Produktdetails
- Verlag: Arnoldsche
- Seitenzahl: 175
- Deutsch, Englisch
- Abmessung: 275mm
- Gewicht: 1170g
- ISBN-13: 9783897901711
- ISBN-10: 3897901714
- Artikelnr.: 10417523
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2002Originale des Retro
Eckig oder rund, ironisch oder aerodynamisch - wodurch unterscheidet sich das Design der siebziger Jahre von dem der Achtziger? Anhand von Möbeln, Glas und Keramik entsteht ein Bild der Formensprache zweier Jahrzehnte, die ihrerseits bereits Aufnahme in den Retro-Kult gefunden haben.
VON RALF CHRISTOFORI
"Es gibt keine Originalität mehr. Das Neuerfinden von Formen wird ersetzt durch das Variieren von Dekors, Mustern und Oberflächen - Design als Re-Design." Das programmatische Credo Alessandro Mendinis, eines der Köpfe der Mailänder Designergruppe "Studio Alchimia", kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß damals, vor gut zwanzig Jahren, originäre Designkonzepte entwickelt wurden, die heute mehr denn je rezipiert und ihrerseits einem "Re-Design" unterzogen werden.
Spätestens seit dem Ende der neunziger Jahre ist die "Originalität" der siebziger und achtziger Jahre Kult. Indes scheint die Halbwertszeit des Originals sich heute kaum noch eindeutig bemessen zu lassen: Moden und Stile werden innerhalb kürzester Zeit recycelt; nur den wirklich Eingeweihten sind die Qualitäten einer in der Vergangenheit entwickelten Formsprache geläufig. Nicht selten geht dabei das Interesse an den kleinen Unterschieden verloren - und an jenen Nuancen, die diese vermeintlichen Stile und Moden selbst zeitigten.
Das Buch "70s versus 80s" unternimmt am Beispiel des Möbel-, Glas- und Keramikdesigns den Versuch, diese Originale einmal mehr ins Gedächtnis zu rufen. Es ist ein Versuch, der in manchen interessanten Details gelingt, wenn auch der reich bebilderte Band seine globalen Prämissen über weite Strecken selbst widerlegt. Denn wo etwa könnten die Unterschiede zwischen den siebziger und achtziger Jahren liegen? Lassen sich die beiden Jahrzehnte so einfach und kategorisch voneinander abgrenzen? Schon die exemplarischen Hintergründe der Pop- und Politikgeschichte legen das Dilemma offen: Die siebziger Jahre tendierten "vom Pop zum Protest", die achtziger hingegen "vom Punk zum Prunk" - so die einführende Pauschalalliteration. Roger Fayet, Leiter des Zürcher Museums Bellerive und Herausgeber des Buchs, diagnostiziert einen "ästhetischen Paradigmenwechsel", der auf breiter Ebene - also auch im Design - um 1980 "das definitive Ende der Moderne" und den "endgültigen Eintritt in die Postmoderne" vollzieht.
Eine Abkehr von der Moderne scheint sich indes lange vorher abzuzeichnen. Im Design bereiten so unterschiedliche Figuren wie Verner Panton und Luigi Colani die siebziger Jahre vor. Pantons "Visiona" erklärt den Lebensraum zum opulenten Environment, während sich Colanis Kugelküche für Poggenpohl von 1970 demselben ergo- wie aerodynamischen Konzept verdankt, für das ihm bereits 1954 in Genf die "Goldene Rose" für Auto-Design verliehen wurde.
Die siebziger Jahre vollziehen selbst einen differenzierten Wandel, der im Bewußtsein der Achtziger weiterwirkt. Allein das formale Kriterium, zwischen runden und eckigen Gestaltungsprinzipien unterscheiden zu wollen, vermag den beschworenen Paradigmenwechsel noch nicht zu begründen: Ettore Sottsass' kantiges Regal "Carlton" (1981) für Memphis deutet sich bereits ebenso in den siebziger Jahren an wie etwa Alessandro Mendinis Sofa "Kandissi" (1979) für Alchimia. Umgekehrt entwickelt Guido Droccos und Franco Mellos Kleiderständer "Cactus" von 1971 bereits eine ähnlich kuriose Rhetorik wie die Entwürfe der "lachenden Achtziger", so Fayet. Die Strategie, eine ironische Distanz gegenüber der rigiden Formsprache der Moderne aufzubauen, um sich gleichsam kritisch wie augenzwinkernd über sie hinwegzusetzen, gehört zweifelsohne zu den ausgeprägten Haltungen dieser Zeit - man mag sie postmodern nennen oder nicht. Insofern beschreibt der jüngste Retro-Kult nur eine weitere Spielart der Aneignung, über welche die siebziger und achtziger Jahre ihrerseits so außerordentlich erfolgreich in zeitgenössische Kunst, Mode und Design einfließen konnten.
