Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2001Villanella mit Apportierhündchen
Maulfaules Schludern: Oskar Pastiors Pantum-Dichtung
XAYB / ACBD / CEDF / EGFH - so beginnt der genetische Code der Gattung Pantum. Pantum? Das ist ein Kettengedicht, dessen Formalisierbarkeit zeigt, daß die Dichtung für das neue Zeitalter bestens vorbereitet ist. Zugleich wird deutlich, daß man auch diesen Code, um ihn verstehen und anwenden zu können, in Sprache verwandeln muß: "Das Pantum ist ein Gedicht von beliebiger Länge und besteht aus Vierzeilern, deren 2. und 4. Zeilen jeweils als 1. und 3. der folgenden Strophe auftauchen, die dann ihre 2. und 4. neu erfindet . . . bis die letzte Strophe sich zum Abschluß aus der ersten Strophe die beiden ja noch nicht wiederholten Zeilen (X und Y) für Position 2 und 4 holt."
Alles klar? Auf jeden Fall gibt es darüber auch ein "so genanntes // pantoun-pantum, malaiische dichtungsform, / vierzeiler, kreuzweis gereimte strophen, / deren zweiter und vierter vers jeweils / als erster und dritter vers der folgenden // vierzeiler, kreuzweis gereimte strophen, / erscheinen; von französischen romantikern / als erster und dritter vers der folgenden / sog. parnassiens verwendet, auch als paenula // erscheinen, von französischen romantikern / das ist der radmantel antiker tracht / sog. parnassiens, verwendet als paenula, / von der sich anderswo die kasel ableitet, // . . ."
Die simple Formel generiert ein komplexes Gebilde, dessen Struktur die Sprache schon nach wenigen Zeilen fragmentiert und verfremdet, wie es einem als Kind beim Kanonsingen erging: Zunge, Ohr und Sinn machen sich selbständig. Oskar Pastior setzt also mit "Villanella & Pantum" seine produktiven Forschungen zur Sprachmaterialität fort, die bislang den Anagrammen und Palindromen der privaten Lautsprache "Krimgotisch" oder der Übersetzbarkeit Petrarcas galten. Was passiert aber, so die Leitfrage seines neuen Bandes, wenn nicht mehr wie in der Alltagssprache Laute und Wörter wiederholt werden, sondern ganze Verszeilen? Wird das Wiederholungsprinzip der Sprache auf "Makrosignifikanten" (Pastior) ausgedehnt, so birst die suggestive Sinnglätte, und zwischen den Bruchstücken kommt die Mechanik des Lebens zum Vorschein.
Diese Qualität teilt das Pantum mit der volkstümlichen Form der italienischen Villanella: Fünf Dreizeiler und ein Vierzeiler sind nicht nur durch simplen Paar-Reim verknüpft, sondern dadurch, daß erste und dritte Zeile der ersten Strophe jeweils alternierend die letzte Zeile der folgenden Strophen bilden, ehe sie gemeinsam die vierzeilige Strophe und das Gedicht abschließen. Also: AxC / xxA / xxC / xxA / xxC / xxAC, wobei A und C durch den einen, die x-Elemente durch den anderen mehr oder weniger strengen Reim verbunden sind, wie es die "villanella mit apportierhündchen" zeigt: "bringt eins zum anderen einander als gewollt / verhandelt jenes darin aber schon zerlaufen / was in der wiederholung sich nicht wiederholt // was nur bedingt sich auseinander deutet rollt / auf das was bald ihm weiter käme und gebrochen / bringt eins zum anderen einander als gewollt // das allerdings dann einvernehmlich in dem plott / sich maulfaul schludern täte aus dem knochen / was in der wiederholung sich nicht wiederholt // . . . // doch unbedingt einherzukommen hingehen soll- / te falls irgendwem nur dieses ausgesprochen / bringt eins zum anderen einander als gewollt / was in der wiederholung sich nicht wiederholt."
W. H. Auden und Elisabeth Bishop haben diese Form bisweilen verwendet, doch beim Systemspieler Pastior wird sofort etwas anderes daraus. Die Nichtidentität des Wiederholten wird nicht als Nebenergebnis der Lektüre erfahren, sondern steuert von Anfang an Produktion und Rezeption. Darin liegt auch die Gefahr für diese Dichtungsart, daß die Form bloß virtuose Muster generiert, die nicht mehr in sprachliche Erkenntnis umspringen, sondern in sich hin und her kippen wie Vexierbilder. Das kann Pastiors Poetik nichts Grundsätzliches anhaben, für den ja Sprache "das Unding an sich" ist, in dem Wörter wie Dinge sich auf bezeichnende Weise verfangen. Aber auch unter dieser Prämisse sind nicht alle Produkte von Pastiors Kunst gleichermaßen genießbar. Der Leser muß den vom Dichter "aufgescheuchten Trüffeln" auf eigenes Risiko nachspüren, und er tut dies am besten durch laute Lektüre. Wer etwa in der Villanella "Zeno gussa" die anagrammatischen Verwandlungen von "sozusagen" durchspielt, erfährt, wie bißfest Buchstaben sein können. Und wer das Pantum "schleierschwanzphantom" sprechend nachkonstruiert, dem wird Pastiors Dichtung durchsichtig als der geometrische Ort aller Punkte, "wo sinngedichte / zweifel schleifen / die sich lichten".
