Das größte Abenteuer der isländischen Geschichte
Nach seinem Bestseller 60 Kilo Sonnenschein schreibt Hallgrímur Helgason die Reise seines Landes in die moderne Welt fort. Ein imposantes, vor Originalität sprühendes Werk, das einmal mehr zeigt, warum Helgason zu den ganz großen Schriftstellern seines Landes zählt.
Der fiktive kleine Ort Segulfjörður erlebt Sonnenschein satt. 1906, nach der vierten erfolgreichen Heringssaison, säumen bunte Holzhäuser den Fjord, am Hafen treffen ausländische Fischer auf einheimische Frauen und überall winkt die Chance auf schnell verdientes Geld. Auch für den jungen Waisen Gestur, der mittlerweile volljährig ist und sich kopfüber in diese neue Welt mit ihren ungeahnten Möglichkeiten stürzt. Doch dann holt das Schicksal zu einem fiesen Kinnhaken aus, der dem Treiben am Fjord ein jähes Ende setzt.
Wortgewaltig und humorvoll erzählt Hallgrímur Helgason vom abenteuerlichen Weg Islands in die Moderne.
60 Kilo Kinnhaken wurde in Island mit dem Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.
»Große Literatur aus einem kleinen Land.« Denis Scheck, Druckfrisch
Nach seinem Bestseller 60 Kilo Sonnenschein schreibt Hallgrímur Helgason die Reise seines Landes in die moderne Welt fort. Ein imposantes, vor Originalität sprühendes Werk, das einmal mehr zeigt, warum Helgason zu den ganz großen Schriftstellern seines Landes zählt.
Der fiktive kleine Ort Segulfjörður erlebt Sonnenschein satt. 1906, nach der vierten erfolgreichen Heringssaison, säumen bunte Holzhäuser den Fjord, am Hafen treffen ausländische Fischer auf einheimische Frauen und überall winkt die Chance auf schnell verdientes Geld. Auch für den jungen Waisen Gestur, der mittlerweile volljährig ist und sich kopfüber in diese neue Welt mit ihren ungeahnten Möglichkeiten stürzt. Doch dann holt das Schicksal zu einem fiesen Kinnhaken aus, der dem Treiben am Fjord ein jähes Ende setzt.
Wortgewaltig und humorvoll erzählt Hallgrímur Helgason vom abenteuerlichen Weg Islands in die Moderne.
60 Kilo Kinnhaken wurde in Island mit dem Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.
»Große Literatur aus einem kleinen Land.« Denis Scheck, Druckfrisch
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
672 Seiten jungmännliche Sexbesessenheit liefert Hallgrímur Helgason seinen Lesern in seinem neuen Roman, weiß Rezensent Matthias Hannemann zu berichten. Gestur, der Protagonist des Vorgängerbuches "60 Kilo Sonnenschein", ist inzwischen drei Jahre älter geworden, erfahren wir, Zeitpunkt der Handlung ist das frühe 20. Jahrhundert, eine Zeit, in der das Leben am Schauplatz des Romans, auf Island, noch hart und entbehrungsreich war. Gestur lebt in einer besseren Erdhütte, zeichnet Hannemann die Handlung nach, um ihn herum versammelt sind einige krude Gestalten, er selbst hat vor allem Frauen im Kopf. Die Sprache, in der Helgason Gesturs sexuelle Eskapaden schildert, kommt dem Rezensenten doch etwas arg vorgestrig-zotig vor, wobei der Autor gleichzeitig aufzeigt, dass die rustikale Lebensweise vergangener Zeiten vor allem auf Kosten der Frauen ging. Zu lang ist das Buch schon, findet Hannemann, der sich gleichwohl auf den Abschluss dieser erzählfreudigen und zutiefst unromantischen Trilogie freut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2023Das Leben sagt Mäh
Hallgrímur Helgasons "60 Kilo Kinnhaken"
Dass ein junger Mann unaufhörlich an Sex denkt, kommt nicht nur auf Island gelegentlich vor. Selten allerdings wird der Trieb zum Arterhalt derart zum Charakteristikum einer Gesellschaft erhoben wie in dem Roman "60 Kilo Kinnhaken" von Hallgrímur Helgason über einen isländischen Küstenort an der Schwelle zur Moderne.
Ärmlicher als hier kann man im Europa des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts kaum die Tage durchschreiten, härter als an diesem kargen Flecken im Norden der Vulkaninsel wird der Daseinskampf selten geführt. Nicht von ungefähr kommt der Romanheld Gestur einmal in einen abgeschiedenen Hof, in dem die Diphtherie soeben drei Kleinkinder hinweggerafft hat - um mit der Unbekannten, die ihn dort stumm begrüßt und ihm die Leichen zeigt, augenblicklich in den Schafstall zu wechseln, inbrünstig mit ihr zu schlafen und in ihren Armen von einem Tal voller Kinder zu träumen.
