Sie denken, Sie wissen schon alles über Bielefeld? Mit diesem Buch lernen Sie die Stadt von ihren unbekannten Seiten her kennen. Welche Gemeinsamkeit hat Bielefeld mit Paris und London? Und wussten Sie, dass Sie bei Fußballspielen in der SchücoArena immer an einem Gefängnis vorbeilaufen? Nein? Dann erleben Sie mit diesem Reiseführer Bielefeld von seiner faszinierenden Seite ganz neu.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2016Neues Reisebuch
Für die Tasche Bielefeld gilt gemeinhin als Unort, und dafür gibt es gute Gründe.
Die Stadt wurde während des Zweiten Weltkriegs stark zerstört, in zugiger Nachkriegsarchitektur wieder hochgezogen, und was danach noch an Altbauten übrig war, fiel Größtenteils dem Bau des Ostwestfalendamms zum Opfer, einer vier- bis sechsspurigen Stadtautobahn, von Einheimischen genannt "Ossi".
Alles andere als pittoresk anzusehen ist auch die etwas außerhalb gelegene Uni, die mit ihrer grauen Klotzturmbauweise wie ein in der ostwestfälischen Steppe notgelandetes Ufo wirkt und von der Bielefelder Studierende gern behaupten, sie verzeichne die höchste Selbstmordrate in NRW.
Wenig stimmungsaufhellend wirkt auch das Bielefelder Wetter, denn bevor die Wolken weiter in Richtung Norden ziehen, regnen sie sich oft und ausgiebig an dem an der Stadt angrenzenden Teutoburger Wald ab. Und die in der Stadt lebenden Ostwestfalen? Nun ja. Sie sind nicht gerade Verkörperungen von Herzlichkeit. Ein freundliches "Hallo, wie geht's" gilt schnell als offensives Eindringen in die Privatsphäre, auf das Angesprochene mit einem stummen Kopfnicken reagieren, oder, aber da muss man schon sehr, sehr viel Glück haben oder die Arminia gerade in Torlaune sein, mit einem knurrigen "Muss ja".
Alles in allem macht die Stadt es einem also nicht gerade leicht, in Liebe für sie zu entflammen. Verbringt man aber einmal eine längere Zeit in Bielefeld, länger im Sinne von Dort-Leben, dann kann es durchaus passieren, dass man diese Stadt nur noch ungern verlassen will. Denn wie in so vielen Orten, deren Optik einen nicht so charmant umarmt, dass man allein schon davon zufrieden ist, stellen die Menschen dort allerhand auf die Beine, das Bielefeld attraktiv und lebenswert macht.
Dass nun der Publizist und Journalist Andreas Beune, der seit vielen Jahren die Bielefelder Kulturszene aktiv mitgestaltet, ein Buch geschrieben hat (mit Fotos von Steffi Behrmann), das zur Entdeckungstour einlädt, ist deshalb ein großes Glück: Mit kurzen, unterhaltsam geschriebenen Texten stellt er 99 ernsthafte, lustige, interessante und absurde Orte in Bielefeld vor, beginnend mit einer Verkostung im "Biersalon", einem Laden für internationale und lokale Bierspezialitäten, dessen Inhaber seinen "Bier-Abonnementen" monatlich neue Sorten kohlendioxidneutral mit dem Fahrrad ausliefert.
Weiter geht es zu Bielefelder Sehenswürdigkeiten, die ein Muss für jeden kulturhistorisch Interessierten sind, etwa dem "Museum Wäschefabrik", das einem die einstige Web- und Nähindustrie der Stadt nahebringt, dem Alten Friedhof oder dem über der Stadt thronenden Wahrzeichen Bielefelds, der Sparrenburg. Fußballliebhaber lernen, was es mit lokalen Teams wie "Souterrain", "Um die Wurst" oder "Yokohama Sadomaso" auf sich hat und wo in der Schüco-Arena das Stadiongefängnis liegt, in dem notorische Störer bei Arminia-Bielefeld-Spielen Gelegenheit zum Nachdenken erhalten; Familien mit Kindern bekommen Tipps fürs Eisessen und sommerliches Schlammbaden; Kunstinteressierte werden dorthin geführt, wo der Schweizer Künstler Not Vital einst ein Kamelbaby beerdigte, und Cineasten lernen, dass die Stadt, deren berühmte Kinder Friedrich Wilhelm Murnau und Joseph Massolle Filmgeschichte geschrieben haben, bis heute eine der lebendigsten Kino- und Filmszenen Deutschlands vorweisen kann.
Auch kleine Juwelen wie die seit den siebziger Jahren von "Tibet-Helmut" höchstpersönlich betriebene Imbissstube "Bei Helmut" stellt das Buch vor, es steigt hinab in den "Bunker Ulmenwall", einen alten Sanitätsbunker, in dem heute vor allem Konzerte stattfinden - den Weg in den Bielefelder Untergrund fanden schon Wort- und Klangkünstler wie Chet Baker, Elias Canetti, Thomas Bernhard, Carla Bley und Pharoah Sanders -, und fährt dann mit dem Fahrstuhl hinauf auf das Deck eines Parkhauses, wo die "Strandbar Santa Maria" liegt: Die Nordsee ist von Bielefeld zwar gut 170 Kilometer entfernt, dafür hat man dort bei einem Cocktail das Rauschen des Ostwestfalendamms im Ohr. Nach der Lektüre dieses schönen Büchleins ist eines sicher: Die Bielefelder Ödnis ist nur eine scheinbare.