THOMAS POISS
Oskar Pastior: "Villanella und Pantum. Gedichte". Carl Hanser Verlag, München 2000. 116 S., br., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maulfaules Schludern: Oskar Pastiors Pantum-Dichtung
XAYB / ACBD / CEDF / EGFH - so beginnt der genetische Code der Gattung Pantum. Pantum? Das ist ein Kettengedicht, dessen Formalisierbarkeit zeigt, daß die Dichtung für das neue Zeitalter bestens vorbereitet ist. Zugleich wird deutlich, daß man auch diesen Code, um ihn verstehen und anwenden zu können, in Sprache verwandeln muß: "Das Pantum ist ein Gedicht von beliebiger Länge und besteht aus Vierzeilern, deren 2. und 4. Zeilen jeweils als 1. und 3. der folgenden Strophe auftauchen, die dann ihre 2. und 4. neu erfindet . . . bis die letzte Strophe sich zum Abschluß aus der ersten Strophe die beiden ja noch nicht wiederholten Zeilen (X und Y) für Position 2 und 4 holt."
Alles klar? Auf jeden Fall gibt es darüber auch ein "so genanntes // pantoun-pantum, malaiische dichtungsform, / vierzeiler, kreuzweis gereimte strophen, / deren zweiter und vierter vers jeweils / als erster und dritter vers der folgenden // vierzeiler, kreuzweis gereimte strophen, / erscheinen; von französischen romantikern / als erster und dritter vers der folgenden / sog. parnassiens verwendet, auch als paenula // erscheinen, von französischen romantikern / das ist der radmantel antiker tracht / sog. parnassiens, verwendet als paenula, / von der sich anderswo die kasel ableitet, // . . ."
Die simple Formel generiert ein komplexes Gebilde, dessen Struktur die Sprache schon nach wenigen Zeilen fragmentiert und verfremdet, wie es einem als Kind beim Kanonsingen erging: Zunge, Ohr und Sinn machen sich selbständig. Oskar Pastior setzt also mit "Villanella & Pantum" seine produktiven Forschungen zur Sprachmaterialität fort, die bislang den Anagrammen und Palindromen der privaten Lautsprache "Krimgotisch" oder der Übersetzbarkeit Petrarcas galten. Was passiert aber, so die Leitfrage seines neuen Bandes, wenn nicht mehr wie in der Alltagssprache Laute und Wörter wiederholt werden, sondern ganze Verszeilen? Wird das Wiederholungsprinzip der Sprache auf "Makrosignifikanten" (Pastior) ausgedehnt, so birst die suggestive Sinnglätte, und zwischen den Bruchstücken kommt die Mechanik des Lebens zum Vorschein.
Diese Qualität teilt das Pantum mit der volkstümlichen Form der italienischen Villanella: Fünf Dreizeiler und ein Vierzeiler sind nicht nur durch simplen Paar-Reim verknüpft, sondern dadurch, daß erste und dritte Zeile der ersten Strophe jeweils alternierend die letzte Zeile der folgenden Strophen bilden, ehe sie gemeinsam die vierzeilige Strophe und das Gedicht abschließen. Also: AxC / xxA / xxC / xxA / xxC / xxAC, wobei A und C durch den einen, die x-Elemente durch den anderen mehr oder weniger strengen Reim verbunden sind, wie es die "villanella mit apportierhündchen" zeigt: "bringt eins zum anderen einander als gewollt / verhandelt jenes darin aber schon zerlaufen / was in der wiederholung sich nicht wiederholt // was nur bedingt sich auseinander deutet rollt / auf das was bald ihm weiter käme und gebrochen / bringt eins zum anderen einander als gewollt // das allerdings dann einvernehmlich in dem plott / sich maulfaul schludern täte aus dem knochen / was in der wiederholung sich nicht wiederholt // . . . // doch unbedingt einherzukommen hingehen soll- / te falls irgendwem nur dieses ausgesprochen / bringt eins zum anderen einander als gewollt / was in der wiederholung sich nicht wiederholt."
W. H. Auden und Elisabeth Bishop haben diese Form bisweilen verwendet, doch beim Systemspieler Pastior wird sofort etwas anderes daraus. Die Nichtidentität des Wiederholten wird nicht als Nebenergebnis der Lektüre erfahren, sondern steuert von Anfang an Produktion und Rezeption. Darin liegt auch die Gefahr für diese Dichtungsart, daß die Form bloß virtuose Muster generiert, die nicht mehr in sprachliche Erkenntnis umspringen, sondern in sich hin und her kippen wie Vexierbilder. Das kann Pastiors Poetik nichts Grundsätzliches anhaben, für den ja Sprache "das Unding an sich" ist, in dem Wörter wie Dinge sich auf bezeichnende Weise verfangen. Aber auch unter dieser Prämisse sind nicht alle Produkte von Pastiors Kunst gleichermaßen genießbar. Der Leser muß den vom Dichter "aufgescheuchten Trüffeln" auf eigenes Risiko nachspüren, und er tut dies am besten durch laute Lektüre. Wer etwa in der Villanella "Zeno gussa" die anagrammatischen Verwandlungen von "sozusagen" durchspielt, erfährt, wie bißfest Buchstaben sein können. Und wer das Pantum "schleierschwanzphantom" sprechend nachkonstruiert, dem wird Pastiors Dichtung durchsichtig als der geometrische Ort aller Punkte, "wo sinngedichte / zweifel schleifen / die sich lichten".
THOMAS POISS
Oskar Pastior: "Villanella und Pantum. Gedichte". Carl Hanser Verlag, München 2000. 116 S., br., 28,- DM.
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