Im Sommer 2016 zog Barbara Köhler für 2 Monate nach Castrop-Rauxel, als eine Art Schmuckeremit: in die bewohnbare Skulptur »Warten auf den Fluss« der Rotterdamer Künstlergruppe »Observatorium«, um dort auf die seit Jahren nicht mehr vorbeifließende Emscher zu warten. Aus ihrem Warten, Beobachten und Betrachten sind 43 Neunzeiler entstanden, ein Buch, das von Deindustrialisierung und >Renaturierung< spricht, von der örtlichen Brache und einem toten Fluss, dessen Geschichte und Geschichten, von Realitäten und Utopien, von Landschaften und Technik, einer von Menschen immer wieder neu gemodelten Geografie. Gespräche mit anderen Besuchern und den Machern der Skulptur hinterließen fremdsprachige Spuren im Text, lassen ihn zu einer Bewegung zwischen Sprachen geraten, zwischen falschen Freunden und richtig hilfreichen Missverständnissen, zwischen kruder Beschreibung und poetischer Reflexion werden Grenzen fließend, dass Unerwartetes eintreten kann. »42 Ansichten zu Warten auf den Fluss« ist ein leichtfüßig dichter Text über das Warten, das Fließen, die Zeit, den Tod - und natürlich auch über das Ruhrgebiet, über den möglichen, unmöglichen Umgang der Menschen mit Natur.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2017Poetik des
Abwassers
Barbara Köhler macht
der Emscher ihre Aufwartung
Eigentlich müsste das Ruhrgebiet Emschergebiet heißen, denn die Ruhr grenzt die Region lediglich nach Süden hin ab, während die Emscher bei Dortmund entspringt und mitten durch Recklinghausen, Gelsenkirchen, Essen und Duisburg fließt. Wobei lange Zeit fraglich war, ob es sich bei dem etwa achtzig Kilometer langen Gewässer überhaupt noch um einen Fluss handelt oder nicht eher um etwas bloß „Flussgenanntes“, wie es in Barbara Köhler „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“ heißt: „An der Emscher hat man gelebt mit dem, was man machte – mit dem Dreck, dem Gestank, vom Steinkohleabbau, mit lauter Abwörtern: mit Abraum, Abwasser, Abgasen, Abfällen der Produktion, von der anderswo nur die Produkte ankamen, hat gelebt mit der Wahrheit, dem Unverborgenen, an den Abseiten des Aufschwungs.“
So trug die Emscher denn auch den wenig liebevollen Spitznamen „Kloake des Ruhrgebiets“. Mit dem Ende des Steinkohleabbaus sollte sich das allerdings ändern. 2008 entstanden umfangreiche Pläne zur Renaturierung des Flusses und seines Einzugsgebiets. Begleitet wurde dieses Renaturierungsprojekt unter anderem von einem Projekt der Künstlergruppe Observatorium, einer von drei Pavillons überwölbten Holzbrücke, die über die Jahre an verschiedenen Stellen – Wiesen, Brachflächen – in der Nähe des Flusses aufgestellt wurde und zur Übernachtung einlud: „Warten auf den Fluss“.
Die Dichterin Barbara Köhler verbrachte im Sommer 2016 längere Zeit auf dieser Brücke, als eine Art „Flusswart“. Sie leistete der Brücke in Wartestellung Gesellschaft, sprach mit Besuchern, die nicht selten aus den nahen Niederlanden kamen, aß und schlief in einem der Pavillons. Schon 2013 hatte Köhler mit ihren „36 Ansichten des Bergs Goresch“ sprachliche Landschaftsbilder entworfen, die wie kleine Fotos im Querformat anmuten. Jeweils 9 Zeilen à 62 Zeichen umfasst nun jede der „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“.
Doch so streng sie in der Form sind, so beweglich ist ihr Inhalt. Das Fließen des Flusses ist hier in die Bewegung der Wörter aufgenommen worden: Der Flusswart wartet nicht nur ab, er wartet auch, setzt instand. Er stellt fest, dass „Warten“ als Installation wie als Vorgang Zeit „überbrückt“ – verfließende Zeit. Warten auf den Fluss, das bedeutet bei Köhler auch Warten auf „den flow, warten auf Gegenwart – Gegenwarten.“
Zur Beweglichkeit dieser Prosa trägt bei, dass in diesem Grenzgebiet im Westen Deutschlands nicht nur Deutsch und Niederländisch gesprochen wird, auch Frankreich ist nicht weit und die englische Sprache ohnehin immer griffbereit. So wird aus einem räumlichen „hier“ schnell ein zeitliches „hier“, ein französisches „Gestern“, und aus dem schroffen „Waiting game“ ein kugeliges „geduldspelletje“.
