Als vorbildlicher Polizist genießt Sochiro Kaji bei seinen Kollegen der Präfektur W in der japanischen Provinz einen tadellosen Ruf. Bis sich der 49-Jährige eines Tages selbst anzeigt und angibt, seine an Alzheimer erkrankte Frau auf ihren Wunsch hin getötet zu haben. Der Fall scheint eindeutig, doch Kriminalkommissar Kazumasa Shiki findet keine Ruhe, denn Kajis Geständnis weist rätselhafte Lücken auf. Als er auf eigene Faust weiterermittelt, stößt er in Kajis Wohnung auf eine Kalligrafie mit den Worten: »Der Mensch lebt 50 Jahre«. Offenbar hat Kaji vor, sich in einem Jahr das Leben zu nehmen. Aber warum ausgerechnet dann?
buecher-magazin.deNach dem Erfolg von „64“ (u.a. Deutscher Krimi Preis 2019) werden nun, wenig überraschend, auch ältere Krimis des Japaners Hideo Yokoyama übersetzt. Skeptiker sehen hier eine Vermarktungsstrategie – nach „64“ kommt nun „50“, die gleiche Aufmachung, aber fast 20 Jahre alt – lohnt sich das? Und ob! Auch hier lässt Yokoyama ausgetretene Genrepfade weit hinter sich. Täter, Opfer und Motiv sind schon auf den ersten Seiten klar: Der Polizeiausbilder Kaji hat seine Frau erwürgt – es ist Tötung auf Verlangen, ein Akt des Mitleids. Kaji ist geständig und befindet sich in Haft. Es gibt nichts zu ermitteln, Krimi vorbei. Doch wieso hat ein sonst vorbildlicher Polizist Schande über sein Dezernat gebracht, anstatt den ehrenhaften Freitod zu wählen? Und warum hat er sich erst einen Tag später gestellt? Für die Ermittlungen in der Sache irrelevant, für die Fehden zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Presse entscheidend. Wie in „64“ spielt der „Apparat“ die eigentliche Hauptrolle, mit all seinen Facetten und Konflikten. Das Gesamtbild der Tat entsteht aus sechs locker verbundenen Erzählungen, jede die Innenansicht eines Menschen und der Organisation, der er verpflichtet ist, oft bis zur Selbstaufgabe. In schlichter Eleganz enthüllt Yokoyama den wirklichen Täter – eine unfassbar starre Gesellschaft.
© BÜCHERmagazin, Meike Dannenberg (md)
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Dies ist ein Roman, der die Gattungsgrenzen des Krimis auf faszinierende Weise sprengt, erzählt die begeisterte Rezensentin Sylvia Staude. Im Grunde sind hier nur einige Elemente einer Krimierzählung aufgeboten, um eine Reflexion über den japanischen Ehrenkodex, das Verhältnis von Polizei-Kollegen und ein bestimmtes Milieu zu ermöglichen, erfahren wir. Von innen heraus erschließe sich so ein "bestechend fremdartiges" soziales Panorama, versichert die Rezensentin. Spannung entsteht für Staude trotz der eher psychologischen Webart des Romans dennoch, nämlich durch die Frage, ob es den Kollegen gelingt, den in Japan so wichtigen Schein aufrecht zu erhalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Hideo Yokoyamas "50" ist aus dem Stand auf Platz 2 der Krimibestenliste eingestiegen.