Wie eigenständig und -willig sich demgegenüber die Gestaltung in Glas entwickelt hat, diesen Nachweis erbringt das Buch in einem detailreichen Text von Anja Reincke sowie in einigen großartigen Werken der sogenannten Studioglas-Bewegung. "Die große Freiheit" der Glasdesigner ist auf technische Entwicklungen zurückzuführen und auf deren Enthusiasmus, aus der Tradition heraus eine neue Formsprache entwickeln zu wollen, die - losgelöst von funktionalen Repressionen - höchsten visuellen und fast haptischen Ansprüchen genügen sollte. Marvin Lipofskys Glasobjekt "Colour Series" von 1970 etwa gleicht einem wunderbaren Bekenntnis zur organischen Form, wie sie später in surrealistischer Manier von Erwin Eisch als "Busenkätzchen" oder in Harvey Littletons "Schizoid Form" erstand. Die anthropomorphe Bodenvase des Tschechoslowaken Pavel Hlava erinnert an die sexuell aufgeladenen Torsi einer Louise Bourgeois, während zur selben Zeit, 1971, die Amerikaner Dale Chihuly und James Carpenter für das Zürcher Museum Bellerive die Installation "Glass Forest" schufen: einen Wald hauchzarter, überlebensgroßer Glasfäden, die am Boden zu Sockeln auslaufen.
"Ich arbeite mit Spontaneität, Zentrifugalkraft, Schwerkraft, Farbe und Teamarbeit" - aus diesen allgemeinen, aber nicht minder dezidierten Aspekten resultiert für Chihuly jene originäre Freiheit der Form, die sich im Glasdesign der siebziger und achtziger Jahre gleichermaßen artikuliert. Die Überraschungen und Entdeckungen aber stecken auch hier im Detail - insbesondere dort, wo die feinen Unterschiede sich über die Grenzziehungen zwischen den siebziger und achtziger Jahren hinwegsetzen, um ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Der Kunstmarkt hat längst beide Jahrzehnte für sich entdeckt: Möbel, Glas und Keramikobjekte der führenden Designer der siebziger und achtziger Jahre gehören mittlerweile zum Standardrepertoire der Auktionshäuser und Händler. Bei Phillips in New York wurde kürzlich ein Exemplar von André Dubreuils "Spine"-Stuhl von 1986 für 24 000 Dollar verkauft. Luigi Colanis "Zocker"-Sitzgerät, um 1972, erzielte einen Zuschlag von 850 Dollar.
Roger Fayet (Hrsg.): 70s versus 80s: Möbel, Glas, Keramik. Dt./Engl., geb., Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 176 S., 202 Abb., 39,80.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eckig oder rund, ironisch oder aerodynamisch - wodurch unterscheidet sich das Design der siebziger Jahre von dem der Achtziger? Anhand von Möbeln, Glas und Keramik entsteht ein Bild der Formensprache zweier Jahrzehnte, die ihrerseits bereits Aufnahme in den Retro-Kult gefunden haben.
VON RALF CHRISTOFORI
"Es gibt keine Originalität mehr. Das Neuerfinden von Formen wird ersetzt durch das Variieren von Dekors, Mustern und Oberflächen - Design als Re-Design." Das programmatische Credo Alessandro Mendinis, eines der Köpfe der Mailänder Designergruppe "Studio Alchimia", kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß damals, vor gut zwanzig Jahren, originäre Designkonzepte entwickelt wurden, die heute mehr denn je rezipiert und ihrerseits einem "Re-Design" unterzogen werden.
Spätestens seit dem Ende der neunziger Jahre ist die "Originalität" der siebziger und achtziger Jahre Kult. Indes scheint die Halbwertszeit des Originals sich heute kaum noch eindeutig bemessen zu lassen: Moden und Stile werden innerhalb kürzester Zeit recycelt; nur den wirklich Eingeweihten sind die Qualitäten einer in der Vergangenheit entwickelten Formsprache geläufig. Nicht selten geht dabei das Interesse an den kleinen Unterschieden verloren - und an jenen Nuancen, die diese vermeintlichen Stile und Moden selbst zeitigten.
Das Buch "70s versus 80s" unternimmt am Beispiel des Möbel-, Glas- und Keramikdesigns den Versuch, diese Originale einmal mehr ins Gedächtnis zu rufen. Es ist ein Versuch, der in manchen interessanten Details gelingt, wenn auch der reich bebilderte Band seine globalen Prämissen über weite Strecken selbst widerlegt. Denn wo etwa könnten die Unterschiede zwischen den siebziger und achtziger Jahren liegen? Lassen sich die beiden Jahrzehnte so einfach und kategorisch voneinander abgrenzen? Schon die exemplarischen Hintergründe der Pop- und Politikgeschichte legen das Dilemma offen: Die siebziger Jahre tendierten "vom Pop zum Protest", die achtziger hingegen "vom Punk zum Prunk" - so die einführende Pauschalalliteration. Roger Fayet, Leiter des Zürcher Museums Bellerive und Herausgeber des Buchs, diagnostiziert einen "ästhetischen Paradigmenwechsel", der auf breiter Ebene - also auch im Design - um 1980 "das definitive Ende der Moderne" und den "endgültigen Eintritt in die Postmoderne" vollzieht.