Spielerisch und zugleich verbindlich macht Barbara Köhler, die selbst in Duisburg lebt, dem Fluss ihre „Aufwartung“: „Das Rauschen aber übernimmt doch die A2“.
TOBIAS LEHMKUHL
Barbara Köhler: 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss. Edition Korrespondenzen, Wien 2017. 96 Seiten, 18 Euro.
Der Flusswart wartet
nicht nur ab, er
wartet auch, setzt instand
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Abwassers
Barbara Köhler macht
der Emscher ihre Aufwartung
Eigentlich müsste das Ruhrgebiet Emschergebiet heißen, denn die Ruhr grenzt die Region lediglich nach Süden hin ab, während die Emscher bei Dortmund entspringt und mitten durch Recklinghausen, Gelsenkirchen, Essen und Duisburg fließt. Wobei lange Zeit fraglich war, ob es sich bei dem etwa achtzig Kilometer langen Gewässer überhaupt noch um einen Fluss handelt oder nicht eher um etwas bloß „Flussgenanntes“, wie es in Barbara Köhler „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“ heißt: „An der Emscher hat man gelebt mit dem, was man machte – mit dem Dreck, dem Gestank, vom Steinkohleabbau, mit lauter Abwörtern: mit Abraum, Abwasser, Abgasen, Abfällen der Produktion, von der anderswo nur die Produkte ankamen, hat gelebt mit der Wahrheit, dem Unverborgenen, an den Abseiten des Aufschwungs.“
So trug die Emscher denn auch den wenig liebevollen Spitznamen „Kloake des Ruhrgebiets“. Mit dem Ende des Steinkohleabbaus sollte sich das allerdings ändern. 2008 entstanden umfangreiche Pläne zur Renaturierung des Flusses und seines Einzugsgebiets. Begleitet wurde dieses Renaturierungsprojekt unter anderem von einem Projekt der Künstlergruppe Observatorium, einer von drei Pavillons überwölbten Holzbrücke, die über die Jahre an verschiedenen Stellen – Wiesen, Brachflächen – in der Nähe des Flusses aufgestellt wurde und zur Übernachtung einlud: „Warten auf den Fluss“.
Die Dichterin Barbara Köhler verbrachte im Sommer 2016 längere Zeit auf dieser Brücke, als eine Art „Flusswart“. Sie leistete der Brücke in Wartestellung Gesellschaft, sprach mit Besuchern, die nicht selten aus den nahen Niederlanden kamen, aß und schlief in einem der Pavillons. Schon 2013 hatte Köhler mit ihren „36 Ansichten des Bergs Goresch“ sprachliche Landschaftsbilder entworfen, die wie kleine Fotos im Querformat anmuten. Jeweils 9 Zeilen à 62 Zeichen umfasst nun jede der „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“.
Doch so streng sie in der Form sind, so beweglich ist ihr Inhalt. Das Fließen des Flusses ist hier in die Bewegung der Wörter aufgenommen worden: Der Flusswart wartet nicht nur ab, er wartet auch, setzt instand. Er stellt fest, dass „Warten“ als Installation wie als Vorgang Zeit „überbrückt“ – verfließende Zeit. Warten auf den Fluss, das bedeutet bei Köhler auch Warten auf „den flow, warten auf Gegenwart – Gegenwarten.“
Zur Beweglichkeit dieser Prosa trägt bei, dass in diesem Grenzgebiet im Westen Deutschlands nicht nur Deutsch und Niederländisch gesprochen wird, auch Frankreich ist nicht weit und die englische Sprache ohnehin immer griffbereit. So wird aus einem räumlichen „hier“ schnell ein zeitliches „hier“, ein französisches „Gestern“, und aus dem schroffen „Waiting game“ ein kugeliges „geduldspelletje“.
Spielerisch und zugleich verbindlich macht Barbara Köhler, die selbst in Duisburg lebt, dem Fluss ihre „Aufwartung“: „Das Rauschen aber übernimmt doch die A2“.
TOBIAS LEHMKUHL
Barbara Köhler: 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss. Edition Korrespondenzen, Wien 2017. 96 Seiten, 18 Euro.
Der Flusswart wartet
nicht nur ab, er
wartet auch, setzt instand
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