So wird das Nebeneinander von Tod und Leben gewesen sein. Raunt Hallgrímur Helgason, der vor zwei Jahren den ersten Band seiner Saga um Segulfjörður geschrieben hat und diese Geschichte um einen weltfernen Ort, der sich durch den Besuch norwegischer Fischereiboote unverhofft zu einem Zentrum der Heringsfischerei entwickeln darf, nun mit "60 Kilo Kinnhaken" fortsetzt.
Im ersten Band, dem vor schrägem Personal nur so wimmelnden "60 Kilo Sonnenschein", wuchs Gestur von einem zweijährigen Halbwaisen, der Mutter und Schwester verloren hatte, zu einem Jugendlichen heran. Nun sind wir drei Jahre weiter. Unser Held lebt mit traurigen Gestalten wie einem einäugigen, von einem Raben verunstalteten Kleinkind und einem Hund namens "Papa" in einer Behausung, die wie ein Erdhügel aussieht. Und manchmal scheint nicht mal er zu verstehen, wer in dieser Hütte und diesem Ort eigentlich wie mit wem verwandt ist.
Oder er vergisst es, weil seine Gedanken ständig um Frauen kreisen. Frauen wie Susánna, die zu Gesturs Bedauern verheiratet ist. Oder wie "die backenschöne Sigrún", die ihn auf Geheiß ihres Dienstherrn wie eine "isländische Geisha" verführt. Oder wie die eingangs erwähnte Schönheit bei den toten Kindern. "Gesturs neunzehnter Winter war ein wunderlicher Winter, wahrlich ein Frauenwinter."
Die Formulierungen, mit denen Helgason das erotische Leben Gesturs beschreibt, sind in ihrer Schnoddrigkeit manchmal nahe am Herrengeplauder von gestern ("ehe er sichs versah, steckte sein bestes Stück schon in ihrem Schatzkästchen"). Auch die Anachronismen sind unangenehm, die sich der Erzähler hin und wieder erlaubt: "Die Fjordmündung war sein Fernseher. Sein Fernseer."
Aber wie finster wäre dieses Sittengemälde ohne den derben und oftmals zynischen Humor, für den Helgason steht - ein Autor, der übrigens schon in seinem Kultbuch "101 Reykjavík" (1996) über das Island der Gegenwart einen frauenbesessenen Protagonisten auftreten ließ. Alkohol, Sex und Gewalt überall. Eine Mischung, unter der gerade auch die Frauen am Segulfjördur zu leiden haben; das arbeitet Helgason deutlich heraus.
Zum Glück eilt der Ort neuen Zeiten entgegen: "Man schläft in einem Zeitalter ein und wacht in einem anderen auf. So schnelllebig ist alles geworden." Spekulanten ziehen ein und bauen Fabriken, das erste Auto produziert den ersten Verkehrsunfall Islands, das erste Telefon wird mit dem Anruf bei einem Betrunkenen gebührend gefeiert. Kurzum: Das moderne Island entsteht, die Nation kommt "aus dem Geburtskanal . . . richtet sich auf und furzt". Ein unterhaltsamer Schmöker bar jeder Romantik und Nostalgie: "60 Kilo Kinnhaken", benannt nach all den Kinnhaken, die das Leben austeilt, mag zweihundert Seiten zu lang sein und auch nicht mehr so fesseln wie der erste Band über das Leben am Segulfjördur oder andere originelle Romane aus Helgasons Feder. Auf den letzten Seiten dieses Backsteins von Buch aber freut man sich wie Bolle darauf, eines Tages auch noch das Finale der Trilogie dieses derart ins Erzählen verliebten Autors lesen zu dürfen. Und weil viele Kapitel Helgasons mit einem knackigen Schlusssatz abschließen, wollen wir auch hier mit einer jener isländischen Lebensweisheiten enden, die uns der Dichter mit auf den Weg gibt: "Die Liebe ist sprachlos, das Leben sagt Mäh." MATTHIAS HANNEMANN
Hallgrímur Helgason: "60 Kilo Kinnhaken".
Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Tropen Verlag, Stuttgart 2023. 672 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hallgrímur Helgasons "60 Kilo Kinnhaken"
Dass ein junger Mann unaufhörlich an Sex denkt, kommt nicht nur auf Island gelegentlich vor. Selten allerdings wird der Trieb zum Arterhalt derart zum Charakteristikum einer Gesellschaft erhoben wie in dem Roman "60 Kilo Kinnhaken" von Hallgrímur Helgason über einen isländischen Küstenort an der Schwelle zur Moderne.
Ärmlicher als hier kann man im Europa des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts kaum die Tage durchschreiten, härter als an diesem kargen Flecken im Norden der Vulkaninsel wird der Daseinskampf selten geführt. Nicht von ungefähr kommt der Romanheld Gestur einmal in einen abgeschiedenen Hof, in dem die Diphtherie soeben drei Kleinkinder hinweggerafft hat - um mit der Unbekannten, die ihn dort stumm begrüßt und ihm die Leichen zeigt, augenblicklich in den Schafstall zu wechseln, inbrünstig mit ihr zu schlafen und in ihren Armen von einem Tal voller Kinder zu träumen.
