75 Jahre nach der Währungsreform, dem Beginn der Sozialen Marktwirtschaft, führen Nils Goldschmidt und Stefan Kolev erzählerisch und unterhaltsam in Geschichte und Gegenwart der Sozialen Marktwirtschaft ein. Anhand zahlreicher Beispiele vermitteln sie ein Verständnis dafür, was dieses Wirtschaftsmodell auszeichnet und wie aktuell die Versöhnung von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Akzeptanz ist.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2023Der gezähmte Kapitalismus
Eine kurze Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft
Die Idee für den Namen "Soziale Marktwirtschaft" kam dem Ökonomen Alfred Müller-Armack im Kloster. Im Dezember 1946 weilte er im Kloster Vreden an der holländischen Grenze, wohin seine Forschungsstelle damals kriegsbedingt ausgelagert war: "Nun weiß ich, wie es heißen muss. 'Soziale Marktwirtschaft' muss es heißen! 'Sozial' mit großem 'S'!", rief er im Treppenhaus. Bis dahin hatte er selbst noch von der "Gesteuerten Marktwirtschaft" geschrieben, wie aus einem Typoskript kurz vor Drucklegung seines Buches "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft" hervorgeht. Doch der neue Begriff gefiel ihm besser.
Mit diesem "Heureka Moment" beginnt das kleine und lesenswerte Buch "75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln" von Nils Goldschmidt und Stefan Kolev. Die beiden Autoren zeichnen darin die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland schlaglichtartig anhand acht ausgewählter markanter Tage nach. In ihrem Buch nehmen sie die Leser mit auf eine kurzweilige Spurensuche, die gleich zu Beginn auch nach Freiburg führt zu den Granden des Ordoliberalismus wie Walter Eucken, Constantin von Dietze und Leonhard Miksch, also jenen Ökonomen, die sich schon während der Zeit des Nationalsozialismus Gedanken darüber gemacht haben, wie eine freiheitliche Wirtschaftsordnung nach dem Krieg in Grundzügen aussehen sollte.
Unter den von den Autoren herausgepickten Daten ist etwa der 20. Juni 1948, der Tag der Währungsreform, an dem der spätere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zugleich mit dem berühmten "Leitsätzegesetz" einen großen Teil der damals noch vorhandenen staatlichen Preiskontrollen abgeschafft und so den Preismechanismus als Kern der Marktwirtschaft wieder in Kraft gesetzt hat.
Angereichert ist der Text mit zahlreichen lesenswerten Anekdoten, wie etwa dieser hier: Als Ludwig Erhard am Tag danach vom amerikanischen Militärgouverneur vorgeworfen wurde, er hätte mit seinem Vorpreschen die Besatzungsvorschriften der West-Alliierten eigenmächtig geändert, soll Erhard nach eigener Aussage geantwortet haben: "Ich habe die Vorschriften nicht abgeändert. Ich habe sie abgeschafft."
Andere Daten, die die Autoren für ihre kompakten, jeweils rund 8 Seiten langen Kapitel ausgewählt haben, sind etwa der 1. Juli 1990, als die D-Mark in den Osten kam; der 14. März 2003, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die "Agenda 2020" verkündete; und der 31. August 2015, als Angela Merkel ihren berühmten Satz "Wir schaffen das!" aussprach. Auch der 20. Februar 1967 wird besprochen, auch wenn er den meisten Lesern auf Anhieb kein Begriff mehr sein dürfte. Der Termin steht sinnbildlich für die damalige Hinwendung zu einer antizyklischen Wirtschaftspolitik, als die erste kleine Rezession in der bundesrepublikanischen Geschichte in keynesianischer Manier mit einem Konjunkturprogramm bekämpft wurde. Das Projekt gelang dem damaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Karl Schiller zunächst, später sei ihm aber "die Kontrolle über sein Experiment" entglitten, urteilen die Autoren, weil die eigene Partei den Gedanken der Globalsteuerung immer mehr für umfassende Staatseingriffe genutzt habe, sodass Schiller selbst 1972 entnervt zurücktrat. Sein Nachfolger damals wurde Helmut Schmidt, den die beiden Autoren trotz seiner heute beachtlichen Beliebtheit kritisch sehen ("kein großartiger Ökonom"). TILLMANN NEUSCHELER
Nils Goldschmidt und Stefan Kolev: 75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln, Herder-Verlag, Freiburg 2023, 80 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine kurze Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft
Die Idee für den Namen "Soziale Marktwirtschaft" kam dem Ökonomen Alfred Müller-Armack im Kloster. Im Dezember 1946 weilte er im Kloster Vreden an der holländischen Grenze, wohin seine Forschungsstelle damals kriegsbedingt ausgelagert war: "Nun weiß ich, wie es heißen muss. 'Soziale Marktwirtschaft' muss es heißen! 'Sozial' mit großem 'S'!", rief er im Treppenhaus. Bis dahin hatte er selbst noch von der "Gesteuerten Marktwirtschaft" geschrieben, wie aus einem Typoskript kurz vor Drucklegung seines Buches "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft" hervorgeht. Doch der neue Begriff gefiel ihm besser.
