Traumhaft schöne Geschichten aus dem Wilden Osten. »Vor einem Jahr erfüllte ich mir einen langgehegten Wunsch und fuhr mit der Bahn nach Petersburg.«
Die einzelnen Episoden dieses fabelhaften Prosadebüts erzählen von einer Stadt, die schon Generationen von Schriftstellern, Künstlern, Musikern - und Lesern fasziniert hat. Die quicklebendige Stadt an der Newa, wo die Pracht der Vergangenheit sich mit den Schrecken der Gegenwart mischt, eignet sich vorzüglich als Projektionsfläche für Schulzes literarische Phantasien.
Die einzelnen Episoden dieses fabelhaften Prosadebüts erzählen von einer Stadt, die schon Generationen von Schriftstellern, Künstlern, Musikern - und Lesern fasziniert hat. Die quicklebendige Stadt an der Newa, wo die Pracht der Vergangenheit sich mit den Schrecken der Gegenwart mischt, eignet sich vorzüglich als Projektionsfläche für Schulzes literarische Phantasien.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.1995Dreiunddreißig Augenblicke des Glücks
St. Petersburger Szenen von Ingo Schulze als Vorabdruck in der F.A.Z.
Das einzige, was Hofmann zurückgelassen hatte, war ein Manuskript, von dem keineswegs sicher war, daß es wirklich von Hofmann stammte. Nach einem langen, gemeinsam verbrachten Abend im Speisewagen steckte es am Morgen im Gepäcknetz des Schlafwagens, der die Reisende nach St. Petersburg bringen sollte. Kommentarlos, ein letzter Gruß der charmanten, wennn auch recht undurchsichtigen Reisebekanntschaft, die so kurzweilig aus Rußland zu erzählen verstand und eigenen Worten zufolge die Fiktion für nicht weniger wirklich hielt als den Unfall auf der Straße.
Bei ihrer nächsten Zufallsbegegnung im Zug trifft die Reisende einen jungen Mann mit literarischen Ambitionen. Kurz darauf erhält er das Manuskript per Post, mit der Bitte, für eine Veröffentlichung zu sorgen. Denn durch ein paar kleine Überarbeitungen lasse sich bestimmt eine "recht kurzweilige Unterhaltung" daraus machen. Der junge Literat übernimmt die Aufgabe in der Überzeugung, die ihm anvertrauten Aufzeichnungen seien nicht nur unterhaltsam, sondern womöglich bestimmt, "die anhaltende Diskussion um den Stellenwert des Glücks neu zu beleben".
Mit dieser Rahmenhandlung beginnt Ingo Schulzes chronikalische Erzählung "33 Augenblicke des Glücks. Aus den abenteuerlichen Aufzeichnungen der Deutschen in Piter", die wir von morgen an vorabdrucken. Die literarischen Modelle der Rahmenhandlung und der fingierten Herausgabe eines Textes von fremder Hand und obskurer Herkunft sind dem achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert entliehen, der Tonfall aber, in dem Schulze seine Rahmenhandlung angelegt hat, ist unverkennbar von heute. Und von der Gegenwart handeln denn auch fast alle Stücke des Buches, trotz des historisierenden Untertitels, der von ferne an Goethes "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" denken läßt.
Die Anspielung auf Goethe dürfte kein Zufall sein. Denn so wie Goethe den Untergang des Ancien régime und den Epochenwechsel der Französischen Revolution zum Hintergrund seines Novellenzyklus machte, hat auch der 1962 in Dresden geborene Schulz einen historischen Wendepunkt zum Anlaß seines Prosadebüts genommmen. Die 33 Texte - kurze Szenen, skizzenhafte Erzählungen, Prosaminiaturen, Kunstmärchen und kleine Novellen - ergeben ein Petersburger Panorama, das beispielhaft das Leben in Rußland nach dem Zusammenbruch der Nomenklatura und der Implosion des kommunistischen Systems widerspiegeln soll.