So wird das Nebeneinander von Tod und Leben gewesen sein. Raunt Hallgrímur Helgason, der vor zwei Jahren den ersten Band seiner Saga um Segulfjörður geschrieben hat und diese Geschichte um einen weltfernen Ort, der sich durch den Besuch norwegischer Fischereiboote unverhofft zu einem Zentrum der Heringsfischerei entwickeln darf, nun mit "60 Kilo Kinnhaken" fortsetzt.
Im ersten Band, dem vor schrägem Personal nur so wimmelnden "60 Kilo Sonnenschein", wuchs Gestur von einem zweijährigen Halbwaisen, der Mutter und Schwester verloren hatte, zu einem Jugendlichen heran. Nun sind wir drei Jahre weiter. Unser Held lebt mit traurigen Gestalten wie einem einäugigen, von einem Raben verunstalteten Kleinkind und einem Hund namens "Papa" in einer Behausung, die wie ein Erdhügel aussieht. Und manchmal scheint nicht mal er zu verstehen, wer in dieser Hütte und diesem Ort eigentlich wie mit wem verwandt ist.
Oder er vergisst es, weil seine Gedanken ständig um Frauen kreisen. Frauen wie Susánna, die zu Gesturs Bedauern verheiratet ist. Oder wie "die backenschöne Sigrún", die ihn auf Geheiß ihres Dienstherrn wie eine "isländische Geisha" verführt. Oder wie die eingangs erwähnte Schönheit bei den toten Kindern. "Gesturs neunzehnter Winter war ein wunderlicher Winter, wahrlich ein Frauenwinter."
Die Formulierungen, mit denen Helgason das erotische Leben Gesturs beschreibt, sind in ihrer Schnoddrigkeit manchmal nahe am Herrengeplauder von gestern ("ehe er sichs versah, steckte sein bestes Stück schon in ihrem Schatzkästchen"). Auch die Anachronismen sind unangenehm, die sich der Erzähler hin und wieder erlaubt: "Die Fjordmündung war sein Fernseher. Sein Fernseer."
Aber wie finster wäre dieses Sittengemälde ohne den derben und oftmals zynischen Humor, für den Helgason steht - ein Autor, der übrigens schon in seinem Kultbuch "101 Reykjavík" (1996) über das Island der Gegenwart einen frauenbesessenen Protagonisten auftreten ließ. Alkohol, Sex und Gewalt überall. Eine Mischung, unter der gerade auch die Frauen am Segulfjördur zu leiden haben; das arbeitet Helgason deutlich heraus.
Zum Glück eilt der Ort neuen Zeiten entgegen: "Man schläft in einem Zeitalter ein und wacht in einem anderen auf. So schnelllebig ist alles geworden." Spekulanten ziehen ein und bauen Fabriken, das erste Auto produziert den ersten Verkehrsunfall Islands, das erste Telefon wird mit dem Anruf bei einem Betrunkenen gebührend gefeiert. Kurzum: Das moderne Island entsteht, die Nation kommt "aus dem Geburtskanal . . . richtet sich auf und furzt". Ein unterhaltsamer Schmöker bar jeder Romantik und Nostalgie: "60 Kilo Kinnhaken", benannt nach all den Kinnhaken, die das Leben austeilt, mag zweihundert Seiten zu lang sein und auch nicht mehr so fesseln wie der erste Band über das Leben am Segulfjördur oder andere originelle Romane aus Helgasons Feder. Auf den letzten Seiten dieses Backsteins von Buch aber freut man sich wie Bolle darauf, eines Tages auch noch das Finale der Trilogie dieses derart ins Erzählen verliebten Autors lesen zu dürfen. Und weil viele Kapitel Helgasons mit einem knackigen Schlusssatz abschließen, wollen wir auch hier mit einer jener isländischen Lebensweisheiten enden, die uns der Dichter mit auf den Weg gibt: "Die Liebe ist sprachlos, das Leben sagt Mäh." MATTHIAS HANNEMANN
Hallgrímur Helgason: "60 Kilo Kinnhaken".
Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Tropen Verlag, Stuttgart 2023. 672 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Hallgrimur Helgason, einer der allerbesten Autoren Islands, erzählt in diesem Schelmenroman grandios, fulminant und unglaublich komisch von seiner Insel und ihren sehr wenigen Bewohnern, die am Anfang des 20. Jahrhunderts vom Mittelalter buchstäblich in die Moderne katapultiert werden.« Sarah Brasack, Kölner Stadt-Anzeiger, 31. Dezember 2023 Sarah Brasack Kölner Stadt-Anzeiger 20231231