Ein Kopf in einer Plastiktüte vor dem Büro, dazu ein erschossener Geschäftsführer. Mit der NGO »Interni« stimmt deutlich etwas nicht. Und nichts ist lästiger für eine wohltätige Stiftung als schlechte Presse. Fürchtet der Lebensmittel- und Fleisch-Tycoon Wellinghofen, der Hauptmäzen der »Interni«, und schickt seine Mitarbeiterin für besondere Fälle, die sich gerade Eve Klein nennt, nach Zürich zum Stiftungssitz. Nebenbei soll sie auch noch Geld für ihn auf dem Kunstmarkt waschen, mit Hilfe der mehr als undurchsichtigen Mascha Harvensteen, die als Guru der Kunstwelt gilt. Neben dem sichtlich überforderten Stiftungsvorstand Max Karnofsky bekommt es Eve zudem mit dessen eisiger Gattin Helena zu tun, mit den Töchtern der Familie - Zwillinge, die glatt aus Shining stammen könnten -, und einem ruppigen Berater aus London mit unguten Verbindungen. Eine Welt der Reichen und Superreichen, in der alles funktional ist. Einschließlich der Kinder. Aber das Einzige, was wirklich zu funktionieren scheint, ist der Rasenmähroboter. In dieser Welt sind Big Business, Gier und Organisiertes Verbrechen eng miteinander verzahnt. Wenn auch anders, als Eve sich das zunächst denkt ...
»Die Glauser-Preisträgerin ... ist nun mit einem scharfsinnigen und sehr schnellen Krimi wieder zurück.« Sven Trautwein Frankfurter Rundschau 20240323
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2024Vorhölle der Reichen
Krimis in Kürze: Bernhard Kegel, Sybille Ruge, Mathijs Deen
Für manche ist das überhaupt keine Dystopie, sondern eine frohe Botschaft: dass Berlin eines Tages menschenleer und überwuchert sein könnte, ein "lost place" mitten in der Steppe Brandenburgs. Bernhard Kegel hat aus dieser Vision einen Roman gemacht, der einfach nur "Gras" (Dörlemann, 384 S., geb., 25,- Euro) heißt. Kegel ist studierter Biologe und Chemiker, er hat neben vielgelobten Sachbüchern auch erzählende Prosa veröffentlicht. Er kennt sein Metier.
Anfangs sind da nur ein paar sehr grüne Halme, die aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen am Berliner Bundesplatz sprießen. Die Biologiestudentin Natalie nimmt sie als erste wahr. Dann erobert das Gras die Stadt, durchbricht den Asphalt, macht Straßen unbefahrbar, trotzt Herbiziden und den Analysen der Wissenschaft, legt die Infrastruktur lahm.
Die Handlung bewegt sich auf zwei Zeitebenen. Sie wechselt zwischen Natalie, die aus Forscherinnenneugier in der postapokalyptischen Stadtwildnis ausgeharrt hat, und ihren Erinnerungen daran, wie das Gras, das sie "Invicta", die Unbesiegte, getauft hat, unaufhaltsam alles grün werden ließ. Das ist ein ziemlich gutes Szenario auf seriöser botanischer Grundlage. Leider jedoch ist Kegel kein deutscher Michael Crichton. Er ist noch nicht einmal ein Frank Schätzing.
Der Plot von "Gras" wirkt eher uninspiriert, der Spannungsaufbau reißt einen auch nicht gerade mit, weil das Buch einige vermeidbare Längen hat, und die Prosa fällt recht schlicht aus. So bleibt das Potential der starken Ausgangsidee weitgehend ungenutzt.
Wie die Frau, die sich "Eve Klein" nennt, wirklich heißt, erfährt man nicht. Das ist nicht schlimm. Sie ist so taff wie Sonja Sklanski, die Protagonistin in "Davenport 160 x 90", dem ersten Roman von Sybille Ruge. Ruge, die als Schauspielerin und Kostümbildnerin gearbeitet hat, die auch Stoffe designed, kann schreiben, und zwar so hart, schnell, bösartig und schnoddrig, dass es auch schon mal wirkt, als berausche sie sich an den eigenen Pointen. Stört aber nicht weiter, weil die Sprüche gut sind.