Mit diesem "Heureka Moment" beginnt das kleine und lesenswerte Buch "75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln" von Nils Goldschmidt und Stefan Kolev. Die beiden Autoren zeichnen darin die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland schlaglichtartig anhand acht ausgewählter markanter Tage nach. In ihrem Buch nehmen sie die Leser mit auf eine kurzweilige Spurensuche, die gleich zu Beginn auch nach Freiburg führt zu den Granden des Ordoliberalismus wie Walter Eucken, Constantin von Dietze und Leonhard Miksch, also jenen Ökonomen, die sich schon während der Zeit des Nationalsozialismus Gedanken darüber gemacht haben, wie eine freiheitliche Wirtschaftsordnung nach dem Krieg in Grundzügen aussehen sollte.
Unter den von den Autoren herausgepickten Daten ist etwa der 20. Juni 1948, der Tag der Währungsreform, an dem der spätere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zugleich mit dem berühmten "Leitsätzegesetz" einen großen Teil der damals noch vorhandenen staatlichen Preiskontrollen abgeschafft und so den Preismechanismus als Kern der Marktwirtschaft wieder in Kraft gesetzt hat.
Angereichert ist der Text mit zahlreichen lesenswerten Anekdoten, wie etwa dieser hier: Als Ludwig Erhard am Tag danach vom amerikanischen Militärgouverneur vorgeworfen wurde, er hätte mit seinem Vorpreschen die Besatzungsvorschriften der West-Alliierten eigenmächtig geändert, soll Erhard nach eigener Aussage geantwortet haben: "Ich habe die Vorschriften nicht abgeändert. Ich habe sie abgeschafft."
Andere Daten, die die Autoren für ihre kompakten, jeweils rund 8 Seiten langen Kapitel ausgewählt haben, sind etwa der 1. Juli 1990, als die D-Mark in den Osten kam; der 14. März 2003, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die "Agenda 2020" verkündete; und der 31. August 2015, als Angela Merkel ihren berühmten Satz "Wir schaffen das!" aussprach. Auch der 20. Februar 1967 wird besprochen, auch wenn er den meisten Lesern auf Anhieb kein Begriff mehr sein dürfte. Der Termin steht sinnbildlich für die damalige Hinwendung zu einer antizyklischen Wirtschaftspolitik, als die erste kleine Rezession in der bundesrepublikanischen Geschichte in keynesianischer Manier mit einem Konjunkturprogramm bekämpft wurde. Das Projekt gelang dem damaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Karl Schiller zunächst, später sei ihm aber "die Kontrolle über sein Experiment" entglitten, urteilen die Autoren, weil die eigene Partei den Gedanken der Globalsteuerung immer mehr für umfassende Staatseingriffe genutzt habe, sodass Schiller selbst 1972 entnervt zurücktrat. Sein Nachfolger damals wurde Helmut Schmidt, den die beiden Autoren trotz seiner heute beachtlichen Beliebtheit kritisch sehen ("kein großartiger Ökonom"). TILLMANN NEUSCHELER
Nils Goldschmidt und Stefan Kolev: 75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln, Herder-Verlag, Freiburg 2023, 80 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein "lesenswertes" Büchlein über acht Tage, die die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik prägten, urteilt Rezensent Tillmann Neuscheler. Dazu gehörten ein Tag im Dezember 1946, als der Ökonom Alfred Müller Armack im Kloster Vreden den Begriff "Soziale Marktwirtschaft" - mit großem S! - erfand, der 1. Juli 1990, als die D-Mark nach Ostdeutschland kam, oder der 14. März 2003, als Gerhard Schröder die Agenda 2020 verkündete. Die Anekdoten, die die Autoren dazu erzählen, machen das Buch für den Kritiker zur "kurzweiligen" Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland schlaglichtartig [nachgezeichnet] anhand acht ausgewählter markanter Tage Tillmann Neuscheler FAZ 20230724