In erstaunlicher stilistischer Vielfalt erzählt Schulze das Märchen vom amerikanischen Generaldirektor, der die drei schönen Töchter einer armen Arbeiterin heiratet, berichtet von unheimlichen Ausflügen aufs Land und davon, wie noch in dem alten Regime der Zauberstab erfunden wurde, aber nur ein einziges Mal benutzt werden konnte. Der Westen, so scheint es, ist in Rußland heute kaum weniger präsent als die alte Sowjetunion. Aber wenn Schulze aus Puschkins berühmtem Postmeister einen Tankwart macht, sonst aber nahezu nichts am Gang der klassischen Novelle ändert, soll dies bedeuten, daß auch in Piter, wie die Einwohner von St. Petersburg ihre Stadt nennen, nicht alles Elend neu und nicht alles Neue elend ist. HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
St. Petersburger Szenen von Ingo Schulze als Vorabdruck in der F.A.Z.
Das einzige, was Hofmann zurückgelassen hatte, war ein Manuskript, von dem keineswegs sicher war, daß es wirklich von Hofmann stammte. Nach einem langen, gemeinsam verbrachten Abend im Speisewagen steckte es am Morgen im Gepäcknetz des Schlafwagens, der die Reisende nach St. Petersburg bringen sollte. Kommentarlos, ein letzter Gruß der charmanten, wennn auch recht undurchsichtigen Reisebekanntschaft, die so kurzweilig aus Rußland zu erzählen verstand und eigenen Worten zufolge die Fiktion für nicht weniger wirklich hielt als den Unfall auf der Straße.
Bei ihrer nächsten Zufallsbegegnung im Zug trifft die Reisende einen jungen Mann mit literarischen Ambitionen. Kurz darauf erhält er das Manuskript per Post, mit der Bitte, für eine Veröffentlichung zu sorgen. Denn durch ein paar kleine Überarbeitungen lasse sich bestimmt eine "recht kurzweilige Unterhaltung" daraus machen. Der junge Literat übernimmt die Aufgabe in der Überzeugung, die ihm anvertrauten Aufzeichnungen seien nicht nur unterhaltsam, sondern womöglich bestimmt, "die anhaltende Diskussion um den Stellenwert des Glücks neu zu beleben".
Mit dieser Rahmenhandlung beginnt Ingo Schulzes chronikalische Erzählung "33 Augenblicke des Glücks. Aus den abenteuerlichen Aufzeichnungen der Deutschen in Piter", die wir von morgen an vorabdrucken. Die literarischen Modelle der Rahmenhandlung und der fingierten Herausgabe eines Textes von fremder Hand und obskurer Herkunft sind dem achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert entliehen, der Tonfall aber, in dem Schulze seine Rahmenhandlung angelegt hat, ist unverkennbar von heute. Und von der Gegenwart handeln denn auch fast alle Stücke des Buches, trotz des historisierenden Untertitels, der von ferne an Goethes "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" denken läßt.
Die Anspielung auf Goethe dürfte kein Zufall sein. Denn so wie Goethe den Untergang des Ancien régime und den Epochenwechsel der Französischen Revolution zum Hintergrund seines Novellenzyklus machte, hat auch der 1962 in Dresden geborene Schulz einen historischen Wendepunkt zum Anlaß seines Prosadebüts genommmen. Die 33 Texte - kurze Szenen, skizzenhafte Erzählungen, Prosaminiaturen, Kunstmärchen und kleine Novellen - ergeben ein Petersburger Panorama, das beispielhaft das Leben in Rußland nach dem Zusammenbruch der Nomenklatura und der Implosion des kommunistischen Systems widerspiegeln soll.
In erstaunlicher stilistischer Vielfalt erzählt Schulze das Märchen vom amerikanischen Generaldirektor, der die drei schönen Töchter einer armen Arbeiterin heiratet, berichtet von unheimlichen Ausflügen aufs Land und davon, wie noch in dem alten Regime der Zauberstab erfunden wurde, aber nur ein einziges Mal benutzt werden konnte. Der Westen, so scheint es, ist in Rußland heute kaum weniger präsent als die alte Sowjetunion. Aber wenn Schulze aus Puschkins berühmtem Postmeister einen Tankwart macht, sonst aber nahezu nichts am Gang der klassischen Novelle ändert, soll dies bedeuten, daß auch in Piter, wie die Einwohner von St. Petersburg ihre Stadt nennen, nicht alles Elend neu und nicht alles Neue elend ist. HUBERT SPIEGEL
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