Der Titel "9mm Cut" (Suhrkamp, 232 S., br., 17,- Euro) bezieht sich nicht auf Waffen oder Verletzungen, sondern auf einen elaborierten Rasenschnitt. Eve ist für einen Lebensmitteltycoon unterwegs in Zürich, in dessen Stiftung, einer wohltätigen NGO, einiges schiefläuft. Ein Skandal droht. Sie soll es richten, die Methoden sind zweitrangig. Dieses Zürich ist eine Vorhölle der Reichen, Schönen und Gemeinen, in grellen Farben ausgeleuchtet, und Ruge ist angenehm wenig daran interessiert, mit buchhalterischer Akribie einen Fall zu lösen und abzuheften. Mit ihrer unverwechselbaren Tonlage ist sie nach nur zwei Büchern zu einer der vitalsten Stimmen im deutschen Kriminalroman geworden.
Und dann taucht da wieder Liewe Cupido auf, der Bundespolizist See mit der deutschen Mutter und dem niederländischen Vater. In "Der Retter" (Mare, 378 S., geb., 23,- Euro) hat er seinen dritten Auftritt. Ein Einzelgänger mit eigenwilligen Methoden ist der Mann aus Texel, der nicht Fischer werden wollte. Aber in seiner Mentalität ist er ein Insulaner geblieben, was ihm einen Vorsprung beim Ermitteln verschafft. Nicht weil die Leute auf den friesischen Inseln mit ihm mehr sprächen. Sondern weil er besser begreift, was ihr Schweigen bedeutet und wovon ihre kargen Auskünfte ablenken sollen.
Mathijs Deens Buch dreht sich diesmal um die mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Havarie eines Schleppers. Ein Skelett wird gefunden, mutmaßlich das des Kapitäns, den zwei Seenotkreuzer aus Ameland und Norderney damals nicht aus dem Wasser ziehen konnten. Reine Routine, scheint es, zur Bestätigung ist nicht mehr als ein DNA-Abgleich mit der Tochter erforderlich, das kann auch der neue Kollege des nur bedingt teamfähigen Cupido übernehmen.
Aber er stößt dann doch auf ein paar Merkwürdigkeiten. Und Cupido wird unerwartet an ein Ereignis aus seiner Vergangenheit erinnert. Deen erzählt das gewohnt souverän, weiträumig, aus wechselnden Perspektiven, ohne übermäßige Fixierung auf seinen Ermittler, mit einem guten Gespür für die Eigenheiten der friesischen Welt zwischen Texel und Flensburg. Und er hat für die Geschichte ein treffendes Motto von Georges Simenon gewählt: "Die Wahrheit wirkt nie wahr." PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Bernhard Kegel, Sybille Ruge, Mathijs Deen
Für manche ist das überhaupt keine Dystopie, sondern eine frohe Botschaft: dass Berlin eines Tages menschenleer und überwuchert sein könnte, ein "lost place" mitten in der Steppe Brandenburgs. Bernhard Kegel hat aus dieser Vision einen Roman gemacht, der einfach nur "Gras" (Dörlemann, 384 S., geb., 25,- Euro) heißt. Kegel ist studierter Biologe und Chemiker, er hat neben vielgelobten Sachbüchern auch erzählende Prosa veröffentlicht. Er kennt sein Metier.
Anfangs sind da nur ein paar sehr grüne Halme, die aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen am Berliner Bundesplatz sprießen. Die Biologiestudentin Natalie nimmt sie als erste wahr. Dann erobert das Gras die Stadt, durchbricht den Asphalt, macht Straßen unbefahrbar, trotzt Herbiziden und den Analysen der Wissenschaft, legt die Infrastruktur lahm.
Die Handlung bewegt sich auf zwei Zeitebenen. Sie wechselt zwischen Natalie, die aus Forscherinnenneugier in der postapokalyptischen Stadtwildnis ausgeharrt hat, und ihren Erinnerungen daran, wie das Gras, das sie "Invicta", die Unbesiegte, getauft hat, unaufhaltsam alles grün werden ließ. Das ist ein ziemlich gutes Szenario auf seriöser botanischer Grundlage. Leider jedoch ist Kegel kein deutscher Michael Crichton. Er ist noch nicht einmal ein Frank Schätzing.