Karen Krüger
Andreas Beune, Steffi Behrmann: "99 x Bielefeld wie Sie es noch nicht kennen". Bruckmann-Verlag, 192 Seiten, 13,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Bielefeld gilt gemeinhin als Unort, und dafür gibt es gute Gründe.
Die Stadt wurde während des Zweiten Weltkriegs stark zerstört, in zugiger Nachkriegsarchitektur wieder hochgezogen, und was danach noch an Altbauten übrig war, fiel Größtenteils dem Bau des Ostwestfalendamms zum Opfer, einer vier- bis sechsspurigen Stadtautobahn, von Einheimischen genannt "Ossi".
Alles andere als pittoresk anzusehen ist auch die etwas außerhalb gelegene Uni, die mit ihrer grauen Klotzturmbauweise wie ein in der ostwestfälischen Steppe notgelandetes Ufo wirkt und von der Bielefelder Studierende gern behaupten, sie verzeichne die höchste Selbstmordrate in NRW.
Wenig stimmungsaufhellend wirkt auch das Bielefelder Wetter, denn bevor die Wolken weiter in Richtung Norden ziehen, regnen sie sich oft und ausgiebig an dem an der Stadt angrenzenden Teutoburger Wald ab. Und die in der Stadt lebenden Ostwestfalen? Nun ja. Sie sind nicht gerade Verkörperungen von Herzlichkeit. Ein freundliches "Hallo, wie geht's" gilt schnell als offensives Eindringen in die Privatsphäre, auf das Angesprochene mit einem stummen Kopfnicken reagieren, oder, aber da muss man schon sehr, sehr viel Glück haben oder die Arminia gerade in Torlaune sein, mit einem knurrigen "Muss ja".
Alles in allem macht die Stadt es einem also nicht gerade leicht, in Liebe für sie zu entflammen. Verbringt man aber einmal eine längere Zeit in Bielefeld, länger im Sinne von Dort-Leben, dann kann es durchaus passieren, dass man diese Stadt nur noch ungern verlassen will. Denn wie in so vielen Orten, deren Optik einen nicht so charmant umarmt, dass man allein schon davon zufrieden ist, stellen die Menschen dort allerhand auf die Beine, das Bielefeld attraktiv und lebenswert macht.
Dass nun der Publizist und Journalist Andreas Beune, der seit vielen Jahren die Bielefelder Kulturszene aktiv mitgestaltet, ein Buch geschrieben hat (mit Fotos von Steffi Behrmann), das zur Entdeckungstour einlädt, ist deshalb ein großes Glück: Mit kurzen, unterhaltsam geschriebenen Texten stellt er 99 ernsthafte, lustige, interessante und absurde Orte in Bielefeld vor, beginnend mit einer Verkostung im "Biersalon", einem Laden für internationale und lokale Bierspezialitäten, dessen Inhaber seinen "Bier-Abonnementen" monatlich neue Sorten kohlendioxidneutral mit dem Fahrrad ausliefert.
Weiter geht es zu Bielefelder Sehenswürdigkeiten, die ein Muss für jeden kulturhistorisch Interessierten sind, etwa dem "Museum Wäschefabrik", das einem die einstige Web- und Nähindustrie der Stadt nahebringt, dem Alten Friedhof oder dem über der Stadt thronenden Wahrzeichen Bielefelds, der Sparrenburg. Fußballliebhaber lernen, was es mit lokalen Teams wie "Souterrain", "Um die Wurst" oder "Yokohama Sadomaso" auf sich hat und wo in der Schüco-Arena das Stadiongefängnis liegt, in dem notorische Störer bei Arminia-Bielefeld-Spielen Gelegenheit zum Nachdenken erhalten; Familien mit Kindern bekommen Tipps fürs Eisessen und sommerliches Schlammbaden; Kunstinteressierte werden dorthin geführt, wo der Schweizer Künstler Not Vital einst ein Kamelbaby beerdigte, und Cineasten lernen, dass die Stadt, deren berühmte Kinder Friedrich Wilhelm Murnau und Joseph Massolle Filmgeschichte geschrieben haben, bis heute eine der lebendigsten Kino- und Filmszenen Deutschlands vorweisen kann.
Auch kleine Juwelen wie die seit den siebziger Jahren von "Tibet-Helmut" höchstpersönlich betriebene Imbissstube "Bei Helmut" stellt das Buch vor, es steigt hinab in den "Bunker Ulmenwall", einen alten Sanitätsbunker, in dem heute vor allem Konzerte stattfinden - den Weg in den Bielefelder Untergrund fanden schon Wort- und Klangkünstler wie Chet Baker, Elias Canetti, Thomas Bernhard, Carla Bley und Pharoah Sanders -, und fährt dann mit dem Fahrstuhl hinauf auf das Deck eines Parkhauses, wo die "Strandbar Santa Maria" liegt: Die Nordsee ist von Bielefeld zwar gut 170 Kilometer entfernt, dafür hat man dort bei einem Cocktail das Rauschen des Ostwestfalendamms im Ohr. Nach der Lektüre dieses schönen Büchleins ist eines sicher: Die Bielefelder Ödnis ist nur eine scheinbare.
Karen Krüger
Andreas Beune, Steffi Behrmann: "99 x Bielefeld wie Sie es noch nicht kennen". Bruckmann-Verlag, 192 Seiten, 13,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main