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Die Weimarer Reichsverfassung wurde lange Zeit als mißglückt angesehen, und das Scheitern der Weimarer Republik wurde im wesentlichen auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zurückgeführt.In diesem Sammelband, der auf einer Vortragsreihe basiert, würdigen die einzelnen Beiträge die Weimarer Reichsverfassung in ihrer historischen Bedeutung. Dabei werden vor allem die bis heute fortbestehenden Errungenschaften der Weimarer Reichsverfassung hervorgehoben, ohne jedoch deren problematische Züge außer acht zu lassen.

Produktbeschreibung
Die Weimarer Reichsverfassung wurde lange Zeit als mißglückt angesehen, und das Scheitern der Weimarer Republik wurde im wesentlichen auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zurückgeführt.In diesem Sammelband, der auf einer Vortragsreihe basiert, würdigen die einzelnen Beiträge die Weimarer Reichsverfassung in ihrer historischen Bedeutung. Dabei werden vor allem die bis heute fortbestehenden Errungenschaften der Weimarer Reichsverfassung hervorgehoben, ohne jedoch deren problematische Züge außer acht zu lassen.
Autorenporträt
Eberhard Eichenhofer ist Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.1999

Lektion in Verfassungsfehlern
Fünfzig Jahre Grundgesetz, achtzig Jahre Weimarer Verfassung: Ein Sammelband regt zum Vergleich an

Eberhard Eichenhofer (Herausgeber): 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung - Was ist geblieben? J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1999. 230 Seiten, 78,- Mark.

Wenn es dem Grundgesetz gelang, die erste stabile Demokratie auf deutschem Boden zu begründen, so gründete sich dieser Erfolg ganz wesentlich auf die beherzigten Lektionen von Weimar. Sich dieser Lektionen zu erinnern und zu vergewissern ist nicht nur historisches Anliegen, sondern unverändert auch aktueller verfassungspolitischer Auftrag gerade gegenüber so manchen Änderungsbestrebungen zum Grundgesetz. Als Beispiel sei nur auf die immer wieder aufflammenden Vorstöße zur Aufnahme plebiszitärer Elemente hingewiesen.

Der Bogen des vorliegenden Sammelbandes, der eine Ringvorlesung an der Universität Jena vom April 1999 wiedergibt, spannt sich weit: von der Stellung der Weimarer Verfassung in der deutschen Verfassungsgeschichte (Walter Pauly) über den Verfassungsgebungsprozess im Jahre 1919 (Gerhard Lingelbach), die Begründung des republikanischen Prinzips (Rolf Gröschner), die unterschiedliche Struktur von destruktivem und konstruktivem Misstrauensvotum in der Weimarer Verfassung und im Grundgesetz (Karl-Ulrich Meyn), das Prinzip der "wehrhaften Demokratie" im Grundgesetz als Lehre aus Weimar (Michael Brenner), das Weimarer Staatskirchenrecht, das unverändert in das Grundgesetz inkorporiert wurde (Peter M. Huber), die Stellung des Berufsbeamtentums (Monika Jachmann) bis zu den Grundpflichten in der Weimarer Verfassung (Martina Haedrich) und den sozialen Grundrechten (Eberhard Eichenhofer).

Die Weimarer Verfassung litt von Anfang an, um Hugo Preuß zu zitieren, unter dem "Fluch des unmöglichen und widersinnigen Friedens von Versailles", ihr Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie wurde als "undeutsch" diskreditiert. Ihre Organisation der demokratischen Ordnung stand von Anfang an unter dem Misstrauen eines potentiellen "Parlaments-Absolutismus", weshalb man mit dem Reichstag und dem direkt vom Volk gewählten Reichspräsidenten zwei unmittelbar durch das Volk bestellte Verfassungsorgane vorsah. Das war der wohl entscheidende Konstruktionsfehler der Weimarer Verfassung. Der Reichspräsident unterstand nicht der Kontrolle des Parlaments. Er verfügte mit dem Notverordnungsrecht über eine eigene, immer extensiver gehandhabte Legislativkompetenz, die die parlamentarische Demokratie letztlich zum Ersticken brachte.

Hinzu kam das herrschende rein formale Verfassungsverständnis von Weimar, das bei Zweidrittelmehrheit auch die Verfassungsdurchbrechung legitimierte - wiederum ein Konstruktionsfehler, den das Grundgesetz in Artikel 79 mit dem "Zitiergebot" für jede materielle Verfassungsänderung und vor allem mit der "Ewigkeitsgarantie" für die Konstitutionsprinzipien vermied. Mit Recht macht Pauly hierauf aufmerksam. Nachdem Lingelbach den schwierigen "Weg in eine Demokratie" von 1919 im Einzelnen nachgezeichnet hat, wendet sich Gröschner dem Republikprinzip in der Weimarer Verfassung und im Grundgesetz zu. Wieder zeigt sich, dass die Weimarer Verfassung zu kurz griff. "Republik" hieß für Weimar im Grunde nichts anderes als die "Verneinung" aller erbmonarchischen oder auch lebenslänglich unabsetzbaren Herrschaftsgewalt einer Einzelperson (Thoma). Auch das Grundgesetz schließt das aus, doch das Entscheidende ist, dass es die Verfassung selbst ist, die jede Form staatlicher Herrschaft legitimiert.

Das Grundgesetz gründet das Verhältnis von Parlament und Regierung mit Recht auf das Prinzip der Kanzlerdemokratie. Der Bundespräsident als Staatsoberhaupt verfügt über keine dem Reichspräsidenten vergleichbare, gar mit originären Hoheitsbefugnissen ausgestattete Rechtsstellung. Dies hat wesentlich zur Stabilität beigetragen, wobei eine entscheidende Rolle dem konstruktiven Misstrauensvotum zukam. Dies arbeitet Karl-Ulrich Meyn deutlich heraus.

Wie sehr das Grundgesetz aus dem Scheitern der Weimarer Verfassung und Weimarer Demokratie gelernt hat, belegt vor allem das strikte Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie - namentlich in Gestalt der Verpflichtung der politischen Parteien auf die Verfassung und der Möglichkeiten des entsprechenden Parteienverbots in Artikel 21. Die Weimarer Verfassung beließ die politischen Parteien überhaupt noch in der Grauzone des "Parakonstitutionellen" - für moderne parteienstaatliche Demokratien ein gravierender Fehler. Mit Recht leitet Michael Brenner seine Darstellung mit dem berüchtigten Zitat von Goebbels ein: "Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen." Die Weimarer Demokratie stand ihren Feinden wehrlos gegenüber, das Grundgesetz hat hieraus gelernt und nicht nur die Parteien auf die Verfassungstreue verpflichtet, sondern die parteienstaatliche Demokratie überhaupt erst verfassungsrechtlich konstituiert.

Artikel 140 hat das Staatskirchenrecht der Weimarer Verfassung unverändert aufgenommen. Diese Entscheidung hatte viele Gründe - vor allem den, dass sich die damalige Weimarer Struktur durchaus bewährt hatte und auch heute - mit wenigen Akzentverlagerungen - eine durchaus tragfähige Ordnung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften verbürgt. Das stellt Peter Huber ebenso klar wie differenziert dar. Das Gleiche gilt für die Darstellung des Berufsbeamtentums in beiden Verfassungssystemen, wobei Monika Jachmann vor allem darauf hinweist, dass die Weimarer Verfassung das Berufsbeamtentum ausschließlich als ein Grundrecht der Beamten verstand, während das Grundgesetz in Artikel 33 vor allem auf die Einheit von öffentlich-rechtlichem Funktionsvorbehalt und öffentlich-rechtlichem Dienst- und Treueverhältnis abstellt.

Die Rechtsstellung des Individuums regelt sich nach dem Grundgesetz vor allem in Gestalt eines außerordentlich kompakten Katalogs liberaler Freiheitsrechte, deren Schutz durch die außerordentlich stringenten Rechtsschutzgarantien, namentlich in Gestalt der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, verwirklicht wird. Eine solche Rechtsschutzgarantie kannte die Weimarer Verfassung nicht. So ambitioniert der Grundrechtskatalog der Weimarer Verfassung war, zu effektiver Geltung ist er nie gelangt. Dies lag weniger an den in der Weimarer Verfassung auch intensiv betonten Grundpflichten (Schul- und Erziehungspflicht, Pflicht zur Übernahme von Ehrenämtern und gemeindlichen Diensten, Steuerund Wehrpflicht sowie Betätigungspflicht), sondern vor allem an ebenjenem Rechtsschutzdefizit. Martina Haedrich stellt jene Weimarer Pflichten mit Recht in den Kontext zu den späteren nationalsozialistischen Zwangsvergemeinschaftungen und auch zu den sozialistischen Grundpflichten der späteren DDR. Demgegenüber hat das Grundgesetz auf Grundpflichten weitgehend verzichtet.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt in der unterschiedlichen Handhabung von sozialen Grundrechten, denen sich Eberhard Eichenhofer widmet. Die Weimarer Verfassung kannte eine Fülle sozialer Grundrechte (Jugendschutz, Ausbildung, Wohnung, Arbeit und soziale Sicherung). Man hatte erkannt, dass eine moderne Verfassung ohne bestimmte soziale Grundgewährleistungen nicht mehr auskommen kann. Andererseits weiß heute jeder, dass solche sozialen Grundrechte unter dem Vorbehalt des (vor allem finanziell) Machbaren stehen. Eingedenk dessen hat das Grundgesetz auf soziale Grundrechte verzichtet und sich mit der allgemeinen Konstituierung des objektiv-rechtlichen Sozialstaatsprinzips begnügt. Das hat sich außerordentlich bewährt. Auch hier gilt es, die Lektion von Weimar zu bewahren - namentlich gegenüber den immer wieder erhobenen Forderungen nach sozialen Grundrechten.

Das vorliegende Werk belegt, dass jedenfalls eines von der Weimarer Reichsverfassung geblieben ist: die Lektion, ihre Fehler nicht zu wiederholen. Das ist in entscheidender Weise die Philosophie des Grundgesetzes und maßgebender Teil seines Erfolges. Deshalb gibt es gute Gründe, sich anlässlich des fünfzigjährigen Geburtstags des Grundgesetzes auch an die vor achtzig Jahren verabschiedete Weimarer Verfassung zu erinnern.

RUPERT SCHOLZ

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