Der Plot von "Gras" wirkt eher uninspiriert, der Spannungsaufbau reißt einen auch nicht gerade mit, weil das Buch einige vermeidbare Längen hat, und die Prosa fällt recht schlicht aus. So bleibt das Potential der starken Ausgangsidee weitgehend ungenutzt.
Wie die Frau, die sich "Eve Klein" nennt, wirklich heißt, erfährt man nicht. Das ist nicht schlimm. Sie ist so taff wie Sonja Sklanski, die Protagonistin in "Davenport 160 x 90", dem ersten Roman von Sybille Ruge. Ruge, die als Schauspielerin und Kostümbildnerin gearbeitet hat, die auch Stoffe designed, kann schreiben, und zwar so hart, schnell, bösartig und schnoddrig, dass es auch schon mal wirkt, als berausche sie sich an den eigenen Pointen. Stört aber nicht weiter, weil die Sprüche gut sind.
Der Titel "9mm Cut" (Suhrkamp, 232 S., br., 17,- Euro) bezieht sich nicht auf Waffen oder Verletzungen, sondern auf einen elaborierten Rasenschnitt. Eve ist für einen Lebensmitteltycoon unterwegs in Zürich, in dessen Stiftung, einer wohltätigen NGO, einiges schiefläuft. Ein Skandal droht. Sie soll es richten, die Methoden sind zweitrangig. Dieses Zürich ist eine Vorhölle der Reichen, Schönen und Gemeinen, in grellen Farben ausgeleuchtet, und Ruge ist angenehm wenig daran interessiert, mit buchhalterischer Akribie einen Fall zu lösen und abzuheften. Mit ihrer unverwechselbaren Tonlage ist sie nach nur zwei Büchern zu einer der vitalsten Stimmen im deutschen Kriminalroman geworden.
Und dann taucht da wieder Liewe Cupido auf, der Bundespolizist See mit der deutschen Mutter und dem niederländischen Vater. In "Der Retter" (Mare, 378 S., geb., 23,- Euro) hat er seinen dritten Auftritt. Ein Einzelgänger mit eigenwilligen Methoden ist der Mann aus Texel, der nicht Fischer werden wollte. Aber in seiner Mentalität ist er ein Insulaner geblieben, was ihm einen Vorsprung beim Ermitteln verschafft. Nicht weil die Leute auf den friesischen Inseln mit ihm mehr sprächen. Sondern weil er besser begreift, was ihr Schweigen bedeutet und wovon ihre kargen Auskünfte ablenken sollen.
Mathijs Deens Buch dreht sich diesmal um die mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Havarie eines Schleppers. Ein Skelett wird gefunden, mutmaßlich das des Kapitäns, den zwei Seenotkreuzer aus Ameland und Norderney damals nicht aus dem Wasser ziehen konnten. Reine Routine, scheint es, zur Bestätigung ist nicht mehr als ein DNA-Abgleich mit der Tochter erforderlich, das kann auch der neue Kollege des nur bedingt teamfähigen Cupido übernehmen.
Aber er stößt dann doch auf ein paar Merkwürdigkeiten. Und Cupido wird unerwartet an ein Ereignis aus seiner Vergangenheit erinnert. Deen erzählt das gewohnt souverän, weiträumig, aus wechselnden Perspektiven, ohne übermäßige Fixierung auf seinen Ermittler, mit einem guten Gespür für die Eigenheiten der friesischen Welt zwischen Texel und Flensburg. Und er hat für die Geschichte ein treffendes Motto von Georges Simenon gewählt: "Die Wahrheit wirkt nie wahr." PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Sonja Hartl hat Sybille Ruges Krimi gefallen: Ruge durchdringt das Milieu der Superreichen mit Präzision und einem Auge fürs Detail, findet Hartl. Nichts bleibt ungenau beschrieben: Kleidung, Einrichtung, Gewohnheiten. In der Sprache der Figuren ihres neuen Romans - über einen Mord in der "High Society" - lässt sie die Weltverbesserungsideologie des Spätkapitalisten aufscheinen, die eigentlich nur den Ehrgeiz verdecken soll, noch reicher zu werden, gibt Hartl ihre Lesart von Ruges Roman wieder. Hartl wünscht sich abschließend, noch viel mehr von Ruges Ermittlerin Eve Klein zu lesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH