Bedarf erkannt: Eine Stilfibel gibt modische Hilfestellung
So lange ist es noch gar nicht her, da fesselte eine deutsche Frauenzeitschrift ihre Leserinnen mit einer Kolumne, die Modesünden anhand von Beweisfotos vorführte. Titel: "Das waren doch nicht etwa Sie?" Eine nicht sonderlich subtil zu nennende Einschwörung auf den jeweils befohlenen Look, den zu ignorieren die totale Blamage bedeutete. Hohe Absätze zu schmalen Hosen etwa galten damals als völlig unmöglich. Auch ein Blazer zur Jeans wäre ein sicherer Kandidat für diese Kolumne gewesen, ganz zu schweigen von nackten Füßen in Slippern. Sowohl der moralische Unterton als auch das auffallend häßliche Foto machten dieses Heftelement zu einem der beliebtesten.
Kann man sich so etwas heute noch vorstellen? Kaum. Die Abschaffung des Modediktats hat den Stil nicht nur individualisiert, sondern ein trotzig propagiertes "I did it my way" zur Folge gehabt. Nicht immer ist das Ergebnis kompatibel mit einem auch nur bescheiden zu nennenden visuellen Minimalanspruch. Die Klagen nehmen zu. Das anything goes - es erhebt inzwischen an jedem Ort, zu jeder Zeit sein häßliches Haupt.
Dankbarerweise sahen sich nun zwei Autoren zum Handeln gezwungen. Herausgekommen ist eine Stilfibel für Damen und Herren, nahezu bilderfrei, puristisch, zart getönt, und das zu einem Preis, der wahrhaft demokratisch genannt werden muß (fünf Euro) und die Hoffnung unterstreicht, daß diese Bücher weite Verbreitung finden. Man setzt auf die Kraft des Arguments: 365 Tips, für jeden Tag im Jahr einen, der wieder die schreckliche Frage aufwirft: Was ziehe ich nur an?
Dabei geht es nicht nur um Anzug, Schuhe, Dessous. Nein, die Kapiteleinteilung ("Perfekt im Business", "Kleines Budget - große Wirkung", "Shoppen mit Stil") erlaubt Rückschlüsse auf spezifische Problemkonstellationen. Während Männer dringend Rat brauchen bei "Farben und Muster kombinieren", zeichnet sich bei Frauen eher Bedarf ab für "Clever Koffer packen und reisen". Das ewige Streitthema "Smart Casual" findet bei den Damen geradezu sein gegenteiliges Pendant, nämlich den "großen Auftritt".
Die Warnung vor dem Trockner, die Tips, wie Strumpfhosen länger halten, der Hinweis, was zu enge Dessous alles anrichten können - das alles ist erprobt. Kritisch anmerken läßt sich allenfalls, daß das pädagogische Engagement der Autoren hier und da Vorschläge generiert, die Fragen nach der Zeitökonomie aufwerfen: "Wenn Sie die eingenähten Pflegeetiketten aus Ihren Dessous herausschneiden möchten, weil sie kitzeln, kratzen, hervorschauen oder anderweitig stören, schreiben Sie auf einen Zettel, welche Stücke wie gewaschen werden müssen. Hängen Sie diese Gedächtnisstütze in Ihren Kleiderschrank oder in die Nähe der Waschmaschine."
Ist das Ihr Ernst, Frau Piras?
AvM
Claudia Piras/Bernhard Roetzel: 365 Tipps. Der gute Stil. Damen/Herren. DuMont Verlag, Köln 2002, jeweils fünf Euro.
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