlafmittelindustrie). Wer schläft, kauft nichts, produziert nichts, plant nichts. Bis ins sechzehnte Jahrhundert störte man sich daran nicht. Man ließ träumen und ruhen. Mit der Aufklärung geriet der Schlaf in Verruf. Plötzlich galt er als dunkle, inerte Zone, fern des hellen Lichts des Fortschritts. Mit kleineren Ausnahmen hat sich daran bis heute nichts geändert.

Auch Freud wertete den Traum zwar auf, deutete ihn aber einseitig als Ausdruck unbewusster individueller Wünsche. Hier beginnt für den Kommunitaristen Crary schon der bürgerliche Eigennutz. Und auch die Hirnforschung, die zuletzt so viel Lobenswertes an Schlaf und Traum fand, findet keine Gnade. Sie begreife die Nachtruhe nur als Sortierbetrieb des am Tage Erlebten und sehe nicht deren eigenen Wert.

Kapitalverwerter wollen die Nacht schließlich am liebsten ganz zum Tage machen. Der Titel des Buchs, "24/7", steht für ein Wirtschaftsmodell, das die Unangepasstheit der humanen Biologie an den Produktionsrhythmus nicht duldet. Eine uneinnehmbare Bastion ist der Schlaf nämlich nicht. Acht Stunden schlief der Durchschnittsamerikaner bis in die letzte Generation, zehn Stunden noch vor hundert Jahren. Heute wird es ihm nach sechseinhalb Stunden ungemütlich im Bett. Auf weitere Einsparungen muss man gefasst sein. Denn jetzt hat der Neoliberalismus die digitalen Werkzeuge in der Hand, um das Individuum rund um die Uhr in den Kreislauf von Verwertung und Selbstoptimierung einzuspeisen.

An dieser Stelle weiß man längst: Es geht um mehr als den Schlaf. Crary steigert sich zu einer radikalen kapitalismuskritischen Suada, die durchaus Richtiges benennt, aber nichts ausführt und nichts auslässt und das Pauschalurteil nicht scheut. Statt einzelne Zusammenhänge zu verdichten, beschränkt sich Crary auf skizzenhafte Abrisse. Gerne hätte man etwa erfahren, wie denn nun genau der Eigennutz in die digitalen Geräten implementiert wird. Anderes sagt Crary doppelt. "Nackte Exponiertheit", "monotone Gleichförmigkeit", "marginalisierte Randlagen" - der Verlag hätte das Buch besser noch einmal durchgeschaut. Erzählung wird so zur Litanei.

Man fühlt sich bald so matt wie das moderne Bewusstsein, das Crary im monotonen und doch reißenden Strudel der Echtzeit zerfließen sieht. Wohlfühlaktivismus statt Sinnreflexion, Erfahrungsverlust in Surrogatwelten, Schwund der Erinnerung, Reduktion der Identität auf das soeben Geleistete, Unzufriedenheit mit dem Augenblick, Gefangenschaft im Selbst: so geht es dahin, Formel für Formel. Das Problem ist nicht die Diagnose, sondern die Dosierung.

Mit der Schlaflosigkeit hat Crary eine Metapher zur Hand, unter der auch Psychiatrie-, Finanz- und Gentrifizierungskritik bequem unterkommen. Sein Zorn auf die neoliberalen Zeitdiebe und Selbstoptimierer geht so weit, dass er vor verharmlosenden Bemerkungen über sektiererische Gewalt und die blutigen Kollektivmaßnahmen der chinesischen Kulturrevolution nicht zurückschreckt.

Klar ist für ihn, dass sich die neoliberale Bestie nur durch unsere Träume wieder verscheuchen lassen wird, die sie anders als unser wachen Gedanken noch nicht im Griff hat. Seine Hoffnung gilt den archaischen Seelenschichten im Bergwerk des Traums. Mit Breton denkt er an eine schlafende Menge, die in eine gemeinschaftliche Zukunft träumt, am Morgen erwacht, ans Fenster tritt und hinausblickt auf eine bessere Welt. Das liegt schon nah am Traumkitsch und wird zur Flucht aus dem Dilemma vielleicht nicht ganz reichen.

Jonathan Crary: "24 / 7". Schlaflos im Spätkapitalismus.

Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 112 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Oliver Pfohlmann kann sich gut vorstellen, wie unangenehm es für einen Menschen sein muss, nicht schlafen zu können. Wenn er durch Arbeitsstress, Bilderflut oder Computerspiele so aufgeputscht ist, dass er keinen Schlaf findet, oder wenn er von militärischen Schindern oder Folterknechten den Schlaf entzogen bekommt. Doch wenn er Jonathan Crarys Essay "24/7" zum Thema noch interessiert in die Hand genommen hat, legt er es doch enttäuscht wieder hin. Denn Crary erkläre den Schlaf nicht nur als ein schützenswertes Gut, sondern - in "grandioser Überschätzung" - als letzten Alternative zum unersättlichen Kapitalismus, zum letzten Refugium einer menschlichen Welt. Das ist Pfohlmann doch etwas zu kulturkritisch, und wenn Crary dann noch Internet und soziale Netzwerke für das Ende lebendiger Gemeinschaften verantwortlich macht, erkennt der Rezensent nur noch auf "technikfeindlichen Furor".

© Perlentaucher Medien GmbH
"In der Zeit des Schlafens können wir von einer besseren Zukunft träumen. Crary sieht hier das Potential für Widerstand gegen die Zwänge des gegenwärtigen Kapitalismus und für eine Rettung der Menschheit vor ihrer eigenen Zerstörung. " Michael Hardt in Artforum