Eine Abkehr von der Moderne scheint sich indes lange vorher abzuzeichnen. Im Design bereiten so unterschiedliche Figuren wie Verner Panton und Luigi Colani die siebziger Jahre vor. Pantons "Visiona" erklärt den Lebensraum zum opulenten Environment, während sich Colanis Kugelküche für Poggenpohl von 1970 demselben ergo- wie aerodynamischen Konzept verdankt, für das ihm bereits 1954 in Genf die "Goldene Rose" für Auto-Design verliehen wurde.
Die siebziger Jahre vollziehen selbst einen differenzierten Wandel, der im Bewußtsein der Achtziger weiterwirkt. Allein das formale Kriterium, zwischen runden und eckigen Gestaltungsprinzipien unterscheiden zu wollen, vermag den beschworenen Paradigmenwechsel noch nicht zu begründen: Ettore Sottsass' kantiges Regal "Carlton" (1981) für Memphis deutet sich bereits ebenso in den siebziger Jahren an wie etwa Alessandro Mendinis Sofa "Kandissi" (1979) für Alchimia. Umgekehrt entwickelt Guido Droccos und Franco Mellos Kleiderständer "Cactus" von 1971 bereits eine ähnlich kuriose Rhetorik wie die Entwürfe der "lachenden Achtziger", so Fayet. Die Strategie, eine ironische Distanz gegenüber der rigiden Formsprache der Moderne aufzubauen, um sich gleichsam kritisch wie augenzwinkernd über sie hinwegzusetzen, gehört zweifelsohne zu den ausgeprägten Haltungen dieser Zeit - man mag sie postmodern nennen oder nicht. Insofern beschreibt der jüngste Retro-Kult nur eine weitere Spielart der Aneignung, über welche die siebziger und achtziger Jahre ihrerseits so außerordentlich erfolgreich in zeitgenössische Kunst, Mode und Design einfließen konnten.
Wie eigenständig und -willig sich demgegenüber die Gestaltung in Glas entwickelt hat, diesen Nachweis erbringt das Buch in einem detailreichen Text von Anja Reincke sowie in einigen großartigen Werken der sogenannten Studioglas-Bewegung. "Die große Freiheit" der Glasdesigner ist auf technische Entwicklungen zurückzuführen und auf deren Enthusiasmus, aus der Tradition heraus eine neue Formsprache entwickeln zu wollen, die - losgelöst von funktionalen Repressionen - höchsten visuellen und fast haptischen Ansprüchen genügen sollte. Marvin Lipofskys Glasobjekt "Colour Series" von 1970 etwa gleicht einem wunderbaren Bekenntnis zur organischen Form, wie sie später in surrealistischer Manier von Erwin Eisch als "Busenkätzchen" oder in Harvey Littletons "Schizoid Form" erstand. Die anthropomorphe Bodenvase des Tschechoslowaken Pavel Hlava erinnert an die sexuell aufgeladenen Torsi einer Louise Bourgeois, während zur selben Zeit, 1971, die Amerikaner Dale Chihuly und James Carpenter für das Zürcher Museum Bellerive die Installation "Glass Forest" schufen: einen Wald hauchzarter, überlebensgroßer Glasfäden, die am Boden zu Sockeln auslaufen.
"Ich arbeite mit Spontaneität, Zentrifugalkraft, Schwerkraft, Farbe und Teamarbeit" - aus diesen allgemeinen, aber nicht minder dezidierten Aspekten resultiert für Chihuly jene originäre Freiheit der Form, die sich im Glasdesign der siebziger und achtziger Jahre gleichermaßen artikuliert. Die Überraschungen und Entdeckungen aber stecken auch hier im Detail - insbesondere dort, wo die feinen Unterschiede sich über die Grenzziehungen zwischen den siebziger und achtziger Jahren hinwegsetzen, um ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Der Kunstmarkt hat längst beide Jahrzehnte für sich entdeckt: Möbel, Glas und Keramikobjekte der führenden Designer der siebziger und achtziger Jahre gehören mittlerweile zum Standardrepertoire der Auktionshäuser und Händler. Bei Phillips in New York wurde kürzlich ein Exemplar von André Dubreuils "Spine"-Stuhl von 1986 für 24 000 Dollar verkauft. Luigi Colanis "Zocker"-Sitzgerät, um 1972, erzielte einen Zuschlag von 850 Dollar.
Roger Fayet (Hrsg.): 70s versus 80s: Möbel, Glas, Keramik. Dt./Engl., geb., Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 176 S., 202 Abb., 39,80
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